KREATOR

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Hardcore Altenessen

Das Thrash-Genre, eine der schöneren musikalischen Erscheinungen der Achtziger, aber dann viele Jahre im Tiefschlaf und längst in der "normalen" Metal- und Hardcore-Szene aufgegangen gewähnt, erfreut sich seit einer Weile wieder wachsender Beliebtheit, über die fast duchweg noch (oder wieder) existierenden einstigen Genrebegründer wie METALLICA, SLAYER oder VENOM hinaus. Ein Anlass, sich endlich auch mal im Ox mit KREATOR aus Essen zu beschäftigen, denn der "Musikstandort Deutschland" hatte es seinerzeit geschafft, mit SODOM, DESTRUCTION und KREATOR weltweit wahrgenommen zu werden, und KREATOR sind auch nach weit über 20 Jahren noch eine der wichtigsten Bands des Thrash Metals - eines Genres, das sich musikalisch wie thematisch bis heute vielfach mit Hardcore überschneidet. Und so sitzen KREATOR-Kopf Mille Petrozza, Tom Küppers und Joachim Hiller im Februar 2008 in Essen-Frohnhausen um einen Küchentisch, Gastgeber Küppers hat für die beiden Vegetarier lecker gekocht. Der Anlass des Treffens: Ein KREATOR-Interview im Ox, denn es gibt so einige Gemeinsamkeiten, sei es nun in Bezug auf Attitüde, lokale Herkunft, gemeinsame Bekannte oder ähnliche Interessen in musikalischer Hinsicht, denn Punk und Hardcore sind auch Teil von Milles musikalischer Sozialisation. Wir schalten nun um zum Essener Küchentalk.


Mille, was hast du heute gemacht?

Ich bin gerade aus Frankfurt zurückgekehrt, wo ich mit meinem Grafiker erste Ideen für das Artwork des neuen Albums durchgesprochen habe. Die Frage ist eben, was man sich überlegt in Zeiten, da viele Leute Musik nur noch aus dem Netz laden. Eine Idee ist da ein super Cover und aufwendige Verpackung, damit keiner auf die Idee kommt, sich die Songs nur runterzuladen - und darüber denkt man dann schon ein Jahr vor Erscheinen der Platte nach. Die wird im Januar 2009 kommen. Ich glaube aber, im Metal sind die Leute noch etwas anders drauf, da haben viele Fans noch eine konventionelle Sammlermentalität. Da darf es immer gerne noch die neue Version mit drei Bonustracks sein.

Wie ist denn der Stand der Dinge bei KREATOR?

Ja, wir machen gerade ein neues Album, sind dreimal pro Woche im Proberaum, um neue Stücke zu arrangieren, die ich schon länger vorbereitet habe und die als Demo bereits existieren. Jetzt kommen wir eben als Band zusammen und schauen mal, wie die sich so anfühlen, tauschen Ideen aus. Diese Woche kommt auch noch unser Gitarrist Sami aus Finnland und wir machen im Studio mit sechs Stücken ein richtiges Demo. Und das bekommt dann unser möglicher neuer Produzent, Moses Schneider. Wir planen diesmal live im Studio aufzunehmen. Im Metal-Bereich gibt es derzeit fast nur noch diese digitalen Produktionen, die klingen, als sei die ganze Musik auf einem Apple-Computer gemacht. Wir wollen deshalb bewusst ein, zwei Schritte zurückgehen und eine Platte ganz klassisch live einspielen. Und dazu haben wir uns einen speziellen Produzenten ausgesucht, eben Moses Schneider aus Berlin.

Also ein ganz bewusstes "back to the roots", zu den Anfangstagen?

Eigentlich schon. Unsere besten Platten sind so entstanden: Als Band in einem Raum eingespielt - natürlich nicht einfach so drauf los, schon geplant, aber eben live. Wir haben auch schon mit unserem alten Produzenten Andy Sneap gesprochen, der das Album auf jeden Fall mixen wird, und der fand die Idee auch gut. Auf diese Weise sind nun mal die besten Alben entstanden, diese Live-Energie kannst du durch nichts ersetzen - schon gar nicht durch diese Präzision, die du durch ProTools erreichst.

Das kann im Zweifelsfall ja jeder.

Genau das ist der Punkt. Wenn du dir mal die ganzen Magazin-CD-Beilagen heutzutage durchhörst, merkst du schnell, wie austauschbar viele Stücke geworden sind: Da könntest du einfach einen Part aus dem einen Song in einen anderen einsetzen und es würde keiner merken, die haben eben beide ihre 120 beats per minute. Diese Glattheit und Austauschbarkeit ist eine aktuelle Tendenz, die mir nicht gefällt.

Das betrifft ja auch stark den Metalcore-Bereich.

Ja, da klingen viele Bands gleich, und jede denkt, sie habe eine ganz tolle Idee gehabt. Wir als KREATOR dagegen haben schon immer gerne das gemacht, was die Leute nicht unbedingt von uns erwarten. Und so machen wir diese Platte jetzt eben live und schauen mal, was passiert.

Mit dieser Methode seid ihr in der Vergangenheit aber auch schon mal auf die Fresse gefallen.

Aber ich glaube nicht, dass das dieses Mal passiert. Auf die Fresse gefallen sind wir aber auch nur dadurch, dass wir mal zu viel gekifft haben und in anderen Bewusstseinszuständen dann meinten, unsere alten Wave-Platten rauskramen zu müssen und die in den Metal mit reinbringen. Mit so was haben wir natürlich unser Publikum etwas verärgert. Es gibt aber auch Leute, die genau diese Alben gut finden, es ist also eigentlich Blödsinn, darüber nachzudenken. Man muss machen, wozu man gerade Lust hat. Ich denke, es hat keinen Sinn, immer alles genau zu analysieren, bevor man eine Entscheidung trifft.

In letzter Zeit gibt es ja einen erstaunlichen Trend hin zu altem Thrash-Sound, ich denke da beispielsweise an MUNICIPAL WASTE, die von Sound, Attitüde und Artwork her auch von 1986 stammen könnten.

Ja, das ist ein coole Band, die klingen echt wie SUICIDAL TENDENCIES. Ich hatte neulich auch einen Sampler in der Hand, wo nur Bands von Zwanzigjährigen drauf waren, die alle diesen Sound machen. Mir gefällt das besser als die x-te Metalcore-Band, selbst wenn ich da auch ein paar Bands gut finde - aber nur ein paar, denn da gibt es ebenfalls zu viele, die nur nach Formel spielen. Aber das ist ein Phänomen, das immer wieder auftaucht: Die einen machen was vor, die anderen machen es nach, und das geht dann so lange, bis es ausgereizt ist und langweilig wird und die Leute wieder was Neues machen.

War das in euren Anfangstagen auch schon so oder stand man da so allein auf weiter Flur, dass das kein Thema war?

Hm ... da war damals so eine Aufbruchstimmung. Man hat gemerkt, da sind noch ein paar andere Bands, die auch gut spielen können, die man interessant findet, etwa VENOM, und dann hat man versucht, das mal nachzuspielen, ohne groß darüber nachzudenken. Unser zweites Album "Pleasure To Kill" kam ja 1986 ganz kurz nach unserem Debüt "Endless Pain" raus, weil unser Labelboss Karl Walterbach meinte, wir müssten gleich wieder ins Studio. Wir haben uns tierisch darüber gefreut, wir hatten ja gar nicht gedacht, dass wir dazu überhaupt die Chance bekommen würden. Mit viel analytischem Nachdenken war da also nichts, da gingen wir mit der Überzeugung ran, ein super Album zu machen, und dieses Gefühl habe ich versucht bis heute zu bewahren. Ich sage immer wieder ganz bewusst: Wenn mir nichts mehr einfällt mit der Band, dann höre ich auf. Wenn das neue Album 2009 erscheint, ist das letzte vier Jahre alt, und klar hätten wir auch alle zwei Jahre was machen können, aber es wäre schwachsinnig gewesen. Wir haben so viele Alben raus, da muss nicht jedes Jahr ein Neues kommen, da ist es wichtiger, dass es uns Spaß macht. Man muss das Gefühl haben, etwas zu sagen zu haben, muss richtig Bock drauf haben. Und deshalb jetzt auch der neue Produzent.

Diese Live-Einspielen eines Albums ist im Metal-Bereich ja nicht so üblich, sondern kommt eher aus dem Punk- und Hardcore ...

Als wir "Pleasure To Kill" aufgenommen hatten, kamen direkt danach INFERNO ins Studio, und die haben ihr Album in zwei Tagen eingespielt - und wir in zwei Wochen. Dabei waren die beiden Bands damals wohl noch gleich groß.

Von der Energie der Songs her hört man auch keinen großen Unterschied.

Eben! Das ist schon wieder eine philosophische Sache: Musik ist Gefühl, sollte es zumindest sein, und es gibt zwei Arten, das rüberzubringen: Zum einen sehr aufwendig, wie die Bands aus dem Metalcore und Metal das machen und wie das mittlerweile bei den großen US-Punkbands üblich ist, zum anderen auf die ganz simple Weise. Und ich frage mich echt, ob diese dicke Produktion wirklich das ist, worauf es ankommt. Denn die ganzen Klassiker wurden ja alle recht simpel aufgenommen, die alten Sachen von MISFITS, SLAYER und so weiter. Diese Art von Energie, die man durch dieses ungezügelte Livespielen erzeugt, ist nicht durch moderne Studiotechnik reproduzierbar, durch glasklare Produktion. Da muss man einfach mal wieder mutig sein.

Technisch perfekt kann es ja auch jeder Depp hinbekommen, das ist eine reine Fleißaufgabe.

Genau, lange ins Studio gehen ist nicht die Kunst. Und andererseits kenne ich Bands, die proben höchstens dreimal, bevor sie ins Studio gehen. Ich habe durch die recht vielen Konzerte in den letzten Jahren zu schätzen gelernt, dass unsere Songs da anders wirken, und das möchte ich diesmal einfangen. Mal sehen ...

Wie kamst du auf Moses Schneider?

Ich habe lange überlegt, wer überhaupt noch so produziert wie er, habe mich umgehört, wie Leute wie Tue Madsen so arbeiten. Und die arbeiten alle nur noch mit der ProTools-Software! Und dann kam ich eben auf Moses, so über die BEATSTEAKS, TURBOSTAAT und TOCOTRONIC, und der war auch sofort von meiner Idee begeistert. Ich habe mich dann noch ein bisschen über ihn erkundigt, und alle rieten mir dazu, es mit ihm zu machen.

BEATSTEAKS und TOCOTRONIC als Referenz für KREATOR? Lästerlich ...

Ach, für mich ist alles Musik, und ich finde eben, dass die Platten von diesen Bands gut klingen, was vom Gefühl her da so rüberkommt - ganz gleich, ob das Punk oder TOCOTRONIC oder sonstwas ist. Es lebt, es pulsiert, und das vermisse ich heute bei vielen Metal-Produktionen.

Der zu erwartende Aufschrei in der Metal-Gemeinde ist dir wie immer egal, nehme ich an.

Was soll ich denn sagen? Wir sind die Band, wir spielen die Musik, und keine Angst, wir werden schon nicht wie TOCOTRONIC klingen. Es geht mir um eine schöne, analoge Produktion, und wer immer womöglich was zu meckern hat, der soll mir einen Metal-Produzenten nennen, der noch analog und live aufnimmt. Abgesehen davon: letztlich kommt es auf die Band und die Musik an, denn wenn die Musik Scheiße ist, kann der Produzent auch nichts mehr retten.

Lass uns doch mal über die Anfänge eurer Band sprechen. Du bist Jahrgang 1966, ihr wart also noch sehr jung, als ihr 1982/83 angefangen habt. Was wart ihr für Typen - Altenessener Bunkerkinder in Jeansjacken mit Aufnähern und abgeschnittenen Ärmeln?

Ja, definitiv, und das war auch gut so. Wir sind recht jung in die ganze Sache reingekommen und haben sehr früh unsere erste Platte gemacht, so mit 15, 16. Man muss bedenken, dass diese Thrash-Szene damals schon anders war. Klar, die "New Wave Of British Heavy Metal" war auch sehr innovativ für die Zeit, doch als dann METALLICA, D.R.I. und solche Bands kamen, war das für uns unglaublich großartige, neue Musik.

Wart ihr richtige Metaller, oder auch irgendwie Hardcore-Punks, oder wie muss man sich das vorstellen?

Also zuerst waren wir hundertprozentige Metaller. Wir sind im Umfeld des Kulturzentrums Zeche Carl in Altenessen aufgewachsen, und da waren ja auch viele Punks, aber für uns war Punk nicht so attraktiv. Wir haben da in der Zeche Carl unser erstes Demo aufgenommen, und der Typ, der das Studio gemacht hat, sagte zu uns "Das is doch gar kein Metal, das is doch Pogo!" Wir hörten dann solche Bands wie RAW POWER, und nachdem jemand von METALLICA ein G.B.H-T-Shirt trug, eben auch G.B.H und dann EXPLOITED und so weiter. Wir merkten dann, dass das gar nicht so anders ist als das Metal-Zeug, das wir sonst so hörten. Etwas später gingen wir dann mit VOIVOD auf Tour, und das waren auch alles andere als normale Metaller, sondern eher "Alternative" aus Montreal, ein bunt zusammengewürfelter Haufen, der uns mit so seltsamer Musik wie CHROME in Kontakt brachte. Das war für uns total aufregend, denn wir kannten damals, das war 1986, ja nur SLAYER, VENOM, METALLICA und so. Die eröffneten uns eine ganze neue Welt! Wir saßen da zusammen in einem überfüllten Tourbus, die spielten ihre Musik, und irgendwie fanden wir das gar nicht so schlecht. Die nächste Tour war dann die mit D.R.I. in den USA und dann kam auch schon der Crossover. In den USA waren die damals schon ein Stück weiter, etwa durch Bands wie ANTHRAX oder CORROSION OF CONFORMITY. Eigentlich war die Musik damals mehr Metalcore als das, was sich heute Metalcore nennt. Heute suche ich nämlich immer wieder den "Core" im Metalcore und finde ihn nicht.

Tja, das stimmt. Und dann holst du "Dealing With It" von D.R.I. aus dem Regal und das bläst sich völlig weg. Sprechen wir noch mal über eure Heimatbasis, die Zeche Carl. Wie wichtig war die für euch?

Der wichtigste Aspekt war, dass wir dort eine Möglichkeit hatten zu proben. Und das haben einem die soziokulturellen Zentren damals noch bieten können, was heute nicht mehr der Fall ist. Wir wollten damals eine Band machen, und dann gingen wir zu den Sozialarbeitern und die haben uns dann einen Proberaum klargemacht. Hätten die uns nicht diese Möglichkeit gegeben, unser Ansinnen nicht ernst genommen, hätte es die Band nie gegeben. Denn als wir den Proberaum dann hatten, blieben wir auch dran, haben immer fleißig geprobt. In der Hinsicht muss ich also sagen: Danke, Stadt Essen!

Hat dieser Hintergrund auch deine politische Einstellung geprägt? Es ist ja kein Geheimnis, dass du eher links bist.

Na ja, das hat für mich nix mit Parteien zu tun, das ist ein Ergebnis logischen Denkens. Ich verstehe Rechtsradikale und Rassisten einfach nicht.

Damals, in den Achtzigern, gab es im Metal aber auch noch keine Rechten, die wären direkt umgehauen worden, behaupte ich jetzt mal. Diese Musikrichtung zog ja nur Freaks an, wo hätten da Leute einen Platz haben sollen, die Freaks "klatschen"?

Genau das ist der Punkt, den aber heutzutage viele leider vergessen. Wobei man aber auch sagen muss, dass es diese rechten Tendenzen ja nur in einem prozentual kleinen Anteil bestimmter Metal-Bereiche gibt. Aber natürlich fallen die auf. Sowieso war die Metal-Szene im Ruhrgebiet der Achtziger recht offen, wir gingen ja auch zu Punk- und Hardcore-Konzerten. Und Spinner und Idioten, die gibt es in jeder Szene, da ist mir egal, was für ein T-Shirt so einer anhat.

Standet ihr denn mal an dem Punkt, wo sich eure musikalische Entwicklung aufgrund der Einflüsse auch eher Richtung Hardcore hätte entwickeln können?

Nee, denn wir hatten eben ganz klar unsere Metal-Einflüsse. Wir hatten einfach Spaß an schnellen und auch komplizierten Gitarrenriffs und -soli. Wir fanden also dieses Gefidel gut, fanden es aber auch gut,wenn es Bands gab, die das nicht gemacht haben. Wir fühlten uns beim Hardcore von der Energie angezogen, aber auch von den Inhalten. Denn die Inhalte haben uns bei so mancher Metal-Band gefehlt. Bei der ersten Thrash-Welle, etwa bei MEGADETH oder SACRED REICH, gab es die aber durchaus, das war schon eine Annäherung an den Hardcore. Wir haben versucht, diesen Spirit in unseren Texten widerzuspiegeln - eher als in der Musik. Dabei waren wir von den Beats, von der Geschwindigkeit her durchaus nah am Hardcore dran, nur die Gitarren waren eindeutig Metal.

Wer hat euch kleine Nachwuchsmetaller aus Altenessen denn dann entdeckt?

Das war Karl-Ulrich Walterbach ... der auch in Punk-Kreisen nicht unbekannte Mann, der das Label Aggressive Rock Produktionen betrieb, auf dem auch SLIME, NEUROTIC ARSEHOLES und INFERNO veröffentlichten, sowie das Metal-Label Noise International.

Stoney hatte unser Demotape, das wir aufgenommen hatten, um Konzerte zu bekommen, an SPV und an Noise geschickt. Walterbach hat sich bei uns gemeldet, sagte, er wolle mehr Songs von uns hören, und da wir noch nicht mehr als die vier Songs des Demos aufgenommen hatten, mussten wir schnell noch sechs Neue aufnehmen. Die fanden sie super und sagten, wir sollten in drei Wochen nach Berlin kommen, zum Aufnehmen. So ging das. Walterbach machte uns dann mit seinen anderen Bands bekannt, versorgte uns mit den Platten von SLIME, DAILY TERROR und so, und wir wussten dadurch, wo der Typ überhaupt herkam. Walterbach hatte eine heftige Vergangenheit, das war einer von den Harten und auch politisch aktiv. Ja, der hat uns quasi entdeckt, wobei er uns klar sagte, dass er eine zweite Platte mit uns nur machen werde, wenn sich die erste verkauft - was zum Glück der Fall war. Sein Interesse galt aber nie uns als Band, den hat interessiert, dass sich eine Band gut verkauft.

Welchen Eindruck hat eine Band wie SLIME bei euch hinterlassen? Ihr habt ja auch mal Stücke von denen gecovert.

Ich finde SLIME immer noch supergut, kannte aber damals TON STEINE SCHERBEN nicht, auf die sich SLIME ja immer wieder bezogen haben. Vom heutigen Standpunkt aus muss ich sagen, dass natürlich ein paar der frühen Sachen sehr plakativ waren und ich die späten Sachen nach der Reunion da besser finde. SLIME haben uns damals schon beeindruckt und waren gerade textlich ein Einfluss. In den Neunzigern wollte ich auch mal eine Single zusammen mit Dirk von SLIME aufnehmen, aber leider wurde daraus nichts.

Themenwechsel: Es gibt nicht wirklich viele deutsche Bands, die auch im Ausland erfolgreich sind, doch KREATOR gehören eindeutig dazu.

Darüber habe ich echt noch nie nachgedacht. Irgendwie scheinen wir aber wohl einen Nerv zu treffen. Vielleicht sind wir für Leute in Japan oder Brasilien Exoten? Keine Ahnung ... Wir haben jedenfalls überall Fans, nicht nur in Deutschland. Am meisten Leute ziehen wir als Headliner in Brasilien. Da kommen schon so 5.000 Leute zu einem Konzert. Aber eigentlich sind überall, wo wir hinkommen, Leute, die das mögen. Ich weiß aber nicht, ob das an uns selbst oder an der Musikrichtung liegt.

Oder daran, dass ihr schon so lange durchhaltet, immer dabei wart.

Ja, wir haben auch die Neunziger über immer Konzerte gespielt, im In- wie im Ausland. Das war eine Zeit, wo im Metal nicht wirklich viel los war.

Wie hat sich denn der Publikumszuspruch bei euch entwickelt?

Ende der Neunziger war das schon mal etwas mau, da waren es teils unter tausend Leute. Mittlerweile ist das wieder mehr, spielen wir wieder größere Hallen. 2008 spielen wir in Deutschland aber nur ein Festival, das Wacken. Wir versuchen, nicht ständig überall zu spielen, das langweilt.

Es gibt aber Bands, die an jeder Milchkanne spielen müssen, um über die Runden zu kommen.

Das ist bei uns zum Glück nicht der Fall, denn ich habe einen recht flexiblen Lebensstil, und ich kann auch mal ein Jahr überleben, ohne viel zu arbeiten, weil ich meine Ansprüche, meinen Konsum dann eben zurückschraube. Ich war schon immer so ein Typ, der, wenn nicht viel Geld da war, eben auch nicht viel ausgegeben hat. Ich bin da recht bescheiden oder normal. Da muss man halt auch mal improvisieren und dann geht das. Und vor allem muss man dann nicht jeden Scheiß mitmachen. Ich kenne genug Musiker, die immer mit der Ausrede ankommen "Na ja, wir mussten da halt spielen, wegen der Kohle", und das finde ich schlimm. Da frage ich mich, ist das jetzt ein ganz normaler Job oder soll das auch Spaß machen? Wie willst du ein Gefühl rüberbringen, wenn du das machen musst? Klar, ich verdiene mit Musik mein Geld, aber das Geldverdienen kann nie die Hauptmotivation sein: Geld verdienst du, wenn du gut bist.

Hast du eigentlich jemals was Ordentliches gelernt?

Nö. Ich habe die Handelsschule besucht, das war's. Ich konnte damals dann schon wegen der Band die wichtigen Arbeiten nicht schreiben, hätte das nachholen müssen, hatte keinen Bock drauf und das war es dann. Ich muss also auf ewig mit der Band weitermachen, haha.

In dem legendären Dokumentarfilm "Thrash Altenessen" von 1989 und in dem ihr auch vorkommt, gibt es eine Szene, in der sinngemäß gesagt wird "Das ganze Leben wie mein Alter auf der Zeche malochen, das kann es ja nicht sein." Ein wichtiges Statement?

Ja, obwohl ich großen Respekt vor meinem Vater habe, der so viele Jahre unter Tage gefahren ist. Ich hätte das niemals machen wollen! Aber ich bewundere Menschen, die jeden Tag so einen Knochenjob machen.

Ist dein Vater einer aus dieser ersten Gastarbeitergeneration?

Ja, er kam damals aus Italien ins Ruhrgebiet, wohnte in so einer Baracke. Der ist noch aus einer Generation, wo die Menschen wussten, dass sie ihren Job auf der Zeche bis ins Rentenalter machen werden. Für mich war diese Perspektive grauenvoll. Zum Glück merkte ich durch die Musik früh genug, dass es noch was anderes gibt. Die Musik hat mich gerettet, hahaha.

Und was haben deine Eltern dazu gesagt?

Die haben mich immer unterstützt! Die haben mir für die erste Gitarre Geld gegeben, haben mich zu Hause wohnen lassen, und auch heute noch könnte ich wieder zu denen kommen. Die haben gesehen, dass ich was mache, und scheiße gefunden hätten die nur, wenn ich nichts gemacht hätte. Es war zwar nicht ihre Art von Arbeit, aber da ich mit der Band ständig unterwegs und beschäftigt war, war das für die okay. "Normal" gearbeitet habe ich auch nur dreimal in meinem Leben - einmal habe ich für Apotheken Rezepte ausgefahren ...

Ihr wart 1990 eine der ersten Bands, die im Osten Deutschland gespielt hat. Von diesem Konzert gab es damals eine VHS-Kaufkassette namens "Extreme Aggression Tour 1989/1990", und jetzt die Neuauflage auf DVD. Mit diesem Projekt warst du selbst sehr beschäftigt. Wie war das damals?

Wir waren mit KREATOR in den Achtzigern immer viel in Berlin, und der Fall der Mauer bedeutete für uns erst mal ganz praktisch, dass wir jetzt nicht mehr über diese blöde Grenze mussten. Die politische Bedeutung wurde mir erst allmählich klar, und so fanden wir es zunächst nur klasse, dass wir da in Ost-Berlin dieses Konzert vor 6.000 Leuten spielen konnten, bei dem ein großer Enthusiasmus herrschte. Wir hatten davor schon in Ungarn und Polen gespielt, also noch vor 1989, und da waren Leute aus der DDR auf uns zugekommen, die sagten, wir müssten unbedingt mal in Ost-Berlin spielen. Das war natürlich illusorisch, doch plötzlich ging das dann und das war schön. Das Konzert wurde damals vom DDR-Staatsfernsehen mitgeschnitten, also von Leuten, die sonst für Sendungen wie "Ein Kessel Buntes" zuständig waren. Die Kameraleute hatten da ganz absurd gefilmt, teilweise alle einen Song lang nur das Publikum, und aus diesem Material mussten wir jetzt irgendwie was Ordentliches zusammenschneiden, an dem man auch heute noch Spaß hat. Da saßen wir ein halbes Jahr dran und haben drumherum eine schöne Doku gemacht.

Und, kam da Nostalgie auf?

Ich finde nostalgische Gefühle zum Kotzen, ich schaue mir Fotos von früher nur ungern an. Klar ist es toll zu sehen, wie supercool man früher schon war, aber wirklich sein muss das nicht.

Mille, besten Dank für das Interview.

Joachim Hiller, Tom Küppers