FUCKED UP

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Hänsel und Gretel im Plattensammlerhaus

Nach AGAINST ME! schickt sich eine weitere "Fan-Band" an, den womöglich entscheidenden Schritt ins Licht einer größeren Öffentlichkeit zu tun: FUCKED UP, die kanadischen Meister der Kunst, auf zig Labels unzählige Vinylreleases abzusetzen, haben sich mit dem renommierten US-Indielabel Matador eingelassen und dafür noch etwas mehr Szene-Nestwärme gegen ein professionelles Arbeitsumfeld eingetauscht. Den Die-Hard-Fans passte schon der Jade Tree-Deal nicht, folgt jetzt also ein weiterer Sündenfall? Zumindest nicht, wenn man sie allein an ihrem Schaffen misst: Der neue Longplayer "The Chemistry Of Common Life" ist ähnlich PAINT IT BLACKs "New Lexicon" ein entscheidender Schritt über den bisherigen musikalischen Horizont hinaus, ohne jedoch den gewohnten Sound aufzugeben. FUCKED UP aus Toronto sind (weiterhin) 10.000 Marbles aka Mike Haliechuk (Lead Guitar), Father Damian aka Pink Eyes aka Damian Abraham (Vocals), Slumpy aka Laundry aka Mustard Gas aka Sandy Miranda (Bass Guitar), Concentration Camp aka Gulag aka Josh Zucker (Rhythm Guitar), Guinea Beat aka Mr. Jo aka Jonah Falco (Drums) und der Neuzugang Young Governor aka Ben Cook (Third Guitar). Ich unterhielt mich mit Jonah über das neue-Album, während der gerade mit Zug und U-Bahn durch London fuhr.

Du bist gerade in Europa, um im Büro eures neuen Labels Matador Interviews zu geben. Bislang wart ihr auf Jade Tree und anderen kleinen Labels, die keine so intensive Pressearbeit leisteten. Eine neue Erfahrung für euch?

Ja, wir bewegen uns jetzt in einer ganz anderen Welt. Aber wir haben uns bereitwillig darauf eingelassen und sind bereit für das, was da kommt. Das Ganze spielt sich jetzt einfach auf einem anderen Level von Organisiertheit ab. Ob unsere Vorstellungen erfüllt werden, wird sich zeigen, aber derzeit haben wir Spaß daran.

Wie kamt ihr mit Matador in Kontakt?

Die haben uns angesprochen. Sie waren auf uns aufmerksam geworden, haben sich ein paar Konzerte angeschaut, und dann haben sie uns ein Angebot gemacht. Es lief alles recht unkompliziert und wir sind echt glücklich darüber, denn Matador ist eines der derzeit besten Labels. Und ehrlich gesagt, fühlen wir uns auch geschmeichelt, dass sie sich uns ausgesucht haben.

Darüber, dass es Fans geben wird, die euch auf diesem Weg nicht mehr folgen wollen, seid ihr euch sicher im Klaren.

Natürlich, mit so einem Wechsel verändert sich wohl auch das Publikum, aber das sollte von niemandem als Affront aufgefasst werden. Manche Leute werden sich jetzt vielleicht ausklinken, aber das gehört wohl zu so einer Veränderung dazu.

Was hat euer Denken in dieser Hinsicht verändert, warum seht ihr heute manches anders als vor ein paar Jahren?

Abgesehen von unserem neuen Label bewegen wir uns mit all unseren Aktivitäten weiterhin außerhalb aller gängigen Erwartungen des Musikgeschäfts. Warum die Veränderung? Man könnte von Opportunismus reden, aber wir sehen es als Chance, andere Augen und Ohren zu erreichen - und wir wollten diese Gelegenheit ergreifen, anstatt sie an uns vorbeiziehen zu lassen. Vor diesem Hintergrund halte ich unsere Beweggründe für andere als die jener Bands, die immer nur antworten, sie hätten den neuen Plattenvertrag ja nur abgeschlossen, damit ihre CDs in noch mehr Läden zu kaufen sind, damit irgendwelche Kids in abgelegenen Orten die CD in ihrer Shopping Mall finden können. Wir sehen es vielmehr als "soziales Experiment" an, an dem auch die Leute beteiligt sind, die unsere Musik konsumieren. Und es hat mehr mit Stimulation zu tun als mit einer aus wirtschaftlichen Erwägungen getroffenen Entscheidung, oder gar einem Wunsch nach großer Bekanntheit. Und wenn sich so was einstellt, dann ist das doch eigentlich immer nur ein Begleiteffekt.

Habt ihr über dieses Thema innerhalb der Band diskutiert?

Wir haben das natürlich innerhalb der Band ausgiebig diskutiert, unsere Argumente ausgetauscht, und auch wenn das jetzt erreichte nie das war, was Michael oder ich als das formuliert hätten, was wir mit dieser Band erreichen wollen, so bin ich doch froh, dass wir heute da stehen, wo wir stehen. Wir mögen verschiedene Meinungen haben, aber wir sind nicht gegeneinander, wir sind schließlich gute Freunde. Und wenn ein Entscheidung anstünde, die komplett den Einstellungen von einem von uns entgegensteht, dann würden wir sie so nicht treffen. Wir haben also diese Entscheidung nach vielen Überlegungen und Diskussionen gemeinsam getroffen.

Was nun das neue Album anbelangt, habt ihr euch für einen konventionellen Plattendeal entschlossen, in Zeiten, da so mancher das baldige Ende genau dieses Geschäftsmodells vorhersagt.

Nun, wir haben das ja auch getan und sarkastische Äußerungen gewagt à la "The music is dead, the secene is dead". Aber das war eher ironisch gemeint, sonst wären wir nicht hier, um Interviews zu geben. Dennoch: Die Musikindustrie ist ziemlich ausgelaugt. Und was den klassischen Tonträger anbelangt, so muss man sich ja nur mal unsere Diskografie anschauen, um zu erkennen, dass unsere Liebe dem physischen Produkt in Form von Vinylschallplatten gilt - Dingen, die in der realen Welt existieren. Zusammengefasst kann man sagen, dass wir nicht glauben, dass die Welt der Musikproduktion und des Konsums von Musik tot ist. Sonst würden wir ja nicht vier verschiedene Vinylversionen einer Platte machen - das ist unsere Art, um die Hänsels und Gretels da draußen in unser Lebkuchenhaus zu locken. Allerdings hoffen wir, dass Hänsel und Gretel uns dann nicht lebendig in den Ofen schieben, sondern lieber unsere Plattensammlung bestaunen.

Musikalisch habt ihr euch in den sieben Jahren eures Bestehens etwas verändert. Wie würdest du diese Entwicklung beschreiben?

Manches war geplant, manches hat sich unabsichtlich so ergeben. Unser Bestreben ist, immer mehr Geschicklichkeit im Songwriting zu erwerben - "songcraft" nennen wir das. Wenn man so lange als Band zusammenspielt, kannst du dich einfach an die Formel halten, die für dich funktioniert, etwa weil deine Songs so im Radio gespielt werden, oder du versuchst es, für alle Beteiligten möglichst interessant zu machen. Dabei ist es uns schon wichtig, dass stilistische Veränderungen auch jeder mitbekommt, dass die nicht nur wir als Musiker nachvollziehen können. Denn was bringt es denn, wenn du ein Album machst, dessen Besonderheiten sich nur Musikern erschließen, die man damit beeindrucken kann, dass irgendein besonderer Part von Sekunde 53 aus dem einen Track sich irgendwo in einem anderen wiederholt? Aber der Hauptgrund für Veränderungen ist schon, uns selbst damit glücklich zu machen. Und wenn du uns privat gut kennen würdest, wüsstest du, wie eigennützig wir sind, haha.

Vielleicht habt ihr das ja auch an anderer Stelle schon zu hören bekommen, aber ich jedenfalls finde die Ähnlichkeit zwischen eurem neuen Album und "New Lexicon" von euren Ex-Labelmates PAINT IT BLACK verblüffend.

Leider muss ich sagen, dass ich das neue PAINT IT BLACK-Album bislang nicht gehört habe - sorry, Dan. Doch in der Tat höre ich den Vergleich nicht zum ersten Mal. Nun sie und wir machen schon lange Musik, wir haben beide neue Wege ausprobiert, doch ich weiß nicht, ob das ein "Trend" ist, ob andere Bands folgen.

Auf "The Chemistry Of Common Life" gab es verschiedenen Gastauftritte.

Ja, Katia und Justin von LULLABYE ARKESTRA sind bei einem Song unsere Gastsänger, außerdem Jesse von DEATH FROM ABOVE 1979, Dallas von ALEXISONFIRE und Katie Stelmanis, die mich in ihrer Art zu singen an Kate Bush erinnert. Außerdem spielt mein alter Musikschullehrer bei einem Lied Horn, und Mikes früherer Boss spielt Bongos, meine Mutter spielt Flöte. Ich stelle mir gerne vor, wie wir das Album in Art einer Varieté-Show aufführen, und an der Stelle, wo das Horn zu hören ist, würde sich der Vorhang öffnen und ein älterer Mann käme auf die Bühne, um sein Solo zu spielen. Na ja, leider stehen die Chancen sehr schlecht, alle am Album Beteiligten mal auf einer Bühne stehen zu sehen.

Mit Young Governor habt ihr ein neues Mitglied.

Ja, er ist seit 2007 dabei und spielt die dritte Gitarre.

Ihr steckt gerade in einer Klage gegen das US-Musikmagazin Rolling Stone, das euren Bandnamen wie auch den von XIU XIU unerlaubt in eine Camel-Anzeige eingebaut hatte. Wie ist da der Stand der Dinge?

Das Verfahren läuft noch, aber ich bin, ehrlich gesagt, nicht im Detail informiert, wie es steht. Ich nehme an, das wird sich noch eine ganze Weile hinziehen. Ich schätze mal, dass ein großes Musikmagazin und ein Zigarettenkonzern nicht so einfach vor einer kleinen, stinkigen Punkband aus Kanada einknicken werden. In der Klage geht es darum, dass wir und ein paar andere Bands ungefragt in dieser Anzeige genannt werden, und natürlich ist es für uns völlig inakzeptabel, in diesem Kontext auftauchen. Bei uns in der Band raucht ja nicht mal jemand. Außerdem haben wir als Band auch eine gewisse Reputation, die wir nicht durch so etwas beeinträchtigt sehen wollen. Es ist also völlig inakzeptabel, und als wir dann gefragt wurden, ob wir uns an einer Klage beteiligen wollen, fanden wir das eine gute Idee.

In letzter Zeit hört man immer wieder von den Schikanen, denen US-amerikanische und kanadische Bands an der Grenze zwischen den beiden Ländern ausgesetzt sind. Wie geht ihr damit um?

Wir haben da auch schon unsere Erfahrungen gemacht ... und hatten in der Vergangenheit so unsere Tricks, um die Schwierigkeiten zu umgehen, aber die sollte ich besser nicht in einem Interview ausbreiten. Mittlerweile machen wir das aber alles völlig legal mit einem Arbeitsvisum, denn auf dem recht professionellen Niveau, auf dem wir das betreiben, geht das gar nicht mehr anders. Generell ist es aber nach wie vor schwierig für eine kanadische Independent-Band, in den USA zu touren. Für Waren sind die Grenzen offen, aber nicht für Bands - es müsste eine Bewegung für "künstlerischen Freihandel" geben! Wenn ich höre, dass jemand von einer Band aus Vancouver wegen der Grenzüberschreitung mit seiner Band von einer Gefängnisstrafe von 25 Jahren bedroht ist, ist das wohl etwas übertrieben. Und US-Bands geht das mit Kanada ja genauso: Ich weiß von einer Band, die eine fünfjährige Einreisesperre verpasst bekommen hat, und andere schleichen sich nach Kanada ein, überqueren illegal Flüsse, das ist wie bei "The Great Escape", einfach absurd. Da ist das in der Europäischen Union doch viel einfacher.

In den USA stehen die Präsidentschaftswahlen an. Erwartest du davon eine positive Veränderung?

Außer für den Fall, dass McCain gewählt wird, erwartet in Kanada jeder eine große Veränderung. Ob das gerechtfertigt ist, wird sich zeigen, aber selbst eine nur geringe Veränderung wird sich schon so anfühlen, als habe sich eine Menge bewegt. Andererseits zeigt die Erfahrung, dass sich die meisten Erwartungen nicht erfüllen, denn so eine Regierung arbeitet eben in eingefahrenen Bahnen. Das mag jetzt resigniert klingen, nach dem üblichen Punk-Gerede: "Egal wer an der Regierung ist, es sind immer die gleichen Arschlöcher", aber das meine ich nicht. Ich denke, die Unterschiede zwischen zwei Regierungen sind heutzutage so klein, dass sie mit bloßem Auge kaum erkennbar sind. Aber ich hoffe, dass es anders kommt, wir bald ohne Probleme in die USA einreisen können und mit Taschen voller Geld von der Tour zurückkommen.

Apropos Tour: Wann werden wir euch in Deutschland wieder sehen können?

Wir kommen euch im November besuchen! Bis dann!