CHEFDENKER

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Hommage an Dosenbier

Sechseinhalb Jahre nach „Römisch Vier“ erscheint nun mit „Eigenuran“ das fünfte Album des Kölner Quartetts CHEFDENKER, auf das nicht wenige Fans gewartet haben dürften. Das Album stellt eine Hommage an preiswertes Dosenbier dar und kommt noch fatalistischer und provokanter daher, als es die Truppe bisher ohnehin schon war. Handelt es sich hier um eine musikalische Variante der Realsatire oder steckt der Slogan der deutschen Brauereiindustrie „Bier bewusst genießen“ für Band-Boss Claus Lüer doch voller Tücken und Hindernisse?

Claus, wie ich hörte, bist du ab sofort Rentner. Wie fühlt sich das an, stöhnen deine Bandkollegen schon, weil du sie jetzt noch öfter ins Studio bitten wirst?

Es fühlt sich fantastisch an. Ich kann ermäßigt Seilbahn fahren und das Jahresticket für den Kölner Zoo kostet für Erwerbsminderungsrentner nur fünfzig Euro. Nicht dass ich mir das bei meinen Rentenbezügen leisten könnte, es zählt die nette Geste. Die Bandkollegen müssen sich keine Sorgen machen. Ich komme ja jetzt langsam in das Alter, wo man sich darauf beschränkt, die alten Gassenhauer nur mit Akustikgitarre und Gesang neu einzuspielen.

Und warum nennst du dich jetzt Angelo Ferkel? Ist das politisch zu verstehen?

Nein, das ist eine Umkehrung der David Bowie-Philosophie. Nicht ständig das Rad neu erfinden wollen in Sachen Musik und Drogenkonsum, sondern ab und zu einfach mal den Künstlernamen wechseln, damit es nicht langweilig wird. Angelo Ferkel ist übrigens auch der Künstlername, mit dem mir der Eintritt ins Facebook-Universum verwehrt wurde. Bei meinem zweiten Log-in-Versuch hatte ich direkt mein Passwort vergessen und wollte ein neues beantragen. Das sei ja wohl nicht mein echter Name, stand in der Antwortmail – ich solle doch bitte mal eine Ausweiskopie rüberschicken. Habe ich natürlich nicht gemacht. Mein Alter Ego Angelo auf ewig gefangen in der Facebook-Datenmüllhalde mit Mark Zuckerberg als einzigem Facebook-Freund, das wollte ich nicht länger zulassen.

Erst diese Hooligan-Krawalle-Demo in eurer Stadt Köln, dann die ominöse Silvesternacht 2015/16 mit Übergriffen auf junge Frauen – fällt es euch schwer, dazu im Liedgut Stellung zu beziehen, oder macht ihr das lieber jetzt hier einmal im Interview?

Das sind doch alles nur Symptome. Es ist wie bei einem Fußball-Endspiel – alle glotzen und kommentieren, was das Zeug hält und im Hintergrund winken ein paar Schlaumeier im Bundestag klammheimlich das Dosenpfandgesetz durch. Oder so ähnlich. Es gibt viele Faktoren, die zu Rassismus führen. Wenn man einen Songtext zu sehr an ein bestimmtes aktuelles Ereignis anlehnt, ist dieser Song unwillkürlich eine Totgeburt seiner Zeit. Oder anders ausgedrückt, wenn ich heute einen Song über die Alternativlosigkeit des demokratisch gewählten Bundespräsidenten Steinmeier texte, dann ist das einer von tausenden Texten, die man in spätestens drei Wochen vergessen haben wird.

Eure Texte sind wieder mit etlichen Perlen der neuen deutschen Dichtung versehen, so dass man lange benötigt, wirklich alles mehr oder weniger zu erfassen. Ist es vielleicht noch oft so, dass ihr im Nachhinein erst entdeckt, dass in den Texten mehr erlebte Wahrheit denn Abstraktes steckt?

Ein guter Text ist wie Dosenstechen mit einem Schweizer Taschenmesser – für den einen ist der Korkenzieher zielführend, für den anderen der Schraubenzieher. Schön ist es doch, wenn ein Text in unterschiedlichen Gehirnen unterschiedliche Wahrheiten entfaltet, sonst gäbe es ja nichts zu besprechen.

Zu dem Song „Germany’s next Systemgastronom/in“ erbitte ich eine kleine Nachhilfe.

Der Text geht auf das wohl berühmteste Zitat der Modebranche zurück. Karl Lagerfeld hat mal gesagt: „Wer eine Jogginghose trägt, hat die Kontrolle über sein Leben verloren.“ Das Lied wäre alternativ als gutgemeinter Ratschlag an alle noch kommenden „Germany’s Next Topmodel“-Kandidatinnen zu verstehen – wenn du Model werden willst, musst du zu allererst Mode präsentieren und ganz zuletzt dich selbst. Im Idealfall soll die künstlerische Leistung eines Designers kongenial in Szene gesetzt werden. In dem Song soll die Idee der ausgeböllerten Jogginghose rehabilitiert werden. Joint und Bierflasche sind hier keine Rauschmittel, sondern reine Accessoires. Quasi das Pendant zur Clutch der Abendgarderobe. Wenn ich Burger-Buden diskreditieren wollte, hätte ich das völlig anders formuliert. Niemand arbeitet dort freiwillig. Die Behauptung, dass da nur Vollidioten arbeiten, geht ja auch in vielen Fällen an der Realität vorbei. In der Systemgastronomie werden oft Leute mit ungeklärtem Aufenthaltsstatus beschäftigt, die sich aus Angst vor Abschiebung besser ausbeuten lassen. Starbucks wirbt sogar neuerdings offen damit.

Relativ zu Beginn eures vierteiligen Song-Zyklus „24 Stunden Saufworkout“ singst du wörtlich: „Jede Minute ohne Alkohol im Blut, ist keine gute“. Muss das Bundesgesundheitsministerium nicht bald einen Sticker auf eure Produkte heften: „Zu hören erst ab 18 Jahre“?

Ich glaube, jeder Andreas Bourani-Chorus tötet mehr Hirnzellen als eine ganze Palette Hansa-Pils. Das hat sich nur noch nicht bis zu den Krankenkassen rumgesprochen, denn da läuft leider den ganzen Tag WDR-1Live im Großraumbüro. Da sitzt der Endgegner quasi mit am Konferenztisch. Der „Saufworkout“ ist keine Ode an den Rausch, sondern leuchtet unter anderem die spirituelle Seite der Selbstoptimierung aus. Es geht um die religiöse Verehrung des eigenen Körpers. Der Gott, dem das Mantra „Jede Minute ohne Alkohol im Blut, ist keine gute“ zugeordnet ist, bist du selbst. Der hässliche Zwilling des Liedes heißt übrigens „Körperzellen-Rock“ und wurde laut Wikileaks von Arbeitgeberverbänden bei Rolf Zuckowski in Auftrag gegeben.

Euch liegt sogar ein Geheimdokument vor, laut dem die tödliche Krankheit Leberzirrhose eine reine Erfindung sei. Wer hat euch das zugespielt und ab wann wird sich dieses Gerücht endgültig durchsetzen?

Das Dokument hat mir der ehemalige britische Geheimdienstmitarbeiter Christopher Steele zugespielt. Der steht nicht erst seit Trumps Goldenwatergate auf der Chefdenker GbR-Gehaltsliste. Normalerweise wächst man ja mit seinen Aufgaben, warum sollte es ausgerechnet bei der Leber genau andersherum sein? Bei der Leberzirrhose wächst zwar das Bindegewebe, aber das Organ als ganzes schrumpft – angeblich! Dieser Dialektik hat sich die Schulmedizin nie gestellt. Bis heute ein Skandal!

Das Interessante an dir ist ja, dass deine Intelligenz trotz Alkoholkonsum in keiner Weise nachlässt. Die Brauereiindustrie hätte dich also längst „scouten“ müssen. Nur was wird dann aus der Band?

Oh, es gibt da längst zahlreiche Angebote, unsere Platte ist auch unterstützt durch diverse Produktplatzierungen. „Manni hat Durst“ beispielsweise habe ich für die Kampagne „think global – drink local“ komponiert. Hier geht es darum, dass man seine persönliche Klimabilanz optimiert. Wenn man sich schon totsäuft, dann sollte man nicht noch unschuldige Menschen mit in den Abgrund ziehen. Für das Projekt konnte ich zahlreiche Sponsoren gewinnen und so die Studioaufnahmen in Nashville bezahlen. An dieser Stelle nochmal ein fettes „Prost!“ an alle Bierhersteller, die da mitgemacht haben. In einem anderen Fall habe ich letztens ein Angebot von Krombacher ausgeschlagen. Wenn ich mich als Kölner mit Krombacher totsaufe, rette ich zwar den Regenwald, allerdings muss das Bier ja auch irgendwie aus dem Siegerland nach Köln kommen. Und da ist er wieder: der CO2 Fußabdruck.

Euer Produzent war erneut Sire Uwe Stahl. Hat er sich über die letzten Songs auf eurer LP gefreut, bei denen ihr euch wieder im Country-, Blues- und Rockmilieu aufhaltet, oder stellt das keine besondere Herausforderung für ihn mehr dar?

CHEFDENKER sind ja nicht die einzige Band, die Uwe produziert. Der ist, was das musikalische Genre angeht, weitestgehend schmerzfrei. Wir sind ja auch eher pflegeleicht, was das Verkacken beim Einspielen angeht. Ich glaube, wirklich anstrengend sind Bands, deren Anspruch die eigenen Skills übersteigt. Nur Jesus kann Pisse in Dosenbier verwandeln. Aber selbst wenn’s bei den Aufnahmen mal nicht rund läuft, Uwe ist der geduldigste Mensch, den ich kenne.