„Danger in the dead of night / Takes away the strength to fight / All we know is black despair“ singt Lemmy im Album-Opener „Heartbreaker“, und außerdem „Careful where you stand now boy / Everything has changed“.
Es ist reine Spekulation, wenn ich in diesen Text einen Zusammenhang zu Lemmys Gesundheitsproblemen hineinlese. Im März 2013 war dem 1945 geborenen MOTÖRHEAD-Frontmann ein Herzschrittmacher eingesetzt worden, eine Routine-Operation, angeblich ohne Komplikationen, doch im Sommer wurde dann die Europatour abgesagt, weil der Meister nach einem Sturz im Krankenhaus lag – und die Tour im Dezember konnte auch nicht stattfinden.
Mag sein, dass zwischen diesen Ereignissen kein Zusammenhang existiert, aber der begnadete Zyniker Lemmy ist sicher Realist genug, der Tatsache ins Gesicht zu blicken, dass das Alter – an Heiligabend 2013 wird er 68 – und der sorgsam zelebrierte Rock’n’Roll-Lifestyle möglicherweise doch ihren Tribut zu fordern beginnen.
„Don’t worry – I’m not about to start promoting veganism and alcohol-free beverages, but it is fair to say that I personally have been reconfiguring areas of my life to make sure I can come back fitter and stronger than ever.
It disappointed me tremendously to have to say I wasn’t quite ready to hit the road yet, but not nearly as much as it would’ve disappointed me to go out, play some average shows and watch my health give way long before the tour was over!“, ließ er angesichts der Absage verlauten, und aus diesen Worten klingt eine gewisse Einsicht heraus, die vermuten lässt, dass die Zeiten, da eine Flasche Jack Daniels am Tag für Herrn Kilmister die alkoholische Grundration darstellten, möglicherweise vorüber sind.
Eingespielt wurde „Aftershock“ noch vor der OP, im Februar 2013, wieder unter Aufsicht des bewährten Cameron Webb, und man hört dem Album keinerlei Schwäche an. Das seit 1992 bewährte Team, bestehend aus Lemmy, Phil Campbell und Mikkey Dee, hat auf „The Wörld Is Yours“ (2010) mit „Aftershock“ Album Nr.
21 folgen lassen und weicht vom altbekannten Kurs keinen Millimeter ab. 14 typische MOTÖRHEAD-Nummern finden sich hier, und die große Kunst besteht längst darin, sich immer wieder neu zu erfinden, ohne irgendwas anders zu machen.
Irgendwelche stilistischen Ausflüge erledigt Lemmy alle paar Jahre mittels Soloplatten, MOTÖRHEAD hingegen werden, davon ist auszugehen, bis auf Weiteres so klingen, wie sie seit zwanzig Jahren klingen.
Es gibt mal mehr, mal weniger bluesinfizierten Hardrock, den man an Lemmys rauhem, nur wenig Variationen aufweisenden Gesang in Sekundenbruchteilen identifizieren kann. So überstrapaziert Begriffe wie „Rock-Ikone“ oder „lebende Legende“ auch sind, sie treffen zu, und es ist das Verdienst von MOTÖRHEAD erkannt zu haben, dass irgendwelche kreativen Experimente keiner braucht – nicht sie, nicht ihre Fans.
Sollen sich andere Bands zum Affen machen beim Versuch der Neuerfindung oder glauben, mit mäßigen Reunion-Platten (siehe BLACK SABBATH) noch was retten zu können: MOTÖRHEAD ziehen stur ihr Ding durch, und ich hoffe, das bleibt auch so, wenn Lemmy dank seiner Bekehrung zum abstinenten Veganer wieder auf dem Damm ist.
Letzteres würde nämlich bedeuten, dass er die nächsten zwanzig Jahre weiter Musik machen kann ...
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