Mitte Februar erscheint „Radio Rebelde“, das neue Album des aus Stockholm stammenden Quartetts. Schon die bisherigen Alben offenbarten das enorme Mitreißpotential der Band um die hyperaktive Frontfrau Cecilia. Und 2018 wird ein wichtiges Jahr für THE BABOON SHOW, denn in den letzten zwei, drei Jahren war gefühlt jede der explosiven Shows ein bisschen voller und größer als die davor – selbst wenn man jene als Opener von DIE TOTEN HOSEN nicht einbezieht. Irgendwas haben die Vier, das die Menschen euphorisiert. Doch kickende Musik zwischen Punk und Rock ist nur das eine, das andere ist eine deutlich formulierte linke Agenda, die man so nur noch bei wenigen Bands findet. Zudem sind die vier Schwed*innen überzeugte Kuba-Sympathisant*innen, spielten auch bereits auf der sozialistischen Karibikinsel. Ich traf mich mit Cecilia Boström (voc), Håkan Sörle (gt), Frida Ståhl (bs) und Niclas Svensson (dr) im Dezember am Tag zwischen den beiden Kölner Support-Shows für DIE TOTEN HOSEN in einem – natürlich – kubanischen Restaurant am Barbarossaplatz.
Ihr wart gerade verwundert, dass man hier nicht seinen Kaffee mit Kreditkarte bezahlen kann, anders als in Schweden, wo selbst Kleinstbeträge bargeldlos beglichen werden.
Cecilia: Ja, bei uns ist es umgekehrt: mit Bargeld geht da nichts mehr. Mir gefällt das nicht, ich möchte mich entscheiden können, denn ich weiß ja, dass die Banken festhalten, wann ich wo was bezahlt habe. Ich finde Kontrollsysteme nicht per se schlecht, aber ich will nicht von Banken kontrolliert werden. Genauso wie ich nicht von Facebook kontrolliert werden will. Aber die Menschen haben mehr Angst vor Kontrolle durch den Staat. Das ist totale Scheiße. Aber in Schweden scheint das die Leute nicht zu stören, die sind einfach dumm. Es zählt in unserer Gesellschaft nur das Individuum und das Geld, sonst nichts.
Niclas: Schweden ist auch das Land mit der höchsten Privatisierungsquote: Krankenhäuser, Schulen, Kindergärten, alles wird privatisiert.
Frida: Alles, was mal großartig war an Schweden, existiert nicht mehr.
Cecilia: Ja, dieses Olof Palme-Schweden, das man immer noch als Klischee im Kopf hat, das gibt es nicht mehr. Eine sozialistische Gesellschaft, in der alles grün ist ...
Bei eurem neuen Merch greift ihr ein ABBA-Motiv auf. Und in der Tat, die Parallelen sind verblüffend, eure Vornamen ergeben zusammen CHFN, das klingt ja fast wie ABBA ...
Håkan: Haha! ABBA wurden in den Siebzigern massiv dafür kritisiert, dass sie nicht stärker Stellung bezogen in politischen und gesellschaftlichen Fragen – sie waren einfach eine Popband. Später änderte sich das: jene, die in den Siebzigern am Lautesten schrieen, sind heute verstummt. Aber Benny beispielsweise äußerst sich heute deutlich zu vielen Themen.
Cecilia: Er hat einer feministischen Partei in Schweden viel gespendet und generell linken Projekten.
Soll oder muss Rockmusik sich denn politisch äußern?
Cecilia: Muss sie nicht. Aber wenn Fragen gestellt werden, dann sollte man Stellung beziehen. Keine Position zu beziehen finde ich seltsam. Politik muss nicht das Hauptanliegen einer Band sein.
Auf einer Skala von 1 bis 10 – 1 gleich apolitisch, 10 gleich extrem engagiert – landen THE BABOON SHOW meiner Meinung nach bei 8 oder 9.
Cecilia: Ja! Bei uns ist das so, aber das muss nicht für jede Band gelten.
Håkan: In erster Linie sind wir eine Punk- oder Rockband, und dann kommt die Frage, was für Texte wir schreiben. Texte über Liebe? Das haben schon viele andere vor uns gemacht. Ich kritisiere keinen dafür. Aber man will doch eine Aussage machen. Wir mögen AC/DC als Band, aber die Texte ...? Die Idee für THE BABOON SHOW ist, laute, schmutzige Musik zu machen und das mit politischen Statements zu verbinden.
Cecilia: Ich fände es seltsam, als ein im Privaten politischer Mensch nicht auch im Bandkontext politisch zu sein. Wenn ich schon das Privileg habe, vor so vielen Menschen stehen zu dürfen, sehe ich es auch als meine Verantwortung an, etwas darüber zu sagen, was in der Gesellschaft schiefläuft, und vielleicht löst man damit ja bei jemandem ein Nachdenken aus. Für mich jedenfalls ist das richtig. Wenn jemand anderem das nicht wichtig ist, beurteile ich ihn aber auch nicht danach.
Wie hat sich eure Situation in den letzten Jahren entwickelt? Ich erinnere mich an Konzerte in den üblichen kleinen Punkclubs, aber zuletzt auch vor einem Publikum, das eher, hm, studentischer, normaler – und zahlreicher war. Was hat sich da verändert?
Håkan: Wir haben kein Problem damit, wenn mehr Leute zu unseren Shows kommen. Besser, sie hören unsere Musik und unsere Texte als irgendwelchen Mist. Trotzdem, wir spielen am liebsten in kleinen Clubs. Wenn es mal 500 sind, auch gut, und auch gerne mal in großen Arenen, wie jetzt. Wir lieben beide Welten.
Frida: Ja, das ist die perfekte Kombination.
Cecilia: Mit unseren politischen Texten haben wir es bislang aber nicht für möglich gehalten, zu einer Mainstream-Band zu werden. Falls das passieren sollte, cool, und wenn nicht, dann eben nicht. Wir werden jedenfalls nicht unsere Einstellung ändern, um Erfolg zu haben.
Die richtigen Rockposen, das passende Outfit, das geeignete Auftreten für große Bühnen habt ihr jedenfalls. Das unterscheidet euch von den allermeisten Punkbands, mit denen ihr in kleinen Clubs zusammen spielt. Wie kam es, dass ihr dieses Element entwickelt habt?
Håkan: Wir konnten uns von Anfang an nicht vorstellen, einfach nur wie jede andere Band da auf der Bühne zu stehen. Wir mögen es, mit Konventionen zu brechen. Falls jemand erwartet, dass wir in Lederjacken und mit bunten Haaren auftreten – vergiss es. Wir wollten nie wie die SEX PISTOLS aussehen, das haben schon tausende andere Bands vor uns gemacht. Oder cool und tätowiert rumstehen – nicht unser Ding. Okay, wir haben ein paar Tattoos, aber wir sind nicht cool. Es macht uns mehr Spaß, mit den Erwartungen der Leute zu spielen. Manchmal kann die Punk-Szene nämlich sehr konservativ sein, tu dies nicht, tu das nicht, es gibt viele Regeln. Die Regeln zu brechen, das ist Punkrock.
Cecilia: Genau, Regeln zu brechen ist viel mehr Punkrock. Und Punk ist ja zum einen ein Stil, also wie man aussieht, doch für uns geht es bei Punk eher darum, wie man sich verhält, was man im Kopf hat. Es geht nicht um das Outfit, das ist meist recht vorhersehbar und langweilig. Vor allem aber wollen wir Spaß haben, und man hat dann am meisten Spaß, wenn man mit Dingen spielt. Wir wollen eine Band sein, die Spaß macht und Spaß hat, und nicht eine, die total hart rüberkommt.
Håkan: Wir sind so was wie ein Theaterstück. Wir kombinieren den Show-Aspekt mit ernsthaften Themen.
Cecilia: Nicht ohne Grund heißen wir THE BABOON SHOW.
Der Unterschied zu klassischen Rockbands der Siebziger und Achtziger, von denen viele der Rockposen stammen, ist der, dass diese das meist ironiefrei taten, wohingegen ihr das Ganze mit einem ironischen Augenzwinkern übernommen habt, wie einst in den Neunzigern schon Bands wie HELLACOPTERS, GLUECIFER oder BACKYARD BABIES.
Håkan: Ich stimme dir da absolut zu. Wir hatten anfangs auch echt unsere Probleme mit diesen Posen, haben damit gespielt, aber es fühlte sich komisch an. Dann haben wir das live aber einfach mal gebracht, ganz ironisch, und alle meinten, das sei total cool gewesen. Wir haben uns eigentlich selbst auf den Arm genommen, aber es funktionierte und machte Spaß. Und so machten wir einfach weiter, griffen mit viel Humor all die Rockklischees auf.
Cecilia: So wirklich planen tun wir das auch nicht, das entwickelt sich in der Hitze des Gefechts, und wenn es wirkt, bringen wir das einfach wieder.
Frida: Auf die Bühne zu gehen setzt eine Menge Adrenalin frei, es ist laut, und jeder geht aus sich heraus, dann kommt so was von ganz alleine.
Håkan: Und manchmal ist das auch ganz schön gefährlich. In Hannover hat Cecilia das Mikrofon so wild am Kabel über ihrem Kopf kreisen lassen, dass sie damit Frida nur um Haaresbreite verfehlte – das hätte tödlich enden können!
Frida: Im Publikum waren einige Leute echt geschockt! Das sah wohl krass aus, ich hatte nur so ein „Ffffuffff!“ wahrgenommen.
Cecilia: Und ich habe das gar nicht mitbekommen, haha.
Frida: Du willst uns ja nur mit Adrenalin aufputschen, haha. Schau mal hier an der Hand, die Narbe, die ist von Cecilias Mikrofonständer, mit dem hat sie mich mal erwischt ...
Håkan: Und ich konnte mal zwei Wochen nicht laufen, weil sie mir gegen das Bein getreten hat auf der Bühne.
Cecilia: Das passiert einfach! Aber mittlerweile haben wir ein paar Regeln festgelegt. Ich muss aufpassen, aber auf der Bühne bin ich einfach wie eine Naturgewalt, ich kann mich da nicht mehr kontrollieren.
Niclas: Manchmal kann sie sich hinterher nicht mal mehr erinnern, was sie alles gemacht hat. Da kommt sie mit blutigen Knien von der Bühne, ich frage, was passiert ist, und sie schaut erstaunt auf ihre Knie.
Cecilia: Ich verliere auf der Bühne komplett den Bezug zur Außenwelt. Ich mache dann einfach nur, was ich mache. Ich denke nicht drüber nach, was ich da gerade tue. Nur manchmal plane ich vorher, vielleicht dies oder das auf der Bühne zu tun. Bei einem Live-Auftritt gibt es nur den gegenwärtigen Moment, alles andere ist egal. Und das liebe ich daran, das lieben wir alle.
Håkan: Echt? Also ich denke auf der Bühne immer ans Frühstück am nächsten Tag. Hahaha!
Macht diese Bühnenerfahrung süchtig?
Cecilia: Oh ja! Auf der Bühne zu stehen sorgt für die gleiche Adrenalinausschüttung wie das Laufen. Ich bin definitiv ein Adrenalin-Junkie. Einmal bin ich nach einem Auftritt direkt Bungeejumpen gegangen, so sehr war ich auf Adrenalin! Ich wurde gefragt, ob ich das tun will, und im Normalzustand hätte ich das niemals gemacht! Ich brauche nach einer Show immer was, um runterzukommen, manchmal gehe ich schwimmen.
Frida: Am Touren vermisse ich aber nicht nur die Auftritte an sich, sondern auch so was Simples, wie zusammen im Tourbus zu sitzen und rumzualbern.
Schätzt ihr die gemeinsame Zeit auf Tour deshalb, weil sie eine Abwechslung zum Alltag bietet?
Cecilia: Wir haben schon darüber diskutiert, ob wir das Touren genauso schätzen würden, wenn wir das ausschließlich machen würden. Wir haben das noch nie ausprobiert, aber ich glaube schon. We are born to rock’n’roll! Die Band ist unsere zweite Familie.
Håkan:[/b] Wir machen das mittlerweile schon einige Jahre, wir haben uns daran gewöhnt. Das ist unser Leben. Wenn wir zu Hause sind, können wir es kaum erwarten, bis es wieder losgeht.
Cecilia: Wenn wir mal ein, zwei Monate keine Show haben, dann werden wir wirklich unruhig und hoffen, dass es wieder weitergeht.
Darf ich fragen, wie alt ihr seid?
Cecilia: Ich bin 37, nein, 36.
Håkan: 42.
Frida: 42.
Niclas: 42.
Ich frage deshalb, weil es danach aussieht, als ob ihr mit dem neuen Album doch eine ganze Menge mehr Leute erreichen werdet und immer größere Konzerte spielt. Seid ihr darauf vorbereitet, die Band noch stärker zum Mittelpunkt eures Lebens zu machen? Mit 42 ...? Im Musikbusiness hat man am liebsten junge Bands ohne private Verpflichtungen, die bereit sind, für den Erfolg alles zu geben und aufzugeben.
Håkan: Ja, wir sind alt ...
Frida: Die Menschen, mit denen wir arbeiten, kennen alle unsere Situation.
Cecilia: Wir haben in all den Jahren nie einen Zweifel daran gelassen, dass die Band uns wichtig ist. Dass wir alle zu Hause Verantwortung tragen, ist dazu kein Widerspruch. Die Musik ist auf unserer Prioritätenliste immer ganz weit oben. Unsere Familien akzeptieren und verstehen, was wir tun. Klar, unsere Art zu leben hat auch Nachteile. Ich habe kaum Gelegenheit, mich mit Freunden zu treffen. Aber dafür verbringe ich viel Zeit mit meinen Freunden in der Band.
Niclas: Dafür sehen wir uns auch fast gar nicht, wenn wir nicht auf Tour sind.
Cecilia: Und das, obwohl wir alle in der gleichen Stadt leben, nur fünf Minuten zu Fuß voneinander entfernt.
Niclas: Und was nun unsere Pläne mit der Band betrifft: Also ich wäre froh, nicht noch einen normalen Job haben zu müssen. Wir lieben, was wir tun, und wollen das deshalb noch viel mehr tun. Wir haben alle keine Vollzeitjobs.
Cecilia: Ich fände es schön, mich nur auf eine Sache konzentrieren zu können. Hier der Job zu Hause und da die Band, das kann manchmal auch stressig sein, also dieser ständige Wechsel zwischen beiden Welten. In einem Moment bist du noch auf Tour, am nächsten Tag um halb neun bist schon wieder auf der Arbeit und sollst direkt wieder im Thema sein. Du führst eine Art Doppelleben.
Seid ihr mit dem deutschen Wort „Ohrwurm“ vertraut? Damit sind Songs wie eure gemeint, die man schon nach dem ersten Hören nicht mehr aus dem Kopf bekommt, wie etwa „Again“ von eurer neuen Platte.
Niclas: „Ohrwurm“ ist ein schönes Wort und ich weiß genau, was du meinst. Als Håkan mir das Lied das erste Mal vorspielte, nur übers Telefon, habe ich die Melodie drei Tage nicht mehr aus dem Kopf bekommen.
Håkan: Das Lied ist von mir und ich singe darin über mein Leben. Was ich da erzähle, stimmt alles, das ist kein Bullshit. Zum Beispiel die Stelle, wo es darum geht, dass ich arbeitslos war. Ich war 19 oder so, hatte mich vor dem Militärdienst gedrückt, indem ich auf Psycho gemacht hatte – ich sagte, ich würde nachts ins Bett machen und so was. Ich heulte und war dann erst mal eine Woche im Krankenhaus, was im Text nicht vorkommt. Ich hatte ein winziges Apartment und hing die ganze Zeit vor der Glotze. Ich sah „Auf der Flucht“, ich war völlig fasziniert von dieser Serie! Vor vier Uhr morgens ging ich nie ins Bett zu der Zeit, wachte dann mittags um eins auf und machte den Rest des Tages nichts. Danach hatte ich dann einen Job als Zeitungszusteller, arbeitete nachts ... ja, und das Lied handelt eben von dieser Phase meines Lebens. Und ich glaube, es gibt viele andere Leute, die das nachvollziehen können, die Ähnliches erlebt haben.
Was hat es mit „Same old story“ auf sich, das ebenfalls ein sehr starker Song ist?
Niclas: Es handelt sich um die freie Übersetzung eines Liedtextes der schwedischen Band KNUTNA NÄVAR, im Original „Greppet hårdnar“. Die waren Anfang der Siebziger in Schweden eine bekannte kommunistische Progg-Band – nicht zu verwechseln mit Prog-Rock –, schau dir das mal bei YouTube an. Ich mag das Lied schon sehr lange, höre es immer wieder, und dann dachte ich mir, das könnten wir mal covern. In meinem Kopf klang das gut, und dann versuchten wir es mal und es passte sofort. Wir drehten dann ein Video dazu mit Kay und Andi von Visual Attack und sofort nachdem wir das bei YouTube veröffentlicht hatten, bekam ich eine SMS vom ASTA KASK-Drummer Bjurre, der fast schon entrüstet war deswegen.
Niclas: Die wollten das Lied auch covern! Tja, zu spät, haha. Dabei ist das Lied nicht besonders bekannt, kein Hit oder so was, aber wir mussten das einfach covern. KNUTNA NÄVAR waren eine Band, die eng mit der Kommunistischen Partei Schwedens verbunden war, und wir kontaktierten sie, ob es okay wäre, das Lied zu covern – sie stimmten zu.
Wir sprachen über ABBA und AC/DC, gibt es aber eine schwedische Musiktradition, auf die ihr euch bezieht und die nicht so offensichtlich ist?
Håkan: Ja, ich höre sehr viel alte politische Musik aus Schweden. Und ein Stück wie „Same old story“ ist wie „Again“ ein echtes Lied der Arbeiterklasse, dessen Text sicher jeder, der einen Arbeiterklasse-Hintergrund hat, nachvollziehen kann.
„Hurray“ ist ein weiteres textlich starkes Lied auf „Radio Rebelde“, ihr singt „There must be some kind of way out of here / Said the people to the thieves“, und „There must be some kind of problem here / The minority’s in charge / There ainʼt no power to the people here / We’re getting ready for the march“. Wer sind die Diebe?
Håkan: Die Kapitalisten sind die Diebe. Und es geht darum, dass endlich die Revolution kommen muss, damit wir endlich die Faschisten und Kapitalisten aus unserer Welt rauskicken können, und dann singen wir „Hurray“.
„Radio Rebelde“ ist der Titelsong des Albums, was steckt dahinter? Es ist ja der Name einer 1958 von Che Guevara gegründeten Radiostation.
Cecilia: Natürlich geht es um Kuba und die Revolution. Das ist ein Thema, das sich durch das gesamte Album zieht.
Håkan: Es ist ein Lied, das auf Radio Rebelde gespielt werden könnte.
Cecilia: Es ist ein Lied wie ein Licht in der Dunkelheit unserer Gesellschaft, ein Zeichen, dass du nicht allein bist, dass du sehr wohl Zweifel an der kapitalistischen Gesellschaftsform haben darfst.
Lasst uns über Kuba sprechen. Ich bin vor ein paar Jahren durch das Land gereist und habe ein gespaltenes Verhältnis zum dortigen System. Einerseits finde ich es beeindruckend, welchen Widerstand das kleine Land den USA gegenüber aufbringt. Andererseits ist es keine freie Gesellschaft, unter anderem werden Journalisten unterdrückt und auch generell ist die Opposition in Bedrängnis. Im Tourismussektor haben dem Militär nahestehenden Unternehmen großen Einfluss. Und ganz konkret denke ich an einen Freund aus Havanna, ein Hardcore-Fan, der einfach unglücklich ist darüber, dass er, nur weil er in Kuba lebt, all die Bands nicht live sehen kann, die er so liebt. Warum also eurerseits diese Begeisterung für Kuba?
Cecilia: Gegenfrage: Haben arme Menschen in Mexiko alle Möglichkeiten? Denen fehlen auch die finanziellen Mittel, um zu tun, was sie wollen, und sie stehen unter der Kontrolle der Drogenkartelle. Wenn jemand in Kuba bestimmte Möglichkeiten nicht hat, dann liegt das nicht notwendigerweise am dortigen System.
Håkan: Jemand aus Haiti kann auch nicht einfach nach Chicago fliegen, um sich dort eine Hardcore-Show anzuschauen. Es ist ja nicht illegal, aus Kuba auszureisen. Aber man braucht die Erlaubnis seiner Familie. Und der Staat will Kontrolle darüber haben, dass er die Menschen nicht umsonst ausbildet und sie einfach ausreisen und woanders arbeiten. Wer eine kostenlose Ausbildung erhält, sollte der Gesellschaft dafür auch etwas zurückgeben. Deshalb wird die Ausreise kontrolliert.
Cecilia: Machen unsere Heimatländer denn alles richtig? Bomben werfen auf andere Länder und deren Öl stehlen? Ist das richtig?
Natürlich nicht, aber im Zweifelsfall bin ich eher Anarchist als Sozialist: Ich lehne alle Systeme ab. Unser System mag scheiße sind, andere sind es aber auch. Und deshalb fand ich auch die DDR immer scheiße, Punks wurden da unterdrückt, und ich kann jegliche Nostalgie diesbezüglich nicht verstehen.
Cecilia: Exakt. Die Systeme sind alle gleich beschissen! Typischerweise werden in den Medien irgendwelche Diktaturen aber einfach als schlechter dargestellt als kapitalistische Gesellschaften. Wir sind auch nicht frei, wir werden vom Geld kontrolliert.
Håkan: Punks wurden in der DDR eben als gefährlich, als Bedrohung betrachtet. Ich denke aber, dass die Ideen, die hinter der DDR standen, gut waren. Gäbe es nochmal die Möglichkeit für dieses Experiment, würden Punks sicher nicht mehr eingesperrt.
Ich denke, repressive Gesellschaften sperren immer jene Menschen ein, die sie als Bedrohung empfinden.
Håkan: Da muss man nicht weit gehen, das findet auch in unseren Ländern statt.
Cecilia: In einer wirklich sozialistischen Gesellschaft würde es so etwas nicht geben.
Håkan: Ich war fünfmal in Kuba, ich habe da nie unterdrückte Menschen erlebt. Ich habe nie erlebt, dass Soldaten dort Menschen herumkommandiert hätten, dass Polizisten sich dort so faschistoid aufgeführt hätten wie bei uns. Die werden dort als Brüder und Schwestern wahrgenommen.
Dennoch, ich fand es erhellend festzustellen, dass normale Kubaner keinen Zutritt zu den karibischen „Urlaubsinseln“ vor der Nordküste haben – nur das Personal der Hotels wird dort in alten Schulbussen hingebracht.
Håkan: Kuba ist ein armes Land, die brauchen Geld, und wenn sie eben die Möglichkeit haben, mit Tourismus Geld zu verdienen ... Warum nicht? Mir gefällt die Idee auch nicht, dass normale Kubaner da nicht hinfahren können, aber Kuba braucht das Geld ... und das kommt den Menschen zugute.
Cecilia: Und wie ist es auf den Inseln um Kuba herum? Alles voll mit All-Inclusive-Resorts mit Arbeitern, die für den Mindestlohn dort arbeiten müssen. Das ist genau das Gleiche.
An ein sozialistisches Land habe ich aber höhere Erwartungen.
Håkan: Ja, aber die Vorzeichen sind andere: In den USA fließt das verdiente Geld zu den Reichen, in Kuba kommt es dem ganzen Volk zugute. Und das merkt man etwa am Verhältnis der Menschen zum Militär: die normalen Leute unterstützen es, die wissen, das sind nicht ihre Feinde, sondern jene, die sie gegen die USA verteidigen. Ohne die Armee wäre Kuba heute schon längst wie Miami, alles voll mit Bordellen und Mafiosi.
Cecilia: Und vergleiche mal die Kriminalität in Kuba mit der in Jamaika: In Havanna kannst du nachts rumlaufen, in Kingston nicht. Wir sagen ja nicht, dass Kuba ein Paradies oder Utopia ist ...
Håkan: ... aber die Idee ist perfekt. Es ist eines der perfektesten Länder, in denen ich war – abgesehen von der Armut. Ich mag die kubanische Idee, denn ich bin Sozialist. Der Staat muss für die Menschen da sein, nicht für die Kapitalisten. Aber ich verstehe auch deine Argumente, denn im kapitalistischen System haben Menschen wie du und ich auch sehr viele Freiheiten. Wir können in unserem Proberaum machen, was wir wollen, und alles herausschreien, was wir wollen. In Kuba geht das auch, aber es ist nicht leicht für Musiker, sich Instrumente zu kaufen. Dafür haben sie dort andere Freiheiten – wenn du in Kalifornien ernsthaft krank wirst, brauchst du eine Million Dollar, falls du keine Krankenversicherung hast. In Kuba ist die medizinische Versorgung umsonst. In den USA musst du in so einem Fall wie Walter White in „Breaking Bad“ anfangen, Crystal Meth zu kochen ...
Niclas: Wir im Westen sind wie gehirngewaschen. Wir sollen alle denken, dass eine andere Welt wie Kuba scheiße ist, unsere Hirne sind so mit neoliberalen Gedanken verseucht. Und damit haben wir ein Problem, wir denken nicht so.
Cecilia: Genau. Und gleichzeitig erkennen wir, dass auch wir Teil dieser Welt sind. Als Band sind wir ja für das Finanzamt nichts anderes als eine kleine Firma.
Jenseits des Verbreitens eurer Ideen von einer anderen Gesellschaftsordnung, was macht ihr anders? In Deutschland gibt es beispielsweise faire Genossenschaftsbanken, bei der man etwa sein Bandkonto führen kann, als kleinen Beitrag.
Håkan: Ich versuche da schon in Kleinigkeiten gegenzusteuern, aber es sind für mich immer die großen Fragen, auf die es ankommt: Wieso kommt die Stromversorgung nicht vom Staat, wieso muss die privatisiert sein in zig Firmen? Warum muss ich mir die am wenigsten schlechte Firma aussuchen müssen? Strom sollte wie Wasser ein menschliches Grundrecht sein und ich mir nicht Gedanken darüber machen müssen. Mit Banken ist das genauso: Welche ist die schlimmste, welche die netteste? Es sind alles Banken! Es gibt in Schweden keine „guten“ Banken, okay, eine, BAB, die sind staatlich und bieten so eine Art Grundversorgung an. So etwas wie diese fairen Banken in Deutschland gibt es in Schweden aber nicht.
Niclas: Wenn wir Entscheidungen treffen müssen, treffen wir die auf der Basis, was die unserer Meinung nach am wenigsten schlechte ist. Wir wissen, dass wir als Privatpersonen wie als Band eigentlich viel mehr tun könnten, aber ... wir haben viele Ideen und wenig Zeit. Nicht genug Zeit, das ist für uns als Band das Hauptproblem. Aber ich will mich nicht beklagen, wir sind privilegiert und können tun, was wir lieben. Was wiederum der Grund ist, weshalb wir darauf hinarbeiten, keine normalen Jobs neben der Band mehr machen zu müssen.
Håkan: Ich bin Mitglied der Kommunistischen Partei Schwedens und des Kuba-Solidaritätskomitees, das ist meine Art der Unterstützung.
Cecilia: Es sind Kleinigkeiten, auf die es ankommt, wie etwa beim Bandmerch auf faire Biokleidung zu setzen. Aber wir könnten noch viel mehr machen, wir sind nicht perfekt.
Niclas: Und selbst wenn man keine Zeit hat, kann man auf jeden Fall in seinem Alltagsleben bewusste Entscheidungen treffen. Alles, was du tust und kaufst, ist ein Statement.
Cecilia: Kein Fleisch essen, zu Fuß gehen statt das Auto zu nehmen, all so was.
Håkan: Genau! Und überhaupt, warum ist nicht alles bio, wieso darf etwas schlechter sein, als es sein sollte? Warum wird irgendwelcher Scheiß überhaupt hergestellt? Was gar nicht erst hergestellt wird, ist für die Umwelt am besten. Wieso muss es im Winter Paprika geben? Iss Sauerkraut! Wir können auch ohne Ananas klarkommen. Ich werde es jedenfalls wahrscheinlich überleben. I will survive!
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