BUTTERWEGGE

Foto© by Alex Schroer

Durchdrehmomente

Wer mit Carsten Butterwegge spricht, der hat Spaß, denn: Der Duisburger, dem man seine Ruhrpott-Heimat an jeder Silbe anhört, spricht wie ihm der Schnabel gewachsen ist. Er nimmt kein Blatt vor den Mund und changiert zwischen tiefem Ernst und Heidenspaß. Und ist damit als Mensch abseits der Bühne genauso wie als Mensch auf der Bühne. Anlässlich seiner neuen Platte „Alle drehen durch“, die er nicht solo, sondern mit Band aufgenommen hat, war ein Interview mit ihm also unumgänglich. Nicht zuletzt stellt sich beim Butterwegge ja geradezu zwingend die Frage: Wie wurde er derart omnipräsent in der Szene?

Carsten, dein neues Album mit Band heißt „Alle drehen durch“. Wann und wegen was bist du denn zuletzt so richtig durchgedreht?

Eigentlich bin ich überhaupt nicht so jemand, der durchdreht. Ich bin einfach sehr präsent und platze immer gerne irgendwo rein, und man kriegt dann auch mit, dass ich da bin. Ich bin also laut. Aber durchdrehen ist selten. Ich könnte im Auto am Steuer durchdrehen – weil ich nicht verstehen kann, dass sich keiner mehr bedankt, wenn ihm oder ihr Platz gemacht wird. Ich erwarte kaum noch was von den Menschen. Das hat sich über die Jahre gelegt. Aber wenn Leute nicht nett zueinander sind, rege ich mich auf. Wobei mir jetzt einfällt, dass ich streng genommen doch erst vor zwei Wochen durchgedreht bin. Aber im Stillen und vor Demut und Freude.

Jetzt machst du mich neugierig.
Der Grund: Wir haben vor zwei Wochen die Zusage bekommen, dass wir demnächst in Coesfeld vor NEW MODEL ARMY auftreten. Und das ist meine absolute Lieblingsband. Seit 30 Jahren höre ich die. Und das war dann so ein Durchdrehmoment. Auch wenn das eher eine Implosion war. In mich hinein, haha. Das ist mein Rock am Ring! Das ist meine goldene Schallplatte! Danach ist alles andere nur noch Pflicht, das aber ist die Kür. Besser kann es nicht mehr werden. Diese Leute mit ihrem „Träume können wahr werden, man muss nur daran glauben“, gehen mir ja eigentlich immer auf den Sack. Aber tatsächlich: Träume können wahr werden! Das weiß ich jetzt.

Auf deiner neuen Platte geht es indes vor allem um die negativen Anlässe zum Durchdrehen. Auf dem Cover sehen wir in Cartoon-Form unter anderem Putin, Trump und einen Geistlichen. In den Songs geht es mitunter um rechte Arschlöcher und Schwurbler. Trotz des typischen Butterwegge-Humors gibt es also auch jede Menge Kritik.
Kritik hatte ich ja schon in meinen und unseren Songs. Wenn ich etwas sagen will, dann muss ich das eben auch tun. Dann muss das klar sein. Ich bin da nicht so subtil. Ich bin jemand, der immer sagt, was er meint und empfindet. Im Privatleben wie auf Platte. Und wenn ich fühle, dass da jetzt jemand endlich mal sein Maul halten sollte, dann sage ich das nicht nett. Dann sage ich: „Halt doch einfach mal die Schnauze!“ Genauso hart gehe ich ja auch mit mir selbst ins Gericht und bin sehr ehrlich, wenn ich versuche, persönliche Themen anzupacken.

Zum Beispiel?
Ich habe eine Angststörung, mit der ich seit Jahren durch die Gegend renne. Das ist ja eine sehr persönliche Sache. Aber über die habe ich eben auch schon mal einen Song geschrieben. Das war mir wichtig. Ich meine: Ich bin einsneunzig groß, wiege 120 Kilo und bin von oben bis unten volltätowiert. Die Omis haben Angst vor mir, obwohl ich eigentlich der liebste Kerl hier in einer Siedlung bin. Und da wollte ich einfach mal ein Zeichen setzen und sagen: Selbst Leute, die so aussehen wie ich, sind ganz kleine Wichte, wenn plötzlich diese Psychoscheiße losgeht. Auch der größte Bär scheißt sich in die Hose oder wird depressiv – das hat nichts mit dir zu tun und damit, dass du klein oder alleine oder was auch immer bist. Letztlich finde ich: Es ist wichtig, Spaß zu haben. Klar, denn sonst kannst du dich ja direkt einbuddeln. Aber genauso wichtig ist es, klare Kante zu zeigen bei bestimmten Themen. Wie etwa – noch ein Beispiel – beim Thema Missbrauch. Das sprechen wir im neuen Stück „Alle an die Wand“ an. Da muss man zeigen: So was ist keine Randerscheinung. Das Bewusstsein dafür muss noch mehr in die Mitte der Gesellschaft getragen werden.

Könnte man sagen: Du siehst dich als jemand, dem viele Menschen zuhören, als Musiker, in der Pflicht, solche Dinge anzusprechen?
Ich habe das Musikmachen noch nie mit Pflicht in Verbindung gebracht. Und wenn du die Kritik an Querdenkern oder Faschos in manchen Stücken ansprichst, dann ist es einfach so: Die sind derart laut – da muss ich auch laut sein und mich etwas trauen.

Auch wenn das neue Album mit Band klar in die Punkrichtung geht, bist du in der Szene bekannt geworden als, nun ja, Liedermacher.
Das kann man genau so sagen. Manche Leute sagen zu dem, was ich solo mache, zwar auch gerne Akustik-Punk, aber das stimmt ja auch nicht so richtig. Denn eigentlich spiele ich ja gar keinen Punk. Ich mache gezupfte Songs. Mehr „Mundorgel“- und Lagerfeuer-Klamotten als alles andere. Ich habe ja auch ohnehin erst 2015 angefangen, Musik zu machen. Rein zufällig. Ich wollte gar kein Musiker werden und habe früher lediglich mal in einer Schüler-Reggaeband gesungen. Aber dann habe ich aus einer Laune heraus ein paar Songs geschrieben. Die fanden einige Leute gut. Und dann hat sich das so entwickelt. Solo einerseits. Und irgendwann kam die Band parallel dazu, mit der ich jetzt diese Platte rausbringe und die Punk mit Ska-Einflüssen in die Sache bringt. Etwas, was ich solo eben nicht mache. Ich selbst habe mittlerweile sechs, sieben Akkorde auf der Gitarre gelernt. Und das war es. Mehr kann auch ich immer noch nicht – weil ich sehr faul bin. Das muss ich zugeben. Nur in Kreativphasen ist das anders. Da sitze ich dann im Keller, sammle Ideen und schreibe vor mich hin. Was dann auch mal stunden- und wochenlang dauern kann.

Und live auf der Bühne ...
... rede ich dann neben der Musik sehr viel. Mir hat mal jemand gesagt: „Du machst eigentlich genau das gleiche, was früher Otto Waalkes, Mike Krüger oder Jürgen von der Lippe gemacht haben.“ Und die WAZ hat mal geschrieben, ich sei der moderne Harald Juhnke, haha.

Auf jeden Fall bist du wie aus dem Nichts aufgetaucht – und heute steht dein Name auf gefühlt jedem zweiten Konzertplakat.
Das hat der Zwakkelmann auch schon mal genau so zu mir gesagt: „Auf einmal warst du da – und bist jetzt omnipräsent.“

Aber woran liegt das deiner Meinung nach?
Ein Ansatz – über den ich mich erst kürzlich nicht umsonst mit Costa von SONDASCHULE unterhalten habe – ist der: Leute wie ihn, Leute aus der Szene, kenne ich seit 25 Jahren. Und das hilft natürlich, wenn du dann anfängst, etwas zu machen.

Was ist deiner Meinung nach dein Alleinstellungsmerkmal?
Ich denke, ich spreche eine relativ breite Gruppe von Leuten an. Wenn ich solo auftrete, dann kommen auch viele Menschen, die sind über 60. Und die sitzen dann vor mir und trinken mit mir Wein und Bier und reden mit mir über den Alltag und Putin. Und bei Konzerten mit der Band tanzen Zwanzigjährige vor der Bühne und rasten total aus. Alle diese Leute können irgendwas mit uns anfangen. Für alle habe ich was auf Lager.

Im neuen Song „Deutschland“ singst du an gegen Nazis, Schwurbler, „Bild“-Leser, Sexisten sowie überhaupt Menschen mit Vorurteilen an. Und du singst die Zeile: „Man sollte keine Dreadlocks tragen, das ist kulturell nicht ok.“ Sprich: Du gehst auf Konfrontationskurs mit vermeintlichen Dogmen der linken Szene. Spielst du als jemand, der aus genau dieser Szene kommt, mit dem Feuer?
Diese Zeile habe ich für die linke Szene reingepackt, um mal zu gucken, wie das ankommt. Weißt du: Ich habe für viele Dinge Verständnis. Ich gehe seit 30 Jahren für alles mögliche und gegen Ausgrenzung und Rassismus auf die Straße. Aber irgendwann ist auch mal gut. Mein Gitarrist trägt Dreadlocks, und ganz bestimmt nicht, um irgendwas von den Menschen in Jamaika zu okkupieren. Um ehrlich zu sein, finde ich den Ansatz, so etwas zu verbieten, sogar faschistisch. Da geht es um das gegenseitige Abgrenzen von Nationalstaaten und deren jeweiliger Kultur voneinander. Wo hört denn kulturelle Aneignung letztlich auf? Und auch wenn man mir jetzt entgegnet „Das kannst du doch nicht sagen!“ – tue ich genau das! Da bin ich einfach genauso klar und ehrlich wie in dem Moment, in dem ich sage: „Ich hasse Nazis wie die Pest!“ Kurzum: Bei solchen Themen bin ich raus. Auch bei der Frage, ob ich jetzt für Palästina oder für Israel bin, ist das beispielsweise so. Die Leute in der linken Szene diskutieren ja derzeit, für wen sie da nun sein sollten und schlagen sich die Köppe ein. Und das ist definitiv nicht das, warum mich diese Szene immer angesprochen hat. Für mich war vielmehr immer klar: Alle sind gleich. Und man schlägt sich nicht untereinander. Wenn du mich fragst, dann sage ich: Ich bin für die Kinder, die gerade sterben müssen, nur weil Leute meinen, sich beschießen zu müssen!