Vier Jahre ist es nun bereits her, seit die Welt mit dem CHEFDENKER-Album „Römisch vier“ beehrt wurde. Doch das macht nichts, denn jedes der vier bisher erschienenen Alben der Kölner besitzt echte Evergreen-Qualitäten und es gibt auf jeder Scheibe immer wieder neuerliche Entdeckungen zu machen. Zudem hat die Band 2012 mit ihrer trashigen Band-Doku „Jeder der uns sieht findet uns total geil“ abermals ein Ausrufezeichen gesetzt. Es ist also für die Fans genügend Notfallversorgung vorhanden. Und generell gilt: so unberechenbar sich die Texte in den jeweiligen Liedern breit machen, sollen sich auch Gespräche mit Sänger, Gitarrist und El Chefe Claus Lüer entwickeln können. Ein Versuch, den ich uns mal wieder gestatten wollte ...
Claus, im ersten Song eurer ersten Platte hieß es so anheimelnd: „Doch in der Stadt, wo du wohnst, ist es gar nicht so schlecht“. Liebst du Köln wirklich oder ist das mit dem Umzugswagen an die Nordsee einfach nur zu stressig?
Das Lied, von dem du sprichst, heißt „Wer hat in deine Hose gepisst?“. Im Grunde genommen geht es darin um die ewige Frage, wem der öffentliche Raum eigentlich gehört. Da man in der Stadt nicht überall pinkeln kann, muss man sich manchmal die Frage stellen, ob man sich gerade selber anpinkelt oder ob man sich von jemand anderem in die Hose pinkeln lässt. Insofern handelt das Lied von jeder x-beliebigen Stadt in Deutschland. Mit Köln speziell hat das Lied rein gar nichts zu tun. Nordsee und Köln sind aber ähnlich geil, nur mit Umziehen ist nichts, weil ich zuviel Krempel hab. Deshalb bleibe ich lieber in Köln.
Der 1. FC Köln hat sich ja wieder in die erste Bundesliga gespielt und geschunkelt. War die Freude im Hause CHEFDENKER groß oder hat man als Punkband das fußballerische Interesse geheim zu halten?
Ehrlich gesagt, ist es mir scheißegal, was mit dem 1. FC Köln ist. Die anderen Jungs nehmen die „Sportschau“ zum Anlass, um zu saufen, oder gehen ins Wettbüro. Für beides muss man nicht zwingend Fan irgendeiner Mannschaft sein.
Böte nicht auch der Karneval ein riesiges Potenzial für ein großes „Gegenkonzert“? Ich könnte mir vorstellen, dass es den Punks und Outsidern der Stadt bei dem Schunkelalarm nach kräftigen Gitarrenbeats geradezu dürstet.
Potenzial zum „Gegenkonzert“ beim Karneval sehe ich eher weniger. Einerseits ist ja nicht alles grundsätzlich Scheiße, was mit dem Karneval zu tun hat – zum Beispiel Komasaufen, Fresse kloppen und ficken. Das wollen sich viele nicht nehmen lassen, da es gerade an Karneval erstaunlich wenig Konsequenzen nach sich zieht. Andererseits verlassen notorische Karnevalshasser fluchtartig die Stadt, da Rosenmontag in Köln Feiertag ist. Am Karnevalsdienstag sind immer erstaunlich viele Leute krank, deshalb verordnen viele Arbeitgeber Zwangsurlaub. Schlaue Menschen fahren daher einfach über das verlängerte Wochenende in den Urlaub.
Der 1. FC Köln ist wieder im Oberhaus, der Karneval ist vorbei, Zeit also, wieder in die Vollen zu gehen und zu schauen, wie es um ein neues Album steht. Vom Erscheinungszyklus her wäre es überfällig. Wie ich hörte, bist du frisch Papa geworden, was ja etwas ablenken könnte vom kreativen Prozess ...
Ach was, Säuglinge sind sehr inspirierend. Die kacken, kotzen, rülpsen und spucken den ganzen Tag. Das sind alles wichtige Deutschpunk-Themen, die wir bei der nächsten CHEFDENKER-Platte aufgreifen werden. Im Grunde genommen wird es eine Kinderplatte. Für die erwachsenen Hörer sind natürlich noch ein paar Sauflieder drauf. Ich denke, im Herbst 2014 sollte die Platte rauskommen.
Kennst du solche Fragen wie: „Was machen Sie so beruflich?“ Gefolgt von: „Ach, und davon kann man leben?“ Wie entsorgst du derart neugieriges Gerede?
Ich sage einfach, was ich mache, und nenne meinen Nettoverdienst. Dann zähle ich auf, wie viele Krankenversicherungen, Lebensversicherungen und Bausparverträge ich monatlich abzahlen muss, schlage die Kaltmiete und Nebenkosten noch obendrauf, dann Versicherungen für das Auto und die Steuern und erkläre, wie ich meine Freibeträge ausschöpfe. Dazu kommen noch Kapitalerträge, Steuerberater und so weiter. So kommt eins zum anderen und der Gesprächspartner sagt – meistens wenn ich beim Thema Kaltmiete angelangt bin: „Ich muss auf Toilette, komme aber gleich wieder.“
Die Kritiken zu eurer Doku-DVD waren ja allenthalben sehr positiv. Wie hat euer privates Umfeld reagiert?
Unser privates Umfeld war schwer begeistert. Es gibt eine Szene, bei der Matze den Lachs rausholt. Meine Taufpatin zum Beispiel war völlig aus dem Häuschen: „So einen schönen Fickriemen habe ich seit 1942 nicht mehr gesehen.“ Die Einnahmen haben wir direkt bei der Releaseparty versoffen, bevor wir sie überhaupt eingenommen haben. Erfolg muss man sich eben auch hart erarbeiten.
Von dir wird ja kolportiert, dass du trotz Vorleben mit Irokesenfrisur etwas auf Distanz zur Punk-Szene gehen würdest. Noch einmal zurück zur ersten Platte, da hieß es noch: „Wir widmen diese CD allen Schlabberoipunks, die das Demo viel geiler fanden und mit Spitznamen Kotze heißen.“
Demo-Aufnahmen klingen in der Regel einfach scheiße, weil sie nix kosten. Studioaufnahmen sind teuer und im Idealfall gut. Ich bewundere Menschen, die „scheiße“ besser finden als „gut“. Und zwar nicht nur in Bezug auf Soundqualität, sondern sozusagen als kompletter Lebensentwurf. Deshalb die Liebeserklärung.
Bist du dereinst nur zum Punk gekommen, weil dir böse Kumpels die SWEET-Kassetten mit Punk überspielt hatten oder war es Rebellion gegen die drohenden wöchentlichen Opernbesuche mit den Eltern?
Ich habe mal in der Musiksendung „Formel Eins“ eine Reportage über den abgehalfterten SWEET-Sänger Brian Connolly gesehen. Der wurde in seiner Sozialwohnung besucht und hat dementen Unsinn geredet – kettenrauchend und mit einem ordentlichen Tremor vom Schnapssaufen. Da dachte ich mir: „Wie Punk, nur die Musik ist besser.“ Mike Chapman und Nicky Chinn haben eigentlich immer geile Sachen abgeliefert, die Selbstzerstörung haben sie ihren Marionetten überlassen. Punk und Glamrock sind ähnlich primitiv, Punk war nur die bessere Vernichtungswaffe im Feldzug gegen den ausufernden Progrock. Ich habe als Jugendlicher trotzdem alles querbeet gehört, aber nie, um gezielt meine Eltern zu nerven, sondern weil ich Musik einfach geil fand. Mir war auch immer egal, wie die Typen aussehen, die da gerade Musik machen. Saufen kann man zu jeder Musik, bei GENTLE GIANT verpasst man dann halt mehr als bei den RAMONES. Dafür kann man sich zu den RAMONES geiler auf dem Boden wälzen.
Wie läuft dein Label Trillerfisch Records?
Es hilft dabei, die laufenden Kosten zu decken. Außerdem ist es ein schöner Zeitvertreib. Man bekommt immer Post, zum Beispiel das IHK-Magazin und die dazugehörige Zahlungsaufforderung. Der nächste Release ist die neue CHEFDENKER-Platte.
Bei eurem Gig mit CHEFDENKER in Berlin neulich war ich sehr angetan von den geradezu kabarettistischen Gitarrensoli von The Kollege. Und bei dir fand ich es auch gut, wie unverstellt du dich auf der Bühne gibst – der Anti-Rockstar in voller Blüte. Du hast dir auch zahlreiche Biere genehmigt, obwohl du Diabetiker bist. Aber das haut alles hin für dich? Wat kütt, dat kütt?
Hmm, Anti-Rockstar? Andere würden sagen: Schülerband. Das Verkacken von Songs ist auf keinen Fall irgendeiner Attitüde geschuldet. Es klappt nicht immer mit dem Proben vor den jeweiligen Konzerten. Da verliert man halt manchmal den Faden auf der Bühne. Auch wenn irgendein Instrument im Arsch oder eine Saite gerissen ist, ist es genauso sinnlos, den Song noch um jeden Preis zu Ende zu spielen. Wir haben da eine andere Auffassung von Professionalität. Biertrinken auf der Bühne ist vor allem für die Stimmbänder wichtig. Nach meinen zahlreichen empirischen Untersuchungen mit den unterschiedlichsten Flüssigkeiten, bin ich zum Schluss gekommen, dass sich Bier dafür besonders gut geeignet. Was die kabarettistischen Gitarrensoli angeht, habe ich in Berlin immer den Eindruck, dass es eher ambivalent aufgenommen wird. Viele verstehen den Gag nicht und finden es deshalb peinlich. Oder anders ausgedrückt: „professionelles“ Gitarrenposing passt nicht zu einer Band, die ansonsten eher wie eine Schülerband daherkommt. Deshalb sind die Leute möglicherweise irritiert.
Spielt ihr lieber in kleinen, intimen Clubs oder gehören die CHEFDENKER im Grunde in die Fußballarena mit HÖHNER als Vorband?
Ich habe bisher regelmäßig unsere Veröffentlichungen an Radio 1Live geschickt. Sobald wir da gespielt haben werden, lösen wir uns definitiv auf.
Eure Songs sind mitunter zwar inhaltlich recht deftig. Wie geht es dir selbst bei einem Song wie „Heile Welt in 1-2 Minuten“, in welchem du die Vorteile eines Karstadt-Besuchs geradezu liebevoll darstellst. Verfolgst du das, was mit dieser Kaufhauskette passiert?
Der Song handelt im Grunde vom Hertie-Kaufhaus in der Porzer Innenstadt. Diese Bausünde war in den Siebziger Jahren sozusagen das Herz von Köln-Porz, meiner Heimat. Kurz vor der Pleite wurde das angeschlossene Parkhaus von einem Investor in einen dieser beschissenen Shoppingcenter umgebaut. Sämtliche Läden in der angrenzenden Fußgängerzone sind mittlerweile insolvent. Das Stadtzentrum ist quasi zur Geisterstadt geworden. Porz ist ein Paradebeispiel katastrophaler Stadtplanung. Die Hertie-Ruine ist nur eines der vielen Geschwüre, die im Laufe der Jahrzehnte rund um den Marktplatz entstanden sind. Die rituellen Besuche mit meinen Eltern im Hertie-Kaffee sind in meiner Erinnerung immer noch sehr präsent. Aber bei aller Sentimentalität, das Porzer Stadtzentrum braucht so schnell wie möglich die Abrissbirne. Die Stadt Köln hat den hässlichen Klotz jetzt nach jahrelangem Leerstand gekauft. Die Verantwortlichen werden ihre Gehirnzellen trotzdem lieber dem Kölner Karneval opfern, anstatt Porz wieder auf die Beine zu helfen.
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