Zwei Tage Zeit in Berlin, von morgens bis abends Interviews geben und danach weiter in die USA, für noch mehr Interviews – es hat sich einiges getan bei Frank Turner. Er hat einen Vertrag mit Universal unterschrieben und spielte neulich ein Solokonzert vor 12.000 Menschen in London. Außerdem erscheint im April 2013 sein fünftes Album „Tape Deck Heart“. Ich traf ihn dort, wo auch schon sein erstes Interview mit dem Ox stattgefunden hat: im Berliner Ramones-Museum.
Dein neues Album heißt „Tape Deck Heart“, sind Mixtapes noch wichtig für dich?
Um ehrlich zu sein, habe ich keinen Kassettenrekorder mehr, diese Tage sind vorbei. Früher waren sie aber sehr wichtig. Als wir jünger waren, haben meine Freunde und ich uns andauernd gegenseitig Kassetten aufgenommen, meistens waren das schräge Punk- und Hardcore-Sachen, die gerade rauskamen oder auf die wir irgendwo gestoßen sind. Das war oft die einzige Möglichkeit, an Musik heranzukommen. Ich habe ungefähr ein Jahr gebraucht, um irgendwie „Age Of Quarrel“ von den CRO-MAGS zu bekommen, ich hatte eine Live-Aufnahme von irgendwem, der ein Lied von dem Album gecovert hat, aber wollte unbedingt das Original. Ich bin mittlerweile viel unterwegs und kann keinen Kassettenrekorder mit mir herumschleppen. Deshalb habe ich, wie wahrscheinlich alle, einen mp3-Player. Aber ich mache noch immer gern Mix-CDs.
Wenn du selber gar keine Kassetten mehr benutzt, wieso heißt das Album dann so?
Es hat sich richtig angefühlt. Es ist eine Textzeile aus einem der Lieder, und als ich es zum ersten Mal niederschrieb, sprang sie mir ins Auge und sagte, „Hallo, ich bin dein Albumtitel“, haha. Ich mag daran, dass es eigentlich alles bedeuten kann. In all den Interviews der letzten Tage habe ich zig verschiedene Theorien gehört, was der Titel bedeuten könnte, und eigentlich sind alle richtig. Ein bisschen hat das vielleicht mit Nostalgie zu tun, aber für mich steckt viel eher dahinter, dass ich die Musik mehr liebe als irgendeine individuelle Person, haha. Das zu sagen ist fürchterlich, aber irgendwie ist es wahr. Musik hat nun einmal einen großen Einfluss auf mein Leben und vor allem auch auf meine Sicht auf die Welt.
Du sagtest, es hätte 25 Songs für das Album gegeben, auf dem Album sind nur noch zwölf. Gibt es also bald eine „Tape Deck Heart“-B-Seiten-Platte mit den übrigen Stücken?
Es gab einen Punkt, an dem hatte ich 25 Songs zusammen. Die habe ich auf 18 reduziert, einige waren einfach scheiße, einige andere waren irgendwie nicht richtig, ich weiß nicht wieso, vielleicht kommen sie auf das nächste Album, falls mir einfällt, was ich ändern könnte. Ich glaube nicht daran, dass Songs besser werden, wenn man sie im Keller liegen lässt, also werde ich sicherlich bald was damit machen.
Um mit dem Mixtape-Thema abzuschließen: Hast du vor, das Album auch als Kassette herauszubringen? Wäre ja durchaus passend.
Es gibt Gespräche darüber, ja. Einerseits wäre es eine folgerichtige Entscheidung, das Album auch auf Kassette zu veröffentlichen, auch als Promo-Ding oder so. Andererseits hat mir die Tage jemand von einem Hipster-Label aus Brooklyn erzählt, das nur Kassetten veröffentlicht, und ehrlich gesagt, war ich nie daran interessiert, nur der Geste wegen irgendwas zu machen. Weißt du, ich möchte das nicht machen, nur damit die Leute denken, ich sei supercool und oldschool, denn das bin ich nicht, war ich nie und werde ich nie sein. Aber trotzdem, ich glaube, wir werden das wahrscheinlich machen, wir bringen das Album auch auf Kassette raus. Ich hoffe nur, die Leute glauben dann nicht, ich sei ein Hipster, oder dass ich versuche, einer zu sein, haha.
Als wir dich zum ersten Mal fürs Ox interviewt haben, leiteten wir den Text damit ein, dass du, obwohl du gerade mal am Anfang deiner Solokarriere stehst, schon vor 600 oder 700 Leuten spielst. Letztes Jahr hast du ein Konzert vor ca. 12.000 Leuten gegeben ...
Ja, das war in der Wembley Arena in London.
Wie war das?
Ich bin sehr stolz darauf, ehrlich. Ich habe hart auf diese Show hingearbeitet und ich habe nichts an meinem Konzept oder meiner Arbeit geändert, um an diesen Punkt zu kommen, es gab keine Kompromisse. Die Atmosphäre an dem Tag war großartig. Ich selbst mag eigentlich keine großen Konzerte in Arenen und ich glaube, viele Leute finden das ebenfalls schlimm, weil diese Shows immer unpersönlich und ungemütlich wirken. Es gibt da diese unüberwindbare Trennung zwischen der Band und dem Publikum. Ich meine, es gibt sicherlich Wege, das zu umschiffen. Ich habe Bands gesehen, die das ziemlich gut hinbekommen haben, aber das ist nicht leicht. Also habe ich mir vor der Show unendlich viele Gedanken gemacht: Wie spielst du ein Konzert vor so vielen Leuten und sorgst dafür, dass sich jeder einbezogen fühlt. Vielleicht bin ich die falsche Person, das zu beurteilen, aber ich glaube, ein Schwerpunkt meiner Musik ist es, den Fans das Gefühl zu geben, ein Teil davon zu sein, ich versuche, die Menschen mit der Musik zusammenzubringen. Wahrscheinlich solltest du lieber jemanden aus dem Publikum fragen, aber in meinen Augen hat das an dem Abend ganz gut geklappt. Es fühlte sich für mich nicht so an, als stünde ich da oben schreiend auf der Bühne und die Leute da unten würden nur zuhören. Es war eher so, als säßen wir alle im selben Boot, als würden wir alle gemeinsam Musik machen.
War das nicht unglaublich beeindruckend?
Das war verflucht großartig. Ich war sehr aufgeregt vor der Show, da waren so viele Kleinigkeiten, an die ich denken musste. Billy Bragg kam mit auf die Bühne, um einen Song mit mir zu spielen, und sogar meine Mutter war dabei, sie hat bei einem Lied Harmonika gespielt. Ich hatte einige Dinge, die ich unbedingt sagen wollte, und dann wurde das Ganze auch noch gefilmt. Im Grunde war mein Kopf die ganze Zeit voll mit Kram wie „Vergiss nicht dies, bau hier keinen Mist, denk dran, das noch zu sagen, stolpere nicht ...“ und so weiter. Ich glaube, erst am Ende des letzten Stückes stand ich dann vorne auf der Bühne und dachte nur noch: „Fuck, sind das viele Leute hier.“ Haha! Aber das war ein tolles Gefühl.
Hast du dich in den stressigen Momenten manchmal zurück in die Bars und Pubs mit den 100 Leuten gewünscht?
Vielleicht, ja, aber die Wembley-Show war etwas Einzigartiges. Die gute Sache an Pub-Shows ist, dass du das andauernd machen kannst, da ist nicht viel Raum für Eitelkeiten oder Nervosität, du machst es einfach. Vielleicht sind das die besseren Shows, weil du selber Spaß daran hast. Würde ich häufiger in so großen Hallen spielen, wäre ich vielleicht entspannter gewesen, wer weiß. Wir planen gerade mehr solche großen Konzerte in Großbritannien, darauf freue ich mich schon. Vielleicht baue ich dann extra Mist und mache einen Witz daraus, spiele irgendeinen Quatsch auf der Gitarre in der Mitte eines Songs, irgend so was, haha. Ich kann auch nicht sagen, dass mir kleine Konzerte fehlen, die gebe ich ja trotzdem noch immer. Wenn ich auf Tour bin, ist mein Manager meistens ziemlich genervt. Der findet das nicht so lustig, wenn ich eine Woche vor einer großen Show ein kleines Konzert in derselben Stadt habe, kostenlos und in einem Pub, haha. Aber hey, das ist ein Gig, das macht mir Spaß, also was soll’s?
Bist du besorgt, dass die Punkrock-Szene dich zerreißen wird, weil du zu einem Majorlabel gegangen bist?
Das ist eine gute Frage. Ich denke oft, dass Punkrock ein bisschen wie Katholizismus ist, wenn du da reingeboren wirst, kommst du nie wieder davon weg. Ich glaube, es gibt so etwas wie einen Schuld-Gedanken in der Szene. Ja, ich bin mir sicher, es wird Leute geben, die schimpfen werden ... Aber ich möchte betonen, dass ich eigentlich bei Xtra Mile Recordings unter Vertrag bin. Wir haben Lizenzverträge mit verschiedenen Labels auf der ganzen Welt, aber mein eigentlicher Plattenvertrag läuft mit den Leuten, mit denen ich schon immer zusammengearbeitet habe. Vielleicht ist das vielen Leuten egal, aber mir eben nicht, das macht einen großen Unterschied in Bezug auf meine Arbeit aus. Ich habe keine Leute in Anzügen im Studio, die mir sagen, was ich tun darf, das ist mir sehr wichtig. Ich habe die Kontrolle über meine Arbeit und auch darüber, wie sie präsentiert wird. Außerdem, wenn ich nicht dahinter stehen würde, hätte ich es nicht gemacht. Ich bin mir aber sicher, dass einige Leute angepisst sein werden, da kann man wohl nichts machen.
Was hat sich für dich geändert, mal abgesehen von den größeren Konzerten?
An sich hat sich gar nicht so viel geändert. Vielleicht muss ich jetzt ein bisschen härter arbeiten, der Zeitplan für die Promo ist wesentlich anstrengender geworden. Gestern und heute waren zwar auch voll mit Terminen hier in Berlin, aber das war noch okay. Morgen fliege ich nach Amerika und der Zeitplan dort bringt mich buchstäblich zum heulen. Es wird wohl so aussehen, dass ich zwanzig Interviews am Tag geben werde und das drei Wochen lang, das ist verrückt. Ich werde wahrscheinlich den Verstand verlieren, haha. Na ja, um vielleicht noch einmal zurückzukommen zu dieser Punkrock-Schuld, am Ende scheint mir, geht es da um Missgunst oder vielleicht die schlichte Abneigung gegenüber Erfolg. Das weise ich aber von mir, ich mache nichts nur des Erfolges wegen, ich habe nicht vor, irgendwas zu ändern, um erfolgreicher zu werden. Wenn ich aber mit dem, was ich sowieso mache, erfolgreich bin, werde ich mich dafür nicht schämen und ich werde mich erst recht nicht dafür entschuldigen, dass viele Leute zufällig meine Musik mögen. Für mich ist die Begründung, warum ich der verflucht größte Glückspilz der Welt bin, eigentlich sehr simpel: Ich darf mit Kreativität meinen Lebensunterhalt verdienen. Das beinhaltet für mich, dass eben dieser Kreativität keine Grenzen gesetzt sind. Wenn ich mich jemals eingeschränkt fühlen würde, hätte ich keinen Spaß mehr an meiner Arbeit und würde nicht weitermachen. Es ist natürlich nicht immer leicht, jeden Tag woanders zu sein. Die Großartigkeit meines Jobs und die anstrengenden Seiten halten sich derzeit jedoch noch die Waage, und wenn mein Job nicht so toll wäre, wäre das sicherlich eine Quälerei. Außerdem, falls jemand so einen Schwachsinn sagt wie, „Du klingst total anders und mainstreamig, seitdem du bei einem Major bist“, sollten diese Leute wissen, dass wir „Tape Deck Heart“ aufgenommen bereits hatten, bevor wir die Verträge unterschrieben haben.
Ich bin nur froh, dass du nicht auf einmal anfängst, Synthesizer in deine Stücke einzubauen.
Haha, ja, na klar, das wäre auch nicht schön. Für mich ist wichtig – und das geht ganz weit weg von jeglicher Diskussion zum Thema Label –, an welchem Punkt im Leben ich mich gerade befinde. Ich habe das Gefühl, die Achterbahn fährt noch immer nach oben derzeit und die logische Konsequenz wäre, nicht zu viel von mir selber Preis zu geben auf diesem Album. Viele Bands werden immer allgemeiner, umso erfolgreicher sie werden. Sie scheinen sich Sorgen zu machen, was passiert, wenn ihnen immer mehr Leute Aufmerksamkeit schenken. Aber oft werden diese Bands dann auch langweilig und austauschbar. Also habe ich beschlossen, das genaue Gegenteil zu tun, nicht dass ich nicht sonst auch offen gewesen wäre, aber ich habe versucht, auf diesem Album sehr persönlich zu werden und es so geschrieben, als wäre ich selbst auch der einzige Mensch, der die Musik je zu hören bekommt. Das Problem ist, dass ich jetzt ein bisschen panisch werde, wenn ich daran denke, was manche Leute denken könnten, wenn sie das Album hören.
In Deutschland bist du ziemlich erfolgreich, die Konzerte im Frühling sind bereits ausverkauft.
Ich könnte jetzt sagen, wie toll ich Deutschland finde, und dann würdest du sagen: „Das sagst du doch zu jedem Land.“ Aber gut: Erst einmal wünschte ich, ich würde mir mal ein bisschen mehr Mühe geben, Deutsch zu lernen. Einen langen Satz kann ich aber: „Dieser Song ist über drei Dinge: Karten spielen, lange aufbleiben und Whiskey trinken mit meiner Oma.“ Für die nächste Tour übe ich einen anderen, okay? Na ja, die meisten nicht-deutschen Bands sind sich, glaube ich, einig, dass in Deutschland bei den Konzerten ordentlich gefeiert wird. Wir haben eine Europatour mit den DROPKICK MURPHYS gemacht und die deutschen Konzerte waren die besten, das heißt nicht, dass die anderen schrecklich waren, aber hier gab es eine besondere Atmosphäre. Ich habe das Gefühl, die Leute in Deutschland sind unkompliziert in Sachen Musik, auf eine Art, die mir sehr gefällt. In Großbritannien gibt es dieses Hipster-Ding, all diese Gedanken, ob es nun cool ist, eine Band zu mögen oder eben nicht.
Du hast letztes Jahr eine EP mit den DONOTS aufgenommen. Das ist auch eine der Bands, an der sich hier die Geister scheiden, glaube ich.
Die hatten damals, in den Neunzigern meine ich, eine Verbindung zu Epitaph und einige ihrer Songs erschienen auf Samplern, auf denen auch Sachen von mir waren. Irgendwann spielte ich dann auf einem Festival in Deutschland und die DONOTS waren auch da. Bei unserem Auftritt stand dann ein Typ an der Seite der Bühne und schaute sich das an. Danach kam er auf mich zu und sagte so was wie: „Hey, mein Name ist Ingo, ich spiele bei den DONOTS und ich mag deine Musik sehr.“ Und er sagte, dass sie später ebenfalls spielen würden, und ich ging hin und sie waren großartig. Die sind einfach eine wahnsinnig gute Live-Band, es ist mir fast peinlich zu sagen, wie unfassbar super die live sind, haha. Wir blieben in Kontakt und irgendwann hatten wir eine Show in Münster, das Studio der DONOTS war um die Ecke und so haben wir einfach was zusammen aufgenommen – und der Rest ist Geschichte, haha.
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