Rassismus, Homo- sowie Transphobie, die Klimakatastrophe und das unnötige Leid von Tieren – Probleme, die endlich aus der Welt geschafft gehören, gibt es momentan genug. ARCHITECTS haben sich für ihr neuntes Album „For Those That Wish To Exist“ eine Handvoll herausgepickt und stellen unbequeme Fragen. Nach dem hochemotionalen letzten Album „Holy Hell“ von 2018 und dem Krebstod ihres Gitarristen Tom Searle richten sich die Brightoner diesmal an alle die, die den Kampf für die gute Sache noch nicht aufgegeben haben. Warum es gerade jetzt wichtig ist, nicht zu verzweifeln, und welchen unerwarteten Einfluss BIFFY CLYRO auf die Engländer hatten, erklärt uns Sänger Sam Carter.
Ihr seid schon länger als politische, soziale und umweltbewusste Band bekannt. Mit „For Those That Wish To Exist“ macht ihr ein weiteres Mal deutlich, dass das menschliche Handeln, vor allem im Bezug auf das Klima, völlig unzureichend ist. Hast du das Gefühl, dass es mittlerweile sowieso schon zu spät für uns sein könnte, das Ruder noch mal umzureißen? Sind wir alle einfach zu naiv und dumm dazu?
Das hängt ganz davon ab, an welchem Tag der Woche du mir die Frage stellst. Manchmal habe ich tatsächlich das Gefühlt, dass sich die Dinge vielleicht doch zum Positiven wenden könnten. Dass endlich die richtigen Ansätze verfolgt werden, dass die Dinge ins Rollen kommen. An allen anderen Tagen ist die Stimmung dann doch eher negativ. Vor allem wenn ich mir die Situation in Amerika anschaue. Wie soll so ein großes Land die entscheidenden Schritte in Richtung Klimaschutz gehen, wenn die Bevölkerung sich nicht mal darauf einigen kann, dass Rassismus eine schlechte Idee ist? Klar ist Amerika damit nicht allein. So viele Menschen beschäftigen sich damit und finden doch keine gemeinsame Lösung. Wenn dann auch noch so Typen wie Trump gewählt werden und über vier Jahre hinweg den Klimawandel leugnen, dann ist das schon extrem frustrierend. Auf der anderen Seite muss ich auch weiterhin hoffnungsvoll in die Zukunft schauen. Es fühlt sich an wie ein aussichtsloser Kampf, selbst wenn Persönlichkeiten wie Greta Thunberg mitkämpfen. Sie strahlt eine solche Entschlossenheit aus, wenn sie spricht, und hat einen enorm großen Einfluss, vor allem auf junge Leute, die für Veränderung auf die Straße gehen. Wir müssen uns schlussendlich darüber Gedanken machen, welchen Einfluss unser Handeln auf die Zukunft dieses Planeten hat. Und da kann sich heutzutage nun wirklich niemand mehr aus der Verantwortung stehlen.
Die Songs transportieren auf jeden Fall eine Menge Wut und Verständnislosigkeit. Ist es schwer für dich, in den Songs immer und immer wieder die gleichen Dinge anzusprechen? Ihr wollt die Menschen ja auch wachrütteln. Wie viel Kraft hat euch die Aufnahme von „For Those That Wish To Exist“ gekostet?
Während der Produktion der Platte waren die Inhalte, die transportiert werden sollten, nicht immer präsent. Natürlich lag da manchmal eine gewisse Schwere in der Luft, weil wir uns dessen bewusst sind, dass sich ein paar Leute mit unserer Musik und damit auch mit den Themen, die wir ansprechen, beschäftigen werden. Für uns überwogen am Ende jedoch die Freude und der Spaß, den wir bei der Sache hatten. Schließlich hatten wir die Möglichkeit, etwas für uns Besonderes zu erschaffen. Aber wie ich schon gesagt habe, hängt das Gefühl auch immer davon ab, in welchem Zustand man sich gerade befindet. Klar ist es ermüdend, immer wieder dieselben Themen ansprechen zu müssen, ohne dass sich dabei etwas gravierend zum Positiven ändert. Es ist aber auch umso wichtiger, mit ganzem Herzen dabei zu sein. Und das waren wir während der Aufnahmen auf jeden Fall.
Kannst du etwas über den Aufnahmeprozess erzählen?
Uns ging es vor allem darum, dass wir währenddessen immer aufeinander aufgepasst haben. Das war nach dem, was wir als Band mit dem Tod von Tom durchgemacht haben, extrem wichtig. Wir wollten anders arbeiten, als wir es bei „Holy Hell“ getan haben, wo die ganze Zeit dieses bedrückende Gefühl im Raum war. Brauchte jemand mal einen Tag Pause, um wieder klarzukommen, so haben wir kurz die Bremse gezogen und an einem anderen Tag mit frischer Energie weitergemacht. Das hat sich sehr positiv auf den kreativen Prozess ausgewirkt.
An wen richtet sich „For Those That Wish To Exist“?
Das Album ist an die gerichtet, die unbeirrbar und hartnäckig daran arbeiten, dass sich die Dinge endlich verändern. Sie stecken Rückschläge ein, müssen immer wieder gegen Widerstände ankämpfen und bleiben sich trotzdem treu. Wir wollen diesen Menschen zeigen, dass wir sie auf ihrer Reise begleiten. Dass sie mit ihren Bemühungen und Ideen auf jeden Fall nicht allein sind. Ich weiß, wie niederschmetternd es sein kann, gegen Dummheit und Ignoranz anzugehen. Wir stecken da aber alle gemeinsam drin.
Was sind deiner Meinung nach, die größten Probleme, mit denen wir uns als Menschheit herumschlagen müssen?
Sowohl Rassismus als auch die Klimakrise sind so enorm große Probleme, dass wir sie nicht als Einzelne lösen können. Wir schaffen es ja nicht einmal, manche Menschen davon zu überzeugen, dass People of Color es natürlich verdienen, gleichberechtigt behandelt zu werden. Nimm zum Beispiel die Idioten, die auf „Black Lives Matter“ schimpfen. Die sagen, dass das ein Angriff auf Weiße sei. Es ist so anstrengend mitzuerleben, über was sich die Leute so Gedanken machen, worüber sie sich streiten. Jeder will besser sein als der andere. Wir sollten uns endlich klarmachen, dass wir nicht gegeneinander kämpfen müssen. Um die Überhitzung der Erde aufzuhalten, müssen wir alle etwas tun. Wir müssen uns auf die Maßnahmen einigen, die getroffen werden müssen. Aber wie soll das funktionieren, wenn es immer noch so viele homo- oder transphobe Idioten gibt? So viele Menschen sind wütend über das Verhalten von anderen Leuten, obwohl es sie zum einen gar nichts angeht und es zum anderen ihr eigenes Leben absolut nicht beeinflusst. Mich macht es echt fertig, dass die Leute, die so viel Hass auf andere in sich tragen, trotzdem noch irgendwie mit sich selbst klarkommen. Würden sie die Energie, die sie in ihren Ärger stecken, in die richtigen Themen investieren, könnten wir die Erde zumindest noch für die kommenden fünfzig Jahre am Laufen halten.
In eurem Song „Animals“ gibt es eine Textzeile, in der du kurz davor bist, den Stift aus einer Handgranate zu ziehen. Denkst du, die Stagnation und der ganze Hass legitimieren auch drastischere Schritte als friedvollen Protest?
Bekämpfst du Feuer mit Feuer, so entsteht etwas sehr Gefährliches. Ich kann natürlich nicht für diejenigen sprechen, die erleben mussten, dass ihr Protest brutal niedergeschlagen wurde. Die Schläge und Tritte eingesteckt haben, weil sie sich gegen Ungerechtigkeiten eingesetzt haben. Bis jetzt war ich noch nicht in dieser Situation. Deshalb stelle ich jetzt mal die Behauptung in den Raum, dass friedvoller Protest die einzige Möglichkeit ist, Menschen mitzureißen. Es ist der einzige Weg, um Verständnis zu wecken und Missstände anzuprangern. Trotzdem möchte ich aber auch nicht diejenigen verurteilen, die sich in solchen Momenten anders zur Wehr setzen.
Lass uns über eure musikalische Entwicklung sprechen und wieso „For Those That Wish To Exist“ klingt wie der nächste logische Schritt.
Wir haben versucht, unseren Wurzeln so gut es geht treu zu bleiben. Uns ist bewusst, dass wir uns mittlerweile in einen Bereich vorgearbeitet haben, in dem auch andere Menschen Erwartungen an unsere Musik haben. Wie schon erwähnt, war es bei diesen Aufnahmen besonders wichtig für uns, das Miteinander sowie jeden Einzelnen von uns in den Vordergrund zu stellen. Wir sind enorm stolz auf das, was wir als Band bis jetzt erreicht haben, und wollen das auch nicht aufs Spiel setzen. Es ging darum, dass sich jeder entfalten kann, ohne dass es, wie bei den anderen Platten, irgendwann zu Spannungen kommt. Das definierte schlussendlich den Horizont für uns alle. Wir haben jedenfalls mehr Bläser und Streicher eingesetzt, als wir es zuvor gemacht haben. Ich meine, wir sind eine Post-Hardcore- oder Metalcore-Band. Aber bei diesen Songs hat es perfekt gepasst.
Apropos perfekt, ihr habt mit Winston McCall von PARKWAY DRIVE, Mike Kerr von ROYAL BLOOD, aber auch Simon Neil von BIFFY CLYRO nicht ganz unbekannte Gastsänger für die Platte gewinnen können.
Wir sind riesige Fans von diesen Bands. Was Simon und seine Jungs machen, verfolgen wir schon seit ihrer ersten Platte und es war schon immer ein Traum von uns, mal mit ihnen zusammenzuarbeiten. Neben der Tatsache, dass beide Gitarrenbands sind, verbindet uns quasi auch eine ähnliche Entwicklung. Bei BIFFY CLYRO hat es auch eine Weile gedauert, bis man auf sie aufmerksam wurde. Sie haben sich den Arsch abgetourt und dabei auch noch fantastische Musik aufgenommen. Sie sind hartnäckig am Ball geblieben, haben alles Mögliche ausprobiert und die Leute am Ende für sich begeistert. Wir haben sie uns gewissermaßen zum Vorbild genommen, wenn wir mal in einer Krise steckten.
Mir ist aufgefallen, dass deine Gesangsspur am Ende von „Dying is absolutly safe“ rückwärts läuft. Welche Botschaft wurde hier versteckt?
Wir sind große BEATLES-Fans und haben uns diese Idee von ihnen abgeschaut. Am liebsten würde ich keinem verraten, was ich da singe. Es ist auf jeden Fall nichts Satanistisches.
Da du gerade die satanistischen Botschaften der BEATLES erwähnst, lass uns doch über die vielen religiösen Referenzen auf „For Those That Wish To Exist“ sprechen.
Es sind vor allem die offenen Fragen auf der Platte, die die Hörer:innen zum Nachdenken anregen sollen. Ich bin der Meinung, dass Religion ein schwieriges Thema ist. Vielen Menschen bietet sie Halt. Sie nutzen sie, um sich daran durchs Leben zu hangeln. Auf der anderen Seite dient sie seit jeher als Rechtfertigung von Krieg und Leid. Ich bin absolut nicht der Meinung, dass es da irgendjemanden gibt, der alle Zügel in der Hand hält. Ich vertraue eher der Macht des Universums und dass jeder und jede das bekommt, was er oder sie verdient hat.
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