35 Jahre ist es her, dass die ehemaligen GREEN RIVER-Bandkollegen Mark Arm und Steve Turner MUDHONEY gründeten. Mit ihrer ersten Single „Touch me I’m sick“ und der nachfolgenden „Superfuzz Bigmuff“-EP lieferten sie dann gleich die Blaupause für ein ganzes Musikgenre. Unzählige Male wurde seitdem gerätselt, weshalb ausgerechnet die nicht oben auf dem Heuwagen gesessen haben, der wenige Jahre später durch ihre Heimstadt Seattle fuhr. Diese Frage haben sich die Bandmitglieder selber nie gestellt. Über 35 Jahre in nahezu unveränderter Besetzung zusammenzuarbeiten, ist für sie der eigentliche Erfolg. „Wir mögen uns und wir mögen es, zusammen in einer Band zu sein“, erklärt Sänger und Gitarrist Mark Arm das Erfolgsrezept der Band. Mit ihm unterhalte ich mich über das elfte Studioalbum „Plastic Eternity“.
Mark, was hast du am Neujahrstag 2023 gemacht?
Lass mich in meinen Kalender schauen. Ich weiß es nicht. Wenn überhaupt, sind wir zu einem Freund gegangen.
Meine Frage zielte auf den 35. Geburtstag von MUDHONEY ab.
Richtig, richtig. Es war wie jedes Jahr. Die erste Person, die sich daran erinnert, schickt die obligatorischen Glückwünsche raus.
Und dann seid ihr zu der neuen Tunnelbohrmaschine gegangen, die nach euch benannt ist, und habt gesagt: Schaut mal, was wir in den letzten 35 Jahren erreicht haben!
Wir waren dabei, als sie in den Boden gelassen wurde. Aber jetzt kann man sie nicht mehr sehen.
Kannst du bitte noch einmal erklären, wie ihr zu dieser Ehre gekommen seid?
Die Stadt Seattle arbeitet an mehreren großen Infrastrukturprojekten, die verhindern sollen, dass giftige Abwässer in den Ozean und in die Seen gelangen. Für die Maschine, die den Abwassertunnel zwischen den Stadtteilen Ballard und Fremont bohrt, wurde ein Namenswettbewerb veranstaltet. Dabei wurde Mudhoney als Name für die Abwassertunnelbohrmaschine ausgewählt, was wiederum ein guter Albumtitel gewesen wäre.
Es gab mehr als tausend Namensvorschläge, mehr als 30.000 Leute haben abgestimmt und am Ende habt ihr euch durchgesetzt gegen ziemlich starke Konkurrenz wie zum Beispiel Sir Diggs-a-Lot.
Stimmt! Fünf Namen kamen in die engere Wahl. Die Leute aus unserem Umfeld haben dann in den sozialen Medien ordentlich die Werbetrommel für uns gerührt. Ich selber bin nicht in den sozialen Medien aktiv, aber ich habe auf jedem einzelnen Computer hier im Sub Pop-Warehouse abgestimmt. Es wurde also auch ein wenig geschummelt.
Dabei habt ihr euch seinerzeit gar keine großen Gedanken um den Namen der Band gemacht. Russ Meyer wäre stolz auf euch.
Haha! Wohl nur, wenn die Tunnelbohrmaschine gigantische Brüste hätte. Wir hatten den Film damals nicht gesehen, aber den Namen fanden wir großartig.
Sub Pop feiert 2023 ebenfalls seinen 35. Geburtstag. Ist eine besondere Jubiläumsveranstaltung geplant wie vor fünf und zehn Jahren?
Erst mal müssen die Nachwirkungen von Corona vollständig überwunden werden. Vielleicht feiern sie den Vierzigsten, aber dann sind wir wohl schon zu alt oder sie müssen uns im Rollstuhl auf die Bühne schieben.
Mittlerweile arbeitet ihr mit Fünfjahresplänen: 2008 – 20. Jubiläum: „The Lucky Ones“; 2013 – 25. Jubiläum: „Vanishing Point“; 2018 – 30. Jubiläum: „Digital Garbage“; 2023 – 35. Jubiläum: „Plastic Eternity“.
Das war so nicht beabsichtigt. Zwischendurch haben wir auch an einem MONKEYWRENCH-Album gearbeitet, wovon MUDHONEY ein wenig in den Hintergrund gedrängt wurden. Und natürlich hat die Pandemie alles um ein paar Jahre verzögert. Über einen längeren Zeitraum konnten wir nicht gemeinsam an Songs arbeiten. Guy Maddison, unser Bassist, war zu der Zeit Krankenpfleger im Harborview Medical Center. Er steckte also mittendrin und der Rest der Band hatte Angst um sein Leben. Als wir dann auf Tour gegangen sind, hat das Virus jeden von uns erwischt.
In 35 Jahren hat es innerhalb der Band einen einzigen Wechsel gegeben von Matt Lukin zu Guy Maddison am Bass. Jetzt ist Guy zurück nach Australien gezogen. Was ändert sich dadurch für euch?
An der Zusammensetzung der Band ändert das nichts. Es macht es nur schwieriger, lokale Shows zu spielen. Die konnte man bislang immer kurzfristig einstreuen. Von nun an werden wir langfristig planen müssen. So haben wir uns im Herbst ein paar Tage vorher getroffen und gemeinsam geprobt, bevor wir auf Europatour gegangen sind. Genauso werden wir es machen, wenn es im April in Australien und im Herbst in den USA auf Tour geht.
Laut Sub Pop hat euer neues Album „Plastic Eternity“ die „Absurditäten des modernen Lebens zum Gegenstand, die ständigen Angriffe auf unsere Intelligenz und unseren Planeten mit einem scharfen Blick auf die Nichtigkeiten dieser Welt“. Zu einigen dieser Themen hattest du bereits auf „Digital Garbage“ Stellung bezogen und anschließend gesagt: „Ich habe versucht, die Dinge einigermaßen universell zu halten. Einiges davon wird hoffentlich verschwinden. Du willst später nicht sagen müssen: Großartig! Diese Texte sind immer noch relevant.“ Müssen wir uns fünf Jahre später mit der De-evolution abfinden?
Haha, unser neues Album ist nicht so offen politisch, wie es „Digital Garbage“ war. Einige dieser Aspekte sind zwar vorhanden, ich habe aber das Gefühl, dass einige der Songs etwas psychedelischer sind. Wir werden also zu Hippies.
Aber ich kann dir trotzdem vertrauen?
Vielleicht.
Psychedelische, atmosphärische Elemente à la HAWKWIND, 13TH FLOOR ELEVATORS oder BLUE CHEER waren ja immer schon Teil eurer musikalischen DNA. Phasenweise fühle ich mich auch an Alben wie „Since We’ve Become Translucent“ und „Under A Billion Suns“ erinnert.
Definitiv! Diesmal sind wir sogar noch einen Schritt weiter zurückgegangen bis zu SAM GOPAL, der Band, in der Lemmy vor HAWKWIND gespielt hat.
Aus dem Arbeitstitel „Gopal“ ist dann „Almost everything“ entstanden. Kannst du etwas zu dem Video erzählen? Es wirkt beinahe „trippy“.
Das stammt von Arturo Baston, einem Regisseur, der in Barcelona lebt. Er hat bereits Videos für METZ und THEE OH SEES gedreht. Wir kannten ihn vorher nicht, aber ich finde seine Arbeit wirklich beeindruckend.
Der erste Eindruck wird durch das Albumcover vermittelt, das ebenfalls sehr psychedelisch wirkt.
Das stammt von einem Künstler namens Nicholas Law, den ich persönlich noch nie getroffen habe. Er wurde uns empfohlen von Jeff Kleinsmith, der so etwas wie der hauptverantwortliche Designer bei Sub Pop ist und mit dem wir schon mehrfach zusammengearbeitet haben. Man muss es als kleinen Ausschnitt eines größeren Ganzen betrachten, in etwa wie das Cover von „The Lucky Ones“.
„Plastic Eternity“ ist für mich eines der abwechslungsreichsten und ausgewogensten MUDHONEY-Alben. Es haut einen nicht auf Anhieb um, aber es vereint viele der Elemente, für die man euch seit Jahren schätzt, und fügt einige neue hinzu.
Das freut mich. Wir wollten eine Platte machen, die dich mit auf eine Reise nimmt. Du weißt, was ich meine, wie ein gutes Mixtape von einer Band.
Erzähl doch bitte etwas zur Entstehungsgeschichte von „Here comes the flood“.
Während der Pandemie haben sich Impfgegner in den USA vehement gegen den Corona-Impfstoff gewehrt und nach einer Alternative gesucht. Dabei sind sie auf Ivermectin gestoßen, eine Arznei, die vor allem zur Entwurmung von Kühen und Pferden verwendet wird. Das Zeug wurde sogar auf Fox News angepriesen. In geringer Dosis zur Humanbehandlung war es zwar auch erhältlich, einige haben sich aber tatsächlich die Viehdosis gekauft und verabreicht. Sie wurden daraufhin ernsthaft krank und landeten im Krankenhaus, wo sie sich dann wahrscheinlich mit dem Corona-Virus infiziert haben. Vermutlich hatten sie sich den aber ohnehin schon eingefangen und glaubten, mit Ivermectin ein Wundermittel gefunden zu haben.
Am besten hat mir die Warnung gefallen, die die Lebensmittelüberwachungs- und Arzneimittelbehörde FDA in diesem Zusammenhang herausgegeben hat: „Ihr seid keine Pferde, ihr seid keine Kühe. Im Ernst, hört auf damit!“
Die Vorstellung, mit einer Entwurmungsarznei einen Virus bekämpfen zu können, hat sich mir ohnehin nicht erschlossen.
Womit wir bei „Cascades of crap“ wären. Im Bundesstaat Washington lebst du in unmittelbarer Nachbarschaft der wunderschönen nördlichen Kaskadenkette, aber manchmal fühlt man sich offensichtlich umzingelt von Kaskaden aus Mist.
Dabei ging es mir um das generelle Konsumverhalten, die Verschwendung. Es wird einfach unheimlich viel Mist produziert, ohne dass es hierfür eine Notwendigkeit gäbe. Ständig wird versucht, dir die neueste Version eines Artikels zu verkaufen, den du schon hast, den du aber nicht unbedingt brauchst und der auch keine wirkliche Verbesserung darstellt.
Dank Amazon sitzt ihr da in Seattle an der Quelle. Welche Auswirkungen hat das auf die Stadt und die Club-Szene?
Es ist ein globales Problem. In Seattle gibt es ganze Straßenzüge mit Amazon-Büros. Die waren vor der Pandemie voll belegt, aber das ist jetzt nicht mehr so. Insgesamt hat die Innenstadt stark gelitten, so mussten beispielsweise viele Restaurants schließen. Ich denke, dass sich die Innenstadt langsam wieder erholt, aber sie wurde ziemlich ausgehöhlt. Im Grunde waren die Einzigen, die sich dort aufhielten, Fentanyl-Abhängige. Den Clubs und Restaurants, die überlebt haben, geht es gut. Die hohen Mieten und Immobilienpreise sind hier ein echtes Problem. Ich wünsche keinem, dass er seinen Job verliert, aber Amazon und viele andere Tech-Unternehmen bauen massiv Stellen ab und vielleicht stabilisiert sich die Lage ab einem bestimmten Punkt. Wir sind hier in Georgetown, das liegt südlich der Innenstadt. Dort leben viele Menschen in Wohnwagen und Zelten. Dafür mag es verschiedene Gründe geben. Manche Leute haben keine Arbeit, manche sind einfach kaputt, manche sind psychisch labil, aber es sollte eine Möglichkeit geben, die Leute irgendwo unterzubringen, wo es warm ist, besonders im Winter.
„Tom Herman’s Hermits“ ist dein Tribut an den Gitarristen von PERE UBU. Kommt er im musikhistorischen Kontext zu kurz, weil er stets im Schatten von David Thomas und Peter Laughner stand?
Ganz sicher stand er im Schatten von Peter Laughner, was seltsam ist, weil letzterer auf Alben wie „Modern Dance“ und „Dub Housing“ gar nicht dabei war. Ich mag die frühen Singles und Laughner wird vielfach als Dreh- und Angelpunkt der damaligen Musikszene von Cleveland dargestellt, der unter anderem den Kontakt zu TELEVISION hergestellt hat. Aber das Lob für das verdammt tolle Gitarrenspiel auf diesen Platten gebührt Tom Herman, und nur Tom Herman.
Liegt das daran, dass man sich in Ohio trotz all der großartigen Bands wie den PAGANS, ELECTRIC EELS, ROCKET FROM THE TOMBS oder DEVO immer unterhalb der Wahrnehmungsschwelle der großen Musikmetropolen bewegt hat?
Vor allem in den mittleren und späten Siebzigern konzentrierte sich zumindest die englischsprachige Musikpresse auf Städte wie New York, London und Los Angeles. Das heißt aber nicht unbedingt, dass es die kreativen Zentren waren. Vor allem New York, als es noch billig war, hat kreative Leute aus dem ganzen Land angezogen, die die Kleinstadt, in der sie aufgewachsen sind und wo sie wegen ihrer Andersartigkeit schikaniert wurden, verließen, um einfach sie selbst sein zu können. Und es zog nicht nur Leute aus anderen Teilen Amerikas an, sondern auch jemanden wie Klaus Nomi. Einer der Magneten war wohl Andy Warhol und seine Factory, das Exploding Plastic Inevitable, Künstler, die in Lofts günstig wohnen konnten.
Ich habe hier ein Tourposter von eurem Konzert 2016 in Hamburg. Kannst du lesen, was da steht?
Making ’merica sick again!
Ein paar Jahre danach ist die ganze Welt krank geworden und wir kehren nun hoffentlich zur Normalität zurück. Dennoch hat die Pandemie bei Plattenlabels, Händlern, Clubs und Veranstaltern Spuren hinterlassen. Du arbeitest bei einem Plattenlabel, du gehst mit der Band auf Tour und warst auch wieder in Europa. Wie sind deine Erfahrungen hier und in den USA?
Die Europatour im letzten Jahr war überwiegend großartig und es hatte fast den Anschein, als sei das Schlimmste überwunden. Sicher gibt es Leute, die nicht mehr so häufig ausgehen, aber das hängt wohl auch mit dem Alter zusammen. Und wenn man sich erst einmal daran gewöhnt hat, nicht auszugehen, ist es schwer, wieder damit anzufangen. Das weiß ich aus eigener Erfahrung. Jedenfalls scheint es den Clubs ganz gut zu gehen. Mir ist aufgefallen, dass die Konzerte seit der Pandemie früher beginnen. Das ist gut für einen alten Mann, der am nächsten Tag zur Arbeit muss. Wahrscheinlich liegt es auch daran, dass die wirklich jungen Leute lieber in einen Tanzclub gehen.
2020 habt ihr eine Split-Single mit den MELVINS auf Amphetamine Reptile Records veröffentlicht. MUDHONEY und die MELVINS sind für mich die beiden Bands, die trotz eines kurzzeitigen Hypes immer ihren eigenen Weg gegangen sind und deshalb, gerade jetzt, auch weiterhin jederzeit an fast jedem Ort vor einer treuen Fanbasis spielen können.
Wir können uns glücklich schätzen, dass sich in dieser Hinsicht für uns nicht viel geändert hat. Anfang der Neunziger Jahre gab es dieses musikalische Phänomen in unserem näheren Umfeld, mit dem man uns in Verbindung gebracht hat und das echt riesig wurde. Für uns hatte das den positiven Effekt, dass einige Leute auf unsere Musik aufmerksam wurden und sie offensichtlich mochten. Glücklicherweise scheinen die uns weitestgehend treu geblieben zu sein. Wir wussten, dass wir nie ein breites Publikum ansprechen würden. Keines unserer Vorbilder hat jemals ein breites Publikum angesprochen. Die MELVINS sind noch fünf Jahre länger dabei, kämpfen also seit mittlerweile vierzig Jahren gegen alle Widerstände und tun immer noch, was sie wollen.
Ihr habt gemeinsam „My war“ gecovert. Zwischen Seite 1 und 2 des Albums verläuft der Limes unter vielen BLACK FLAG-Fans. Auf welcher Seite stehst du?
Als das Album veröffentlicht wurde, war ich eher ein Fan der zweiten Seite, weil sie ein dickes „Fuck you“ gegen die starre Punkrock-Denke der damaligen Zeit war. Alle haben gemeckert, die Songs seien zu langsam, dabei haben sie letztendlich die Tür geöffnet für Bands wie die BUTTHOLE SURFERS und SONIC YOUTH. Bis dahin bestand die Hardcore-Szene zu einem großen Teil aus Bands, die nichts Besseres zu tun hatten, als MINOR THREAT zu kopieren. MINOR THREAT waren großartig, aber ich habe nie verstanden, weshalb man daneben nicht auch noch FLIPPER mögen konnte, eine meiner absoluten Lieblingsbands. Es war daher erstaunlich zu sehen, wie BLACK FLAG mit den langsameren Songs das Publikum in zwei Lager teilte. Die einen waren einfach nur wütend, die anderen wiederum haben sich die Musik tatsächlich angehört und waren völlig begeistert. Zum jetzigen Zeitpunkt kann ich mich nicht zwischen Seite 1 und 2 entscheiden. „My war“ ist nunmal ein unfassbar großartiger Song, einer der besten, den sie je geschrieben haben.
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