Die DONOTS und das Ox? Die kommen schon lange gut miteinander klar: wir besprachen die Platten, interviewten sie, Sänger Ingo ist seit Jahren Ox-Leser. Die DONOTS und ich? Gemischte Gefühle. Vorurteile basierend auf den Platten der späten Neunziger beim Plastiklabel Gun hielten mich auf Distanz. Und dann trifft man sich, redet lange, stellt fest, dass einen weit mehr verbindet als trennt – und nimmt das erstmals deutschsprachige neue Album „Karacho“ zum Anlass für ein langes Interview, das dann auch noch zur Titelstory wurde.
Ingo, wie seid ihr aufgewachsen? Ibbenbüren in den Achtzigern klingt nach großer Langeweile.
Wir waren so klassische Vorstadtkinder, total klischeehaft Mittelklasse. Ibbenbüren ist eine Kohlestadt, mein Vater war Bergmann und hat unter Tage gearbeitet. Da war man irgendwas zwischen Working Class und Mittelschicht. In Ibbenbüren gab es damals nichts für Jugendliche, nur die „Scheune“ – dadurch wurde die Stadt bei tourenden Bands bekannt. Und natürlich kennen Musiker den Mailorder Musik Produktiv. In Ibbenbüren konnte man damals genau zwei Wege gehen: entweder du hast dich mit deinem getuneten Golf II um den Baum gewickelt, oder du bist in die Scheune gegangen, und das war die beste Entscheidung meines Lebens. Ich bin Jahrgang 1976, und Anfang der Neunziger, so mit 16, fing ich an, dort Konzerte zu machen. Die Stadt stand dahinter, und ich konnte meine Lieblingsbands einladen. Dadurch, dass bei Konzerten irgendwelche Mailorder ihre Plattenstände aufbauten und irgendwelche Gruppen Infostände machten, versorgte man die Leute auch noch mit guter Musik und Infos. Das war echt eine geile Zeit, ich habe Bands wie ... BUT ALIVE?, TERRORGRUPPE, H2O, GOOD RIDDANCE und AFI nach Ibbenbüren geholt.
Ich schätze, du warst ein typischer Gymnasiast.
Ja, ich habe damals Abi gemacht, die Konzerte, und mit der Band ging es auch gerade los. Nach dem Abi war dann erstmal direkt Studium angesagt – oder es drohte die Einberufung zur Bundeswehr oder Zivildienst. Ich habe dann versucht, mich ausmustern zu lassen, denn mein Großvater war schwer krank und ich hatte schon zu Hause meinen „Zivildienst“. Ich wurde mehrfach zurückgestellt, bis ich dann wegen einer angeblichen Lebensmittelallergie ausgemustert wurde. In der Zeit arbeitete ich in der Scheune, betreute das „Rockbüro“. Und dann zog ich nach Münster und fing an, Englisch, Deutsch und Philosophie zu studieren. Das hielt ich nur ein Semester durch, denn dann ging es mit der Band richtig los ...
... und der Rest ist Geschichte. Eine Band wie die DONOTS zeichnet aus, dass ihr in die ganze Sache, die ganze Szene hineingewachsen seid. Euer Name ist schon ewig präsent, und was man heute an Erfolgen sieht, kommt nicht von ungefähr. Das ist ein großer Unterschied zu all den seltsamen Bands, deren Name plötzlich irgendwo auftaucht und bei denen man sich fragt, wo die eigentlich herkommen. Das sind die Produkte irgendwelcher „Pop-Akademien“ und Management-Firmen.
Hör mir auf mit so was, das riecht immer irgendwie „fischig“. Ich freue mich immer, wenn Leute eine Möglichkeit finden, musikalisch aktiv zu werden. Diese Karriereplanung auf dem Reißbrett – und genau da fängt das Problem schon an, in solchen Kreisen ist immer von „Karriereplanung“ die Rede –, die finde ich zum Kotzen. Da wird das Pferd doch von der falschen Seite her aufgezäumt. Ich wurde in all Jahren immer wieder gefragt, wie wir es denn geschafft hätten, „berühmt“ zu werden, und ich muss schon bei der Frage kotzen. „Warum willst du denn berühmt werden?“, frage ich dann zurück. Wir wollten einfach nur spielen, das was alles. Die Leute wollen immer die Tricks wissen, wie man an Konzerte und Touren kommt, dabei gibt es die nicht. Ich habe damals einfach nachmittageweise Ox, Plastic Bomb, Visions, Blurr und so weiter durchgearbeitet, die Tourdaten durchgeschaut und dann über die Auskunft versucht, die Veranstalter zu erreichen, um die zu fragen, ob wir da mal spielen können. Das hat geklappt, dafür ging unser ganzes Taschengeld drauf – aber das war egal.
Mir scheint, es gibt immer Menschen, gerade im Musikbereich, die sich nicht wie bei einem Game Level für Level weiter nach oben spielen wollen, sondern die auf der Suche sind nach dem Geheimnis, wie man ohne Mühe direkt zum Ziel kommt.
Hahaha, und weißt du was? Ich bin froh, dass das so ist. Den direkten Weg gibt es – vermeintlich – ja nur bei diesen Casting-Shows. Das funktioniert aber nur für ein paar Monate, und danach verschimmelt die Tussi oder der Typ mit einem leichten Egoknacks irgendwo an der Bar. Wenn es wirklich so leicht wäre, Erfolg zu haben, dann hätte das, was wir erreicht haben, keinerlei Wert mehr, dann wären Fanzines egal, dann wäre der Weg, den wir beschritten haben, nur noch was für Nostalgiker.
Ihr arbeitet mit Universal zusammen, einem Musikkonzern, der auch die leicht formbaren Retortenkünstlern im Programm hat. Aus deren Sicht ist das Leben sicher leichter, wenn man klar bestimmen kann, was Sache ist, und es nicht mit so Eigenbrötlern wie den DONOTS zu tun hat, die selber wissen, was sie wollen – und was nicht.
Klar, das kommt vor, aber vor dieser Vereinnahmung ist man nie sicher, wir erleben immer wieder Bands, die das mit sich machen lassen – sogar Bands, die wie wir auch alles selbst von der Pike auf gelernt haben. Da – neulich erst habe ich das noch mitbekommen – gab es dann plötzlich Termine mit einem Styleberater, der dann hier zu einem Jackett mit Puffärmeln rät und da vorschlägt, dass man doch noch einen Typen mit lustigem Hut braucht. So haben wir noch nie funktioniert, nicht mal Ende der Neunziger, als wir noch grün hinter den Ohren waren und den Deal bei Gun Records unterschrieben hatten. Die wollten uns damals als süße Snowboard- und Skateboard-Punks verkaufen. Die brachten damals diese Sampler-Reihe „Crossing All Over“ raus, und bei dem ersten Teil war da im Booklet eine Bandbiografie abgedruckt, die hatten die einfach selbst erfunden. Da wurden wir als „die süßen Dreikäsehochs aus dem Münsterland“ beschrieben. Wir mussten kotzen! Da kam dann auch unsere Ansage, dass sie die nächste Platte zwar rausbringen können, aber wir nichts dafür tun werden. Da war es dann ihrerseits vorbei mit der Promo für die Platte. Ich bin aber ganz froh, dass wir solche Fehler gemacht haben, denn nur wenn man mal stolpert, weiß man, wie das geradeaus Laufen funktioniert.
Vielleicht war das der Grund, warum das Ox in jenen Jahren immer eine kritische Distanz zu den DONOTS hatte. Komisches Label mit komischem Geschäftsgebaren, komisches Image – das wollte nicht passen.
Ganz ehrlich, ich bin dir deswegen nicht böse, rückblickend sehe ich das ja genauso. Aber damals fühlte sich das für uns richtig an, deshalb haben wir das gemacht. Bis es sich auch für uns nicht mehr richtig anfühlte und wir unserem Anwalt sagten, wir wollen da weg, und zwar schnell. Auf unserer neuen Platte gibt es die Textzeile „Ich bin nicht stolz auf meine Fehler, aber dankbar für jeden“. Und das bringt es auf den Punkt. Unser Credo war auch schon immer, dass etwas dann okay ist, wenn es sich für den Moment gut anfühlt. Wenn es sich nicht mehr gut anfühlt, ist die Devise aber auch klar: Nichts wie weg hier. Deshalb haben wir uns damals aus diesem Vertrag mit dem Label rausgeklagt und in Kauf genommen, dass die Zuschauerzahlen erstmal in den Keller gehen. 2006 war das, nachdem wir 2004 „Got The Noise“ veröffentlicht hatten und wir uns dann rausgeklagt haben. Das zog sich bis 2006, denn das Label, BMG, hatte alle Fristen verstreichen lassen. Für uns war damals klar: wir machen lieber gar keine Platte mehr, als noch mal eine bei BMG. 2006 im Sommer kam dann der Auflösungsvertrag und wir feierten mehr, als damals bei der Unterzeichnung unseres Plattenvertrags. Wir mussten dann vier Jahre lang durch ein tiefes Tal, haben statt vor vorher 1.000 wieder vor 150, 200 Leuten gespielt. Was uns aber erstmal egal war, Hauptsache, wir hatten die Zügel wieder selbst in der Hand.
Warum habt ihr weitergemacht? Das sind doch Situation, da schmeißen andere alles hin.
Ich will jetzt nicht das Klischee strapazieren, dass wir als Musiker eben nicht anders können. Aber ich denke, es lag daran, dass wir schon immer in erster Linie eine Gang sind, und dann sind wir eine Band, und dann sind wir eine Firma. Diese Gang, das ist wie in diesem Film „Stand By Me“, oder bei „Goonies“. Ich stehe auf dieses Jugendgang-Ding, wo es um Zusammenhalt geht. Und ich finde es geil, wenn das über so viele Jahre Bestand hat. Und wenn es mal scheiße läuft, schweißt das noch mehr zusammen, als wenn es gut läuft. Außerdem bin ich ein großer Verfechter der Theorie, dass es einem Musiker nie zu gut gehen darf – geht es ihm zu gut, wird die Platte scheiße. Die ganze Situation war damals also ein starker Antrieb für uns, mal zu schauen, was wir eigentlich so machen können. Wir setzten uns dann mit Kurt Ebelhäuser zusammen und es entstand 2008 das „Coma Chameleon“-Album, das wir auf eigenem Label selbst rausbrachten. Das war die beste Entscheidung, die wir als Band je getroffen haben. Wir haben in der Zeit davor wirklich Scheiße gefressen, aber daraus entstand letztlich sehr viel Gutes. Keiner hatte mehr auch nur einen Pfifferling auf die Band gegeben, aber „aus Versehen“ entstand genau dann ein Song wie „Stop the clocks“. Der wurde nicht fürs Radio geschrieben, den haben sich die Radios selbst ausgesucht! Wir waren völlig überrascht – und wussten, wir brauchen ein Video. Das Bandkonto war aber leer, wir konnten gerade noch einen Flug bezahlen für Guido und mich. Und so flogen wir nach Schweden, um da mit einem Regisseur ein Low-Budget-Video zu drehen. Da hieß es dann, was für ein genialer Kniff, dass da nur wir beide zu sehen sind, haha, und keiner wusste, dass wir einfach keine Kohle für mehr hatten.
Und ab da wart ihr wieder auf der Gewinnerseite?
Wir sind gesund wieder gewachsen, ohne den Push eines Majorlabels. Treppchen für Treppchen ging es aufwärts, und zwei Platten später waren wir dann größer als vor dem Knick, und plötzlich kam Universal an. Zuerst sagten wir nein, aber nach reiflichem Überlegen haben wir den Deal dann doch gemacht. Die Platte ist immer noch auf unserem Label Solitary Man, aber wir haben eben den Vorteil, dass wir nicht mit unserem ganzen privaten Geld in Vorleistung gehen müssen. Die bezahlen letztlich, was wir für sinnvoll halten, und das ist die beste Situation überhaupt.
Kaum eine größere Band arbeitet heute noch anders: DIE TOTEN HOSEN haben das einst vorgemacht, ebenso DIE ÄRZTE, und heute veröffentlicht fast jede große Band auf dem eigenen Label, holt sich aber punktuell Hilfe von außen.
Anscheinend sind das die Zeichen der Zeit, anders ist es wohl schwer, die Füße auf den Boden zu bekommen. Wir haben aber nicht aus der Not eine Tugend gemacht, sondern es ist der beste Weg, sinnvoll und wirtschaftlich mit sich selbst umzugehen. Und wir haben den Major quasi als Bank im Hintergrund. Die können eigentlich froh sein, was wir alles machen, aber wir können natürlich auch scheiße sein ... Zum Beispiel sind wir totale Detail-Nazis. Ein falsches Wort in einer Werbekampagne – und wir sind gleich auf 180! Da halten wir die ganze Maschine wieder an. Unsere Zeit bei Gun hat uns gelehrt, wie man es nicht machen sollte, deshalb sind wir jetzt vorsichtig. Man muss nicht einfach irgendwas akzeptieren, aber andererseits lernt man über die Jahre auch eine gewisse Gelassenheit. Wenn ich überlege, in was für Viva-Sendungen wir einst zu Gast waren ... Da muss man sich sagen, dass das bis zu einem gewissen Punkt egal ist, wenn man den Auftritt für seine eigenen Zwecke nutzen kann. Haha, aus „Interaktiv“ sind wir aber auch rausgeflogen damals, weil wir waren, wie wir waren ...
Hattet ihr auch mal einen Plan B, habt ihr noch irgendwelche „normalen“ Jobs in der Hinterhand? Oder seid ihr Privatiers, die so um elf mal gemütlich aufstehen?
Also die Band- und Labelarbeit nimmt so viel Zeit in Anspruch, da bleibt wenig Zeit für was anderes. Alex hat damals sein BWL-Studium abgeschlossen und ist auf dem Papier Doktorand. Guido hat eine Weile bei Musik Produktiv gejobbt, das aber irgendwann an den Nagel gehängt. Ich habe ein bisschen studiert, Jan auch, und Eike ist diplomierter Ergotherapeut, hat aber auch nie in dem Job gearbeitet. Wir haben schon immer so gewirtschaftet, dass das Geld möglichst lange reicht, und wo andere Bands sofort einen Nightliner buchen, pennen wir halt auch mal privat bei Freunden. Wir zahlen uns jeden Monat ein Gehalt, das gibt einem das Gefühl zu arbeiten, und man weiß, womit man klarkommen muss.
Ganz schön spießig, oder?
In der Hinsicht sind wir wohl typische Westfalen. Diese „Wir sind die Hauptstadt, Alter, wir feiern bis morgens um acht!“-Attitüde ist nicht unser Ding. Damit hab ich nix am Hut. Und an dieser Stelle würde ich „spießig“ auch ausnahmsweise mal als Kompliment auffassen. Wir haben einfach keinen Bock, sinnlos Geld auszugeben, nur damit das imagefördernd ist oder so.
Hält man nur mit so einem klaren Plan zwanzig Jahre durch?
Es gibt viele Wege, und wahrscheinlich gibt es auch Bands, die völlig planlos agieren und für die es trotzdem funktioniert. Eine gute Portion Glück ist eben auch immer wichtig. Und man darf nicht auf den Mund gefallen sein und auch nicht die letzte Kackmucke machen.
Wo stehen die DONOTS in der musikalischen Landschaft? Wir reden hier immer wieder von Punkrock, aber ich schätze mal, dass nicht jeder in eurem Publikum jene Platten im Schrank stehen hat, auf die wir beide uns als essentiell und gut einigen könnten. Irgendwie seid ihr ja auch Pop.
Schon, ja, aber Pop ist für mich kein Schimpfwort. Ich sehe uns eher in der zweiten Reihe hinter Bands wie den TOTEN HOSEN und DIE ÄRZTE. Bands wie die BEATSTEAKS oder wir haben da für viele Leute eine Türöffnerfunktion in Sachen Punkrock, viel mehr als etwa SLIME, auch wenn die natürlich immer noch eine große Relevanz haben. Wenn du allerdings auf dem Ruhrpott Rodeo-Festival auf die Bühne gehst und „Alerta Antifascista!“ rufst, erreichst du sowieso nur die Leute, die das schon wissen. Das ist gut so! Aber wenn ich bei uns, wie neulich, einen Facebook-Post mache zu den PEGIDA- und HOGESA-Idioten und dann einer kommentiert, dass die DONOTS ab sofort für ihn Geschichte seien, dann muss ich mich schon fragen, wo der Typ die ganzen letzten Jahre war. Wir haben aus unserer Einstellung noch nie einen Hehl gemacht! Ich mache immer gerne die Schnauze auf, auch wenn es mal unbequem wird, und das tun andere Leute, die sich vielleicht eher als Pop-Band sehen, nicht. Das ist der Unterschied, das ist der „Auftrag“, den man hat, wenn man ein paar Leute mehr vor der Bühne hat als andere Bands. Klare Stellungnahmen kann man nicht von jeder Band verlangen, man kann es sich aber wünschen. Und um auf deine Frage zurückzukommen: Ich glaube schon, dass wir im Punk zu verorten sind, auch wenn wir Ausflüge Richtung Indie, Richtung Pop machen. Wir sind aber sicher keine Konsensband, die sich überall was mitnimmt, denn dazu sind wir zu sehr Westfalen, dazu haben wir ein zu großes Maul.
Woher kommt diese Offenheit? Eine Band wie BAD RELIGION beispielsweise zieht da viel typischer ihr Ding durch, ohne musikalische Ausflüge. Was reizt euch an Pop-Ausflügen wie „Stop the clocks“, warum keine – ich nehme mal Bezug auf deine T-Shirts – Songs à la JAWBREAKER oder SAMIAM?
Wir setzen uns nicht zusammen und planen solche Songs, die passieren einfach. Was haben wir für ein Riff, was braucht das, um zu funktionieren? Und dann basteln wir los, eine Spur dazu, eine weg, und dann kommt irgendwas dabei raus. Seit der Zeit mit Kurt existiert der Satz „Das können wir aber jetzt nicht machen“ für uns nicht mehr, seitdem dürfen wir alles. Und dadurch bleibt es für uns auch spannend. Ich bin riesiger Fan von BAD RELIGION und DESCENDENTS, und von solchen „Pionierbands“ will ich, dass die immer so klingen, wie sie klingen. Stagnation ist bei Pionierbands okay, denn die haben das, was sie machen, erfunden. Alle anderen sollen sich verdammt noch einmal anstrengen und weiterentwickeln.
Das sehe ich anders, da bin ich Spießer. Ich will auch keine Pizza mit chinesischem Belag oder Döner oder Schnitzel drauf – wobei ich ja kein Fleisch esse –, sondern italienische Pizza, wie sie gehört.
Ich verstehe dich, und ich will ja auch nicht, dass KID DYNAMITE oder GORILLA BISCUITS experimentieren. Aber es gibt Bands wie die BEATSTEAKS, die echt schöne Songs schreiben und bei denen ich es mag, wenn die Ausflüge machen. Da ist immer viel gutes Zeug dabei. Und vor allem: mir wird schnell langweilig.
Dazu passt endlich die Frage, die dir sicher jeder zum neuen Album stellen wird: Warum jetzt plötzlich Texte auf Deutsch?
Weil mir schnell langweilig wird, haha. In den letzten zwanzig Jahren haben immer wieder Leute gesagt, wir sollten doch mal was auf Deutsch machen, das sei jetzt gerade total angesagt. Und genau deshalb haben wir immer nein gesagt, denn wenn jemand was von uns will, machen wir das sowieso schon nicht. DONOTS eben. Jetzt wollte es keiner, und jetzt haben wir es gemacht, einfach weil wir Bock drauf hatten. Im September 2013 fingen wir an, neue Songs zu schreiben, da waren wir gerade frisch von den Festivals zurück und von einer einmonatigen USA-Tour, unter anderem mit FLOGGING MOLLY, ANTI-FLAG und CJ Ramone. Diese Tour war einer der Faktoren für die deutschen Songs: Wir standen jeden Abend hinter denen auf der Bühne und konnten es nicht fassen, dass das gesamte Publikum wie aus einer Kehle jede einzelne Zeile mitgesungen hat. In Deutschland kommen die auch gut an, aber du merktest, die Leute hier verstehen wirklich jeden einzelnen Text ganz genau, die waren mit Herz und Seele dabei. In Deutschland hingegen glaube ich, dass oft die englischen Texte mitgesungen und nachvollzogen werden, aber nicht so geschluckt und verdaut werden, wie wenn sie auf Deutsch wären. Und ich stellte mir vor, wie es wohl wäre, selbst auf der Bühne zu stehen und die Leute so an den Eiern packen zu können. Wir waren uns aber noch nicht sicher, denn es gibt ja auch viele schlechte Beispiele für deutsche Texte. Und dann gingen wir im September ins Clouds Hill-Studio für eine erste Session und hatten uns als Hausaufgabe gestellt, das mal auf Deutsch zu probieren.
Wie ist der Bullshit-Detektor kalibriert? Wo ist die Grenze, wo wird es banal, was kann man nicht bringen?
Ich habe gerade am Jahresende so wenig geschlafen wie noch nie. Ich bin ein Scheißperfektionist, bis hin zur Dysfunktionalität – ich kann einfach nicht pennen, wenn ich nicht völlig zufrieden bin. Ich habe jedes Wort, drei, vier Mal umgedreht – und zudem endlos Zeit damit verbracht, die schlechteste Musik zu hören, die man sich vorstellen kann. Zusätzlich zu meinen Lieblingsplatten und Klassikern wie „Schützen und fördern“ von DACKELBLUT oder ... BUT ALIVE? oder „Schweineherbst“ von SLIME – für mich eine der besten deutschen Platten aller Zeiten – habe ich beim Autofahren immer das Radio angelassen. Das war echt hart, denn es gibt für mich ein No-Go: Radiohören. Dieses Jahr habe ich es gemacht, aber einfach nur um zu schauen, was passiert. Ich habe mir sogar Schlager- und Volksmusiksendungen im Fernsehen angeschaut, einfach um zu wissen, was nicht geht. Und ich habe mir angeschaut, was gerade so Pop und groß ist. Ich habe analysiert, was Casper zu dem macht, was er ist. Oder Marteria. Und dann habe ich eben die alten Lieblingsplatten wieder rausgekramt, Sachen wie „Harte Zeiten“ von DIE SKEPTIKER – und bin seitdem wieder total in die verknallt. Zwischen all dem liegt nun die eigene Wahrheit – und du stellst fest, du kannst mit tausend Worten fünftausend Sachen meinen. Aber das eine Wort zu finden, das nur das eine meint, da fängt die Kunst an.
Englische Texte scheinen unverbindlich zu sein: gerade Nichtmuttersprachler schreiben da was zusammen, was sich erstmal gut anhört, wo man bei genauerem Hinhören aber feststellt, wie banal das ist. Deutsche Texte verzeihen hingegen nichts.
Genau das ist der Punkt, du machst dich nackig. Die englische Sprache ist wunderschön, ich schaue mir gerne Filme und Serien auf Englisch an. Aber sie kann auch ziemlich wischiwaschi sein, was mir neulich noch bei CJ Ramone auffiel: „I love you ’cos I want you, I kiss you ’cos I want you“, so ein Song, puh ... Hätte mir das jemand auf Deutsch angeboten, dem hätte ich ins Gesicht gekotzt. Solche Texte auf Deutsch will ich nicht. Andererseits hat man das Problem, dass man auch auf Deutsch sehr gut schwadronieren und mit sehr vielen Worten nichts sagen kann. Ich habe viele Texte kennen gelernt, die so bewusst nirgendwo anecken, damit man alles mitnehmen kann und bloß keine Stellung beziehen muss.
Deshalb muss ich auch kotzen bei vielem, was beispielsweise aus Hamburg an ach so tollen deutschen Texten von Leuten kommt, die früher mal in Punkbands waren. Da traut sich keiner zu sagen, dass der Kaiser keine neuen Kleider anhat, sondern völlig nackt ist. Das klingt vom ersten Eindruck her toll, ist im Kern aber Schlager. Und dann hat man noch nicht über den pompösen Scheiß geredet, der von so was Schrecklichem wie UNHEILIG verbreitet wird: Jeder Blödmann kann die auf sich beziehen, jeder erkennt da eine tolle Bedeutung, doch es sind nur Platitüden und Floskeln.
Es gibt da in der Tat so eine gewisse Gesichtslosigkeit, dass man so ein Lied hört und nicht weiß, von wem es ist, sondern nur weiß, dass es von dieser Mischpoke ist, die dauernd im Radio gespielt wird und deren Texte so austauschbar sind, damit der Radiohörer bloß nicht umschaltet. Aber nicht jeder, der deutsche Texte macht, kann so markant sein wie Jens Rachut. Oder wie Nagel: gerade heute morgen habe ich beim Joggen noch „Bordsteinkantengeschichten“ gehört – was für ein geiles Zeitdokument! Und nochmal „Schweineherbst“: wie traurig und geil ist es, dass diese Platte so zeitgemäß ist. Kein Song passt so gut zur aktuellen Lage wie „Goldene Türme“! Traurig, dass sich so wenig geändert hat, aber großartig, dass dieses Manifest existiert. Aber so ist das eben, oft kann man erst in der Rückschau sagen, was für eine Halbwertszeit etwas hat.
In „Kaputt“ von eurem neuen Album taucht die Zeile auf „Alles muss kaputt sein“. PASCOW, oder?
Klar! Das ist ein „Hutzieher“, und davon gibt es auf der Platte noch ein paar mehr, denn ich mag es, wenn Platten mit einem Augenzwinkern zeigen, wo sie herkommen, wo sie hinwollen.
Verrate uns doch noch ein paar Zitate.
„Die beste Frage bleibt, wie könnte die Hölle schlimmer sein“ – „How could hell be any worse?“, BAD RELIGION. „Darauf einen kleinen Gregory“ – das ist aus einem meiner absoluten Lieblingsfilme, „Man beißt Hund“. Der Gregory ist ein politisch so unkorrekter Cocktail, das ist wundervoll: Das bezieht sich auf den Mord am einem Kind, dem man einen Stein ans Bein gebunden und das dann ins Wasser geworfen hat. Beim Cocktail wird eine Olive an einen Zuckerwürfel gemacht – und irgendwann kommt auch die Olive wieder hoch ... Noch mehr Zitate? „Hansaring 2:10 Uhr“, dieses Stück am Schluss, nimmt wiederum Bezug auf KMPFSPRT, die ihrerseits die Aachener Straße in Köln am frühen Morgen besingen, wenn das Discovolk besoffen nach Hause geht. Mein Text wiederum ist darüber, wie besoffen Nachhausegehen „in gut“ geht.
Deutsche Texte – Punk – Deutschpunk. Ich nehme die Musik ganz anders wahr, wenn die Sprache eine andere ist. Geht dir das auch so?
Voll! Wäre auch schlimm, wenn das nicht so wäre. Die Essenz eines Albums macht für mich aus, dass man in Gestus und Habitus einer Platte so gefangen ist, dass man sich der nicht entziehen kann, dass man empfindet, dass das alles genau so sein muss. Ich hatte diesmal eine neue Erfahrung: Texte fertig, aber es gab noch keinen Song. Damit kam ich ins Studio, und dann wurde der Song gemacht. Musik und Text gingen diesmal viel mehr Hand in Hand.
Ich kann nur sagen, dass sich die Platte anders anfühlt – sie ist noch zu neu für mich, um mehr zu sagen. Also sag du mir, wo das Album anders ist als die anderen.
Die Platte ist direkter, schroffer, vielsilbiger. Es gibt viel mehr Info pro Zeile als früher. Wir haben lange überlegt, das Album „Wenn es sein muss ganz allein“ zu nennen, denn es ist eine wiederkehrende Textzeile. Dann haben wir uns aber für „Karacho“ entschieden, denn das drückt aus, was es ist. Keine andere Platte von uns lehnt sich so weit nach vorne.
„Karacho“ ist ein schönes Wort, aber es ist auch so ein Alte-Leute-Wort, oder?
Geil an dem Wort ist, dass carajo im Spanischen „Verdammt!“, „Scheiße!“ oder auch „Schwanz“ bedeutet. Es ist ein beliebtes Schimpfwort. Und im Deutschen durchaus ein Alte-Leute-Wort. Wie ich darauf kam? Ich habe einfach überlegt, was die Platte macht – und die ist direkt wie Sau, auch die Texte. Und ich mag es, wenn Platten nur mit einem Wort als Titel auskommen.
Wie kommen die neuen Songs bei den Leuten, die sie schon hören konnten, an?
In Münster haben wir letzte Woche welche gespielt, und die kamen saugut an. Außerdem waren ein paar Songs ja schon seit April bekannt, wir hatten da die „Das Neue bleibt beim Alten“-7“ zum zwanzigsten Geburtstag veröffentlicht, da war dieser Song zusammen mit Tim von RISE AGAINST drauf. Und die B-Seite ist jetzt auf dem Album. Damals hatte ich den Song gepostet und mich schon auf einen hereinbrechenden Shitstorm gefasst gemacht. Aber das Gegenteil war der Fall, 800 positive und nur ein negativer Kommentar. Ich finde, die Songs passen textlich und musikalisch gut zueinander, die stehen sehr breitbeinig da.
Und live wird gemischt?
Klar, das soll ja kein Bruch werden, von wegen dass wir ab jetzt nur noch deutsch singen. Ein paar Leute haben uns ja auch den Vogel gezeigt deswegen: Jetzt, da es in den USA gut läuft, da ihr in Japan anerkannt seid, fangt ihr an deutsche Texte zu machen! Aber die Japaner finden das interessant, die erwägen die Platte auf Deutsch zu veröffentlichen, und für die Amerikaner und den Rest der Welt habe ich die Texte schon mal ins Englische übersetzt, nur aufgenommen sind sie noch nicht. Da müssen wir eben sehen, was wir machen.
Als englischsprachige Band ist man in der globalisierten Welt gut vermarktbar. Mit deutschen Texten schrumpft der Horizont auf Deutschland, Österreich und Schweiz.
Ja, aber in diesen Ländern sind wir ja sowieso vornehmlich auf Tour, von daher ... Wir hängen ja nicht die Hälfte des Jahres in Kalifornien rum, solche Ausflüge ins Ausland sind für uns immer eher so was wie Urlaub. Touren im Ausland kosten einfach sehr viel Geld, da kommst du auch bei einer ausverkauften Japantour gerade mal plus/minus null raus. Wichtig ist mir aber nicht, wo oder vor wie vielen Leuten wir spielen, sondern nur, dass der Moment zelebriert wird. Und das, wovor viele Bands Schiss haben, dass irgendwas kaputtgeht beim Auftritt, ist für mich ein Glücksfall. Selbst wenn man sich auf der Bühne Arm oder Bein bricht – alles schon passiert –, spielst du trotzdem das Konzert zu Ende, dann wird eben improvisiert. Dann muss man eben bluten für die Kunst, scheißegal! Geht was kaputt, wird es lustig, dann fängt die Stand-up-Comedy an. Ich kann Bands nicht ab, die einen Stock im Arsch haben, bei denen alles perfekt sein muss, die bei einer gerissenen Seite glauben, das sei ihre schlechteste Show aller Zeiten gewesen.
Hast du das Selbstbewusstsein dafür schon gehabt, bevor es die Band gab?
Ich denke, man wächst mit der Aufgabe, aber ich bin natürlich schon so ein Laberhannes, das merkst du ja, haha. Man muss eine Rampensau sein, das hilft durchaus. Und mein Westfalen-Gen hilft da auch, bei Bier werden ’se alle gleich. Ich habe, glaube ich, einen ganz guten Weg gefunden, um Menschen anzusprechen, ob nun im Großen oder im Kleinen. Und um wieder auf unser Anfangsthema zu kommen: Es gibt echt Bands, die Interviewtraining betreiben. Hä? Jemand stellt dir eine Frage, antworte doch einfach! Oder „Imagebildung“, das ist auch ein Thema, das manche Bands professionell angehen: da habe ich neulich in einem Interview eines Musikerportals dazu geantwortet, dass man so was besser nicht macht. Wenn man das Image höher hängt als das, was die Band und die Musik ist, dann läuft was schief. Ich hasse so was.
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