1991 hatten MOTÖRHEAD eine vier Jahre dauernde Album-Zwangspause hinter sich, „Rock’n’Roll“ war 1987 erschienen, Auseinandersetzungen mit dem Label GWR Records zogen sich hin. „Rock’n’Roll“, der achte Longplayer von Lemmy und Co., war ein schwaches Album gewesen, was sollte da jetzt also noch kommen? „1916“ war eine Überraschung, in verschiedener Hinsicht.
Aufgenommen in der Besetzung Lemmy, Würzel, Phil Campbell und Phil Taylor, ist es eine Neuerfindung der Band, gefühlt liegen zwischen dem Vorgänger und „1916“ zehn Jahre, und es ist zudem eine jener Platten, die eine so hohe Hitdichte aufweisen, dass man sich immer wieder fragt, wie die Band das geschafft.
Zudem weichen diverse Songs deutlich vom MOTÖRHEAD-Schema ab, ohne jedoch die wichtigen Trademarks vermissen zu lassen. Schon der Opener „The one to sing the blues“ begeistert, „I’m so bad (Baby I don’t care)“ konnte sogar Doro nicht kaputtcovern, und dann folgt mit „No voices in the sky“ der für mich neben „Ace of spades“ beste MOTÖRHEAD-Song aller Zeiten – eine unglaubliche Hymne, in ungewohnter Klangfarbe.
„Going to Brazil“ ist dann genauso eingängig, aber eher traditionell, und angeblich der Grund, weshalb Lemmy Produzent Ed Stasium feuerte: der hatte es gewagt, mal eben Percussion-Geklapper dazuzumischen.
Lemmy mochte das nicht. „Nightmare/The dreamtime“ ist dann das genaue Gegenteil, ein düsterer Schleicher von Song, eine psychedelische Spacerock-Nummer, bedrückend und intensiv – eine, die man MOTÖRHEAD genauso wenig zugetraut hätte wie „No voices in the sky“ und neben diesem beinahe mein Album-Highlight.
Auch „Love me forever“ kann punkten, auch wenn das Stichwort „Ballade“ in Verbindung mit „Metal-Band“ in der Regel für Kotzreiz sorgt. Hier hingegen hat Lemmy sein Herz nach außen gekehrt und ein völlig unkitschiges Liebeslied geschrieben, das an Intensität kaum zu überbieten ist.
Zwei Songs weiter stößt man dann auf „R.A.M.O.N.E.S.“, jene legendäre Liebeserklärung an die RAMONES, bei denen MOTÖRHEAD beinahe besser klingen als das Original zu jener Zeit, und zum Abschluss kommt mit „1916“ noch das intensive, emotionale Titelstück, das die Verheerungen des Ersten Weltkriegs thematisiert.
Zwei Bonus-Nummern folgen, „Eagle rock“ und „Dead man’s hand“, und wie es sich für einen ordentlichen Rerelease gehört, ist ein dickes Booklet mit Linernotes, Texten, Fotos etc. dabei. Definitiv einer der großen Klassiker im MOTÖRHEAD-Kanon, wenn nicht sogar das neben „Ace Of Spades“ beste Album von Lemmy & Co., das von seiner Heterogenität lebt.
Wenig verwunderlich, dass das nur ein Jahr später erschienene „March Ör Die“ mit „1916“ nicht mithalten konnte. Gleich drei Schlagzeuger waren beteiligt: Phil Taylor wurde gefeuert, weil er die Songs nicht draufhatte, Tommy Aldrige sprang als Studiomusiker ein, und Mikkey Dee bekam seine Chance bei „Hellraiser“ – und ist bis heute dabei.
Erwähntes „Hellraiser“ (für den Soundtrack zu „Hellraiser III“ geschrieben) ist neben dem Ted Nugent-Cover „Cat scratch fever“ einer der herausragenden Tracks des Albums, das sonst gewohnte Kost bietet.
Auch hier kommt die Neuauflage mit einem vorbildlich dicken Booklet mit reichlich Abbildungen und ausführlichen Linernotes.
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