Vor einigen Tagen ist Kyle Durfey zum zweiten Mal Vater geworden. Dementsprechend muss der PIANOS BECOME THE TEETH-Sänger erst seine Gedanken sortieren und zeitliche Räume schaffen, wenn es um seine Band geht. Aber selbst wenn privat die Sonne scheint, erkundet Kyle auch auf dem fünften Album die Abgründe und Schattenseiten seiner Existenz. Nur klingt das bei der Band aus Baltimore mittlerweile ganz anders als auf dem verzweifelten Meilenstein „The Lack Long After“ von 2011, aber auch nicht mehr wie die jüngeren Werke „Keep You“ und „Wait For Love“, die bereits eine Zäsur markierten.
Neben all dem, was gerade in deinem Leben passiert, wie aufregend ist da noch eine Albumveröffentlichung für dich?
Oh, das ist immer noch eine sehr emotionale Sache. Auch wenn meine Texte nicht mehr so leicht zu entschlüsseln sind wie früher, ist das, was ich mache, immer noch absolut ehrlich und untrennbar mit meinem Leben verbunden. Jedes Mal, wenn wir an einem neuen Album arbeiten, habe ich den Anspruch, mich verwundbar zu machen. Wenn ich nicht das Gefühl habe, die Leute an meinem Leben teilhaben zu lassen und ihnen einen Einblick zu gewähren, habe ich in meinen Augen einen schlechten Job gemacht. Es darf sich nicht leicht anfühlen.
Für einen Menschen, der mitten im Leben steht, sind auf „Drift“ immer noch eine Menge Dunkelheit und Selbstzweifel rauszuhören.
Ich habe das Gefühl, dass diese Traurigkeit und die Melancholie einfach zu uns gehören. Dieser Vibe zieht sich durch alle Elemente unserer Musik.
Aber geht mittlerweile auch ab und zu mal das Licht an?
Da sind Licht und Schatten gleichermaßen. Genau darum geht es bei diesem Album: Beide Komponenten sollen ihren Platz bekommen und keine die Überhand gewinnen.
Inhaltlich zeichnest du dabei ein introvertiertes Bild deiner selbst. Welches Verhältnis hast du zu deiner Rolle als Frontmann einer Rockband?
Ich habe mich daran gewöhnt. Wenn wir alle fünf zusammen auf der Bühne stehen, kann ich in dieser Einheit ein wenig verschwinden. Es ist immer noch ein eigenartiges Gefühl, mich vor Publikum zu offenbaren, doch ich fühle mich nicht mehr unwohl – rufe den Leuten aber auch nicht zu: Hey, seht mich an!
Trotzdem stehst du bei allen Videos zum neuen Album klar und meist allein im Mittelpunkt.
Jeder in der Band hatte so viel zu tun, dass irgendwann die Zeit knapp wurde, und dann konnten wir kurzfristig keinen Videoregisseur finden. Daraufhin fragte ich unseren Gitarristen Mike und seine Frau, ob wir nicht etwas versuchen wollen, was vielleicht cool aussieht, und das hat dann auch funktioniert. Ein Vorteil, die Sache selbst zu machen, lag darin, dass ich mit ihnen keine Probleme hatte, mich verletzlich zu fühlen. Ich musste niemand Außenstehendem Ideen erklären, die sich eventuell als nicht gut entpuppen.
Ist das der Grund, warum ihr bei der Produktion wieder mit Kevin Burnstein, dem Produzenten von „The Lack Long After“, zusammengearbeitet habt?
Genau. Er ist seit damals einer unserer besten Freunde geblieben und ein Unterstützer der Band. Wir mögen seine Arbeitsweise, aber auch die Tatsache, dass er nur fünf Minuten die Straße runter von mir wohnt. Das hat uns die Arbeit deutlich erleichtert, denn nach einer ersten Phase, die wir zusammen im Studio verbracht haben, haben wir, aufgrund unserer privaten Zeitpläne, meist getrennt voneinander gearbeitet. Darüber hinaus hat er auch verstanden, dass wir unseren Sound ständig erweitern und mit jeder Platte eigenwilliger werden wollen. Dieses Verständnis unserer Band spiegelt sich nun auch in dem grandiosen Sound des Albums wider.
Tatsächlich hat sich euer Sound mit „Drift“ erneut hörbar geändert. Dass ihr offenbar kein Interesse mehr daran habt, Singles zu schreiben, ist da nur eine Feststellung.
„Drift“ ist definitiv spezieller. Natürlich fordern wir uns mit jedem Album aufs Neue heraus und wollen den Sound erkennbar verändern, trotzdem ist das Ziel aber auch PIANOS BECOME THE TEETH zu bleiben. Unser Anspruch ist, jede Art von Song schreiben zu können, härter, ruhiger, launischer, und trotzdem nie unseren eigenen Kosmos zu verlassen. Dieses Mal war es eben nicht unser Plan, Singles zu schreiben, sondern dass der Vibe die Leute fesselt.
Tatsächlich hat man schnell den Eindruck, dass die Atmosphäre auf „Drift“ stark im Zentrum steht.
Exakt. Uns war das kohäsive Gefühl von Anfang bis Ende extrem wichtig, dass die Songs eine wirkliche Einheit bilden und keiner wichtiger ist als der andere. Dementsprechend haben wir auch eine halbe Ewigkeit an der Tracklist gearbeitet, damit die Stücke entsprechend ineinanderfließen und nicht wie zufällig nebeneinander stehen.
Bist du eher überrascht, dass ihr bereits euer fünftes Album veröffentlicht, oder war es eine lange beschwerliche Reise, die euch in den Knochen steckt?
Wenn ich unsere musikalische Entwicklung betrachte, ist es definitiv logisch, dass wir fünf Alben gebraucht haben. Nimmt man allerdings unsere Arbeitsweise in den Fokus, ist es schon eher überraschend. Andere veröffentlichen alle zwei Jahre ein neues Album, schon allein, um die Maschine am Laufen zu halten. Aber so eine Band waren wir nie. Wir könnten auch nie so funktionieren. Drei bis vier Jahre ist unsere Zeitspanne. Wir müssen erst ein bisschen leben, bevor wir wieder eine neue Platte schreiben können.
Wie viele Alben könnt ihr noch veröffentlichen, bevor ihr zu alt für die Post-Hardcore-Szene seid?
Was meine Geisteshaltung betrifft, fühle ich mich sehr wohl da, wo ich bin. Ich liebe es, in einer Band zu sein, und die Jungs sind meine besten Freunde. Das kann bis zu meinem Tod so weitergehen. In welcher Taktzahl das passiert, kann ich allerdings nicht sagen. Je länger aber die Band besteht, umso mehr gewinnt unser Leben außerhalb davon die Oberhand. Zum Glück ist es aber heutzutage ein Leichtes, sich gegenseitig Tracks hin- und herzuschicken, so dass man nicht immer in einem Raum sein muss, um gemeinsam Musik zu machen.
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