BABOON SHOW

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Experten in sozialer Distanz

Es war alles längst geplant: erst im Frühjahr 2020 das neue Album aufnehmen, dann im Herbst der Release, eine Tour, Konzerte, Festivals, bis man nicht mehr kann. Doch es kam anders für uns, für alle Bands, für THE BABOON SHOW: Corona, Lockdown, Feierabend. Album und Tour wurden auf Herbst 2021 geschoben. Zum Trost für die Band selbst und alle Fans, gibt es nun eine 12“-EP mit etwas neuer Musik, die ich zum Anlass nahm, mich nach dem Befinden der Schwed:innen zu erkundigen.

Zuletzt haben wir uns vor etwa einem Jahr in Köln vor dem Konzert in der Kantine unterhalten, ich erfuhr von euren Plänen für das neue Album, wir sprachen über ein weiteres Ox-Cover im Jahr 2020, und dann habt ihr eine triumphale Show vor ausverkauftem Haus gespielt. Damals wirkten THE BABOON SHOW auf mich wie eine Dampflokomotive, die auf Hochtouren läuft, kraftvoll und unaufhaltsam ... und was passierte dann? Seid ihr mit voller Geschwindigkeit gegen einen Betonblock geknallt, entgleist, abgestürzt?

Frida: Na ja ... Unser Plan für 2020 war, ein bisschen langsamer zu machen, die Aufnahmen für unser neues Album abzuschließen und es dann Ende des Jahres zu veröffentlichen. Natürlich hätten wir nie damit gerechnet, dass uns eine Pandemie dazwischenkommen könnte, also blieb nur Plan B. Wir denken, ein neues Album rauszubringen, ohne damit auf Tour zu gehen, würde sich weder für uns noch für unsere Fans richtig anfühlen. Aber wir wollten euch mit etwas Neuem verwöhnen. Deshalb haben wir uns entschieden, zunächst die 12“-EP „I Never Say Goodnight“ zu veröffentlichen. Und wer weiß, vielleicht machen wir auch noch ein paar „Corona-Gigs“ ... Wir vermissen es extrem, live zu spielen!

Wie kommt ihr über die Runden, in persönlicher und wirtschaftlicher Hinsicht? Ich habe gehört, dass ihr in der Zeit vor Corona eure Jobs gekündigt habt, um euch mehr auf die Band zu konzentrieren.
Frida: Für die meisten Musiker und Künstler ist es zur Zeit sehr hart. Unser gewohntes Leben zu führen, also zu touren und Konzerte zu spielen, ist ja aktuell nicht möglich und das kann natürlich ganz schön deprimierend sein. Wir versuchen jetzt, uns auf neue Songs zu fokussieren, Pläne für die Zukunft der Band zu schmieden, und auch mehr Zeit mit unseren Lieben zu verbringen.

Ich habe gesehen, dass ihr versucht, den Merchverkauf via Social Media etwas anzuheizen, ihr macht Online-Sessions, aber wie weit bringt euch das? Finanziell, emotional?
Frida: Wir haben unseren eigenen Webshop, den wir selbst betreiben. Damit haben wir eine tolle Möglichkeit, mit den Leuten, die unsere Musik mögen, in Kontakt zu bleiben und ihnen zu schreiben – wir haben großartige Fans, die uns unterstützen. Das hilft uns wirklich! Und tatsächlich hat auch unser Livestream-Gig im April riesigen Spaß gemacht. Es fühlte sich erst seltsam an, so ohne Publikum, aber als uns live das viele Feedback erreichte, die ganzen Bilder von den Familien und Leuten, die bei sich zu Hause mit uns Party machten, war es toll zu sehen! Wir konnten die Liebe und Unterstützung richtig spüren.

Cecilia, du musst dich ohne Bühne ja wie ein eingesperrter Tiger fühlen!
Cecilia: Hahah! Das trifft es genau auf den Punkt! Zum Glück kann ich rausgehen und laufen und Fahrrad fahren. Aber es ist natürlich nicht dasselbe, wie auf der Bühne zu stehen. Schon weil da niemand ist, der mich anfeuert, schreit oder winkt.

Und wie sieht euer Bandleben praktisch aus? Probt ihr regelmäßig?
Cecilia: Nein ... Wir haben uns eigentlich noch nie so selten gesehen wie jetzt. Obwohl wir vor Corona auch nie wirklich regelmäßig geprobt haben, haha. Ich kann mich nicht erinnern, wann wir vier uns das letzte Mal alle getroffen haben? Es scheint, als ob immer jemand fehlt ... Man kann also sagen, dass Corona unser Timing versaut hat. Aber ich hoffe wirklich, wir können uns bald wieder sehen. Natürlich um zu proben, aber überwiegend zum Abhängen. Mir fehlt meine Rock-Familie!

Irgendwelche verrückten Corona-Skeptiker in Deutschland schwenken schwedische Fähnchen bei ihren Protesten, sie glauben, was bei uns „der schwedische Weg“ genannt wird, sei „liberaler“, mit weniger Einschränkungen. Schweden als Hort der Freiheit? Was denkt ihr?
Cecilia: Nun, in Schweden sind wir Experten darin, soziale Distanz zu wahren. Das liegt uns irgendwie im Blut. Es kursiert sogar ein Witz, der besagt, dass die Leute sich danach sehnen, dass die Vorschrift von zwei Metern Abstand zwischen den Menschen endlich aufgehoben wird, damit wir zu den üblichen drei Metern zurückkehren können ... Nicht so lustig, aber es sagt etwas über die Schweden aus. Zudem ist Schweden, außer in den großen Städten, nicht so dicht besiedelt. Es ist also nicht so schwer, auf Abstand zu achten. Und die Schweden befolgen generell meist die Regeln und „Befehle“ von Behörden und Politik. Wenn man also diese Dinge zusammenzählt, gibt es keinen Grund für einen massiven Lockdown. Also lass dich nicht täuschen, Schweden will keineswegs das „Land der Freiheit“ sein, die Devise lautet vielmehr: Jeder nach seinen Fähigkeiten, jeder gemäß seinen Bedürfnissen. Und immer daran denken: Abstand halten.

Ihr wart schon immer eine politische Band mit klarer linker Positionierung, was hat die Corona-Pandemie, aus eurer Sicht, für mögliche Auswirkungen? Hier in Deutschland gibt es seitens der Punk/Hardcore-Szene sehr wenig Kritik an den drastischen Maßnahmen der Politik – abgesehen von der Forderung nach mehr finanzieller Unterstützung für Künstler und kleine Unternehmen. Fundamentale Opposition kommt dagegen von einer Mischung aus Esoterikern, rechten Idioten, Verschwörungsgläubigen und anderen Durchgeknallten.
Cecilia: In Schweden ist es so ziemlich das Gleiche. Die meisten Leute merken, dass die Einschränkungen da sind, weil sie gebraucht werden. Aber einige der Einschränkungen sind weder logisch noch konsequent. Und das ist natürlich scheiße. Wie kommt es, dass große Einkaufszentren mit hunderten von Besuchern geöffnet bleiben dürfen, wenn es gleichzeitig nicht erlaubt ist, ein Konzert mit mehr als fünfzig Leuten zu veranstalten, auch wenn der notwendige Abstand dabei gewährleistet ist. Das macht keinen Sinn. Und natürlich ist die Szene aufgeregt. Wir dürfen nicht das tun, womit wir unseren Lebensunterhalt verdienen, aber gleichzeitig bekommen wir keine finanzielle Hilfe. Es ist irre. Hoffentlich kommt am Ende trotzdem etwas Gutes dabei heraus. Ich weiß noch nicht was, aber ich habe Hoffnung. Eine positive Folge dieser ganzen Situation ist ja, dass die Leute jetzt merken, wie wichtig eine gut funktionierende und kostenlose Gesundheitsversorgung für alle ist, genauso wie ein solides Wohlfahrtssystem und ein soziales und wirtschaftliches Sicherheitsnetz, das jeden Einzelnen von uns auffängt. Plus die Tatsache, dass nicht mehr so viele Menschen mit der hiesigen Rassisten-Partei sympathisieren.

Wie weit seid ihr mit dem neuen Albums gekommen?
Håkan: Wir haben im Juni elf Songs vorbereitet. Als uns klar wurde, dass sich der Release um ein Jahr verzögern würde, haben wir beschlossen, drei davon mit Gesang zu versehen sowie eine Akustikversion von „You got a problem without knowing it“ aufzunehmen und das Ganze im Dezember auf einer 12“ zu veröffentlichen. Damit wir unseren lieben Fans in diesem furchtbaren Jahr etwas Schönes geben können. Wir haben vor, im April 2021 wieder ins Studio zu gehen, um weitere Tracks für das Album einzuspielen.

Habt ihr dabei irgendwas anders gemacht oder Neues ausprobiert?
Håkan: Eigentlich nicht. Wir sind die gleichen Leute, es ist das gleiche Studio wie bei den letzten zwei Alben, aber als Co-Produzent haben wir diesmal Johan Gustafsson, Bassist bei THE HIVES und RANDY. Er wird das Album auch abmischen. Einige Songs werden auch von dem Deutsch-Schweden Michael Ilbert gemixt. Wir haben wohl ein paar mehr Lo-Tempo-Nummern als bisher. Für die Aggression sorgt stattdessen der Gesang. Ich mag es, wenn Welten aufeinanderprallen und man überrascht wird. Es wird sich trotzdem nach THE BABOON SHOW anhören, nur mit etwas mehr Rock’n’Roll. Nachdem wir so lange mit Pelle Gunnerfeldt zusammengearbeitet haben, war jetzt einfach Zeit für einen Wechsel.

Ich frage mich immer, wie es sich anfühlt, wenn zwischen der Aufnahme eines Albums und der Veröffentlichung und den Shows, in denen diese Songs gespielt werden, viel Zeit liegt. Habt ihr bis dahin nicht längst neuere Songs, die ihr vielleicht lieber spielen würdet, die nur leider keiner kennt?
Håkan: Ja, das war vor einigen Jahren tatsächlich schwieriger. Im Moment haben wir keine Eile, weil wir die Songs nicht einmal proben. Die warten im Studio noch darauf, dass ein bisschen Gesang dazukommt. Da wir im April mehr Zeit hatten, im Studio zu sein, haben wir jetzt auch mehr Stücke in petto. Für das Album werden wir davon die besten aussuchen, der Rest landet im Mülleimer. Ich denke, das Album wird bestimmt unser bestes, denn so viel Zeit und so viele Songs zur Auswahl hatten wir noch nie.

Die 12“ kommt also im Dezember und das Album voraussichtlich ein Jahr später im Herbst 2021?
Niclas: Wie Frida und Håkan schon sagten, wir wollten unsere Fans nicht zu lange auf neues Material warten lassen. Deshalb die 4-Track-EP im Dezember. Mit dem Album müssen wir noch sehen, aber es ist absolut unser Wunsch, es im Herbst 2021 zu veröffentlichen. Es wird der totale Killer! Wir werden die geschenkte Zeit nutzen, damit es am Ende exakt so klingt, wie wir uns das vorstellen.

Wo wir gerade von der 12“ sprechen. Könnt ihr uns ein paar Hintergrundinformationen geben zu den drei neuen Songs „I never say goodnight“, „Which way will you go“ und „Some piece of peace“? Die Texte klingen alle so ... deprimiert?
Niclas: Die Songs stammen aus den Studiosessions für das Album. Die Texte sind schon entstanden, bevor die Pandemie die Welt erschütterte, also haben sie damit nichts zu tun. Hier und da ist vielleicht bisschen Melancholie dabei, aber depressiv würde ich das nicht nennen. Nimm zum Beispiel „Which way will you go“, das ist die definitive Working-Class-Hymne. In „I never say goodnight“ geht es darum, sich niemals allein zu fühlen, egal wo du bist, weil du von deinen Lieblingsmenschen umgeben bist und dich dem widmen kannst, was du am liebsten tust. Man könnte sagen, dass es gewissermaßen darum geht, auf Tour zu sein. „Some piece of peace“ ist der typische heftige antiimperialistische THE BABOON SHOW-Anti-Kriegs-Song. Er passt gerade perfekt – oder auch nicht, haha, zu den US-Präsidentschaftswahlen.

Ich bin Atheist, also „glaube“ ich nicht. Aber trotzdem, glaubt ihr, dass ihr die angekündigten Shows 2021 spielen werdet ...?
Niclas: Ich bin auch ein Atheist. Jetzt sogar noch mehr. Kein guter Gott oder Prophet würde diesen Shitstorm auf uns werfen. Wir wollen wirklich glauben, dass wir all die verschobenen Shows und Festivals im Jahr 2021 spielen werden, aber wir glauben nicht, dass wir eine andere Wahl haben, als diesen Scheiß einfach abzuwarten. Traurig, aber wahr. Eines ist sicher, eine Welt ohne Live-Musik ist eine Welt ohne Seele. Im Moment wünsche ich mir – außer selbst aufzutreten natürlich – nichts mehr, als in einem überfüllten Club eine Show zu sehen, mich mit Bier bespritzen zu lassen und schließlich mit einem Fiepen im Ohr nach Hause zu gehen. Die Welt ist zur Zeit verdammt noch mal zu still!