„Your dick’s off by a hair“ sagt Engineer Jesse Gander ins Mikrofon des Hive Studios, und alle im Raum – inklusive mir, Fotograf Femke Van Delft und zwei der SUBHUMANS – kichern wie Teenager. Gerry „Useless“ Hannah, Bassist der SUBHUMANS, befindet sich gerade in der Kabine, um die Backvocals für „Slave to my dick“, seine Punk-Hymne über fehlgeleitete Männlichkeit, fertig zu machen. Wahrscheinlich eine der geistreichsten und bekanntesten Zeilen der ersten Welle des Vancouver-Punk und enthält in Hannahs Fall auch autobiografische Elemente. Songs wie dieser, oder auch Hannahs Hymne „Fuck you“ – die später von D.O.A. aufgegriffen wurde, als es um Hannahs Gefängnisstrafe wegen seiner Mitgliedschaft in einer radikalen Aktivistengruppe ging – machten die SUBHUMANS in ihrer aktiven Phase von 1978 bis 1982 zu einer der wahrhaft großen Punkbands Nordamerikas. Dennoch macht Hannahs Vergangenheit es für die Band unmöglich, außerhalb Kanadas zu touren.
Es gibt Bier und die Stimmung im Hive ist entspannt und gemütlich, aber auch hochkonzentriert. Die Reise bis ins Hive Studio, wo die Kanadier das schon lang vergriffene Album „Incorrect Thoughts“ noch einmal aufnehmen, war lang. Sie mussten mitansehen, wie der Klassiker sowohl gebootlegt als auch merkwürdigerweise von einem Label in San Francisco veröffentlicht wurde, mit dem sie keinerlei Vereinbarungen oder dergleichen getroffen hatten, und die sich schließlich die Rechte an den Aufnahmen unter den Nagel rissen. Hitzige Diskussionen im Forum der SUBHUMANS-Website zeigten, wie ungeduldig die Fans eine richtige Wiederveröffentlichung des Albums erwarteten. Und während sie die Nachfrage der Fans befriedigen und mit der Neuaufnahme der Platte dem Nachlass des Punk dienen, ist die Rückkehr ins Studio, wo sie aufnehmen, was den Titel „Same Thoughts, Different Day“ tragen soll, für die Band auch die Chance, das zu überarbeiten, womit sie nicht zufrieden waren und einen Nutzen aus den Fortschritten der Aufnahmetechnik zu ziehen.
Hannahs nicht verwendete lange Fassung der Linernotes für „Same Thoughts, Different Day“, die man auf seinem Blog „Another Useless Subhuman“ einsehen kann, gibt Aufschluss darüber, wie es zum Album kam: „Ursprünglich waren die Aufnahmen im Besitz von Roy Atkinson von Friend Records. Er hat sie finanziert und veröffentlichte sie auf seinem Label. Ein paar Jahre später, nachdem sich die Originalbesetzung der Band 1982 aufgelöst hatte, wurde ,Incorrect Thoughts‘ von einem Typ namens Dave Ferguson in San Francisco auf seinem Label CD Presents wiederveröffentlicht. So wie einige der Songs offenbar neu abgemischt worden waren, hatte Dave Ferguson einfach so die Rechte an den Aufnahmen erworben.
Wie das kommen konnte, bleibt ein Mysterium. Weder wurde eines der ursprünglichen Bandmitglieder darüber informiert, dass die Rechte an Dave Ferguson verkauft, übergeben oder ausgeliehen wurden, noch bekam die Band zu der Zeit die Chance, die Rechte zurückzukaufen. Roy Atkinson schwört, dass er die Aufnahmen nicht an Dave Ferguson verkauft hat. Er gab Brian Goble sogar ein unterschriebenes Statement zu dieser Entwicklung, an der sich nach den ganzen Jahren nichts geändert hat.
Auch wenn wir stark daran zweifelten, dass wir jemals ein Dokument unterschrieben hatten, das bestätigt, dass die Aufnahmen auf Dauer in den Besitz von Atkinson übergehen – wir waren jung und dumm, aber nicht so dumm! –, so konnten wir uns dessen aber auch nicht völlig sicher sein. Wir hatten keine Unterlagen, die sich speziell darauf beziehen. Wir konnten also nicht ausschließen, dass es ein Dokument gab, das Ferguson zusammen mit den Aufnahmen erhalten und ihm die dauerhaften Rechte an ihnen gesichert hätte. Ohne so ein Dokument besäße Ferguson die Aufnahmen zwar, hätte aber keinen rechtsgültigen Anspruch auf die Rechte, zumindest laut kanadischem Recht. Wenn er aber tatsächlich ein gültiges, von den Bandmitgliedern unterschriebenes Dokument hätte, mit dem er hätte beweisen können, dass er der legitime Besitzer der Aufnahmen ist, hätten wir keine Songs ohne seine Erlaubnis legal wieder veröffentlichen dürfen.“
Die SUBHUMANS wurden von einigen Leuten beraten, die früher Verträge mit CD Presents hatten. Unter anderem von D.O.A.s Joe Keithley, der mit Ferguson wegen der D.O.A.-Compilation „Bloodied But Unbowed“ zu tun gehabt hatte. Davor gewarnt, dass Ferguson ein erfahrener und energischer Prozessgegner sei, kontaktierte die Band ihn dennoch, um über die Möglichkeit eines Rereleases zu sprechen. Hanah weiter:
„Sein Anwalt hat uns darüber aufgeklärt, dass Ferguson im alleinigen Besitz der Rechte ist und ein Rerelease von uns bedeuten würde, dass man strafrechtlich gegen uns vorgeht. Daran schloss er an: ,Sie sind hiermit dazu aufgefordert, von jeglicher Form von Reproduktion, Vertrieb oder anderweitiger Verwertung der Aufnahmen Abstand zu nehmen.‘“
Ein weiteres Zahlungsangebot, damit Ferguson auf die Aufnahmen verzichtet, traf lediglich auf eine wiederholte Erinnerung daran, dass die Band mit rechtlichen Konsequenzen zu rechnen habe, wenn sie das Album selbst noch mal rausbringt.
„Da haben wir begriffen, dass das Fergusons Spiel ist. Er war zu gut darin und wir würden nie gewinnen. Es spielte keine Rolle, ob wir eigentlich den legitimen Anspruch auf die Rechte gehabt hätten. Er hatte Macht, wir nicht. Es schien offensichtlich, dass es keinen Sinn hätte, es weiterhin auf diesem Weg zu versuchen. Die relativ günstige, schnelle und, manche würden sagen: authentischere Weise, ,Incorrect Thoughts‘ mit den Originalaufnahmen wiederzuveröffentlichen, war nicht länger eine Option für uns. Es blieben nur noch zwei Möglichkeiten: das Projekt ganz aufgeben und akzeptieren, dass die Songs nie wieder für die Öffentlichkeit als ganzes Paket erhältlich sein würden, oder aber die Songs ganz neu aufzunehmen und sie als neues Album zu veröffentlichen. Die erste Möglichkeit hätte uns viel Zeit und Geld gespart, zumal wir sowieso nicht sicher waren, ob überhaupt ein Label Interesse an dem Projekt haben würde. Aber das wäre eine sehr bittere Pille gewesen. Die Songs waren ein zu wichtiger Teil der Bandgeschichte, um ihnen einfach den Rücken zu kehren. Zudem fühlten wir, dass wir es irgendwie schaffen mussten, die Kontrolle über die Songs wiederzuerlangen. Nach ein paar Wochen, in denen wir viel diskutierten, wurde schließlich beschlossen, den zweiten Weg zu gehen und das Ergebnis ist „Same Thoughts, Different Day.“
„Same Thoughts, Different Day“ bietet nicht nur einen härteren, schnelleren und wesentlich besseren Sound als „Incorrect Thoughts“, es enthält auch Songs, die es vorher nur auf obskuren Compilations oder als Live-Versionen gab, wie Hannahs „I gotta move“ und „Twenty-first century“, Brian Gobles „Out of line“ oder auch Mike Grahams „Behind the smile“. Zudem noch zwei Songs vom verstorbenen früheren Drummer Ken „Dimwit“ Montgomery – „Out of place“ und „Escalator to hell“. Jon Card (ex-PERSONALITY CRISIS, D.O.A. und momentan aushilfsweise bei SNFU), der aktuelle Drummer der SUBHUMANS, war leider nicht dabei, als ich mit Graham, Goble und Hannah über ihre Geschichte, das neue Album und ihre Beziehung zu den Songs sprach.
In eurem Bandnamen SUBHUMANS steckt ja offensichtlich generell die Identifikation mit der niedrigsten Gesellschaftsschicht. Ich habe allerdings Leute getroffen, die nicht wussten, dass da eine Verbindung zu den „Untermenschen“ – den Minderwertigen – besteht, die Hitler versucht hat auszurotten ...
Gerry: Es gehört sozusagen zur Tradition des Punkrockers, Namen anzunehmen, die ihre Feinde in einer herabsetzenden Art und Weise benutzen. So bekommst du die Oberhand, anstatt dass es dich demütigt. Zum einen durch Humor, zum anderen auch durch die Kontrolle. Und natürlich würde Hitler uns Untermenschen nennen, wenn er heute noch am Leben wäre. Wir würden zur Vernichtung aussortiert, zusammen mit all den anderen Anarchisten, Sozialisten, Linken, Juden oder Zigeunern.
Brian: Es ist ein ziemlich düsterer Name, aber er hat uns irgendwie gefallen. Wir fühlten uns wie eine richtige Undergound-Punkrock-Band, die nichts mit dem Mainstream zu tun hat.
Gab es mal Ärger mit den britischen SUBHUMANS?
Brian: Soweit ich weiß, sind wir die Original-SUBHUMANS. Ich habe keine Ahnung, wie zum Teufel diese Typen auf den Namen gekommen sind. Vielleicht so wie wir, ich weiß es nicht. Ich habe Mitte der Achtziger das erste Mal von ihnen gehört, aber nicht viel darüber nachgedacht. Sie haben wahrscheinlich eine größere Fangemeinde und haben wohl auch mehr Konzerte gespielt als die kanadischen SUBHUMANS.
Um auf „Same Thoughts, Different Day“ zu sprechen zu kommen: Es ist toll, dass einige von Dimwits Songs darauf zu hören sind. Das ist das erste Mal, dass sie auf einem Studioalbum enthalten sind, oder?
Gerry: Ich kann mich nicht daran erinnern, dass sie irgendwann schon mal im Studio aufgenommen worden wären. Es gab sie nur als Live-Versionen, die wir bei einer Show in Edmonton mitgeschnitten haben und die 1996 auf der wenig beachteten SUBHUMANS-Compilation „Pissed Off ... With Good Reason“ erschienen sind.
Was wären denn eure SUBHUMANS-Lieblingssongs?
Gerry: Mein Lieblingssong von den neuen Sachen, die wir machen, ist „Life sure can suck“. Der ist von Brian und war auf „New Dark Age Parade“. Ich liebe es, den Song zu spielen. Manche unserer Songs sind fast Popsongs, wie „Firing squad“ oder „Inquisition day“ und in gewisser Weise sogar „Death was too kind“, aber „Life sure can suck“ ist ein richtiger Heavy-Rock-Song. Ich mag den Drive und die Energie. Vielleicht ist er bei unseren Konzerten nicht einer der beliebtesten, und ich höre ihn mir auch zu Hause nicht unbedingt am häufigsten an, aber ich stehe darauf, ihn zu spielen.
„Firing squad“ war immer einer meiner Lieblingssongs. Mike, wie alt warst du, als du ihn geschrieben hast?
Mike: 22, glaube ich. Es muss 1979 gewesen sein. Er stammt unmissverständlich aus dieser Zeit und nimmt Bezug auf den Aufruhr, der damals während der Revolution im Iran herrschte. Es ist schlimm, dass er noch heute so relevant ist, so viele Jahre später. Dieses Regime, in dem religiöse Ideen so viel Einfluss auf die Gesellschaft nahmen, war damals sehr erschreckend.
Gerry: Der Song ist einfach so gut gemacht und geschrieben. Er hat ein ungewöhnliches Thema für einen Popsong. Mikes politische Analyse des Themas ist sehr auf den Punkt gebracht. Nach der Revolution im Iran gab es unfassbare Geschehnisse. Alles Schreckliche, was ein Mensch tun kann, ist da passiert. Ich denke, das ist das, was ihn bewegt hat. Wir anderen wollten, dass der Song ein bisschen allgemeiner gehalten ist.
Hört sich an, Mike, als hättest du ein bisschen was im Studio verändert, ein paar mehr Gitarrenspuren hinzugefügt.
Mike: Wir haben versucht, die Single- und die Album-Version zu kombinieren. Da gab es verschiedene Parts und wir wollten das Beste aus beiden rausholen.
Ihr geht auf eine so akribische Weise an die Aufnahmen heran, dass ich mich nicht wundern würde, wenn der ganze Prozess ziemlich ermüdend wird.
Brian: Für mich ist es eigentlich erfrischend, weil wir diese Songs einfach ewig nicht gespielt haben, und ich werde die Dämonen endlich los, die mich all die Jahre geplagt haben. Ich finde die Songs wirklich gut, aber es gab ein paar Dinge, die ziemlich armselig waren. Und wir oder zumindest ich habe damals nicht den geringsten Wert auf Details gelegt. Es ist also großartig, noch einmal ans Werk zu gehen, damit das Material endlich gut klingt und ich es auch genießen kann. Ich bin hin und weg von dem Zeug im Vergleich zu den Originalaufnahmen. Ich weiß nicht, wie unsere Fans das sehen, weil Menschen halt an so etwas hängen. Aber das ist die Realität als Künstler: Was die Leute an deiner schlampigen Arbeit charmant finden, das ist meist das, wo sich bei jedem Hören dein Gesicht vor Schmerz verzerrt.
Ist etwas vollkommen neu an dem, was ihr mit den Songs macht?
Mike: Ich habe versucht, jedem der Songs etwas hinzuzufügen. Nur mit der Erlaubnis des Urhebers, versteht sich. Du probierst Sachen aus und merkst dann, ob es funktioniert.
Mike, von deinen Songs sind „Celebrity“ und „Behind the smile“ beide sehr interessant – beide kritisieren das Berühmtsein. „Behind the smile“ nimmt sogar die Band aufs Korn.
Mike: Es ist eine düstere und zynische Sicht auf die Welt und diese schließt uns mit ein, um sie umfassend zu gestalten. Eine Seite von Punkrock war immer selbstreferentiell und hat sich selbst kritisiert. Der Anspruch war, die Barriere zwischen Künstler und Publikum aufzuheben, und das schließt Analysen mit ein, wie Kultur funktioniert. Diese kritische Haltung gegenüber kulturellen Strukturen war Teil von Punk, und „Celebrity“ hat den Gedanken noch etwas weitergeführt – in Zeiten der modernen Auswüchse des Berühmtheitseins, die noch wesentlich barocker und mondäner sind als all die Jahre vorher.
Man munkelt, du hättest „War in the head“ über Gerry und seinen Aktivismus geschrieben.
Mike: Es ging nicht um Gerry. Er wurde schon geschrieben, bevor er in dieser Sache mit dem Aktivismus drinsteckte. Es geht um jemand anderen. Du wirst mir verzeihen, wenn ich nicht sage, um wen es ging, aber ich hatte auf jeden Fall eine bestimmte Person im Kopf – jemand, der sehr politisch und dabei sehr leidenschaftlich war. Ich habe geahnt, dass es dabei auch um innere Kämpfe ging und nicht nur um Vorkommnisse an der Oberfläche. Es mag wirken wie eine sehr düstere und zynische Betrachtung der Denkweise dieser Person, aber es soll ihn nicht verurteilen.
Eine Art linke Selbstkritik?
Mike: Ja, ich denke, dass kommt dem nah, was mir durch den Kopf ging, als ich den Song schrieb.
Ähnliches ist wohl auch der Song „Urban guerrillas“. Der wurde vor der Zeit von Direct Action geschrieben, oder?
Mike: Ja, das war lange, bevor Gerry in diese Sache involviert war. Es gab damals im verschlafenen Vancouver gar keine richtige Stadtguerilla. Das kam nur durch die Berichte über die RAF und Action Directe in Europa. Es ist ein ziemlich abstruser Song. Er hat gar nicht den Anspruch, das Thema ernsthaft zu betrachten, sondern ist eher ein bisschen humorvoll gemeint.
Gerry: Wenn du dir den Text von „Urban guerrillas“ durchliest, wirst du sehen, dass es ein sehr zweideutiger Song ist, und Mike und ich haben mehr als einmal darüber gesprochen. Im einen Atemzug sagt er: „Stadtguerillas zeigen uns den Weg“, und im nächsten ereifert er sich über Guerillakrieg und macht sich über die ganze Sache lustig. Mike macht sich keine Illusionen darüber, ob Guerillas wirklich so und so reden oder das und das denken. Meistens denke ich: Eine gewalttätige Revolution ist nicht die Lösung. Bewaffneter Widerstand ist keine gute Sache, sondern eine schlechte. Menschen werden verletzt und sterben und wer weiß, ob das, was wir am Ende haben, wirklich besser ist als das, womit wir angefangen haben. Und an anderen Tagen denke ich: Das ist der einzige Weg, es gibt keinen anderen. Wir müssen aufstehen und sagen: „Schluss mit dem Scheiß! Wir werden genauso mit Gewalt gegen euch vorgehen, wir ihr es auch mit uns macht.“ Es ist mehrdeutig – Menschen haben an verschiedenen Tagen unterschiedliche Gefühle.
Aber ich weiß, dass manche Punks – zum Beispiel Todd Serious von THE REBEL SPELL – das als Inspiration nehmen, wofür Direct Action stand. Was würdest du ihnen raten?
Gerry: Nun, sie müssen ihren eigenen Weg finden und ich habe kein Patentrezept zum Herbeiführen von Veränderungen. Ich tue, was ich in meinem Rahmen tun kann, und andere tun das, was sie in ihrem Rahmen tun können. Aber es ist mir ganz und gar nicht egal, wenn es um das Verletzen oder Töten von unschuldigen Zivilisten geht, ganz gleich unter welchen Umständen. Ich habe nicht so viel gefühlt, als ich noch jünger und bei Direct Action war. Es hat mich viel weniger berührt. Man könnte fast sagen, dass ich gleichgültig war. Jetzt berührt mich das alles sehr. Es gibt zwei Dinge, die absolut tabu sind. Das eine ist Folter. Jemanden vorsätzlich leiden lassen, das geht gar nicht. Das andere ist das Verletzen oder Töten von Zivilisten. Diese beiden Dinge sind absolut falsch. Aber ich denke immer noch, dass es Zeiten gibt, in denen sich die Menschen selbst verteidigen und zum Kampf bereit sein müssen. Es gibt Zeiten, in denen genau das passiert. Es sind harte Zeiten, aber es gibt sie. Ich mache einen großen Unterschied zwischen denen, die das Eigentum anderer beschädigen, und jenen, die Menschen verletzen. Das sind zwei grundverschiedene Dinge. Aber es ist nicht an mir, den jungen Menschen zu sagen: So müsst ihr das machen und das ist der richtige Weg. Weil ich es nicht sagen kann! In 15, 20 oder vielleicht auch 50 Jahren wird es unter Umständen absolut nötig sein, sich zu bewaffnen. Ich will niemandem erzählen, dass niemals ein Grund dafür kommen wird, denn vielleicht kommt er doch. Was ich sagen kann – und was ich auch schon dir und vielen anderen gesagt habe – ist, dass wir mit dem, was wir als Direct Action getan haben, zu weit gegangen sind. Wir haben das alles nicht richtig durchdacht. Und wir haben uns auch keine Gedanken über die Konsequenzen gemacht, die unser Handeln für normale Menschen haben würde, die die repressive Welt gegen die wir kämpften, nicht mit gestaltet hatten. Ich hoffe nur, dass die jungen Leute mit politischem Bewusstsein nicht die gleichen Fehler machen. Das heißt aber nicht, dass ich nicht nach wie vor glaube, dass unsere Ziele damals ehrenhaft waren.
Der Song „In good company“ ist als Rat für jungen Leute gedacht, oder?
Gerry: Ja, das ist er. Das ist das, was ich gerne gehört hätte, als ich zwischen 19 und 21 war. In der Zeit, in der ich mich verloren und einsam gefühlt habe und dachte, dass niemand wie ich ist. Ich war einfach nur dieser abgedrehte Junge, der mit dem, was um ihn herum geschah, nicht einverstanden war. Ich wollte kein Teil des Mainstreams sein, der hat mich zermürbt. Es kam mir vor, als ob es niemanden anderen auf der Welt gäbe, der so empfindet wie ich, und ich hatte keine Ahnung, was ich tun sollte. Das ist im Großen und Ganzen das, was Punkrock für mich ausmachte und auch für tausend andere, die im gleichen Boot saßen. Es ist wichtig, zu versuchen, junge Leute zu erreichen, die das Gefühl haben, dass etwas nicht richtig läuft, die nicht damit einverstanden sind, was von ihnen erwartet wird, aber nicht wissen, was dagegen zu tun ist. Es lastet eine Menge Druck auf ihnen, sich anzupassen und so zu sein, wie man sie sich gemeinhin vorstellt. Dieser verschleierte Zirkus, der um sie herum abgeht und den sie ablehnen, weil sie tief drinnen spüren, dass es falsch ist und dass etwas daran nicht stimmen kann. Aber der Druck nimmt kein Ende: Lehrer, Kirchenführer, Geschäftsführer, Eltern ... Alle möglichen Leute zwingen sie, sich anzupassen. Und wenn du dich gegen all den Druck wehren willst, dich allein fühlst und keine Unterstützung hast – dann gibst du dem Druck entweder nach oder du tust Dinge, die dir schaden und auch anderen. Der Song ist im Grunde ein Versuch zu vermitteln: Sieh doch, du bist nicht allein. Lass dir nicht einreden, dass du allein bist und dass es schlecht oder komisch oder falsch ist, wie du dich fühlst. Es gibt eine ganze Familie, die genauso oder ähnlich empfindet wie du, und diese Menschen sind zusammengekommen, um als Gruppe aktiv zu werden und sich gegenseitig zu unterstützen, und sie tun das immer noch. Du musst sie finden und dich mit ihnen in Verbindung setzen. Liebende und fürsorgliche Menschen, die nicht voller Scheiße sind.
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #71 April/Mai 2007 und Allan MacInnis
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© by Ox-Fanzine - Ausgabe #82 Februar/März 2009 und Joachim Hiller
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #68 Oktober/November 2006 und Joachim Hiller
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