Es hätte vermutlich niemand geahnt, dass wir diese widerliche Mischung aus Schweiß, Bier und Spucke mal vermissen, die eine Show von HOT WATER MUSIC prägt. Tausende Fäuste in der Luft und ein Chor, der „I need a remedy“ brüllt – all das scheint so, so lang her. Falls alles gut geht, bekommen wir das Erlebnis im Herbst zurück, dann kommen HOT WATER MUSIC wieder auf Tour. 2017 hatte die 1993 gegründete Band aus Gainesville nach mehreren Jahren Pause ein neues Album veröffentlicht, jetzt erscheint das nächste: „Feel The Void“. Zwischendrin ist viel passiert: Gitarrist und Sänger Chris Wollard zog sich von den Tourterminen zurück, FLATLINERS-Mitglied Chris Cresswell kam dazu. Per Zoom geht’s für Julia Brummert vom dunklen Berliner Winter in die sonnigen Gärten von Chris Wollard, Jason Black und George Rebelo in Gainesville, Florida. Chuck Ragan hatte zu der Zeit getan, was er aus persönlichen Gründen immer wieder mal tut: sich ausgeklinkt.
Bei euren Shows sieht man zahlreiche Leute, zugegeben vor allem Männer, die sich „Live your heart and never follow“ tätowiert haben. Wie fühlt sich das an, nach all den Jahren, solche Spuren bei den Leuten hinterlassen zu haben?
Chris: Es ist abgefahren.
Jason: Vor allem für dich muss das doch cool sein, Chris, du hast den Song für deinen Sohn geschrieben, als er ein Baby war.
Chris: Ja, und jetzt ist er 25 und macht da drüben ein Nickerchen, haha. Dieser Song hat mir großen Spaß gemacht. Ich habe den Text nicht alleine geschrieben. George hat auch was beigesteuert.
George: Das stimmt.
Chris: Ich wusste, worum es gehen soll: Wir waren so jung und hatten hier dieses kleine Kind. Die Frage war, wenn du diesem Kind nur einen einzigen Rat mitgeben kannst, wie würde der lauten? Am Ende des Songs heißt es: „Live your heart and never follow“ und alle aus der Band haben ihre Zeilen dazugeschrieben. Es hat viel Freude gemacht, an diesem Song zu arbeiten. Wenn ich diesen Satz viele Jahre später wieder lese, noch dazu als Tattoo, kommen die guten Erinnerungen zurück.
Das zeigt, dass HOT WATER MUSIC vielen Menschen eine Menge bedeuten. Ihr alle habt neben der Musik noch einen anderen Alltag, andere Jobs. Was bedeutet euch die Band heute?
Jason: Darüber denke ich sehr häufig nach. Ich frage mich dann, ob das gesund ist, was wir da machen. Natürlich sind HOT WATER MUSIC nicht immer der Mittelpunkt in unseren Leben, das wäre unmöglich. Trotzdem ist die Band neben meiner Frau und meinem Hund und vielleicht noch meinen Eltern das Wichtigste für mich. Alles, was ich habe, habe ich durch HOT WATER MUSIC: Meinen Job, mein Haus, meinen Freundeskreis – alles wurde möglich dank dieser Band.
Chris: So hast du sogar deine Frau kennen gelernt!
Jason: Genau. Alles, was ich habe, fast jede Person, mit der ich zu tun habe – all das hängt mit HOT WATER MUSIC zusammen. Wie könnte mir die Band da nicht wichtig sein?
Chris: Mir geht es genauso. 90% meines Freundeskreises habe ich über HOT WATER MUSIC kennen gelernt. Das ist kein normaler Job. Er hat Einfluss auf jeden Teil unseres Lebens.
George: Wir wollen es ja gar nicht anders.
Chris: Das ist etwas Besonderes, aber kein Wunder, wenn du einen Job so lange machst. 27 Jahre sind das mittlerweile.
George: Nein, es sind schon 28! Es gab sicherlich Zeiten, in denen jeder von uns gesagt hätte: Ich hasse jeden einzelnen in dieser Band, haha. Es ist wie mit allem im Leben: Die Beziehungen, die wir zueinander haben, sind im Fluss und verändern sich laufend. Weil es uns schon so lange gibt und weil die Arbeit so viel Einfluss auf alles andere bei uns hatte, können und wollen wir unser Leben und die Band gar nicht mehr voneinander trennen.
Wie habt ihr es hinbekommen, euch immer wieder zu motivieren, neue Alben aufzunehmen und die Band am Leben zu erhalten in dieser langen Zeit?
Chris: Die meisten Leute – und widersprecht mir, wenn ich Quatsch erzähle – haben viele Freund:innen und Kolleg:innen, einen sozialen Kreis. Es gibt ein paar Menschen in diesem Kreis, von denen du weißt, dass du sie nie wieder loswirst. Ob du willst oder nicht, dieser Typ wird immer da sein, auch wenn ihr euch mal überworfen habt. Diese Menschen werden zu einem Teil deiner Familie, wir sind wie blutverwandt. Wenn wir uns mal längere Zeit nicht sehen, macht das keinen Unterschied. Wir haben einander gebraucht, um erwachsen zu werden, wir haben viel miteinander durchgemacht und haben einander an jedem Punkt unseres Lebens begleitet. Wir wurden erwachsen, haben geheiratet, Kinder bekommen, sind rumgekommen, mal haben wir mehr Zeit, an der Band zu arbeiten, mal weniger. Das ist am Ende egal, wir finden immer wieder zusammen, sind Brüder, eine Familie, die über die Jahre immer weiter gewachsen ist. Ich kann mir noch so sehr Mühe geben, ich werde George nie wieder los, haha.
George: Umgekehrt ist es genauso! Ich kann dir noch so oft sagen, dass ich keine Zeit habe, du legst am Telefon nie auf.
Chris: Das stimmt, ich rede immer weiter.
George: Ich liebe dich trotzdem.
Wenn ihr euch länger nicht gesehen habt, braucht ihr Anlauf oder habt ihr Rituale, um als Band wieder zusammenzufinden?
Chris: Wir drei leben in Gainesville und sehen uns häufig.
Jason: Für uns ist es sehr leicht, uns zu treffen.
Chris: Wir haben zwei große Proberäume – man könnte sagen Studios –, wir können also schnell mal zusammenkommen und Musik machen. Wenn wir uns dann treffen, ist das das Natürlichste auf der Welt. Vermutlich, weil wir unser ganzes Leben lang nichts anderes gemacht haben. Es passiert allerdings sehr selten, dass wir alte Songs spielen. Wir kommen eher zusammen und gucken mal, welche Ideen sich auftun. Sobald die Verstärker eingeschaltet sind, weiß ich vielleicht noch nicht, was dabei rumkommt. Klar ist aber, dass wir wissen, wie wir zusammen spielen und dass etwas dabei rumkommt. Irgendwann kommen wir zu dem Moment, an dem wir merken: Okay, das ist richtig cool, hier machen wir weiter! Dann sind wir alle sehr aufgeregt und so läuft das im besten Fall. Und das macht am meisten Spaß.
Habt ihr feste Termine, an denen ihr euch trefft?
Chris: Im Moment nicht. Wir sollten das bald wieder machen, bevor wir live spielen. Nachdem wir das Album aufgenommen haben, haben wir erst mal eine Pause eingelegt. Wenn die Aufnahmen abgeschlossen sind, ist immer noch super viel zu erledigen. Die Platte muss gemixt und gemastert, das Artwork muss fertiggestellt werden. Wenn das alles durch ist, freue ich mich wieder darauf, die anderen zu sehen. Wir machen einen Termin aus, schmeißen die Mikros und Verstärker an und nehmen den ganzen Tag auf.
Eure Band hat sich verändert. Nachdem du für ein paar Shows raus warst, Chris, habt ihr ein neues Bandmitglied dazu bekommen. Wie kam das zustande?
Chris: Welche Version willst du: Die lange, die über vier Jahre geht, oder die kurze, die über einen Monat ging?
Das entscheidest du.
Chris: Als wir mit „Light It Up“ auf Tour waren, ganz am Anfang, wurde mir klar, dass ich einen Schritt zurücktreten musste. Das Reisen hat sich plötzlich falsch angefühlt. Ich habe mich nicht richtig gefühlt. Ein Teil waren die Shows – vielleicht war es einfach ein zu großer Schock. Es war immerhin eine Weile vergangen, seit wir zuletzt auf Tour waren. Wir sind von Null auf Hundert gestartet und mich hat es umgehauen. Es war ganz zu Beginn der Tour, ich musste mich sehr schnell entscheiden, ob ich in der Lage sein würde, das zu packen. Wir hatten immerhin eine Menge Shows gebucht und viele weitere Termine geplant. Mir war klar, dass es keine Option sein kann, dass der Rest der Band nicht fährt. Dafür gab es keinen Grund. Das erste Konzert war hier in Gainesville. THE FLATLINERS hatten ebenfalls eine Show, also war Chris Cresswell in der Stadt. Mit den FLATLINERS waren wir schon mal auf Tour und kannten Chris, wir sind befreundet. Er kannte bereits ein paar der neuen Songs und so haben wir eine sehr schnelle Entscheidung getroffen. Die ersten Konzerte liefen gut, Chris hat schnell seinen Platz bei HOT WATER MUSIC gefunden und leistet nun zuverlässig seinen Beitrag. Es gab keinen Plan, es war eher so: Chris ist in der Stadt, lasst ihn uns mal schnell fragen und gucken, wie es läuft.
George: Als ich anfing, mein Schlagzeug für die Show aufzubauen, traf ich Chris. Er erzählte mir, dass Jason ihn gefragt hatte, ob er „Trusty chords“ mit uns singen würde. Ich fragte ihn dann, ob er es auch auf der Gitarre spielen könne und erklärte die Situation. „Ich kann’s lernen“, sagte er und schlug dann vor, dass er in den paar Stunden bis zum Konzert ein paar Songs ausprobieren könne. Er kam wieder und meinte, er hätte acht geschafft. Acht! Das war super. Wir hatten dann am nächsten Abend noch eine Show beim gleichen Festival und er hat fünf oder sechs weitere gelernt, er konnte am zweiten Tag fast das ganze Set mit uns spielen. Das war nicht perfekt, aber schon ziemlich gut.
Ist er so ein guter Gitarrist oder sind eure Songs so leicht zu spielen?
Jason: Haha, er hat vermutlich einige Fehler gemacht.
George: Er hat sie definitiv falsch gespielt.
Chris: Ach, kommt, ein paar Songs sind schon ziemlich schwierig, aber vieles ist leicht zu lernen und zu spielen. Leicht genug. Er ist aber auch ein guter Gitarrist.
Jason: Er war außerdem ein HOT WATER MUSIC-Fan. Es war jetzt nicht so: „Hier sind zehn Songs, die du noch nie gehört hast.“ Er kannte die Songs, er musste nur noch lernen, sie zu spielen.
Chris: Er ist sehr talentiert.
Chris auf Tour zu vertreten, ist das eine. Wie kam es zur Entscheidung, dass Chris Cresswell ein festes Bandmitglied wird?
Chris: Wir haben uns nicht hingesetzt und offiziell eine Entscheidung getroffen. Wir waren mit der Situation konfrontiert und hatten die Chance, das als Möglichkeit oder als Job zu begreifen. Er hat sich seinen Platz verdient. Über die Jahre war er immer mehr dabei. Wir wussten vor der Produktion des neuen Albums nicht, ob und wie das klappen könnte mit drei Gitarristen. Uns ging es erst mal darum, es auszuprobieren und Spaß zu haben. Er hat einen super Job gemacht und eine Menge beigetragen. Da wurde uns klar, dass er sich seinen Platz in der Band verdient hatte.
George: Ja, in den ersten zwei Jahren war er eigentlich nur eine Vertretung für Wollard. Es gab aber einen Zeitpunkt, an dem ich mich immer weniger wohl damit gefühlt habe, dass er so viel Energie und Arbeit in die Band gesteckt hatte. Er hat immer abgeliefert. Mir wurde klar, dass er mittlerweile ein fester Teil von HOT WATER MUSIC geworden war. Selbst wenn Wollard am nächsten Tag zurückgekommen wäre voller Vorfreude auf die nächste Tour, wäre klar gewesen, dass wir nun zu fünft wären. Chris Cresswell hat eine Menge neuer Energie mitgebracht.
Hat euch das geholfen, neuen Schwung in die Band zu bringen?
Jason: Es hat definitiv geholfen.
Chris: Das auf jeden Fall. Ich betrachte das weniger aus unserer Sicht als viel mehr aus der von Brian McTernan, unserem Produzenten.Wir alle hier im Raum sind da, weil wir mit der gleichen Leidenschaft, Motivation und dem gleichen Ziel an dieses Album herangehen. Dieses Album ist das Ziel. Der ganze Rest ist eben der Rest. Wir alle waren da, um zu arbeiten. Gäbe es eine Person, die nicht mitzieht, oder wenn es Probleme gegeben hätte, dann hätten wir darüber reden müssen. Die Hoffnung war, dass alle Beteiligten, Ryan Williams, der Soundtechniker, einfach jeder dabei ist, um seinen Beitrag zu leisten. Es gab natürlich keine Garantie, dass es läuft, dass etwas richtig Gutes entsteht. Die hätte es aber mit uns vieren allein auch nicht gegeben. Wir haben Chris zu uns geholt und gesagt: Arbeite mit uns, leiste deinen Beitrag – und er hat einen spitzen Job gemacht.
George: Das Album ist besser geworden, dank ihm.
Chris: Ganz sicher. Wir brauchten jede Person, die dabei war, um „Feel The Void“ so werden zu lassen, wie es ist. Es überhaupt entstehen zu lassen. Wir waren ein Dream-Team, die Arbeit an der Platte war ein großer Spaß.
Zu „Light It Up“ habt ihr im letzten Ox-Interview gesagt, dass ihr euch einen rauheren Sound wünscht. Was war euer Plan für „Feel The Void“?
Jason: Es gibt immer einen Plan. Hier war er aber sehr weit gefasst. Wir wollten uns nicht zurücklehnen und darauf verlassen, dass es irgendwie läuft. George, Chris und ich sind uns meistens absolut einig darüber, dass unsere Songs einen stärkeren Fokus auf den Rhythmus legen sollten. Solche Songs sind am schwierigsten zu schreiben, weil wir in einem Raum sein und jammen müssen. Auch wenn ich den Begriff hasse.
Chris: Man kommt um dieses Wort nicht herum.
Jason: Allerdings.
Chris: Wenn wir „jammen“ sagen, meinen wir, dass wir drei uns treffen und zusammen an neuen Songs arbeiten. Ich mag es zwar, alleine dazusitzen und zu schreiben, aber ich habe einfach nicht die gleichen Ideen wie Jason oder George. Selbst wenn wir die gleichen Akkorde spielen würden oder wenn der Groove sich ähnelt, es macht mehr Spaß, wenn wir einander ergänzen – einer spielt ein Riff, einer eine Melodie und so wächst daraus etwas. Wir spielen herum und schauen, wohin das führt. Das ermöglicht Jason, George, Chuck und Cresswell, den Song aus ihrer Perspektive zu betrachten und ihre Ideen zu ergänzen. Wir können so viel freier arbeiten, weil niemand sagt: Hier ist schon mal die Melodie und das sind die Akkorde, und du hast noch so und so viel Platz, den du füllen kannst. Wenn wir gemeinsam arbeiten, kann jeder mit der ersten Idee freier arbeiten – es ist, als würden wir mit einem viel größeren Pinsel malen.
George: Es war das erste Mal seit langem, dass wir die Möglichkeit hatten, so zu arbeiten. Ihr nennt es jammen, aber wir haben einfach zwanzig Minuten lang improvisiert und irgendwann hat einer von uns einen Part gespielt und die anderen haben sofort aufgehört: „Stop, was war das?“ Und wir konnten uns darauf konzentrieren. Das ist besser, als uns gegenseitig Mails mit neuen Parts zu schicken.
Chris: Wenn wir per Mail arbeiten, dann sitzt du erst mal alleine rum und versuchst Dinge, bis du eine Idee hast. Wenn sie dir gefällt, nimmst du sie auf. Dann schickst du sie herum. Wenn wir aber in einem Raum sind, sind die anderen schon bei dem Teil dabei, an dem du noch probierst, und können direkt reagieren und darauf aufbauen.
George: Es kann jedoch passieren, dass wir einen Song komplett um eine völlig neue Idee herum bauen und die erste verwerfen.
Ihr konntet diesmal also trotz Pandemie gemeinsam am Album arbeiten? Ihr drei wohnt an einem Ort, wie habt ihr das mit Chuck und Chris Cresswell gelöst?
George: Eine Kombination aus allem. Vieles ist über Zoom entstanden. Brian, unser Produzent, hat außerdem Hausaufgaben verteilt: „Ihr arbeitet jetzt mal an einer ordentlichen Bridge“ und „Du kümmerst dich um diesen Teil ...“
Chris: Das war ein großer Teil der Arbeit. Wir brauchten jemanden, der den Kapitän spielt. Wenn Jason, George und ich eine Idee aufgenommen und sie rausgeschickt hatten, konnte es sein, dass Chuck und Cresswell parallel anfingen, an Texten und Gesang zu arbeiten. Jemand musste das koordinieren. Brian hat aufgeräumt und geschaut, dass jeder seinen Job macht und am Ende alles zusammenläuft. Das ist gar nicht so leicht, wenn man per Mail arbeitet. Wir wussten diesmal ganz genau, wer gerade was macht. Bei vorherigen Alben hatten wir das Problem, wenn wir nicht jeden Tag unsere Mails gecheckt haben, dass George eine Idee geschickt hatte, zwischendurch hatte Jason schon was geändert, dann wieder Chuck und gleichzeitig war ich dran und dann hatte ich was verpasst ...
Ich verstehe, was du meinst. Am Ende hast du sieben Versionen.
Chris: Wie sollte man da den Überblick behalten, ohne direkt miteinander zu sprechen? Zoom hat uns da geholfen.
Habt ihr Lieblingssongs auf dem Album?
Jason: Ich habe eher Lieblingsparts als Lieblingssongs. Das finde ich aber cool. Auf diesem Album spule ich sehr wenig vor. Sonst überspringe ich manchmal Songs, weil wir sie siebzehntausendmal gehört haben, zum Beispiel, weil wir dazu ein Video aufgenommen haben. Der Titeltrack ist auf jeden Fall einer meiner Favoriten. Er ist ein gutes Beispiel für das, was wir mit „Feel The Void“ vorhatten, wenn wir wirklich von einem Plan für das Album sprechen wollen. Das kann sich wieder ändern, wenn ich das Album noch mal höre. Ich finde immer wieder etwas, das ich mag, und das ist ein gutes Zeichen.
Chris: Ich mag es auch. Allerdings habe ich das Album noch nie mit dem Ziel gehört, einen Lieblingssong zu finden. Ich brauche immer ein bisschen, bis das klappt. Mir ist es wichtiger herauszufinden, ob ein Album als solches funktioniert oder ob es doch eher zwölf für sich stehende Songs sind. Außerdem habe ich noch keine finale Version bekommen. Ich habe die Testpressung, aber ich brauche eigentlich das komplette Paket mit Lyrics, Artwork und so weiter, um mir ein Urteil zu bilden. Den Moment gab es noch nicht. Ich habe sowieso eher selten Lieblingssongs.
George: Der Part, der für mich heraussticht – und ich weiß gerade nicht den Titel des Songs – düdüdeldü, du düdeldü ... so geht er in etwa ... „straight to hell ...“ ... wisst ihr, welchen ich meine?
Chris: Du redest über Song Nummer zwei.
George: Na ja, jedenfalls war das für mich der Moment, in dem mir klar war, was das für ein Album wird. Wir haben ja darüber gesprochen, dass diesmal vieles anders war, wir sind zu fünft und die Produktionsbedingungen waren anders. Bei dem Song wusste ich aber, in welche Richtung das alles geht. Dieser Teil ist hängen geblieben. Vielleicht ist das nicht mein Lieblingssong, aber das Riff ist mir im Kopf geblieben.
Chris: Das ist nicht der zweite Song auf dem Album, sondern der zweite, an dem wir gearbeitet haben. Für mich war das der Moment, in dem ich gemerkt habe, wohin das gehen kann, der Moment, der die Richtung bestimmt hat.
George: Wir müssen wirklich rausfinden, wie der Song heißt.
Jason: „Song 2“? Ich habe die Namen längst wieder vergessen, haha. Mir fällt er wieder ein, wenn ich die Setlist sehe. Es ist nicht der zweite Song auf dem Album, aber der zweite, den wir aufgenommen haben.
George: Mir fallen auch nur die Arbeitstitel ein im Moment.
Wir finden das schon noch raus. Fühlt ihr euch nach all den Jahren eigentlich wie Rockstars?
Alle: Nein, haha.
George: Niemals.
Chris: Wir waren noch nie Rockstars.
Nicht mal dann, wenn da tausende Leute eure Songs mitsingen und die Fäuste in die Luft strecken? Fühlt sich das nicht krass an?
Jason: Das ist natürlich ein aufregendes Gefühl, aber ich fühle mich nicht wie ein Rockstar in so einem Moment.
Chris: Ich überlege gerade wirklich, ob ich mich jemals wie ein Rockstar gefühlt habe ...
Ich meinte das nicht im Sinne von breitbeinigen Stadionrock-Klischees. Es geht mir eher um den Erfolg, den ihr als Band habt.
Chris: Es gab diesen kleinen Moment, der war sehr kurz. Als wir das erste Mal mit einem Bus auf Tour waren ...
Jason: Na gut, das stimmt ...
Chris: Ey, ich habe so viele Bands gesehen, die mit einem fetten Bus auf Tour waren. Als wir zum ersten Mal einen bekommen haben, stieg ich ein und dachte: Das ist abgefahren! Nur wurde mir dann klar, dass du weder ein großes Geschäft machen noch duschen gehen kannst in so einem Nightliner – wir würden also für eine ganze Woche sehr, sehr eklig sein. Dieser einzige Rockstar-Moment war also leider sehr kurz.
Jason: Ich weiß nicht, ob es wirklich dieser Moment auf der Bühne ist, wenn man sieht, wie das Publikum feiert, der dafür sorgt, dass ich mich wie ein Rockstar fühle. Das zeigt mir eher, warum es sich lohnt, die Tourstrapazen auf sich zu nehmen. Wenn alle Spaß haben, das fühlt sich super an. Aber Rockstar ... nein. Es zeigt mir eher, dass es eine gute Entscheidung war, dranzubleiben und weiter Musik zu machen.
Chris: Mir fällt dann auf: Heilige Scheiße, die Leute mögen, was wir tun! Echt? Das ist immer ein bisschen schräg.
Jason: HOT WATER MUSIC wissen um ihren Platz in der Rock’n’Roll-Welt. Wir sind gut genug in dem, was wir tun, und wenn du uns magst, magst du uns. Aber wenn du uns hasst – auch okay.
Wenn ihr euch die Leute anguckt, die euch mögen – hat sich da was getan in den letzten 28 Jahren?
George: Ich wünschte, unser Publikum wäre diverser. Wenn wir ins Publikum gucken, starrt eine Gruppe Typen wie wir zurück – ein Haufen Chuck Ragans sozusagen. Es hängt aber davon ab, wo wir gerade sind. In Deutschland zum Beispiel sind mehr Frauen bei unseren Shows als in den USA. Das ist cool. Wir würden uns natürlich wünschen, dass das Publikum jünger wird, weil die Band damit eine längere Haltbarkeit bekäme.
Chris: Aber auch die langjährigen Fans kommen doch regelmäßig zu unseren Shows.
George: Ja, seit 28 Jahren, aber im Ernst, zu wie vielen Shows gehst du heute noch und wie viele Konzerte hast du mit 18 besucht? Der Punkt ist aber, dass ich mir wünsche, dass wir heute noch etwas tun, was mich mit 18 begeistert hätte. Es würde uns ein gutes Gefühl geben, dass unsere Arbeit nicht nur Leute berührt, die 45 sind. Das ist ein bisschen selbstsüchtig, aber so geht’s mir eben.
Jason: Mein Standpunkt ist noch viel egoistischer: Ich frage mich immer, ob ich die Musik so noch spielen möchte. Natürlich bin ich dem Publikum dankbar dafür, dass es uns mag und uns damit einen Job verschafft, der uns Freude bereitet. Trotzdem denke ich nicht zuerst daran, ob unsere Musik den Leuten gefällt, sondern hoffe, dass ich mich darauf freue, die Songs zu spielen.
George: Anders wäre es nicht möglich, so lange Musiker zu sein. Wenn du keinen Bock hast, die Songs jeden Abend live zu spielen, kannst du den Job nicht machen. Die Leute würden das außerdem merken.
Ihr habt schon gesagt, dass hier in Deutschland mehr Frauen zu den Konzerten kommen. Gibt’s sonst noch Unterschiede, spielt ihr zum Beispiel andere Songs?
Jason: Die Konzerte in Deutschland sind besser besucht als die in den USA.
Chris: In den Anfangstagen als Band war eine Tour in Europa schwierig zu organisieren. Das ist es immer noch, aber damals gab es kein Internet und keine Handys, wir wussten also nicht, was uns erwartet. In Deutschland waren alle so wertschätzend und haben sich schlicht darüber gefreut, dass es ein Konzert gab. Dabei ging es nicht zwingend um uns, dass es ein Konzert gab, hat die Leute gefreut. Sie waren sehr offen und freundlich zu uns. Das verbinden wir mit Deutschland. In den USA gibt es viele große Städte, wo die Leute die Wahl zwischen zehn Punkrock-Shows an einem Abend haben, und morgen sind noch mal zehn. Da geht eine neue Band schnell unter. In Deutschland war das anders. Wie gesagt, zu unseren Shows kamen jetzt nicht unbedingt HOT WATER MUSIC-Fans, dafür Leute, die sich für Punkrock interessierten und neugierig waren auf die Typen da auf der Bühne. Die kannten uns noch nicht, haben sich aber auf einen guten Abend gefreut und waren bereit, eine kleine Punkband wie unsere zu unterstützen und zu Songs zu tanzen, die sie noch gar nicht kannten. Das ist für mich ein Zeichen von einer coolen und guten Punk-Szene: Wenn Leute zu Songs feiern, die sie noch nie gehört haben. Die Einstellung hat mich sehr an Gainesville erinnert. Es war ein sehr beruhigendes Gefühl, in Deutschland weit weg von zu Hause in so viele freundliche Gesichter zu blicken, und alle wollten mit uns plaudern – so gut das auf Englisch eben ging. Deshalb haben wir in Deutschland so eine Art zweite Homebase aufgebaut.
Jason: Wir können ja nur für uns sprechen. Die Aufregung, die Hingabe und auch die Verbundenheit zu unserer Band sind in Deutschland wirklich toll. Deshalb sind wir gerne bei euch.
Ich hoffe sehr, dass ihr bald wieder herkommen könnt.
Jason: Und wir erst! Wir versuchen jetzt seit drei Jahren, bei euch auf Tour zu gehen.
Die Termine stehen ja schon. Wenn’s klappt, fährst du dann mit, Chris?
Chris: Ich werde hier bleiben, zu Hause.
George: Chris geht nicht mit auf Tour, aber er schreibt weiterhin mit uns die Alben.
Chris: Das ist es, was mich glücklich macht.
Gibt’s sonst noch was, worauf ihr euch in diesem Jahr freut?
Jason: Ich bin müde davon, mir Gedanken darüber zu machen, wohin ich gehe, warum ich irgendwohin gehe, wie lange es dort dauern wird – ich unternehme auch sonst nicht viel, wenn keine Pandemie ist. Dass es jetzt immer so ein Akt ist, rauszugehen und Leute zu treffen, nervt mich schon. Ich persönlich war gar nicht so sehr von der Pandemie betroffen, aber ganz normalen Alltagskram zu machen, ohne vorher die Risiken abwägen zu müssen, darauf freue ich mich.
George: Das betrifft ja schon so simple Dinge wie die Fahrt zum Supermarkt. Dann bist du endlich drinnen und siehst in dem einen Gang drei Leute ohne Maske: „Na gut, dann kauf ich meine Cornflakes halt woanders.“ Das nervt.
Jason: Wir konnten ja nicht mal mehr die Chips im Backstage essen, haha. Ich wünsche mir eine Welt zurück, in der die Leute mit ihrem Egoismus nur sich selber schaden und nicht mir oder anderen.
Chris: Ich bin jeden Tag in den Häusern von fremden Leuten.
George: Weil du ein Einbrecher bist.
Chris: Nein, ich bin Maler, ich streiche Häuser an! Ich muss halt arbeiten gehen, ich trage dann dort eine Maske. Aber so sehr ich müde bin davon, mir ständig Gedanken über das Risiko zu machen, bleibt mir oft nichts anderes übrig. Ich muss schließlich arbeiten. Mein Sohn arbeitet im Supermarkt, ihm geht es ja nicht anders. Wie gut können wir uns überhaupt schützen? Das ist natürlich anstrengend. Ich bin dankbar, dass wir trotzdem noch Musik machen können. Wir haben einen großen Proberaum in einem alten Lagerhaus. Da können wir leicht Abstand halten. Außerdem bin ich dankbar, dass ich weiterhin arbeiten kann. Ich habe mir jedenfalls für dieses Jahr vorgenommen, mehr zu schreiben. Ich liebe es, im Studio zu arbeiten, und bin dankbar, dass das weiterhin geht.
Jason: Ich freue mich darauf, wenn das neue Album endlich erscheint. Und ich freue mich auf die BOYSETSFIRE-Tour, das wird super.
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Diskografie
„Hot Water Music / Swivel Stick“ (7“, Tuesday Morning, 1995) • „Push For Coin / Songs Of The Tinmen“ (LP, No Idea, 1997) • „Fuel For The Hate Game“ (LP, Toybox/No Idea, 1997) • „Clairmel / Hot Water Music“ (8“, No Idea, 1997) • „Forever And Counting“ (LP, Doghouse, 1998) • „Six Going On Seven / Hot Water Music“ (7“, Some, 1998) • „Hot Water Music & Rydell“ (7“, Ignition/Scene Police, 1998) • „BYO Split Series Volume I“ (LP, Better Youth Organization, 1999) • „No Division“ (LP, Some, 1999) „F State Revisited“ (7“, Snuffy Smile, 1999) • „A Flight And A Crash“ (LP, No Idea, 2001) • „Caution“ (LP, No Idea, 2002) • „Colors, Words & Dreams“ (7“, Second Nature, 2002) • „Alkaline Trio / Hot Water Music“ (CD, Jade Tree, 2002) • „10 Jahre Green Hell“ (7“, Green Hell, 2003) • „The New What Next“ (LP, No Idea, 2004) • „Exister“ (LP, Rise, 2012) • „Light It Up“ (LP, Rise, 2017) • „Feel The Void“ (LP, End Hits, 2022)
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