Jahrelang war es um NEW MODEL ARMY aus Bradford, England still und zeitweise gab es sogar Gerüchte, dass sich die Band um den charismatischen Sänger Justin Sullivan aufgelöst hätte. Doch allen Unkenrufen zum Trotz meldeten sich NEW MODEL ARMY im März mit ihrem neuen Album "Eight" im Gepäck zurück und die Tour durch Deutschland kann man getrost als überaus erfolgreich bezeichnen. Fast sämtliche Konzerte waren schon im Vorfeld ausverkauft und viele Fans blieben vor der Tür. In Göttingen hatte ich Gelegenheit, mit Justin zu sprechen. Und obwohl der Interview-Termin aus zeitlichen Gründen platzte und es nur zu einer Pressekonferenz kam, hatte Justin eine Menge zu erzählen. Aus Platzgründen können hier leider nur einige Apekte beleuchtet werden. Bemerkenswert ist, mit welchem Enthusiasmus Justin von dem neuen Album erzählt, was man auf der Bühne deutlich spürt. NMA präsentieren sich live mit einer Spielfreude und Energie, die so manche Punk- oder HC-Band alt aussehen lässt.
Zweifelsohne hatten NMA ihre grössten Erfolge in den Jahren 1985 bis 1989 mit den Alben "The Ghost Of Cain" und "Thunder And Consolation", die beide auf EMI erschienen. Doch kann auch nicht verschwiegen werden, dass gerade wegen des Wechsels zum Major EMI viele Fans aus den Anfangstagen der Band den Rücken kehrten. Dazu meint Justin: "Nun, wir hatten zu der Zeit keine Wahl. Es war einfach kein Geld da, aber wir wollten Musik machen, touren und so weiter, und dies gab uns die Möglichkeit, das zu machen. Unser damaliges Label hatte nicht genug Geld. Und für uns war es wichtig, bestimmte Sachen wie z.B. das Artwork zu machen und dafür war nicht genug Geld da. Auch bei EMI haben wir nicht viel Geld verdient, aber es gab uns die Möglichkeit, mehr zu realisieren."
Nach einem kurzen Ausflug zu Sony gründeten NMA 1997 das bandeigene Label Attack Attack, auf dem sie im selben Jahr das Album "Strange Brotherhood" veröffentlichten. Entgegen der bis dato erschienen Platten überraschte das Album viele Kritiker. Die Songs wirkten strukturierter und teilweise überproduziert. Einen grossen Anteil daran hatte Drummer Robert Heaton, der im Gegensatz zu Sänger Justin mehr Wert auf den Sound legte. 1998 stieg Robert aus gesundheitlichen Gründen aus der Band aus und wurde durch Michael Dean ersetzt. Mit ihrem aktuellen Album "Eight" beschreiten NMA nun musikalisch neue "alte" Wege. Die Songs sind wieder "straighter" und einfacher geworden. Die Gründe dafür schildert Justin folgendermassen:
"Es war halt so, dass wir bei "Strange Brotherhood" viel Zeit im Studio verbracht haben und Robert sehr viel Wert auf die Produktion gelegt hat, was mir nicht so gut liegt. Im Nachhinein sehe ich es so, dass wir beide mit dem Album "Thunder And Consolation" unseren gemeinsamen kreativen Höhepunkt erreicht hatten. Danach haben wir uns musikalisch immer mehr "auseinander" entwickelt. Jetzt, wo Robert nicht mehr dabei ist, können wir uns wieder freier entfalten, aber wir sind immer noch gute Freunde. Robert ist mittlerweile wieder genesen und arbeitet an seinem eigenen Projekt THE GARDENERS O EDEN (Anm.: Wo auch der alte Bassist Stuart Morrow musikalisch wieder aktiv ist.). Bei mir ist es nun so, dass für das Album "Eight" die Songs einfach so aus mir herausgesprudelt sind und ich daran viel Spass hatte. Wir haben nur sehr wenig Zeit im Studio verbracht und an den Songs gefeilt. Ich habe nicht viel über die Songs nachgedacht, es war eine Idee da und die wurde so schnell wie möglich aufgenommen. Das sind die besten Songs, wenn sie einfach aus mir raus fliessen... "You Weren´t There" ist zum Beispiel in einer extrem kurzen Zeit entstanden...Und Michael, der neue Drummer, und Dean White, der Keyboarder, hatten bei einigen Songs viel Einfluss und Ideen eingebracht. Es ist alles viel frischer und lebendiger. Der Song "Flying Through The Smoke" stammt übrigens noch von Robert und mir..."
Mit dem Song "You weren´t there" dürften NMA wohl die meisten Leute überrascht haben, da hier deutlich HipHop-Spuren zu hören sind. Justin dazu: "Ich hasse Rockmusik, Rockmusik ist tot... Mit Punk hatte Rockmusik noch mal einen Höhepunkt, aber nun ist sie endgültig tot und langweilig. Persönlich bevorzuge und höre ich viel HipHop, Drum´n´Bass und solche Sachen. HipHop zum Beispiel ist die Sprache der Neunziger. Und ich mag den Song YWT besonders, seine Einfachheit. Es macht mir enorm viel Spass, ihn auch live zu spielen. Als wir im November für drei Konzerte in Deutschland waren, hatten wir eine junge HipHop-Band im Vorprogramm. Ich wollte sie unbedingt haben und spielen lassen. Das Publikum hat sie gnadenlos ausgepfiffen, aber sie haben ihr Ding eisern durchgezogen und sich nicht beirren lassen. Das hat mir gefallen."
Musikalisch haben sich NMA verändert, aber auch die Texte haben sich im Laufe der Jahre gewandelt. Waren sie früher eher politisch oder kritisch, sind die Texte nun "persönlicher" geworden.
"Das liegt daran, das ich nicht das Gleiche machen will, ich will mich nicht wiederholen. Ein Song wie "Vengeance" oder "51st State" sagt alles. Ich stehe nach wie vor dazu, aber ich brauche mich nicht wiederholen. Die Texte, die ich jetzt schreibe, unterscheiden sich im Gegensatz zu früher, das ich jetzt Erlebtes, Gelesenes und Fiktion vermische. Das macht den Unterschied."
In dem Song "Snelsmore Wood" geht es dann aber doch um etwas "Reales". Neben der musikalischen Aktivität ist Justin auch politisch aktiv: "In dem Song geht es um die Demonstrationen und Baumbesetzungen gegen einen geplanten Strassenbau durch ein unberührtes Naturschutzgebiet in England. Wir haben die Bäume besetzt und Tunnel gegraben, um sie am Bau der Strasse zu hindern. Letztendlich haben sie die Strasse gebaut, aber es hat viel Zeit und Geld in Anspruch genommen, uns da wegzukriegen. Und da habe ich dann auch meine Haare verloren, haha..."
Einmalig dürfte wohl auch das "Following" von NMA sein. Mit dem sogenannten "Following" haben NMA eine sehr treue Fangemeinschaft, die der Band quer durch Europa auf alle Konzerte folgen und auf den Konzerten werden oft bestimmte Songs vom Publikum gefordert.
"Wir haben auf "Thunder And Consolation" einen Song gemacht, "Vagabonds", der mehr oder weniger diesen Leuten gewidmet ist. Ich kenne einige von ihnen und irgendwie gehören sie dazu, aber es ist halt ihr Ding. Und im Laufe der Jahre wechseln die Gesichter auch. Einige ältere sind nicht mehr soviel unterwegs, aber es folgen immer neue Gesichter, einige kenne ich und habe auch persönlichen Kontakt, andere wiederum nicht... Uns ist jeder Fan wichtig und wir versuchen immer, eine gute Show zu machen. Was die Songs betrifft, ist es so, dass wir uns nicht darum kümmern, was das Publikum fordert. Wir spielen das, was uns gerade in dem Moment Spass macht und was uns nicht gefällt, spielen wir nicht. Es ist zum Beispiel mit dem Song "51st State" so, dass es mir lange Zeit keinen Spass gemacht hat, ihn live zu spielen. Jetzt macht es mir wieder Spass und er ist ja textlich gesehen auch immer noch aktuell, also spielen wir ihn wieder live."
Im Sommer werden NMA wieder auf einigen grossen Festivals vor mehreren tausend Leuten spielen. "Ich liebe es einfach, auf der Bühne zu stehen, zu touren und zu Reisen, egal ob auf einem grossen Festival oder in kleineren Hallen. Hauptsache ich kann spielen. Und ich bin ja nicht nur mit NEW MODEL ARMY auf Tour, sondern auch noch mit RED SKY COVEN und solo."
Bei RED SKY COVEN handelt es sich um ein Projekt von Justin Sullivan, Joolz und Rev Hammer, das ebenfalls schon seit einigen Jahren besteht. Joolz ist unter anderem bekannt durch die Covergestaltung der NMA-Alben. Aber auch als Autorin von Gedichten und Krimis hat sie sich einen Namen in England gemacht und konnte letztes Jahr für ihre Novelle "Stone Baby" einen hochdotierten Preis gewinnen und hält im Mai und Juni mehrere Vorlesungen in Deutschland.
Und daneben ist Justin auch noch solo regelmässig auf Tour. Bleibt da noch Zeit für Privates? "Ich lebe mit Joolz, Warren (unter anderem verantwortlich für Wooltown Records, das RED SKY COVEN-Label), Spot und unseren Katzen in einer Wohngemeinschaft in Bradford. Eines meiner Hobbies ist halt das Reisen und durch die Musik bin ich ja ständig unterwegs. Daneben lese ich gerne, höre Musik... In unserem Haus stapeln sich überall Bücher und Platten und ich liebe das Meer, dafür bleibt genug Zeit."
Da NEW MODEL ARMY ja auch im Internet mit einer Website vertreten sind, auf dessen Noticeboard rege Aktivität herrscht, stellt sich die Frage, wie Justin zu dem nicht mehr ganz so neuen Medium steht. "Es ist halt ein Medium wie zum Beispiel das Telefon und es öffnet natürlich viele Möglichkeiten, die ganze Welt ist dadurch auch ein bisschen "kleiner" geworden. Und viele mehr Leute können so auch miteinander kommunizieren. Mir selber bleibt aber wenig Zeit, um mich dort rumzutreiben und wie gesagt, ich lese gerne und unterhalte mich gerne persönlich mit Menschen. Aber ich habe auch definitiv nichts gegen das Internet."
Nun stehen NMA seit fast 20 Jahren auf der Bühne, wird das nicht irgendwann langweilig? "Nein, sonst hätten wir bestimmt schon aufgehört. Sicher gibt es Tiefs, aber es macht trotzdem immer wieder Spass und das überwiegt. Wir werden solange auf der Bühne stehen, wie es uns Spass macht."
Und dass es ihnen Spass macht, davon wird sich im Sommer der eine oder andere sicher überzeugen können. Im Oktober 2000 feiern NEW MODEL ARMY übrigens ihr 20-jähriges Bühnenjubiläum und geben nach den Festivals im Sommer noch ein Jubiläumskonzert in Deutschland, voraussichtlich in Düsseldorf.
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