Passend zum zwanzigjährigen Bandjubiläum veröffentlichen CHEFDENKER mit „Asozialdarwinismus“ Album Nummer 6. Im folgenden Interview verrät Frontmann und Gitarrist Claus Lüer, worum es sich beim Asozialdarwinismus im Sinne der Band handelt, weshalb Bier Fluch, aber auch Segen sein kann, und worauf sich Fans in diesem Jahr noch freuen dürfen.
Ganze sechs Jahre nach dem letzten Album melden sich CHEFDENKER mit „Asozialdarwinismus“ wieder zu Wort. Dabei ist die Band um Claus Lüer ihrem Veröffentlichungsrhythmus treu geblieben. Die Kölner gaben ihren Fans dieselbe Zeitspanne zum genüsslichen Auskosten des jeweiligen Vorgängeralbums. Denn auch die letzte Platte „Eigenuran“ erschien 2016 mit exakt dieser Wartezeit. Auf ein anderes Ritual machte Claus während des Interviews eher beiläufig aufmerksam, weil mir dieses Detail bisher nicht aufgefallen war. Auf „Asozialdarwinismus“ sind nämlich genau 19 Titel enthalten und dies entspricht exakt der Songanzahl, die auch auf den Vorgängeralben zu hören sind. Während das auf den ersten Alben noch eher ein Zufallsprodukt war, hatte sich laut Claus dieses Markenzeichen dann verstetigt: „Ab der dritten Platte haben wir das dann durchgezogen, quasi als roten Faden.“
Was der Albumtitel „Asozialdarwinismus“ im Sinne der Band bedeutet, ist dagegen schon etwas tiefgründiger. Dabei bezieht sich Claus zunächst auf den Sozialdarwinismus, der als eine Pseudowissenschaft unter anderem bei den Nazis sehr populär war. Dagegen ist der Asozialdarwinismus für Claus „der pseudowissenschaftliche Gegenentwurf“. Damit aber vorerst auch genug von Theorien und Geschichtsexkurs, denn das Wort asozial macht sich ja sowieso super im Punk-Umfeld. In diesem Sinne findet sich auf dem Album wie gewohnt ein breites Spektrum an unterschiedlichen Themen. Je nach Betrachtungsweise mal mehr oder weniger im Kontext des Albumtitels.
Eine besondere Rolle spielt wie gewohnt der goldene Gerstensaft. Bier kommt in einigen der Titel direkt oder indirekt vor. Dabei ergeben sich auch hier gelegentlich Bezüge zum Albumtitel und wie auch Bier Teil des Asozialdarwinismus ist. Denn „dieses No-Future-Getränk“ kommt laut Claus in den Texten nicht immer gut weg. Er begründet es damit, dass „der Selektionsfaktor Bier einen negativen Einfluss auf das Überleben einer Population hat, die gar nicht überleben will. Das macht die Sache kompliziert“. Aber keine Angst, das Bier hat nach wie vor für ihn auch seine guten Seiten. Das Wundermittel sorgte zum Beispiel dafür, dass das Album überhaupt erst aufgenommen werden konnte. Dazu erklärt Claus: „Ich selber habe beim Einsingen der Platte eine halbe Palette warmes Dosenbier getrunken. Warm? Deshalb, weil ich eine Zahnfleischentzündung hatte!“ Dem goldenen Hellen bleiben CHEFDENKER also trotz allen düsteren Theorien Punk-like weiterhin treu.
Eine interessante Geschichte versteckt sich im Song „Ich fand Starwars schon scheiße als es Starwars noch gar nicht gab“. Dabei handelt es sich laut Claus um eine fiktive Geschichte, in der es darum geht „ob das Leben noch eine Herausforderung ist, wenn man in die Zukunft sehen könnte. Und dass man besonders bescheuerte Sachen macht weil man die Risiken nicht abwägen muss“. Wenn mensch die Lottozahlen schon vorher weiß, wären viele diesem Selbstversuch sicherlich nicht abgeneigt. Claus sieht darin noch einen weiteren Vorteil, den er „ziemlich verlockend“ findet. Dabei bezieht er sich auf den Refrain, in dem es heißt es: „Ich stand mit Dosenbier an meinem Grab“. Klingt auf jeden Fall nach einem interessanten Erlebnis, dem vielleicht doch nicht jeder in dieser Art bewohnen möchte.
Ein weiteres Thema auf „Asozialdarwinismus“ ist Authentizität. In „Blues auf A“ heißt es: „Du stehst nüchtern auf der Bühne und singst Lieder übers Saufen. In deinem Leben ist so gut wie gar nix schiefgelaufen.“ Mit diesen Zeilen soll versucht werden auszudrücken, dass Opportunismus und Spalterei nervig sind. Vor allem dann, wenn es nur dazu dient, „Likes“ im realen oder virtuellen Leben zu sammeln. Claus steht dagegen eher auf Bands, „die einfach alles verkacken. So was schau ich mir live immer wieder gerne an. Rückwärts ins Schlagzeug fallen, Streit und Bandauflösung noch während des Gigs, Bandmitglieder, die auf dem Boden rumkriechen – volle Punktzahl“. Dagegen falle der Protagonist im erwähnten Song für Claus aufgrund seines Verhaltens in „keine dieser Kategorien“, denn „er ist einfach nur langweilig“.
Eine amüsante Story verbirgt sich dagegen hinter dem Titel „Russischer Anwalt“. Das Lied geht zurück auf die Band ANTINORM, mit der CHEFDENKER einen gemeinsamen Auftritt hatten. Claus erinnert sich, dass er mit jemanden im Backstagebereich zusammensaß und rätselte, was der Sänger von ANTINORM da gerade auf der Bühne singt. Irgendwann waren die beiden sich wohl einig, dass es sich dabei um die Worte „Russischer Anwalt“ handeln muss. Jedoch ergab der Rest des Songs mit diesen Worten wohl überhaupt keinen Sinn. Eine spätere Recherche lüftete das Geheimnis. Es handelte sich bei dem Titel nicht um „russischer Anwalt“ sondern „Toxischer Abfall“. Weit daneben ist auch vorbei und somit war über Umwege ein weiteres Stück für das aktuelle CHEFDENKER-Album entstanden.
Neben diesen vielen Themenfeldern, mal mehr oder weniger skurril, verbinde ich die Alben von CHEFDENKER auch immer mit einem Mix aus unterschiedlichen Musikstilen. So findet mensch auch auf „Asozialdarwinismus“ wieder eine große Bandbreite von schnellen punkrockigen Nummern, dazu Rock’n’Roll bis hin zu ruhigen rockigen Titeln. Für Claus ist diese Sichtweise etwas überraschend. Er gibt jedoch zu, dass auch aus seiner Sicht besonders zwei Titel aus dem Rahmen fallen. Bei einem Stück kommt nämlich ein besonderes Effektgerät zum Einsatz, das laut Claus „in etwa so gut wie der Van-Gogh-Filter bei Photoshop“ sei, „also ziemlich schrottig“. Trotzdem hat dieses jedoch seine Vorzüge und mensch kann es im Introsong „Wir sind zurück“ bestaunen. Nicht überraschend handelt es sich dabei auch um den Lieblingstitel von Claus, weil dieser musikalisch am ehesten in die Richtung geht, die er auch privat gerne hört. Der zweite Titel, der für Claus ebenfalls deutlich aus der Reihe tanzt, ist „Ich höre den ganzen Tag Tag Jeff Lynne“. Hier kommt in Claus der ELO-Fanboy heraus und er erinnert sich: „Auf dem Flohmarkt habe ich mal eine Crumar String Machine gekauft und später festgestellt, dass ELO exakt dieses Gerät in den Siebzigern bei Konzerten benutzt haben.“ Daraufhin nutzte er die Chance und nahm einen Song auf, der nach seinen Helden klingt.
Für 2023 steht bei CHEFDENKER eine Tour an, die bei Erscheinen dieses Interviews schon in vollem Gange ist. Doch Fans brauchen sich keine Sorgen machen. Weitere Gigs sind in Planung und werden im Laufe des Jahres noch bekanntgegeben. Aber es gibt noch mehr zu feiern. Neben dem Release von „Asozialdarwinismus“ begießt die Band im Jahr 2023 ihr zwanzigjähriges Bandjubiläum. Weil das noch nicht genug der Feierei ist, packt die Band voraussichtlich zum Ende des Jahres noch einen drauf. Denn wie Claus durchblicken lässt, erscheint wohl im Dezember 2023 direkt das nächste Album. Wer kann, der kann! Das würde ja bedeuten, es gibt keine sechs Jahre Wartezeit. Das große „Aber“ folgt mit der zu Beginn erwähnten Konstanten. Zum Zeitpunkt des Interviews waren für dieses neue Album wohl schon 16 Titel geschrieben. Was da bis zum Erreichen der magischen Marke noch fehlt, kann sich nun jeder an einer Hand abzählen. Wem das zu anstrengend ist, der vertreibt sich die Zwischenzeit mit dem Hören von „Asozialdarwinismus“ oder der zeitgleich erscheinenden Nachpressung von „Eigenuran“.
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