PIANOS BECOME THE TEETH

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Gruppenleistung ohne Geschrei

Die Postcore-Band PIANOS BECOME THE TEETH wird von nun an wohl keine eindeutigen Labels mehr verpasst bekommen. Wo andere Musiker sich mittels egomaner Soloprojekte fern der Hauptband ausleben und erden müssen, verzerren PIANOS BECOME THE TEETH das Bild einer einst dem Screamo huldigenden Band lieber selbst. Das ist nicht Selbstsabotage, sondern Neuerfindung. Hier bestimmt nicht mehr depressive Rüpelhaftigkeit, sondern geduldiges Lauern auf den richtigen Ausbruchsmoment das neue, zurechtgerückte Image. Ich sprach mit Gitarrist Mike York über die bandinternen Entwicklungen der letzten drei Jahre und das neue Album „Keep You“ auf Epitaph.

Mike, das letzte Album „The Lack Long After“ erschien vor drei Jahren. Wie würdest du die letzten 36 Monate beschreiben?

Mann, das war ein wilder Ritt. Als wir für „The Lack Long After“ ins Studio gegangen sind, hat wohl niemand von uns daran gedacht, dass wir mal so weit kommen würden. Das treibt unsere Leidenschaft natürlich weiter an. Ich kann mir kaum vorstellen, nicht auf Tour zu sein, ins Studio zu gehen oder Songs zu schreiben.

Je älter man wird, desto schneller scheint die Zeit zu vergehen. Inwiefern hat sich euer Leben in dieser Zeitspanne verändert?

Mein Leben hat sich drastisch verändert, aber zum Guten. Zur Zeit der Entstehung von „The Lack Long After“ war ich am College und wohnte bei meinen Eltern. Ich hing im Proberaum ab, arbeitete bei Starbucks oder hatte sonst was für einen skurrilen Job, um Geld zu verdienen. Drei Jahre später sind wir nach wie vor pleite, haha. Aber ich bin mit einer fantastischen Frau verlobt und heirate im kommenden Jahr. Kyle hat bereits letztes Jahr geheiratet. Ich lebe in Baltimore City, bin College-Absolvent und die Band ist unser Fulltimejob. Ich könnte mir kein besseres Szenario ausmalen.

Und doch gibt es unzählige Bands, die sich über das Tourleben beschweren. Du hingegen wirkst diesbezüglich sehr ausgeglichen.

Touren ist vergleichbar mit einem normalen Job. Wenn du deinen Job liebst, dann stört dich das Arbeiten nicht. Letztes Jahr waren wir fast vierzig Tage am Stück auf Tour in den USA und kamen für zwölf Stunden nach Hause, um direkt im Anschluss wieder in ein Flugzeug zu steigen und eine dreiwöchige Australientour zu absolvieren. Nach den zwei Monaten kannst du es kaum abwarten, wieder nach Hause zu kommen. Das hat nichts mit mangelnder Freude am Tourleben zu tun, sondern vielmehr damit, dass du nicht mehr irgendwo auf dem Fußboden schlafen willst.

Dennoch habt ihr Zeit gefunden, um mit „Keep You“ ein selbstbewusstes neues Album zu machen.

Dieses Album zu schreiben, war wirklich nervenaufreibend. Du willst, dass die Leute spüren, wie viel Leidenschaft hineingeflossen ist. Wenn ich alt werde und das Album dann noch mal auflege und mich all diese damaligen Gefühlen überkommen, weiß ich, dass dies ein wichtiger Moment in unserer Bandgeschichte war. Mit diesem Album haben wir versucht, jede mögliche Grenze auszuloten und machten eine 180-Grad-Wende. Selbst wenn man es nicht jedem recht machen kann, ist dieses Album das ehrlichste, was wir haben aufnehmen können. Alles andere wäre eine Lüge gewesen.

Zum Schreiben der Songs habt ihr euch in das Ferienhaus von Zacs Familie auf Taylor’s Island eingenistet. Wie kann man sich die Gegend vorstellen?

Es ist das einzige Haus in der Mitte eines riesigen freien Feldes. Umgeben von Wäldern und direkt an einem Fluss gelegen, der in die Chesapeake Bay fließt. Wir haben uns dorthin mit der Absicht zurückgezogen, um Abstand von der Stadt und unseren Jobs zu bekommen. Täglich saßen wir alle zusammen acht bis zehn Stunden im Wohnzimmer, das wir kurzerhand in ein Studio verwandelt haben, jammten, kochten zusammen, tranken Whiskey und saßen zusammen am Lagerfeuer. Da ging es einfach darum, abseits der ganzen Alltagshektik herauszufinden, wo wir mit dem Album hinwollten. Das war aber zu keinem Zeitpunkt eine bewusste Entscheidung. Doch dann liest du die ganzen Kommentare, dass Epitaph oder Produzent Will Yip die Gründe für den Sound des Albums seien. Dabei hatten wir zum damaligen Zeitpunkt weder ein Label noch sonst etwas.

So eine Umgebung muss auf das Songwriting sehr entschleunigend wirken. Wie habt ihr das vorher gehandhabt?

Genauso sehe ich es auch. Bei „Old Pride“ war es noch ziemlich komisch, sich zum Schreiben zu treffen. Wir hatten noch nie zuvor zusammen ein Album aufgenommen, also probten wir vier bis fünf Tage die Woche. Bei „The Lack Long After“ waren wir dann schon um einiges erfahrener. Wir probten viel, Chad und ich aber trafen uns, um die Songs auszuarbeiten. „Keep You“ ist jetzt Gruppenleistung.

Eure gelassene Herangehensweise könnte ein Grund für die atmosphärischen und leisen Töne auf „Keep You“ sein. Was waren die Gründe für den mutigen Schritt von verzerrten Gitarren und Kyles Geschrei zu sanfteren Klängen?

Über die Zeit haben sich unsere Geschmäcker eben verändert. Wir hören viel mehr Indierock und elektronische Musik. Die Lieblingsband deiner späten Teenagerjahren ist eben nicht mehr die Lieblingsband deiner späten Zwanziger. Und jetzt sind es Bands wie THE NATIONAL, BON IVER oder INTERPOL, die nicht auf verzerrte Gitarren angewiesen sind, um druckvolle Momente zu schaffen. Sie vertrauen auf Atmosphäre und aussagekräftige Inhalte. Für mich persönlich sind das die besten Alben. Und genau dieses Gefühl hatte ich bei diesem Album: Intensive Momente verlangen nicht zwangsläufig verzerrte Gitarren. Wir näherten uns dabei dem Songwriting des herkömmlichen Classic Rock an. Es war an der Zeit, gute Songs anstelle von guten Riffs zu schreiben, was letztendlich der ausschlaggebendste Faktor war. Ich glaube, wir haben eine guten Job gemacht, um das unter Beweis zu stellen.

Jeremy Bolm von TOUCHÉ AMORÉ sagte in einem Interview: „Ich schreie nicht des Schreiens wegen.“

Ich glaube, Kyle hatte es auch schon vorher mal erwähnt, dass er keine Lust hätte, ein ganzes Album durch zu schreien. Er wusste, dass er es besser konnte. Wenn du solch einen Gesang zu 95% auf einem Album hast, macht es die Momente, wo es etwas aggressiver wird, umso intensiver. Der Gedanke von angestauter Intensität. Aber auf genau das haben wir abgezielt. Man muss sich das Album komplett anhören.

Habt ihr diese Veränderungen im Sound schon gemerkt, als ihr „Hiding“ für die TOUCHÉ AMORÉ-Split-Platte geschrieben habt?

Der Song öffnete uns quasi die Tür, um etwas Frisches und Interessantes auszuprobieren. Als wir den Song veröffentlicht haben, unterstützten die Fans diesen Schritt und mittlerweile ist es jedermanns Lieblingssong. Als wir jetzt „Repine“ veröffentlichten, stellten die Fans verblüfft fest, dass bei uns nicht mehr geschrien wird. Aber wenn du dir „Hiding“ oder „I’ll get by“ genau anhörst, wirst du feststellen, dass sich das bei uns bereits seit einigen Jahren abzeichnet. Mein Lieblingskommentar dazu war: „Ich verstehe einfach nicht, warum Bands das Bedürfnis verspüren, sich weiterzuentwickeln.“

Euer erstes Album, „Old Pride“ von 2009, befasste sich textlich mit Kyles Vater, der unter Multipler Sklerose litt, und 2011 auf „The Lack Long After“ nahm sich Kyle fast schon auf Konzeptebene des Todes seines Vaters an. Wie sieht das bei „Keep You“ aus?

Ich glaube, dass Kyle auf dem neuen Album viele Themen anspricht, die er auch schon auf den vorherigen Alben thematisiert hatte. Der Todestag seines Vater jährt sich im kommenden April zum fünften Mal. An solchen Herausforderungen wächst man als Person. Ich glaube aber, dass dieses Album in vielerlei Hinsicht die Akzeptanz jener Tatsachen widerspiegelt. „Keep You“ vermittelt den Gedanken, dass jemand immer ein Teil von dir bleiben wird. Gleichzeitig bedeutet „Keep You“ aber auch: Was immer du im Leben durchmachen musst, um dir treu zu bleiben, nimm es auf dich. Im Großen und Ganzen befasst sich das ganze Album mit der Unmöglichkeit, jemandem etwas Bestimmtes mitzuteilen. Gleichzeitig gibt es viele Stellen auf dem Album, die Kyle so nah gehen, dass er es uns niemals wissen lassen würde. Er ist die einzige Person, die damit fertig werden kann. Aber im Gegensatz zu „The Lack Long After“, wo es ziemlich offensichtlich war, worüber er singt, gibt es auf „Keep You“ mehr Raum für Interpretation.