PETROL GIRLS

Foto© by Martyna Bannister

Antonyme von Stagnation

TRIGGERWARNUNG
Das folgende Feature enthält unter anderem Aussagen über die Themen mentale Gesundheit und häusliche Gewalt. Für Betroffene und Angehörige gibt es die Möglichkeit, mit einer Vielzahl an öffentlichen Beratungsstellen in Kontakt zu treten.

Die Band hat sich in den letzten Jahren als Synonym für musikalisch-politischen Aktivismus, gelebten Feminismus und Gleichberechtigung etabliert. Wir sprechen mit der Sängerin Ren Aldridge über mentale Downs, soziale Ungerechtigkeit und den aktuellen Stand bezüglich Binarität.*


Die neue Platte „Baby“ setzt an dem Punkt an, an dem PETROL GIRLS – nach ihrem wütenden Aufschrei mit der 2019er Veröffentlichung „Cut & Stich“ – kurz eine Atempause eingelegt haben. Lauteten die letzten Zeilen „We’re not finished, we never fucking will be“, so hält die Band ihrem eigenen Credo Stand. Und auch wenn sich die Band bis heute als feministisch, antifaschistisch, und antikapitalistisch taggen würde, haben sie definitiv gelernt, ihre Schwerpunkte zu verlagern. „Ich denke, man kann hören, wie wichtig Freude und Spaß sind, um nicht nur den Aktivismus, sondern auch das Leben zu erhalten!“, so Ren.

Die inzwischen beinah vollständig in Österreich wohnhafte Band (mit Ausnahme des Studio-Bassisten Robin Gatt) hat auf „Baby“ musikalisch und konzeptuell auf dem Absatz kehrt gemacht: „Wir wollten uns von dem großen, epischen, dramatischen Sound wegbewegen und inhaltlich spielerischere Wege finden.“ Neue Herangehensweisen bestimmten auch den Entstehungsprozess der Platte, so produzierte die Band eine größere Anzahl an Songs und nutzen diese als Keimzelle eines universalen Soundkonzepts. Im Kern stand hierbei nicht nur die „Idee des Minimalismus“, sondern auch der Fokus auf Wiederholung, Groove und zugleich „plötzliche Energiewechsel“.

PETROL GIRLS balancieren dabei inhaltlich stets auf dem Grat zwischen purem Protest und persönlichen, emotionalen und vor allem auch nahbaren Facetten, die sich stets in den Lyrics spiegeln. „Ich mache mir verdammt viele Gedanken über die Texte und bin eine absolute Perfektionistin, so dass ich am Ende immer gezwungen bin, sie endlich fertigzustellen, wenn ich die Vocals aufnehmen muss!“

„Ich hatte eine ziemlich spektakuläre depressive Episode, die fast den ganzen Winter und Frühling 2021 andauerte. Es gab ein paar wirklich schlimme Wochen, in denen ich jeden Morgen gegen fünf Uhr voller Angst aufwachte und schluchzte und schrie“, berichtet die Sängerin.

Gerade in den pandemischen Zeiten war die monetäre Situation von vielen Musiker:innen reichlich ungewiss. Schlecht bezahlte Nebenjobs trafen auf fehlende Anerkennung und Existenzängste. Doch auch in nicht-pandemischen Zeiten, zeigt(e) sich bereits eine elementare Krux der modernen Arbeitswelt. Burnout ist eine Thematik, die sich auf „Baby“ immer wieder finden lässt. „Ich denke, dass sich immer mehr Menschen unserer Generation in sehr unsicheren Arbeitsverhältnissen befinden, was bedeutet, dass wir unermüdlich arbeiten müssen, um über die Runden zu kommen“, so Ren. Dass mentale Probleme jedoch nicht nur durch Missstände auf der Individualebene befeuert werden, zeigt auch die aktuelle Verfasstheit der Gesellschaft. „Ich finde, dass ein großer Teil des Diskurses über psychische Gesundheit keine Klassenanalyse enthält. Es heißt immer: ‚Nimm ein Bad‘, und ja, das ist eine köstliche Art der Dekompression, aber das löst keines der strukturellen Probleme.“ Im Zuge von Rens schwieriger mentaler Phase entstand lediglich der Track „Bones“ – dieser symbolisiert unter anderem die enge Verbindung zwischen der Sängerin und ihrem musikalischen Output – „als ich zu den Strophen kam, wurde mir klar, welch großen Einfluss diese Band und all die Opfer, die sie gebracht hat, auf mich hatten. Punkrock hat mit Sicherheit mein Leben ruiniert, aber hat es auch gleichzeitig gerettet.“
Die Britin betont jedoch auch den plakativ vollkommen verfälschten Euphemismus des kreativen Ertrags aus individuellen Miseren: „Was ich auf jeden Fall klarstellen möchte, ist, dass meine Kreativität und mein Beitrag zu dieser Platte nicht daher rühren, dass es mir schlecht ging – wie es so oft bei Musiker:innen romantisiert wird – sondern daher, dass es mir besser ging.“

Ehrlichkeit und die unvermeidliche Negation einer stillen Akzeptanz sind ein absolutes Markenzeichen der PETROL GIRLS. „Baby, I had an abortion“ stellt dies erneut heraus: Ren, die 2018 selbst eine Abtreibung hatte, setzt sich nicht nur für die Endtabuisierung des Themas ein, sondern auch ein sarkastisches Zeichen gegen Abtreibungsgegner:innen. „Ich wollte etwas darüber schreiben, dass ich mich nicht schäme oder es bereue, und ich wollte, dass es poppig und witzig klingt.“ Trotz ihres künstlerischen Anspruchs und den inszenierten Zeilen, verliert die Band dabei nie die Realität aus den Augen. Das aktive politische Interesse und Aufzeigen von Missständen zeigt sich in allen Tracks, wie auch bei „Fight for our lives“, in dem die Aktivistin Jane Starling gefeaturet wird. So nimmt die Zeile „We demand that the media stops perpetuating the narratives that kill us and robbing dead women of dignity“ direkten Bezug auf die Arbeit der Aktivistin und die erstellten medialen Richtlinien aus der populären „Level Up“-Kampagne, die patriarchalische Narrative in der Berichterstattung kritisiert. Und auch der Song „Violent by design“ nimmt eine polit-gesellschaftliche Stellung gegen karzeralen Feminismus ein und beinhaltet die Beschäftigung mit abolitionistischer Politik.

„Let’s enjoy our gender prison“ (aus „One or the other“)

Eine Facette in patriarchalen Machtverhältnissen ist in der Kontextualiserung der Band vor allem auch das Verständnis von Binarität: „Selbst in Gemeinschaften, in denen wir die Geschlechtertrennung aktiv infrage stellen, kann man binäre Denkweisen auf andere Weise sehen. Es ist wie diese heimtückische Idee, dass Menschen entweder gut oder böse sind.“ Dieses Verständnis von Geschlechterrollen sieht Aldridge als eines der elementaren Probleme: „Sie sind die Grundlage für so viel Gewalt. Und deshalb ist die Trans-Gemeinschaft ein so wichtiger Teil der feministischen Bewegung – sie steht an vorderster Front, wenn es darum geht, dieses Binärsystem niederzureißen, weil es ihre tägliche Realität ist.“

Wie sehr jeder einzelne Track der Platte hinter den Idealen und Kritikpunkten der Band steht, lässt sich abschließend in ihrem Wunsch für die Zukunft zusammenfassen: „Das Ende des Kapitalismus und insbesondere der Idee des Wirtschaftswachstums“ – oder zumindest das bedingungslose Grundeinkommen. In diesem Sinne – Viva la revol... PETROL GIRLS!