PIANOS BECOME THE TEETH

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The pain and loss of Kyle Durfey

The Wave – für die einen ein Unwort, ein deplatzierter Begriff in der Hardcore-Szene, für die anderen die Bündlung von innovativen Bands, die eindeutig dem Hardcore entspringen, zwischen Emotionalität, Progressivität und Grenzenlosigkeit. Was anfangs als Inside-Joke unter den vermeintlichen „Mitgliedern“ begann, erreichte mit wachsender Popularität von Bands wie TOUCHÉ AMORÉ, DEFEATER oder LA DISPUTE auch bald das europäische Festland. Ob man nun Skeptiker oder Supporter dieses anhaltenden Hypes ist, ist von geringer Bedeutung, sobald man die Quintessenz erkennt. Denn die Bands erheben weder den Anspruch, die Rettung des Hardcore zu sein, noch steckt hinter dem gesamten Konstrukt ein exklusiver Wir-gegen-euch-Gedanke. Vielmehr ist es eine Gruppe von Menschen, die, trotz geografischer Entfernung, dem selben freundschaftlichen Dunstkreis entspringen, sich menschlich auf einem Level sehen und vor allem zusammen touren.

In diesem Zusammenhang tauchen auch immer wieder PIANOS BECOME THE TEETH aus Baltimore, Maryland auf. Nachdem die Band sich im Jahre 2006 gegründet hatte, erschien 2009 mit „Old Pride“ das erste Album, 2011 folgte via Topshelf Records das zweite, „The Lack Long After“. PIANOS BECOME THE TEETH verschreiben sich über weite Strecken dem Screamo, gepaart mit Post-Rock-Anleihen, der permanent und allgegenwärtig von Shouter Kyle Durfeys Krächzstimme dominiert wird. Referenzpunkt sind daher immer wieder CITY OF CATERPILLAR oder ENVY. „The Lack Long After“ ist dermaßen eindringlich mit Intensität und sprachlicher Direktheit ausgestattet, dass es schwer sein sollte, dieses Maß nochmals zu übertreffen. Auf dem zweiten Longplayer thematisieren alle acht Lieder den Tod von Kyles Vater, der an Multipler Sklerose verstarb. Ohne dabei einem Konzeptalbum nahe zu kommen, ist das Album einzig und allein eine Gefühlsbewältigung, eine Odyssee und Widmung, die an der Realitätsnähe gemessen kaum zu verarbeiten ist. Gitarrist Mike York verschaffte mir kurz nach der vergangenen Europatour am Telefon einen Einblick in die Arbeit der Band und deren selbstlose Akzeptanz und Respekt bezüglich der schwierigen Thematik des Albums.

Mike, im März waren PIANOS BECOME THE TEETH bereits in Europa und Deutschland auf Tour, für den Juli sind längst schon weitere Shows für Europa bestätigt. Ist es nicht ein wenig ungewöhnlich, nach so kurzer Zeit einen Kontinent ein zweites Mal zu besuchen?

Ja, es lag nicht viel Zeit dazwischen. Ein entscheidender Grund dafür, wieder vorbeizuschauen, war, dass wir Anfragen von einem Haufen größerer Festivals bekommen hatten, wie zum Beispiel Ieper Fest, Fluff Fest, Hevy Music Fest, wo wir vorher nicht die Chance hatten, aufzutreten. Wir waren außerdem ziemlich begeistert, auf Festivals in Schweden zu spielen. Außerdem ist es dann Sommer und man muss sich keine Sorgen darüber zu machen, seine Jacke mitzubringen.

Lass uns über „The Lack Long After“ reden. Im ersten Moment macht ihr es dem Hörer ein wenig schwer, aber mit jedem weiteren Hören wächst das Album, und die Songs entwickeln eine einzigartige Harmonie und Intensität. Ist das die Stärke des Albums?

Ich glaube, dass wir einfach ein Album schreiben wollten, auf das wir wirklich stolz sein können. Etwas, bei dem wir fühlen, dass wir seit dem letzten Album gewachsen sind. Was die Intensität des Albums und die Art der Thematik, mit der sich das Album beschäftigt, anbelangt, schätze ich, dass es manchmal für die Leute hart sein kann. Es ist heftig, jemand zuzuhören, der über die letzten Momente eines engen Familienmitglieds spricht – wie derjenige fühlt, wie er versucht, es zu akzeptieren und besser damit klarzukommen. Es ist wirklich ein schwieriges Album, und ich glaube, dass es aufgrund des heftigen Themas hin und wieder abschreckend auf Leute wirkt. Gleichzeitig ist es aber das Album, das wir schreiben wollten. Ob die Leute es mögen oder nicht, ist völlig in Ordnung, aber es ist etwas, auf das wirklich stolz sind.

„The Lack Long After“ ist ein ziemlich „egozentrisches“ Album, wenn man sich die Texte anschaut. Diese behandeln einzig und allein nur ein Thema. Gebt ihr Kyle den Raum, den er braucht für das Songwriting?

Natürlich. Wir als Band schreiben die Musik und Kyle schreibt die gesamten Texte. Wir haben keinerlei Ideen, mischen uns nicht ein und sagen auch nicht: „Vielleicht solltest du diese oder jene Zeile verwenden.“ Es ist vielmehr so, dass er genau weiß, worüber er schreiben will, mit welchem Thema sich die Songs beschäftigen sollen, und wir lassen ihn einfach. Wir geben ihm den Freiraum. Es kam nie vor, dass irgendwer in der Band sich aufdrängte und damit unzufrieden war, wie dieser oder jener Song sich mit dem Thema auseinandersetzt. Wir wollten genau das, was er wollte! Seine Hauptaufgabe ist es, die Texte zu schreiben. Und ich finde, dass er es wirklich gut macht.

Gibt es noch weitere Themen, mit denen ihr euch beschäftigt, Themen, die du auch persönlich einbringen möchtest?

Was das anbelangt, sind wir offen für alles. Ich kann nicht wirklich für Kyle sprechen, ich weiß nicht, woran er so denkt. Wir werden ein weiteres Album schreiben, und ich bin mir sicher, mit was auch immer Kyle um die Ecke kommt, es wird absolut großartig sein. Wir konzentrieren uns darauf, musikalisch das Bestmögliche herauszuholen und Kyle wird die richtigen und passenden Worte für die Texte finden.

Obwohl die Texte keinem wirklichen Reimschema folgen, wirken die Worte auf ihre eigene Art und Weise harmonisch. War es schwierig, die Musik und die Texte in Übereinstimmung zu bringen?

Ich glaube nicht. Kyle hatte schon eine ungefähre Vorstellung, als wir mit Schreiben fertig waren. Er wusste unmittelbar, welche Texte er für welchen Song verwenden wollte. Als ob er sich genau im Klaren darüber sei, was am besten zu jenem Song passen würde. Ich meine, er schreibt permanent – egal, ob es Ideen sind oder ganze Texte. Wann auch immer er eine Idee hat, durchsucht er seine Texte und sagt: „Okay, das ist etwas, das zu diesem Song passen könnte.“

Texte vermitteln oft subjektives Empfinden, „The Lack Long After“ definiert diese Herangehensweise sogar noch um einiges neu, denn die Unmittelbarkeit, Direktheit und Intensität, die das Album vermittelt, ist kaum zu steigern. Es fühlt sich so an, als würde man förmlich neben Kyle sitzen.

Definitiv. Es ist eine verdammt persönliche Platte und ich glaube, wenn sich Leute mit ihr beschäftigen, finden sie immer etwas, womit sie sich identifizieren können.

Was glaubst du, wie viel ihr euren Fans zumuten könnt, und wie waren die Reaktionen bislang?

Alle haben uns bislang unglaublich unterstützt. Ich glaube, dass besonders viele Leute zu Kyle kommen. Es wirkt wirklich so, als seien sie sehr aufgeregt, mit Kyle über seine Texte zu sprechen, und um ihm zu sagen, wie viel ihnen das alles bedeutet. Auf der letzten US-Tour hatten wir ein Interview in New York mit einem Mädchen, das sich das gesamte Album-Artwork hat tätowieren lassen. Es war ziemlich cool zu sehen, dass Leute so weit gehen.

Wir war eure Reaktion, als Kyle euch die Idee unterbreitete, nur über ein Thema zu schreiben?

Das war einfach nur perfekt. Wir konnten uns nichts Besseres vorstellen, und mir selber fällt auch keine bessere Art und Weise ein, das zweite Album abzurunden. Denn wir haben ja bereits auf „Old Pride“ das Thema angerissen. „The Lack Long After“ ist damit eine Art Fortsetzung des letzten Albums.

Durch die Unmittelbarkeit und die Klarheit der Texte ist der Interpretationsspielraum unglaublich beschränkt. Jeder, der sich das Album anhört, geht auf diese oder jene Weise mit Kyles Erfahrungen um. Wolltet ihr verhindern, dass man die Texte unterschiedlich interpretieren kann?

Ich glaube nicht, dass wir irgendwie daran gedacht haben, das ist jetzt keinesfalls böse gemeint, aber es wurde kein Gedanke daran verschwendet, was die Leute wie interpretieren könnten. Wir wollten einfach, dass Kyle genau das schreibt, was er will, und das Album beschreibt genau, wie er sich fühlt, was ihm passiert ist und wie er damit umgeht. Falls es den Leuten gefällt, cool, falls nicht, ist es auch in Ordnung. Denn es ist einfach Kyles persönlicher Raum, um zu erklären, was er alles durchgemacht hat – was ihm in der Vergangenheit, in den letzten zwei Jahren passiert ist. Egal, wie die Leute es auch interpretieren mögen, so ist einfach das Album.

Glaubst du, dass es ein Dilemma ist, auf der einen Seite zu versuchen, mit dem Verlust eines Angehörigen umzugehen und ihn zu bewältigen, und es auf der anderen diesen Verlust dauerhaft aufrechtzuerhalten?

Kyle sagt sogar, dass es Nächte gibt, in denen es hart ist oder hart wird, weil man permanent seine Gedanken wieder dahingehend durchforstet. Aber ich merke, dass einige Leute unterschiedlich mit einigen Sachen umzugehen versuchen, und in Kyles Fall denke ich, dass es einfacher für ihn ist, zumindest diese Worte aus seinem Kopf zu kriegen. Es wirkt so, als würde man mit einem guten Freund reden. Aber anstatt sich zu setzen und loszureden, weiß jeder, dass Kyle es auf ein Blattpapier niederschreiben wird.

Hast du nicht Angst, dass man irgendwann nicht mehr über dieses Thema reden will, so dass es auch nicht mehr nötig ist, darüber zu singen?

Das glaube ich nicht, denn für den Rest seines Lebens wird er seinen Vater vermissen. Ich glaube auch nicht, dass es irgendwann einen Zeitpunkt geben wird, ab dem es für Kyle in Ordnung ist, dass sein Vater von ihm gegangen ist. Anzunehmen ist, dass er immer das Gefühl haben wird, sein Vater sei zu früh, zu jung gestorben. Er wünscht sich einfach, dass es nicht so ist, wie es ist. Mit den Jahren wird es zwar leichter für ihn werden, aber ich denke nicht, dass es je eine Zeit geben wird, in der es wirklich okay sein wird. Über frühere Beziehungen und so etwas kommt man einfacher hinweg, aber man weiß nie, ob man irgendwann damit klarkommt, dass eine nahestehende Person von einem gegangen ist.