„Wir haben einen Pakt geschlossen. Nachdem wir zweimal erfolglos probiert haben uns aufzulösen, scheint es dafür wohl keinen richtigen Grund zu geben. Wir bleiben als Band also einfach zusammen, bis wir sterben. Und das ist gut so.“ Endlich gibt es Neues aus Gainesville, Florida. HOT WATER MUSIC bringen ihr neues Album „Vows“ mit, wenn sie bald ihr dreißigjähriges Bandjubiläum feiern und auf Europatour kommen, begleitet von QUICKSAND und AS FRIENDS RUST. Chuck Ragan erzählt gewohnt bescheiden und mit viel Herz, warum es okay ist, niemals zur Stadionband geworden zu sein.
Euer Drummer George sagte vor Jahren mal in einem Interview: „Ich wünschte, wir würden heute noch etwas von dem tun, das mich als Teenager inspiriert hätte. Es würde uns als Band sicher ein gutes Gefühl geben, dass unsere Arbeit nicht nur Menschen berührt, die 45 sind. Das mag egoistisch klingen, aber so geht’s mir nun mal.“ Habt ihr das mit „Vows“ geschafft? Was sollten 18-jährige außer dem offensichtlichen Traumfeature THRICE an dem Album mögen?
Es wäre bestimmt wundervoll, wenn das Album Menschen jeden Alters gefallen würde – das wäre das Sahnehäubchen. Das können wir aber nicht zur Priorität machen. Man kann versuchen, Kreativität zu erzwingen. Man kann versuchen, in eine Form zu passen. Ich glaube aber nicht, dass das bei dieser Band jemals funktioniert hat. Weißt du, in der ganzen Geschichte von HOT WATER MUSIC ging es uns immer mehr darum, dass sich der Song zuerst für uns gut anfühlt. Wenn er den Leuten gefällt, großartig. Wenn sie ihn nicht mögen, ist das auch in Ordnung. Sobald ich anfange, mir darüber Gedanken zu machen, löse ich mich von dem Moment und dem, worauf ich mich wirklich konzentrieren muss, nämlich mich innerlich mit dem Song zu verbinden, mit der Emotion, mit der Leidenschaft, die wir ausstrahlen, und der Energie, die wir in die Musik stecken. Ich denke, es ist wichtiger, dass es sich in erster Linie für uns als Band gut anfühlt, genau in diesem Moment. Es ist nicht meine Aufgabe, Musik zu schreiben, die den Leuten gefällt. Ich muss Musik schreiben, die aus meinem Herzen kommt, und ich muss vor allem Musik spielen, die aus meinem Herzen kommt.
Dreißig Jahre HOT WATER MUSIC! Kannst du dich noch an den Chuck von damals erinnern? Was hättest du damals gerne schon gewusst?
Die Liste ist zu lang für dieses Interview, aber ich möchte von einer Lehrerin erzählen, die uns in kreativem Schreiben unterrichtete, wir waren 14 oder 15. Sie war unglaublich warmherzig, alle mochten sie gerne und sie sagte immer zu uns „Ihr alle habt etwas, das ich als kreative Lizenz bezeichne, ihr alle habt die Fähigkeit zu schreiben, zu visualisieren, zu erschaffen, absolut alles, was ihr wollt“. Sie hat uns früh diese Dinge beigebracht, die wirklich geholfen haben. Eines Tages bat sie uns, unsere Gedanken – lustig, kitschig, traurig, welcher Art auch immer – zu Papier zu bringen, sie mit nach draußen zu nehmen und zu verbrennen. Klar, das war irgendwie total symbolträchtig und natürlich kitschig, aber daran denke ich bis heute. Vor allem aber hat es mir klargemacht, dass nicht alles, was wir schreiben, dazu gedacht ist, von anderen gehört oder gelesen zu werden. Manches von dem, was ich schreibe, schafft es in Songs, manches wird Richtung Himmel verbrannt. Ich bin gerade fünfzig geworden, diese Liste ist also wirklich unglaublich lang. Es gab viele, viele durchtrunkene Nächte. Die sicher lustig waren, die ich natürlich auch mit guten Freunden verbracht habe. Aber es gab eben auch viele dunkle Zeiten und rückblickend würde ich mich gerne schütteln und mir sagen: Hey, verlier deinen Fokus nicht! Alleine diese viele Zeit auf Tour und diese Probleme gut zu schlafen, gut zu essen. Ich habe Jahre gebraucht, um mir ein halbwegs gesundes Leben unterwegs anzutrainieren.
Hand aufs Herz: Was ist so gut daran, nicht mehr 25 zu sein?
All diese kleinen Lektiönchen und Erfahrungen auf dem Weg hierhin. Ich wünschte natürlich, ich hätte mehr gelesen. Und Gespräche mit Menschen geführt – und ich meine nicht diese ganzen betrunkenen Gespräche mit dem Lautsprecher in der Birne, mitten in der Nacht. Rausgehen aus der Halle nach Shows, mit den Leuten einen Kaffee oder Tee trinken und mal darüber sprechen, wie wir jetzt eigentlich diese Welt verändern wollen. Ich bin vor allem aber auch einfach dankbar dafür, dass wir über all die Jahre so viele Menschen kennen lernen durften, in Wohnzimmer und Communities eingeladen wurden und zu wissen, dass Menschen wie du selbst ja auch unsere Musik seit fast dreißig Jahren hören. Wir sind zusammen und miteinander gewachsen. Wir als Band empfinden großes Glück darüber, das erleben zu dürfen.
Gab es in all den Jahren Dinge, die du bereut hast?
Reue ist etwas Schwieriges. Als ich mich damals – auch mit Hilfe anderer – aus meinem allertiefsten Loch in einer wirklichen sehr dunklen Zeit gearbeitet hatte, wurde mir danach irgendwie klar, dass Reue sinnlos ist. Wer weiß, ob ich heute überhaupt noch am Leben wäre, hätte ich mich an bestimmten Stellen in meinem Leben anders entschieden. Wenn es mir schließlich in diesem Moment doch wieder gut geht und ich die Menschen um mich herum und meine Arbeit liebe: keine Reue. Aber klar, ich hätte mir oft gewünscht, mehr Zeit mit meiner Familie zu verbringen, vor allem mit meinem Vater – mit ihm fischen und jagen zu gehen und mit ihm zusammen zu sein, bevor er starb. Oder die Europatour zu unterbrechen, um bei der Beerdigung meiner Großmutter sein zu können. Das ist die Schattenseite eines Lebens, wie wir es führen, ganz klar. Mal ein kleines Basketballspielchen hier und da, das erste Theaterstück meines Kindes, weniger Versäumnisse wären sicher gut gewesen.
Euer Bassist Jason sagte nach dem Album „The New What Next“ von 2004: „HOT WATER MUSIC werden wohl auch mit dieser Platte nicht berühmt werden. Seltsam, wenn man bedenkt, dass Bands wie DASHBOARD CONFESSIONAL, AFI oder THRICE in Amerika zu Megasellern mutiert sind. Ich habe mich schon oft gefragt, warum das bei dieser Band nicht passiert.“ Was wäre heute anders, wärt ihr irgendwann Superstars geworden?
Wir haben mit dieser Band so viel mehr erreicht, als wir uns jemals hätten erträumen können, wirklich. Für mich war es immer wichtig, jede einzelne Show so zu spielen, als wäre es meine allerletzte. Und dabei ist es egal, ob es für ein paar wenige oder 400.000 Leute ist. Ich werde immer mit der gleichen Energie spielen. Und normalerweise geht es mir bei einer Show darum, eine Verbindung zu den Leuten herzustellen. Weißt du, wenn ich Musik schreibe, wenn wir Musik machen, dann muss es hier beginnen, es muss in unserem Kreis beginnen. Denn wenn wir Musik spielen, dann teilen wir etwas, das wir lieben. Mit diesen Gedanken im Hinterkopf ist es für mich wirklich egal, ob ich in einer Garage für eine Handvoll Leute spiele oder auf einem riesigen Festival. Wenn es ein oder zwei Leute sind, denen es wirklich etwas bedeutet, dass wir da sind und wir das zusammen teilen, dann habe ich es geschafft – dass es das wird, was für mich Ruhm ist.
Und was macht „Vows“ so besonders, was magst du am neuen Album?
Die Produktion war super, vermutlich sind wir noch nie so gut vorbereitet ins Studio gegangen. Ich habe das Gefühl, dass wir alle viel mehr Verständnis für die Ideen der anderen hatten als jemals zuvor. Vielleicht lag es auch daran, dass es eine Menge Nostalgie gab und Gespräche, oh wow, dreißig Jahre sind so ein großer Meilenstein, für jeden. Egal was man macht, dreißig Jahre sind eine verdammt lange Zeit. So lange durchzuhalten, ist wirklich etwas Besonderes, das viele Bands nie erleben dürfen. Und wir erkennen das an. Uns ist auch klar, dass wir es nicht alleine geschafft haben – viele Menschen hatten über all die Jahre ihren Anteil daran. Die Zeit im Studio für „Vows“ war besonders und es gab nichts als positive Energie. Hätte uns die Plattenfirma keine Deadline gesetzt, wer weiß, dann wären wir wahrscheinlich jetzt noch im Studio in Florida.
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