PIANOS BECOME THE TEETH

Foto© by Micah E. Wood

Allein mit deinen Gedanken.

Manche Platten sind wie ein Rettungsring, der uns gerade so die stürmische Realität ertragen lässt und der dafür sorgt, dass wir nicht untergehen. Für Musikerinnen und Musiker sind neue Alben oder neue Songs oft wie eine Befreiung von all den Dämonen, die sie umtreiben. Und da Musik auch immer etwas von einem Soundtrack hat, sind es Platten wie „Drift“, die darüber entscheiden können, ob sich etwas nach Happy oder Unhappy End anfühlt. PIANOS BECOME THE TEETH haben mit dieser Platte einen guten Schritt nach vorne gemacht – aber nicht ohne sich dabei mindestens sechs Mal umzudrehen, innezuhalten, nachzudenken, um dann doch im Spurt voranzupreschen. An der Band aus Baltimore führt spätestens jetzt kein Weg mehr vorbei. Gitarrist Michael York versucht den Entstehungsprozess der neuen Songs im Interview zu erklären.

Michael, lass uns doch mit einer ganz banalen Frage anfangen: Was waren eure Absichten, als ihr nach dem Albumzyklus zu „Wait For Love“ wieder ins Studio gegangen seid?

Das ist eigentliche eine ganz interessante Geschichte. „Wait For Love“ war gerade erschienen, und wir hatten schon fast alle Songs für ein neues Album geschrieben. 2019 müssten das so um die zwölf Tracks gewesen sein. Zu der Zeit waren wir in Australien und Asien sowie mit unseren Freunden TOUCHÉ AMORÉ unterwegs gewesen und haben uns immer wieder mit diesen Demos beschäftigt. Wieder zu Hause haben wir uns gefragt, was der nächste Schritt für uns als Band sein müsste – also wo es mit uns musikalisch und inhaltlich hingehen sollte. Die Demos waren okay und hatten sicher auch Potenzial, aber es hat einfach nicht richtig „klick“ gemacht. Brian McTernan, der ein sehr guter Freund von uns ist, hat in dem Proberaumkomplex, wo auch wir proben, sein Studio und er wollte gerade mit seiner Band BE WELL für sechs Wochen auf Tour gehen. Also hat er uns gesagt, dass wir seinen Kram benutzen könnten, um die neuen Sachen aufzunehmen. Wir waren bereit, alles im Alleingang einzuspielen, und als wir mit den ersten Songs anfingen, haben wir gemerkt, dass wir eigentlich noch mal ganz von vorne beginnen müssen. Im wahrsten Sinne des Wortes haben wir alles in die Tonne gekloppt, was wir bis dahin gesammelt haben, und wieder bei Null angefangen. Die Energie dabei fühlte sich enorm gut an und wir haben alles zugelassen. Es war fast so, als hätten wir alle Ideen an die Wand geworfen, um diejenigen zu verwerten, die an der Wand kleben bleiben. So wie bei Pasta, wenn sie genau richtig ist. Das Einzige, was für uns von vornherein feststand, war, dass wir einen großen musikalischen Schritt machen wollten. Unsere Musik sollte mehr interessante Elemente beinhalten, anstatt immer mehr nach „Rockband“ zu klingen. Wir wollten schauen, wie weit wir an unseren Instrumenten gehen konnten. Wir wollten mit den Sounds herumspielen, so dass man schon fast rätseln muss, was man da gerade hört.

Die Platte hat definitiv ihre RADIOHEAD-Momente und das nicht nur, was das Experimentelle angeht.
Das sehe ich auch so. Aber es ist ja auch sehr schwer, einen Post-Rock-Song zu schreiben, der nicht auch ein bisschen nach RADIOHEAD klingt, oder? Wir hatten uns für die Arbeit an den Songs dann für eine Weile in eine Hütte zurückgezogen. Dort habe ich immer ein Aufnahmegerät zur Hand gehabt und alles aufgenommen, was ich gerade gehört habe. Sei es den Regen, das Heulen einer Eule oder das Knarzen des Bodens. Ganz viel davon findet sich nun auf „Drift“ wieder, was die Platte meiner Meinung nach besonders spannend macht. Es gibt immer wieder viel zu hören, viel zu entdecken. Und da haben wir noch gar nicht von den Texten gesprochen.

Ihr vergleicht „Drift“ mit einer langen Nacht. Die Songs gehen nahtlos ineinander über und bis auf „Hate chase“, das wie eine Energie-Explosion gegen Ende der Platte wartet, ist die Atmosphäre, die ihr erzeugt, unheimlich dicht. Dafür sind die Songs jedoch so kurz wie nie.
Wir hatten Ideen für knapp dreißig Songs, als wir wieder aus der Waldhütte herauskamen. Wie gerade schon gesagt, wollten wir vor allem einen großen Entwicklungsschritt machen, was uns als Band betrifft. Es hat sich schnell herauskristallisiert, dass die zehn Songs, die es am Ende auf das Album schaffen würden, wie ein einziger Fluss wirken mussten und wir sie bis zum Ende der Aufnahmen noch entwickeln konnten. Es war ungefähr so, als hätten wir die neuen Songs eingeatmet, kurz innegehalten, noch mal überlegt und dann quasi auf Band ausgeatmet. In diesem Prozess ist sehr viel passiert und wir haben uns mehr getraut als je zuvor. Zu „Hate chase“ kann ich sagen, dass ich den Song liebe. Er steht so für sich, ist extrem kurz für unsere Verhältnisse und danach macht „Drift“ einfach homogen weiter.

Also sollten wir uns die Platte auch am besten nachts anhören?
Abends, in der Nacht oder natürlich auch gerne am Tag. Jede oder jeder hat einen anderen Zugang zu Musik. Ich kann aber versprechen, dass „Drift“ etwas mehr Aufmerksamkeit braucht als unsere alten Screamo-Veröffentlichungen. Und nachts ist es ja meistens so ruhig, dass wir uns besser auf das Hören konzentrieren können. Wenn du mal morgens um vier Uhr genau hinhörst, passieren da Dinge, die tagsüber im Lärm des Alltags untergehen. Außerdem hat die Nacht etwas Ernüchterndes: Wir nehmen nur das wahr, was in unserer Nähe passiert beziehungsweise worauf wir uns konzentrieren. Manchmal kann das auch sehr gefährlich werden, wenn wir uns auf Gedanken konzentrieren, die nicht wirklich gut für uns sind. „Drift“ würde definitiv nicht in die Sonne passen. Das wäre viel zu grell. Ich selbst tendiere auch dazu, hauptsächlich solche Musik zu hören, die mich komplett einnimmt. Selbst wenn irgendwas im Hintergrund dudelt, konzentriere ich mich darauf und finde es spannend. Natürlich kommt das auch auf die Songs an, aber mir ist es wichtig, dass dich die Musik von PIANOS BECOME THE TEETH immer dafür belohnt, dass du ihr deine Aufmerksamkeit schenkst.

Ihr setzt instrumental eigentlich schon den Grundton für „Drift“, dazu singt Kyle unheimlich melancholisch und hebt die Stimmung nicht unbedingt. Tauscht ihr euch auch bei den Lyrics untereinander aus?
Wir sind gute Freunde und ich habe miterlebt, was Kyle in den letzten Jahren alles durchgemacht hat. Wir sprechen natürlich auch über die Texte.

Findest du es wichtig, dass die Hörerinnen und Hörer wissen, wovon die Songs handeln?
Es macht immer Sinn, ein paar Hinweise zu geben, wohin es auf der Platte eigentlich gehen soll. Jedoch bezieht sich das nur auf das Musikalische. Die Texte deuten wir ja alle irgendwie unterschiedlich und auf ganz individuelle Weise. Wir machen mit der Musik, was wir wollen. Je weniger wir dabei an die Hand genommen werden, umso größer ist die emotionale Beziehung zu dem, was wir da gerade hören. Je mehr wir von uns als Hörerinnen und Hörer in die Songs interpretieren, desto persönlicher, desto schöner wird es. Wir als Band wollen nicht vorgeben, was jemand bei unserer Musik zu fühlen hat.

KISS singen in „Creatures of the night“: „Don’t know where we’re goin’ / Just know where we’ve been / Remember when the clock strikes twelve / The losers always win“. Lässt sich das irgendwie auch auf PIANOS BECOME THE TEETH übertragen?
Haha, das ist interessant. Also der erste Teil passt sicherlich ganz gut. Manchmal wissen wir wirklich nicht, wohin es uns zieht. Andererseits sind wir uns mit „Drift“ auch noch mal bewusst geworden, woher wir kommen. Es hat schon fast etwas davon, dass sich mit dieser Platte für uns ein Kreis schließt. Und wenn es Mitternacht ist, fühle ich mich manchmal so schlapp, dass ich mir wie ein Loser vorkomme. Vielleicht kann ich nicht unterschreiben, dass ich immer gewinne, aber ich bin definitiv ein Geschöpf der Nacht. Und „Drift“ ist genau die Platte, die du dir um drei Uhr morgens beim Spaziergehen durch die Stadt anhören kannst. Niemand ist auf der Straße und du bist ganz allein mit den Songs und deinen Gedanken.