HOT WATER MUSIC

"A Flight And A Crash" heißt es, das sehnsüchtig erwartete Album von HOT WATER MUSIC. Mittlerweile ist das Quartett aus Florida auch zum Punk Rock-Giganten Epitaph übergelaufen, was auch sicherlich einige Ausverkaufsvorwürfe aus der Szene nach sich ziehen wird. Alles Schwachsinn, denn mit diesem Album legen die Jungs das überzeugendste und beeindruckendste Werk ihre Karriere vor...

Im Vorfeld des Interviews schienen sich alle guten Geister gegen dieses Gespräch, welches das erste deutsche Interview seit der Fertigstellung der neuen Scheibe war, zu verschwören. Erst landete die neue CD bei der falschen Postadresse. Dann bekam ich (aufgrund eines Fehlers in der Datenbank von Epitaph) eine falsche Telefonnummer mitgeteilt. Eigentlich sollte sich unter der angegebenen Nummer Sänger und Gitarrist Chuck Ragan melden, was aber leider nicht der Fall war. Stattdessen hatte ich es mit einem ahnungslosen Rentner irgendwo in Florida zu tun, der mich fragte, ob "Hot Water Music" ein neuer Softdrink ist. Doch damit nicht genug: Als ich endlich Chucks richtige Telefonnummer habe, ist dieser zum vereinbarten Zeitpunkt nicht zu Hause. Stattdessen habe ich seine total verpennte Freundin (Frau? Geliebte? Raumpflegerin?) am Apparat, die ich wohl aus dem Schlaf gerissen habe. "Nö, Chuck ist nicht da, der ist gerade auf einer Kartoffelfarm", haucht die gute Frau durch den Hörer. Langsam werde ich unruhig, da die Deadline für diesen Text bedrohlich nahe rückt... Zum Glück meldet sich dann am nächsten Tag Bassist Jason Black per E-Mail bei mir, um einen neuen Termin zu vereinbaren, der dann (jubel!) auch eingehalten werden kann. Keine Ahnung, ob Chuck in der Zwischenzeit von Kartoffelkäfern gefressen wurde, ist mir aber auch völlig egal, als ich seinen Kollegen Jason endlich an der Strippe habe. "Sorry für die Unannehmlichkeiten", entschuldigt sich dieser gleich erst einmal, "da muss irgendetwas mit der Terminplanung falsch gelaufen zu sein."

Schwamm drüber. Fangen wir gleich mal mit dem Wechsel zu Epitaph an, den sicherlich nicht jeder gut findet. "Hier in den Staaten ist das etwas seltsam", holt der Bassist von HOT WATER MUSIC aus, "weil hier viele Leute denken, dass Epitaph mittlerweile viel zu groß geworden ist. Ich finde die Angestellten dort, die übrigens vorzügliche Arbeit leisten, wirklich ausgesprochen nett. Die wissen definitiv, was sie tun. Wir denken, dass uns der Deal mit Epitaph hauptsächlich in Europa und Japan helfen wird, um noch ein wenig bekannter zu werden. Das Vertriebssystem ist klasse, was man von unseren früheren Labels nicht unbedingt behaupten kann." Der entscheidende Anruf kam von Brett Gurewitz (Ex-BAD RELIGION), dem Macher von Epitaph, wie Jason bestätigt: "Er hat sich auch eine unserer Shows in Florida angeschaut, worauf wir ihn Kalifornien besucht haben, um die Leute und deren Arbeitsweise bei Epitaph kennen zu lernen. Danach haben wir uns dann für den Wechsel entschieden. Da arbeiten fast nur Punks, keine ausgemusterten Major Label-Leute, wie manche vielleicht denken."

Gab es eigentlich auch Majorlabels, die in der Zwischenzeit mal bei HOT WATER MUSIC angeklopft haben? "Noch nie", lautet Jasons eindeutige Antwort. "Die mögen uns anscheinend überhaupt nicht, was für mich auch völlig okay ist", lacht er. "Man soll zwar niemals nie sagen, weil man wie der letzte Idiot dasteht, wenn es dann eines Tages trotzdem passiert, aber vom jetzigen Standpunkt aus kann ich das eigentlich ausschließen. Ich meine, in gewisser Weise ist Epitaph zwar auch mit einer großen Plattenfirma vergleichbar, aber dort haben wir in künstlerischer Hinsicht völlig freie Hand, was bei einem Major nicht der Fall wäre."

Ihre künstlerische Freiheit haben die Jungs auf ihrem neuen Album auch kräftig ausgekostet, so dass man meiner Meinung nach vom vielfältigsten Werk ihrer Karriere sprechen kann. Einige Fans haben "A Flight And A Crash" bereits mit den ersten drei Alben von HOT WATER MUSIC verglichen - mit Recht? "Das dachten wir auch am Anfang", sinniert der Bassist, "und viele Leute sind auch anscheinend dieser Meinung, aber mich persönlich erinnert die neue Platte rein vom Gefühl her am stärksten an "Fuel For The Hate Game". Ich glaube, dass sich "A Flight And A Crash" wesentlich aggressiver als die ersten Platten anhört. Außerdem ist sie nicht ganz so poppig wie noch der Vorgänger "No Division"." Was sicherlich auch an der druckvollen, transparenten Produktion liegen dürfte, die in meinen Ohren exzellent klingt und viel besser als auf den alten Scheiben ausgefallen ist. "Ja, definitiv", stimmt mir Jason uneingeschränkt zu, "wir sind mit der Produktion sehr zufrieden, mit der wir auch verdammt viel Zeit verbracht haben. Sie klingt kraftvoll, aber auf keinen Fall überproduziert."

Dann haben die vier Soundtüftler also alles im Alleingang produziert? "Nicht im Alleingang", korrigiert mich Jason, "Brian McTernan von BATTERY hat uns in seinem Studio in Washington ein wenig unter die Arme gegriffen. Wir haben dort mit ihm gemeinsam an den neuen Songs gearbeitet." Gefeilt hat das Quartett auch am Spektrum der Songs, denn mit "She Takes It So Well" ist erstmals ein richtig langsames, fast schon balladeskes Lied ins Repertoire genommen worden, das einen beim ersten Hördurchgang ziemlich verblüffen kann. "Das Stück kann man durchaus als Ballade bezeichnen", stimmt Jason zu. "Es hebt sich stark vom Rest des Albums ab. Es war ein langer Kampf, bis wir es endlich fertig hatten. Ich würde es auch gerne live spielen, aber das dürfte wohl an der technischen Umsetzung (das angesprochene Lied enthält ein Klavier - Anm.d.A.) scheitern." Relativ ungewöhnlich und poppig (ohne dabei unangenehm an Popmusik zu erinnern) klingt für die Verhältnisse von HOT WATER MUSIC auch "Swinger", der fünfte Track des Albums. "Stimmt, "Swinger" ragt auch aus dem Gesamtmaterial heraus", ernte ich erneut Zustimmung, "aber ich persönlich mag die schnelleren und härteren Nummern wie zum Beispiel "A Flight And A Crash" oder "Paper Thin" am liebsten, weil die live am meisten Spaß machen." Mit "Paper Thin" haben sich HOT WATER MUSIC übrigens zum ersten Mal an eine Singleauskoppelung herangetraut, zu der es bald auch ein Video geben wird. "Es ist unsere erste Singleauskoppelung überhaupt", erklärt der sympathische Bassist. "Wir haben noch nie zuvor ein Video gemacht, insofern betreten wir wirklich Neuland." Und wie ernst nimmt seine Band diese neuen Vorstöße? "Für uns ist so etwas überhaupt nicht wichtig", wiegelt Jason ab, "für mich zählt dabei nur der Spaß. Wenn das Video nicht gespielt wird, bin ich auch nicht traurig." Ich auch nicht. Kommen wir mal auf die musikalischen Einflüsse der Viererbande zu sprechen - der Waschzettel der Plattenfirma faselt etwas von Country- und Jazz-Einflüssen, die ich nicht ganz nachvollziehen kann. "Objektiv betrachtet sind diese angeblichen Einflüsse auch nicht hörbar", bestätigt mich Jason in meiner Meinung. Er sieht die Haupteinflüsse seiner Combo sowieso weniger auf dem musikalischen Gebiet, sondern eher im menschlichen und philosophischen Bereich: "Ich würde eine Band wie AVAIL als Vorbild nennen. AVAIL sind nicht nur sehr gute Freunde von uns, sie haben uns auch bei einigen Dingen echt geholfen." Zum Beispiel? "Bei der Steuer zum Beispiel, also bei ganz alltäglichen Dingen, die nicht viel mit der Musik zu tun haben. Was ich damit sagen will: Menschen haben uns in philosophischer und praktischer Hinsicht mehr beeinflusst als andere Bands." Eine interessante Ansicht, die zeigt, dass sich HOT WATER MUSIC musikalisch nicht genau festlegen wollen, was angesichts der Einzigartigkeit ihres Sounds auch nicht besonders verwunderlich ist. Entsprechend ablehnend steht Jason auch dem Schubladendenken gegenüber: "Früher gab es diese Unterteilung in Punk, Hardcore und Emo kaum, und ich bin auch kein großer Fan dieser Trennlinien, welche die Szene unnötig spalten. Ich kann es zwar irgendwie verstehen, wenn wir als Emo-Band eingestuft werden, weil wir emotionale Musik machen, aber passend ist das trotzdem nicht. Vom Lifestyle her sind wir ganz bestimmt keine typische Emo-Band. Grundsätzlich finde ich diese Kategorien eher störend und kontraproduktiv, weil wir im Prinzip alle im selben Boot sitzen."

Da kann man kaum widersprechen. Kommen wir auf erfreulichere Dinge zu sprechen: HOT WATER MUSIC werden im Juni gemeinsam mit den göttlichen LEATHERFACE durch unsere Breitengrade ziehen. Meiner Meinung nach eine echte Traumkombination. "Ich freue mich auch wirklich darauf", frohlockt Jason. "Wir waren ja schon mal mit LEATHERFACE bei uns in den Staaten unterwegs, wodurch sich eine richtige Freundschaft zwischen beiden Bands entwickelt hat. Und in Europa läuft es richtig gut für uns." Was mich zur Frage veranlasst, bei welchem Zuschauerdurchschnitt HOT WATER MUIC zur Zeit ungefähr liegen. "In Europa schätzungsweise bei 800, in Amerika ist das hingegen schwieriger einzuschätzen. Ich würde mal auf circa 1.000 Leute an der Ostküste tippen, während sich die Besucherzahl an der Westküste halbiert." Man muss sich bei der kommenden Tournee also auf ausverkaufte Hütten einstellen. Aber noch eine weitere gute Botschaft gibt es für HOT WATER MUSIC-Fans zu verkünden: Im Herbst soll auf Jade Tree eine gemeinsame Split-LP mit ALKALINE TRIO veröffentlich werden, wobei man ebenfalls von einer Traumkombination sprechen kann. Wer das neue ALKALINE TRIO-Album gehört hat, versteht meine Euphorie sicherlich. Bei diesem Projekt werden beide Bands laut James nicht nur eigene Songs zur Split-LP beitragen, sondern sich auch gegenseitig covern. Doch damit nicht genug: "Wir wollen auch gemeinsam einige Songs schreiben und aufnehmen", verrät Jason, "fast wie eine Art Big Band." Da darf man ja wirklich gespannt sein - wir sehen uns im Juni auf der Tour. Aber bringt uns gefälligst ein paar schöne Kartoffeln mit...