Patrick Kinnon ist eigentlich eine Frohnatur und ein angenehmer Gesprächspartner. Im Zuge der Veröffentlichung des neuen DRUG CHURCH-Albums, „Hygiene“ wirkt er jedoch nachdenklicher, gar zynisch. Die zehn Songs sind eine deutliche Weiterentwicklung zum Vorgänger „Cheer“ und zeigen, dass die Band aus Albany, New York enorm an ihren Stärken gearbeitet hat. Gleichzeitig hat Kinnon seinen Blick noch weiter nach innen gerichtet – Zeit genug hatte er in der Pandemie dafür ja. Ergebnis dieser Introspektion ist eine neue Ausrichtung des eigenen Lebens und ein neues Ziel: Es geht um mentale Gesundheit und wie wir als Gewinner aus einer Auseinandersetzung mit uns selbst herausgehen können. Dass deswegen andere Themen erst mal auf der Strecke bleiben und welche Bedeutung unsere Umwelt für unsere Psyche hat, erzählt er im Interview.
Um es vorwegzunehmen, ich denke, dass „Hygiene“ ein starker Kandidat für das Album des Jahres ist und ähnlich starke und positive Kritiken erhalten wird, wie sein Vorgänger.
Natürlich ist das erst mal etwas sehr Schönes, wenn das, was wir machen, gut aufgenommen wird. Für mich haben die Ansichten anderer jedoch meist nicht so viel Gewicht, da ich in den letzten Jahren gelernt habe, hauptsächlich auf mich selbst zu hören. Wenn ich nämlich ein Kompliment ernst nehme, müsste ich ja auch negative Kritik von Fremden ernst nehmen. Und dazu bin ich einfach nicht bereit. Im Grunde zeigt sich hier auch der Konflikt, in dem wir uns als Kreative befinden: Für wen mache ich das alles überhaupt, wenn nicht für mich selbst? Sollte mir dann nicht auch die Meinung der anderen total egal sein, solange ich mit dem zufrieden bin, was ich da gerade produziert habe? Anders wäre es, wenn eine Künstlerin oder ein Künstler, die oder den ich sehr schätze, zu mir kommen würde und meine Arbeit mit negativer Kritik überschütten würde. In dem Fall würde mir das etwas bedeuten. Wahrscheinlich würde ich dann aber auch aus der Defensive heraus versuchen, Schwachpunkte in ihrem Werk zu finden, die ich ihnen dann um die Ohren hauen könnte. Es wird also schnell persönlich. Davor schütze ich mich und andere so gut es geht.
Wie würdest du das neue Album jemandem beschreiben, der noch nie etwas von euch gehört hat?
Spielen wir das doch einmal durch. Nehmen wir an, ich beschreibe einer gehörlosen Person, wie sich DRUG CHURCH anhört. Da bleibt ja nur die Beschreibung des Rhythmus, den ja auch Menschen, die nichts hören können, wahrnehmen. „Hygiene“ ist ein stetig rollendes Gewitter mit unterschiedlichen Variationen, ohne dabei uninteressant zu werden. Was die Lyrics auf der Platte angeht, kann ich sagen, dass sie sich dem Ganzen anschließen, jedoch ohne dabei wirklich über einen hinwegzurauschen. Es geht darum, bestimmte Momente im Leben ganz bewusst wahrzunehmen und sich mit ihnen auseinanderzusetzen. Das sind vor allem sehr persönliche Momente. Wenn ich die Platte mit Farben beschreiben sollte, wäre es eine Mischung aus Magenta und Gelb. Ähnlich wie das Kostüm des Marvel-Helden Baron Zemo, der einer der Gegenspieler von Captain America ist.
Ich gehe mal davon aus, dass der Titel der Platte sich nicht auf regelmäßiges Händewaschen bezieht, oder?
Tatsächlich geht es um mentale Hygiene und darum, wie wir mit der sich bietenden Realität um uns herum umgehen. Wir sind von Menschen umgeben, die wir irgendwie beeinflussen wollen, weil wir meinen, dass ihr Lebenswandel nicht richtig oder sogar gesund ist. Nimm zum Beispiel jemanden, der oder die kein Gemüse mag. Du kannst den Leuten verklickern, dass Gemüse gesund und sogar wichtig ist. Das machst du einmal, vielleicht zweimal, aber nichts ändert sich. Da bleibt dir eigentlich nur übrig, sich wieder mehr auf dich zu konzentrieren, statt zu versuchen, etwas komplett Verkorkstes zu ändern. Ich habe in den letzten Jahren bemerkt, dass viele Menschen um mich herum ihre persönliche mentale Hygiene vernachlässigen, was sich übrigens durch die Pandemie noch extrem verstärkt hat. Alkoholprobleme, Spielsucht oder andere Abhängigkeiten sind in dieser Zeit zu großen Problemen angewachsen. Ich habe das beobachtet und für mich selbst festgelegt, dass ich gestärkt aus dieser Phase herausgehen möchte. Ich wollte die Zeit nutzen, um mit mir selbst ein paar Dinge durchzugehen, die definitiv keinen positiven Effekt auf mein Leben hatten. Geholfen hat mir dabei auf jeden Fall, dass ich mich auf meine Jobs, aufs Zeichnen von Comics und aufs Musikmachen konzentrieren konnte. Da war es jetzt nur logisch, dass ich mir die ganzen Erfahrungen aus dieser Zeit von der Seele schreibe.
Hast du den Leuten, die so sehr gestrauchelt sind, die Songs mal vorgestellt, die durch sie inspiriert worden sind?
Dazu gab es nicht die Notwendigkeit. Es ist sogar so, dass viele meiner Freunde oder Bekannte, die ich im Rahmen von DRUG CHURCH und meiner Musik kennen gelernt habe, nicht wirklich glühende Fans unserer Band sind. Wir sprechen über andere Dinge, wenn wir uns sehen, und es kann sogar mal vorkommen, dass sie gar nicht mitbekommen, wenn wir neue Musik veröffentlichen.
Es gibt auf „Hygiene“ eine Textzeile, die in Zeiten von Pandemien und weltweiten Konflikten wie ein sehr guter Rat klingt: „Newsflash, we need news less“. Kannst du erklären, wieso unser Medienkonsum auch etwas mit unserer mentalen Gesundheit zu tun hat? Hast du vielleicht einen Tipp für den Umgang mit Medien in hektischen Zeiten?
Unsere Medien werden dominiert von selbsternannten Märtyrern, die eine narzisstische Persönlichkeitsstörung haben, also zumindest wenn wir über Social Media sprechen. Das ist besonders gefährlich für Menschen, die tatsächlich Hilfe benötigen oder in einer Krise stecken. Wir konsumieren permanent und bleiben dabei wie gelähmt. Der Zustand der Fassungslosigkeit, auch jetzt im Zuge des Ukraine-Kriegs, wird durch den pausenlosen Konsum von Nachrichten oder sozialen Medien nur verstärkt. Ich kann nur sagen, dass es keinen Sinn macht, sich in solchen Zeiten persönlich profilieren zu wollen. Was jetzt zählt, ist, aktiv zu werden. Wir können uns an unsere gewählten Politikerinnen und Politiker wenden, damit sie etwas gegen die Zustände tun. Wir können Spenden sammeln und Menschen vor Ort helfen. Es ist jedoch absolut nicht gesund, in der passiven Haltung eines Konsumenten zu verweilen und sich immer hilfloser zu fühlen. Das sind wir im Gegensatz zu den Menschen, deren Leben wirklich in Gefahr ist, nämlich überhaupt nicht.
Wie, denkst du, gehen die Hörerinnen und Hörer an „Hygiene“ heran und hatte der Erfolg von „Cheer“, dem Vorgänger, Einfluss auf die Entstehung?
Es ist grundsätzlich schwierig, die Reaktion von Menschen auf Kunst vorherzusagen. Schließlich liegt dem Ganzen ja eher ein Monolog anstatt eines Dialogs zugrunde. So kann es schnell passieren, dass das, was wir da gerade produzieren, einfach komplett missverstanden wird. Ich möchte mich da raushalten und hoffe nur, dass diejenigen, die sich mit DRUG CHURCH beschäftigen, es mit einer gewissen Offenheit tun. Wenn es ihnen gefällt, ist das schön. Andersherum ist es für uns sicher kein Weltuntergang, wenn jemand unsere Musik nicht gut findet. Ich kann das grob mit Bildern in einem Museum und den Beschreibungen dazu vergleichen. Es hat keinen großen Einfluss auf mich, wenn ich weiß, wie alt der oder die Künstler:in war, als das Kunstwerk entstanden ist. Das ändert ja nicht meine Herangehensweise oder die Emotionen, die ich bei der Betrachtung des Bildes empfinde. Ich ziehe meine persönlichen Schlüsse und Gefühle daraus, egal, wer die Kunst geschaffen hat. Und was den Einfluss von „Cheer“ auf das neue Album angeht, kann ich mich nur wiederholen: Es ist für uns erst mal egal, was vorher passiert ist, wer etwas von uns gut fand und wer uns kritisiert hat. Wir haben eine ganz normale Entwicklung als Band durchgemacht. Unser Ziel war es, dass wir uns nicht wiederholen. Weder musikalisch noch inhaltlich. Da passt es auch gut zusammen, in welche Richtung „Hygiene“ geht. Schließlich müssen wir mit niemandem irgendwelche Kompromisse eingehen. Wir müssen niemanden unterhalten. Das Angebot an Kunst ist riesengroß. Wenn jemand etwas anderes hören möchte, soll er oder sie es doch einfach tun.
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