Veränderung und Kontinuität müssen sich nicht gegenseitig ausschließen. COMEBACK KID legen mit „Outsider“ ihr sechstes Album vor und arbeiten nach dem bewährten Prinzip: So wenig Innovation wie möglich, um die Grundsubstanz nicht zu verwässern – so viel Innovation wie notwendig, um nicht zum Abklatsch seiner selbst zu werden. Das funktioniert! „Outsider“ enthält sowohl einige der bislang brachialsten Hardcore- als auch der melodischsten Punk-Songs der Kanadier. Ein gut gelaunter Sänger Andrew Neufeld beantwortete mir via Skype Fragen zur aktuellen Situation.
Andrew, seit dem Vorgängeralbum 2014 gab es drei Besetzungswechsel. Du und Jeremy seid die letzten beiden Gründungsmitglieder.
Eine Band, die über zehn Jahre besteht, behält in den seltensten Fällen alle ursprünglichen Mitglieder. Als wir anfingen, waren wir Anfang zwanzig, ohne klare Familien- und Karriereplanung. Ab Mitte dreißig wird es komplizierter, die Band weiterhin in deinen Alltag zu integrieren. Bassist Ron stieß schon 2014 zu uns. Unser Originaldrummer Kyle entschied sich nach den Aufnahmen der Drumtracks von „Die Knowing“ dazu auszusteigen. Er machte noch die anschließenden Touren mit, aber danach war er einfach durch. Er brauchte diese Veränderung und wollte sich beruflich weiterentwickeln. Das konnte ich absolut verstehen. Unser Freund Jesse von NO WARNING unterstützte uns dann circa ein Jahr lang, aber langfristig war es für ihn keine Option. Neuer Schlagzeuger ist Loren von LIVING WITH LIONS, den kennen wir auch schon ewig. Er lebt wie ich in Vancouver. Dieses Line-up könnte eine Weile halten, jedenfalls habe ich ein sehr gutes Gefühl.
Haben die Veränderungen im Line-up eure Arbeitsweise als Band verändert?
Tatsächlich ist es zum ersten Mal der Fall, dass alle aktiven Bandmitglieder auch selbst auf dem Album spielen. Zuvor habe ich zum Beispiel teilweise im Studio den Bass eingespielt. Jetzt hat Ron das gemacht und seine eigenen Ideen mit umgesetzt. Die größere Veränderung liegt aber schon sechs Jahre zurück, das war, als Stu als fester zweiter Gitarrist eingestiegen ist. Er trägt inzwischen eine Menge zum Songwriting bei. Davor waren hauptsächlich Jeremy und ich dafür zuständig. Es hilft uns, dass wir nun durch Stu eine dritte Meinung und kreative Komponente beim Schreiben haben. Insbesondere um Jeremys und meinen Dickkopf voneinander zu trennen.
Der Titel des Albums ist „Outsider“. Seht ihr euch als solche?
Wir sehen und definitiv als Band, die eine klare eigene Linie verfolgt. Wir wollen auch in keine spezielle Nische in der Hardcore-Szene gesteckt werden. Stu hatte die Idee dazu und als ich dann den Titelsong schrieb, sollte es eher eine Art Herausforderung für Menschen sein, die sich als Ausgestoßene fühlen, um ihnen ein paar positive Ansätze mitzugeben, mit diesem Zustand umzugehen und ihn auszuhalten. Querdenken und die aus eingefahrenen Bahnen ausbrechen kann da schon helfen. Eine kleine Motivationshilfe zur Weiterentwicklung sozusagen.
Also ist die Außenseiterrolle Fluch und Segen zugleich?
Wenn du für dich persönlich in Bereichen weiterkommst, die gesamtgesellschaftlich wenig im Fokus liegen, wie Menschlichkeit, Menschenrechte und Umweltbewusstsein, dann ist das auf jeden Fall ein Segen.
Mit dem sechsten Album seid ihr ja mittlerweile eine Szenegröße. Das schürt Erwartungen. Setzt dich das heute mehr unter Druck als früher?
Ich habe mich von Anfang an immer schon selbst sehr unter Druck gesetzt. Allerdings wird es von Album zu Album etwas besser. Wir möchten stolz auf unsere Songs sein und sie live gut rüberbringen. Uns plagen jedes Mal Zweifel, ob die Stücke live wirklich funktionieren und auch von den Fans gut angenommen werden. Wir sind immer extrem selbstkritisch. Du schreibst, du nimmst auf, und wenn das Resultat gut klingt, dann machen der Spaß und der Stolz auf seine Leistung den Druck, die Nervosität und die Selbstzweifel fast vergessen.
Euer neues Label Nuclear Blast ist das weltweit größte unabhängige Metal-Label. Wie kam es zur Zusammenarbeit?
Marco von unserer Agentur Avocado Booking hat mich mit Markus von Nuclear Blast bekannt gemacht, bei einer Show in Stuttgart hat er dann die übrigen Bandmitgliedern kennen gelernt. In dem Moment waren wir bereits mitten in den Aufnahmen, wir haben schon überlegt, das Album alleine zu veröffentlichen. Es gab noch einiges Hin und Her mit verschiedenen Labels, aber Nuclear Blast hat uns überzeugt, hier schien man am engagiertesten zu sein. Unser Vertrag mit Victory war erfüllt, es war Zeit für etwas Neues. Und bislang läuft es wirklich gut.
War die Kooperation mit Devin Townsend, Chris Cresswell, dem FLATLINERS, Sänger, und Northcote auf dem neuen Album eine spontane Idee oder von langer Hand geplant?
Um ehrlich zu sein, war alles ziemlich spontan. Die Sache mit Devin Townsend ist so passiert: In unserem neuen Song „Absolute“ ist ein Breakdown, der mich an einen Song von Devin namens „Imperial“ erinnerte. Ich sagte dann aus Spaß, dass ich ja an der Stelle etwas Devin Townsend-mäßiges schreien könnte. Aber dann fanden wir, wir können ihn auch einfach direkt fragten, ob er das nicht machen möchte. Ich kannte Devin, seit er das Album meiner anderen Band SIGHTS AND SOUNDS und Stus Band MISERY SIGNALS produziert hat. Wir riefen ihn an und er hatte Lust. Ich schickte ihm meine Gesangsspuren zur Orientierung und er produzierte zehn verschiedene Tracks mit abgefahrenem Zeug, wir sollten uns einfach etwas davon aussuchen. Bei Chris war es ähnlich. Es gibt bei „Consumed the vision“ einen zweistimmigen Part und beim Arrangieren des Gesangs schien mir mein Stimmumfang dafür zu gering. Ich dachte sofort an Chris, der lebt ja wie ich in Toronto. Als wir in Vancouver mit den Aufnahmen fertig waren, gingen wir in Toronto ins Studio, tranken ein paar Bier und haben entspannt ein bisschen was ausprobiert. Für „Moment in time“ hatten wir uns ein Intro vorgestellt mit Bar-Atmosphäre, so im Johnny Cash-Stil. Northcote zu fragen, hat sich einfach angeboten. Er wohnt in der Nähe des Studios in Vancouver und kam kurz mal vorbei, das lief ganz spontan. Es ging uns nicht darum, Gäste fürs bloße Namedropping zu benutzen. Sie sollten dem Album etwas geben, das ich alleine nicht umsetzen konnte. Letztlich entstand durch diese lose Zusammenarbeit ein stimmiges Gesamtbild.
Der Song „Surrender control“ handelt von Kontrollverlust. Gibt es Bereiche, in denen es im Alltag besser ist, Kontrolle abzugeben?
Es geht insgesamt darum, mit meinen Ängsten besser klarzukommen. Darum, fähig zu sein, sich aus eigener Kraft wieder ins Gleichgewicht zu bringen. Das bereitet mir bisweilen Schwierigkeiten. Ungeduld und vorschnelle Scheinlösungen machen es oft nur schlimmer. Daher geht es auch darum, seine Probleme mit Weitsicht anzugehen und mit sich selbst im Reinen zu sein.
Was ist das Thema von „Recover“?
Im Wesentlichen Dinge so zu akzeptieren, wie sie sind. Die Schlüsselbegriffe sind dabei Zeit und Ort, und zwar in allen entscheidenden Momenten im Leben und deshalb natürlich auch in der Musik. Ob du einen Song oder ein Album magst oder dich einer Band verbunden fühlst, hängt immer auch davon ab, wo und wann du ihr begegnest. Nimm deine Erfahrungen so hin, hinterfrage nicht immer alle Kleinigkeiten.
Hast du bei deinen Texten literarische Vorbilder?
Keine speziellen. Bei mir funktioniert das eher ungewöhnlich: Ich suche nach Wörtern, die eine bestimmte Klangästhetik und Stimmung haben und arbeite mich dann erst zu einem zusammenhängenden Text vor. So gesehen findet der Song eher mich als ich ihn. Manchmal weiß ich beim Schreiben gar nicht, worauf der Text hinausläuft, das passiert dann eher unterbewusst. Ich setze mich nicht hin, suche mir ein Thema und formuliere es aus. Es ist eher so, dass ich einen Gefühlszustand aus mir herausschreibe, der dann am Ende als Text vor mir liegt.
Zum zehnjährigen Jubiläum eures Debüts „Turn It Around“ habt ihr euren ersten Sänger Scott Wade eingeladen, um das komplette Album mit ihm auf einer Tour live zu spielen. Wie war es?
Wir sind froh, das gemacht zu haben. Die Show bestand aus Songs von „Turn It Around“ und „Wake The Dead“, also beiden Alben, auf denen Scott damals gesungen hat.
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