COMEBACK KID fielen mir zum ersten Mal im Januar 2004 auf. In einem Interview mit einem Online-Fanzine empfahl Ben Cook, der Sänger der kanadischen Band NO WARNING, seine Landsleute als das momentane Hardcore-Highlight. Ich wurde neugierig und machte mich auf die Suche nach dem einzigen offiziellen Release der 2002 gegründeten Band und musste zugeben, dass Ben in Sachen Musik Geschmack bewiesen hatte. Das im März 2003 erschienene Album „Turn It Around“ (GMS/Facedown) schlägt einen perfekten Bogen zwischen 88er Straight Edge (CHAIN OF STRENGTH) und modernem Metalsound (TERROR). Trotz positivem Background kommt die Band dabei ganz ohne antiquierte Crew/Unity-Lyrics aus. Diese Mischung scheint anzukommen, sowohl beim Hellfest als auch beim Posi-Numbers-Fest auf. Ende 2004 stand der zweite Europabesuch (zusammen mit CHAMPION) innerhalb des abgelaufenen Kalenderjahres an. In Herten traf ich Sänger Scott und Gitarrist Andrew.
Nach Shows in Island und den Niederlanden ist das heute das dritte Konzert. Wie ist es euch ergangen?
Andrew: „Island war echt klasse. Wir waren zum ersten Mal dort und wussten nicht, was so hoch im Norden Europas passieren würde. So viele Bands scheinen sich nicht die Mühe zu machen, so weit zu reisen, denn der Club war total überfüllt und die Kids komplett durchgedreht.“
Scott: „Der weite Weg hat sich gelohnt. Zum einen, weil nicht nur Hardcore-Kids kamen, sondern ein relativ gemischtes Publikum vor Ort war, das eine Menge Spaß zu haben schien. Und zum anderen haben wir auf der Rückreise nach Holland einen entspannten Zwischenstopp einlegen können und so noch was vom Land mitbekommen.“
Ihr wart bereits Anfang des Jahres in Europa. Was hat man da noch für Erwartungen?
Scott: „Vor der ersten Tour hatten wir überhaupt keine Ahnung, was uns erwarten würde. Die Shows waren dann aber alle richtig gut, so dass wir, obwohl wir ja hier immer noch ziemlich unbekannt sind, dieses Mal einfach nur Spaß haben und gute Konzerte spielen wollen. Jeder Abend und jedes Konzert ist natürlich anders und alles ist möglich. Gestern Abend in Arnheim zum Beispiel hätte ich nie gedacht, dass so viele Leute kommen und das Konzert ausverkauft ist.“
Die Kids gestern schienen alle ziemlich textsicher und sangen lauthals mit. Überrascht euch das?
Scott: „Schon ein bisschen, ja. Unsere Absicht war, unser erstes Album ‚Turn It Around‘ so oft wie möglich live zu präsentieren. Wie ich hörte, war es hier in Europa lange gar nicht oder nur schwer zu bekommen, was sich anscheinend mittlerweile geändert hat. Daher haben wir uns auch dazu entschlossen, es jetzt noch mal zu promoten, um dann, wenn unser neues Album erschienen ist, wiederzukommen.“
„Turn It Around“ ist vor kurzem noch mal bei dem portugiesischen Label Best Times erschienen ...
Scott: „Richtig. Sie hatten die Idee, die Platte hier in Europa als limitierte Picture Disc rauszubringen, was für uns natürlich klasse ist. Die Version ist echt schick geworden und wir freuen uns, jetzt endlich mal nach Portugal zu kommen und die Verantwortlichen zu treffen.“
Musikalisch klingt ihr wie eine Mischung aus CHAIN OF STRENGTH und BANE. Wie seid ihr zum HC gekommen und wo seht ihr eure Haupteinflüsse?
Andrew: „Beide von dir genannten Band mögen wir sehr. Darüber hinaus auch Bands wie MADBALL, DEATH THREAT oder NO WARNING. Durch meinen älteren Bruder lernte ich zunächst Punk kennen. Er und seine Band probten bei uns zu Hause im Keller.“
Scott: „Ich habe die Musik über das Skateboardfahren kennen gelernt. Das Skaten blieb dann irgendwann auf der Strecke, aber die Musik blieb. Neben Hardcore hören wir alle auch andere Musikrichtungen, daher fließen die unterschiedlichsten Eindrücke in unsere eigenen Songs. Die Band, die mich inspiriert hat, neben Punk auch HC zu entdecken, ist GOOD RIDDANCE.“
Für das Artwork des Albums ist Mike Bukowski verantwortlich, der für SHARK ATTACK oder NO WARNING gearbeitet hat. Wie kam es zu der Zusammenarbeit?
Scott: „Ich kannte seine Arbeiten, schickte ihm eine E-Mail und fragte, ob er nicht Lust hätte, für uns ein Cover zu gestalten. Nachdem er unsere Tapes hörte, sagte er zu und ist seitdem ein guter Freund geworden, mit dem ich mich fast täglich austausche. Sein Artwork ist eine Interpretation der Texte, über die wir vorher lange diskutierten. Er hat mittlerweile auch Poster und T-Shirts für uns designet.“
Eure Texte haben einen positiven Hintergrund, bleiben aber persönlich. Warum ist das Glas halb voll und nicht halb leer?
Scott: „Was wir den Leuten sagen wollen ist, dass egal, was auch passiert, es irgendwie immer weiter geht, es irgendwo Licht im Dunkeln gibt. Viele unserer Texte handeln von diesem Bild.“
Andrew: „Ich hoffe nicht zu viele Fans zu enttäuschen, aber das neue Album ist etwas pessimistischer ausgefallen!“
Scott: „Okay, es ist immer noch positiv, hat aber auch eine dunkle Seite, haha. Wir würden nie von Selbstmordgedanken oder so was sprechen, das überlassen wir anderen.“
Und was gibt es zur neuen Platte zu sagen?
Andrew: „Das Album trägt den Titel ‚Wake The Dead‘ und wird im Februar bei Victory Records erscheinen. Erst zwei Tage vor der Europa-Tour wurden die Aufnahmen dazu abgeschlossen, für die übrigens Bill Stevenson zuständig war. Die Zusammenarbeit mit ihm war die beste Studioerfahrung, die wir bisher gehabt haben. Es fehlen nur noch ein paar Gesangsläufe, die wir sofort nach unserer Rückkehr in seinem Studio in Colorado aufnehmen.“
Scott: „Wir haben Bill auf einer gemeinsamen Tour mit seiner neuen Band ONLY CRIME kennen gelernt. Anfangs waren wir echt schüchtern, immerhin ist er ja so was wie eine Punklegende. Er bekam mit, dass wir in der Studiofrage noch keine endgültige Entscheidung getroffen hatten, und bot seine Hilfe an. Russ, der Sänger von GOOD RIDDANCE, hat übrigens einen kleinen Gastauftritt bei einem Song, worauf wir alle mächtig stolz sind.“
Wie kam es zu dem Deal mit Victory?
Scott: „Bei uns ist seit der Bandgründung 2002 viel passiert. FACEDOWN haben echt viel für uns getan und wir werden ihnen ewig dankbar dafür sein. Wir haben uns bewusst dazu entschlossen, bei einem Label anzuheuern, das uns die Möglichkeiten bietet, einen Schritt weiter zu gehen als bisher und sind froh, bei Victory gelandet zu sein.“
Andrew: „Das Label scheint auch in Europa einen gewissen Stellenwert in der Szene zu haben. Bisher waren die Rückmeldungen sehr positiv. Victory macht gute Arbeit, hat eine Zweigstelle in England und kann uns so auch hier in Europa gut vertreten.“
Scott: „Gerade die schlechten Distributionserfahrungen mit unserem ersten Album hat unsere Entscheidung, bei Victory zu unterschreiben, gefestigt. Wir als Band wollen einfach nur Musik machen und die Leute, egal wo sie wohnen, sollen dann auch die Chance bekommen, uns hören zu können.“
Wie sind die neuen Songs geworden? Habt ihr was Neues ausprobiert?
Scott: „Die letzten eineinhalb bis zwei Jahre waren wir ständig zusammen auf Tour und haben uns durch die gemachten Erfahrungen vor allem menschlich weiter entwickelt. Musikalisch fällt das Ganze meiner Meinung nach etwas melodiöser aus als die alten Stücke, aber auch die neuen Songs klingen 100 Prozent nach COMEBACK KID.“
Andrew: „Ich persönlich finde die neuen Songs sehr viel besser als die alten. Wir haben auch unterwegs jeden freien Tag geprobt und sind uns in dem Sinne treu geblieben, Songs geschrieben zu haben, die wir selber mögen und nicht irgendwer von uns erwartet. Jeremy, Kyle und ich waren hauptsächlich für die Musik verantwortlich, während Scott zusammen mit mir fast alle Texte verfasst hat. Auch den Bass habe ich einspielen müssen, da wir die letzten eineinhalb Jahre leider keinen festen Bassisten finden konnten. Für diese Tour ist unser Freund Joel eingesprungen. Vorher hatten wir bereits mal Sean Lipinski bei HOLDING ON für eine Tour ausgeliehen.“
Der Einleitung eines Interviews zufolge seid ihr „eine der zur Zeit akzeptiertesten christlichen Hardcore-Bands“. Was sagt ihr dazu?
Scott: „Ich möchte hier klar stellen, dass wir keine christliche Band sind. Das ist ein völlig falsches Bild, das da vorherrscht. Im Moment scheint es zwei Extreme zu geben: Zum einen Leute, die meinen, wir seien eine christliche Band und dementsprechend Statements von uns in diese Richtung erwarten. Wir haben uns aber nie zu diesem Thema geäußert! Auf der anderen Seite HC-Kids, die jeden verdammen, der sich nur zum Thema Religion äußert. Wir als Band respektieren es einfach, wenn beide Seiten zu unseren Konzerten kommen und sich darauf einigen, dass sie wegen der Musik und der Texte kommen. Sonst nichts.“
Andrew: „Ich habe das zwar schon mal gesagt, wiederhole es aber gerne. Wir sind ganz normale Menschen, auf der Suche nach so was wie ‚Wahrheit‘. Unsere Ansichten divergieren extrem. Und wenn jemand von der Band sich persönlich zu einem bestimmten Glauben bekennen würde, wäre das seine Sache und hätte nichts mit der Band an sich zu tun. Wir sind eine HC-Band und leben für Hardcore.“
Das holländische Label Reflections hat in den letzten Jahren sehr viele junge amerikanische Hardcore-Bands in Europa veröffentlicht. Habt ihr die Leute von Reflections mal getroffen?
Scott: „Ja, ich hatte vorher schon mit Johan und Suzanne via E-mail Kontakt. Es war toll, sie endlich mal persönlich kennen zu lernen, da sie viel für amerikanische Bands in Europa tun und wirklich nette Leute sind. Sie arbeiten super professionell und im Gegensatz zu vielen amerikanischen Labels ist ihr Büro sauber und aufgeräumt.“
Gibt es sonst noch Unterschiede zwischen Hardcore in eurem Heimatland Kanada, den USA und Europa?
Scott: „In den USA und Europa gibt es eine gewisse Konstanz. Es ist toll zu sehen, wie viele Kids zu den Shows kommen, egal wo wir oder auch andere Bands spielen. In Kanada ist das noch nicht so weit fortgeschritten, vielerorts erschließen sich gerade erst lokale Szenen. Was aber auch toll ist, da man vor Ort mitbekommt, wie etwas entsteht und wächst.“
Wenn ihr jetzt in die Zukunft blickt, wo seht ihr euch da in den nächsten Jahren?
Andrew: „Ich persönlich möchte auch in sagen wir mal zehn Jahren noch irgendwas mit Musik zu tun haben. Ob es dann noch zusammen mit COMEBACK KID sein wird, bleibt abzuwarten. Das Tourleben hat neben den vielen Vorteilen auch seine negativen Seiten. Gestern Abend in Arnheim ging es mir nicht besonders. Auf der Bühne war es dann wie weggeblasen und ich wusste wieder, warum wir das alles machen. Ich persönlich habe viel Spaß zur Zeit!“
Scott: „Ich würde irgendwann gerne mal im Bereich Grafik/Design arbeiten und versuche neben der Band demnächst auch die Uni zu besuchen. Man wird ja schließlich nicht jünger und irgendwann ist das mit der Band auch mal vorbei.“
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