Es ist der 4. März 2014, ein Dienstag. Heute erscheint auf Victory Records „Die Knowing“, das fünfte Album von COMEBACK KID. Und was machen die Kanadier? Feiern? Eine große Pressekonferenz abhalten? Nein, sie sind unterwegs im Van und machen das, was sie auch die letzten Jahre immer gemacht haben: touren. Die Band ist auf dem Weg nach Atlanta, für unser Skype-Interview legen die Jungs extra einen kurzen Stop auf einem Rastplatz ein und Frontmann Andrew Neufeld nutzt das kostenlose W-LAN für ein kurzes Gespräch.
Andrew, ihr seid gerade auf dem Weg nach Atlanta. Wie läuft’s?
Es läuft gut. Die neue Platte kommt heute raus und wir sind natürlich aufgeregt. Im Moment checken wir also die ganze Zeit iTunes und freuen uns riesig darüber, dass die Platte endlich draußen ist.
Wie ist denn das bisherige Feedback auf die neue Platte?
Bisher eigentlich ziemlich gut. Alle unsere Freunde sind echt angetan von der Platte. Ich habe versucht, einige Reviews zu lesen, und auch die waren ziemlich gut. Ich hab bei der Platte jetzt auch grundsätzlich ein besseres Gefühl als bei vorherigen Platten. Auch der Weg bis zum Release jetzt fühlte sich gut an und es scheint auch ein echtes Interesse für den Release zu geben.
Die letzte Platte „Symptoms + Cures“ erschien vor vier Jahren. Was habt ihr in der Zwischenzeit gemacht?
Wir sind viel getourt und hatten eigentlich in den vier Jahren seit der letzten Platte keine echte Pause. Wir sind aber auch keine Band, die jedes Jahr ein neues Album schreiben könnte. Wir versuchen lieber, am äußersten Rand der Erde Konzerte zu spielen. Klar haben wir uns auch schon mal so kleinere Auszeiten zwischen den Touren genommen, wir leben aber inzwischen alle in unterschiedlichen Städten. Es fühlt sich deshalb einfach nicht so an, als wären inzwischen vier Jahre vergangen. Wir nehmen uns eben dann Zeit und schreiben Songs, wenn es einfach passt.
Ihr seid letztes Jahr mit eurem alten Sänger Scott Wade getourt, wie kam es dazu?
Darüber hatten wir mit ihm schon länger mal gesprochen. Scott lebt in Toronto, und wenn wir da gespielt haben, dann kam Scott immer mal auf die Bühne und sang ein paar Songs mit uns, was auch immer Spaß macht, weil wir immer noch gute Freunde sind. Wenn wir dann zusammen rumhingen und was trinken gingen, dann kam irgendwann immer der Spruch: „Das wäre doch großartig, wenn wir das machen würden!“ Aber ich wollte das in den richtigen Kontext setzen. Wenn er schon zurückkäme, musste allen klar sein, dass es eine einmalige Sache sein würde. Wir haben uns deshalb dafür entschieden, es zum zehnjährigen Jubiläum unseres ersten Albums „Turn It Around“ zu machen, also 2013. Am Ende haben wir dann Songs von „Turn It Around“ und „Wake The Dead“ gespielt und es war eine tolle Sache. Wir haben Konzerte in Amerika, Kanada und auch in Europa gespielt. Scott dabeizuhaben war auch ganz nett und hat mal für etwas Abwechslung bei einer Tour gesorgt. Außerdem waren die Shows klasse und es verschaffte uns ein bisschen mehr Zeit, die neue Platte zu schreiben.
Scott ist auch auf der neuen Platte bei dem Song „Full swing“ zu hören. Entstand die Idee schon auf der gemeinsamen Tour?
Nein. Wir haben den Song geschrieben und ich habe meine Vocals eingesungen. Dann haben wir ihm den Song geschickt und er hat seinen Gesangspart dafür selbst aufgenommen. Wir haben den Song in Kalifornien und Kanada aufgenommen, die Gesangsspuren habe ich in Italien aufgenommen und er seine in Toronto. Der Track ist irgendwie völlig versprengt zustande gekommen, aber ich finde das Ergebnis total cool.
Was war bei „Die Knowing“ anders als bei den vorherigen Aufnahmen?
Ich glaube, der größte Unterschied war, dass wir räumlich so verteilt waren. Wir haben das Schlagzeug in Kalifornien in den Ocean Studios eingespielt und den Rest in Winnipeg, was unsere Heimatstadt ist. Produziert wurde das Album von Kyle Black, der schon mit SET YOUR GOALS, ALPHA & OMEGA und SHAI HULUD gearbeitet hat. Einige Aufnahmen habe ich auch gemacht, als ich mit meiner anderen Band SIGHTS AND SOUNDS in Europa war, weil sonst alles nicht rechtzeitig fertig geworden wäre. Auch die Songs haben wir immer mal wieder zwischen den Touren in unterschiedlichen Städten geschrieben. Was den eigentlichen Sound betrifft, bei „Symptoms + Cures“ wollten wir einen sehr hellen Klang, bei „Die Knowing“ hingegen wollten wir einen fetteren, metallischeren Sound mit mehr Druck und Bass. Darum haben wir uns auch für Kyle Black entschieden, ich finde klasse, was er mit den Drums auf der letzten SHAI HULUD-Platte gemacht hat. Eigentlich macht er gar nicht so viel Hardcore, aber ich mochte schon immer seine Drums und seine Snares und deswegen haben wir ihn gefragt, ob er mit uns zusammenarbeiten möchte.
Hattest du zu keinem Zeitpunkt Sorge, das Album könnte irgendwie scheitern an den Umständen, unter denen es entstanden ist?
Nein, das habe ich nie gedacht. Ich habe mich die ganze Zeit auf die Platte gefreut. Es ist einfach ein Resultat der Zeit, in der wir leben, und ich fühle mich dabei wohl. In fünf unterschiedlichen Studios aufzunehmen, anstatt in einem, ist mir egal, du kriegst trotzdem das gleiche Produkt. Immerhin hast du so auch immer noch etwas Zeit, die Aufnahmen zu verdauen und dich auf deine nächste Session vorzubereiten. Bei den meisten anderen Alben, bei denen ich vorher mitgewirkt habe, war es eigentlich dieses klassische „Du machst alles auf einen Schlag“. Und die Situation jetzt gab uns die Möglichkeit, das Material sich entfalten zu lassen und darüber nachzudenken, was wir als Nächstes angehen wollen. Ich hatte nie Zweifel, was die Produktion des Albums betrifft.
„Die Knowing“ ist ja nicht nur der Titel des neuen Albums, sondern so heißt auch ein Song auf der Platte. Ich bin mir beim Hören nicht ganz sicher, wie er gemeint ist. Ist es etwas Positives, wissend zu sterben?
Es ist eigentlich keine Frage, ob es etwas Gutes oder Schlechtes ist. Es ist mehr ein Memo an mich selbst, eine Motivation, meinen eigenen Weg zu finden und zu gehen. Natürlich auch an andere, das Gleiche zu tun, so gesehen ist es mehr ein Statement. Es geht auch darum, dass Scheitern schon okay ist, weil es dich stärker macht und dir weiterhilft, wenn du noch mal in eine ähnliche Situation kommst. Es soll mich auch an das erinnern, was mir wirklich wichtig ist, denn wir haben nur dieses eine Leben.
„Die Knowing“ ist aber kein Konzeptalbum, also diese Aussage steckt jetzt nicht in allen Songs, oder?
Nein. Ich wollte schon immer mal eine Art Konzeptalbum schreiben, aber ich habe es noch nie geschafft, mich so sehr zu fokussieren und zwölf Songs rund um ein Thema zu gruppieren. Es sind einfach ein Haufen Songs mit unterschiedlichen Texten und Themen. Zwar sind alle sehr persönlich, aber es geht bei dem Album nicht um ein zentrales Motiv.
Wo du es schon ansprichst, kannst du ein bisschen was über die Situationen erzählen, in denen die Songs entstanden sind, und welche Emotionen dabei eine Rolle gespielt haben?
In „Lower the line“ zum Beispiel geht es um eine Situation, in der ein Freund von mir war. Er war wegen einiger Verbrechen angeklagt und machte eine ziemlich harte Zeit durch. Das Urteil hätte für ihn ziemlich hart ausfallen können und ich habe den Song für ihn geschrieben, um ihm zu sagen, dass ich für ihn da bin und ihn noch genau so sehe wie vorher. Dann gibt es noch den Song „Unconditional“. Meine Mutter hat Krebs und in dem Text geht es darum, wie die Familie das verarbeitet, die Chemotherapie, das Warten auf die Ergebnisse und hoffentlich eine gute Nachricht, aber auch wie man sich darauf vorbereitet, was passiert, wenn es schlechte Nachrichten sind. Es geht ihr inzwischen besser, und wie diese positive Nachricht ist es eigentlich auch eher ein positiver Song. Dann gibt es noch andere, in denen es zum Beispiel darum geht, dass es Dinge im Leben gibt, die wir denken und die wir auch machen, die der Liebe im Weg stehen können, die aber auch stärker als Liebe sein können. Die Songs sind eigentlich mehr ein Kommentar zu Beziehungen von mir. Es sind also alles recht persönliche Texte, nicht wirklich welche, die anderen jetzt groß etwas sagen, eigentlich mehr eine Art Selbsttherapie.
Ich empfinde „Die Knowing“ als düsterer und weniger melodisch als die vorherigen Platten, wie seht ihr als Band das?
Das finden wir auch. Wir wollten kurze, schnelle, harte Hardcore-Songs schreiben. Wir waren uns nicht ganz sicher, was dabei herauskommen würde. Irgendwann hatten wir eine ganze Reihe von Songs, einige davon waren melodisch, aber die meisten waren doch eher heavy, und wir stellten fest, dass uns das auch besser gefiel. Wir wollten deshalb auch die härteren Songs am Anfang der Platte haben und weiter hinten dann die eher punkrockigen Songs. Wir wollten so einen Flow erzeugen: vorne intensiv und heftig und nach hinten raus dann etwas lockerer. Ich würde auch definitiv sagen, dass „Die Knowing“ einige Elemente des Neunziger-Jahre-Hardcore aufgreift, den wir damals gehört haben und so auch etwas mehr wie die früheren COMEBACK KID-Sachen klingt. „Symptoms + Cures“ war eine eher durch Punkrock beeinflusste Platte, „Die Knowing“ eher durch Metal, aber trotzdem gibt’s noch diese Punkrock-Elemente.
Ich freue mich schon darauf, euch mit den neuen Songs live zu sehen. Sie haben eine unglaubliche Energie, die, schätze ich, die Leute ziemlich mitreißen wird.
Das war auch unser Ziel. Wir haben versucht, uns vorzustellen, wie wir die Songs live spielen würden, und wollten diese Energie in die Songs stecken. Und ich glaube, jede Hardcore-Band schreibt neue Songs vor allem, um sie live zu spielen, da sind wir keine Ausnahme. Mit dem Album musst du die Leute packen, damit du überhaupt die Chance erhältst, die Songs live zu spielen und sie deinem Repertoire hinzuzufügen. Die Leute, die uns schon sehr lange kennen, werden immer unsere alten Stücke lieben, weil sie sie gehört haben, als sie noch Teenager waren. Aber wir hoffen, dass auch die neuen gut ankommen.
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