SOUNDTRACK OF OUR LIVES

Skandinavien? Rock? Wer da zuerst an HELLACOPTERS und GLUECIFER denkt, hat mal eben eine Generation übersprungen, denn schon seit Mitte der Achtziger gab es mit den Schweden UNION CARBIDE PRODUCTIONS eine Band, die wusste, wie man rockt, das am liebsten in bester STOOGES-Tradition tat, und sich damit eine weltweite Fanschar erspielte. Nach vier Alben war 1993 dann leider Schluss mit UCP, doch nach einer kurzen Auszeit meldeten sich deren Frontmann Ebbot Lundberg, der, obwohl der Mittdreissiger garnicht so viel älter ist als seine Bewunderer, als sowas wie die graue Eminenz der schwedischen Rockszene gilt, sowie die beiden UCP-Gitarristen Ian Persson und Björn Olsson mit THE SOUNDTRACK OF OUR LIVES wieder zurück.
"Welcome To The Infant Freebase" von 1996 ist das Debüt der Sechs-Mann-Formation (nach einer 7" und einer CD-EP), das zwar deutlich die eigene Vergangenheit erkennen lässt, aber auch ein gutes Stück poporientierter ausgefallen ist als die UCP-Platten.
In Skandinavien werden TSOOL gefeiert, landet ihr Album in den Charts, genau wie der ´98er Nachfolger "Extended Revelation (for the Psychic Weaklings of the Western Civilization)", doch weiter südlich bekommt kaum jemand was mit von der grossartigen Ausnahmeband - die Plattenfirma erlaubt es sich sogar, das ´96er Debüt-Album erst Ende ´98 in Deutschland zu veröffentlichen, als die zweite Platte bereits in Schweden in den Läden steht...
Mit dem MOTORPSYCHO-Hauslabel Stickman Records aus Hamburg haben Lundberg & Co. mittlerweile aber tatkräftige Bewunderer hierzulande gefunden, die unlängst den Erstling als Doppel-LP (wieder-)veröffentlichten und auch den Kontakt zur Band herstellten.
Ich sprach mit Ebbot Lundberg über Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft.

Mir wurde gesagt, ihr seid derzeit im Studio.


"Ja, stimmt. Wir nehmen gerade ein paar neue Songs auf, wobei ich noch nicht sicher weiss, ob daraus auch das neue Album hervorgehen wird. Ich denke aber schon, dass ausser ein paar EPs auch genug für das Album dabei sein wird. Es wird wohl auf 30 bis 40 Songs hinauslaufen."

Imposant! Wann kann man mit den neuen Platten rechnen?

"Ich weiss nicht, irgendwann im Laufe des Jahres. Und ich weiss auch nicht, auf welchem Label, denn zum gegenwärtigen Zeitpunkt sind wir uns nicht sicher, ob die Platte wieder auf unserem derzeitigen Label Telegram erscheinen wird. Das Problem ist, dass der Boss von Telegram unlängst gegangen ist, und er war es, der immer hinter uns stand. Aber diese Unsicherheit kann uns nicht davon abhalten, jetzt im Studio neue Songs einzuspielen und die dann auch bald live vorzustellen."

Seit dem letzten Album ist ja auch schon einige Zeit vergangen...

"Ja, ich weiss. Das erste Album hatte sich ja immer wieder verschoben, weil es ständig Probleme gab, und so nutzen wir beim zweiten Album ´98 die Chance, damit ausgiebig auf Tour zu geben. Es lief bei uns bislang nicht gerade optimal, drücken wir es so aus, und das hatte auch was mit der Plattenfirma zu tun."

Ich hörte das erste Mal von euch, als die Leute von TURBONEGRO von euch schwärmten und ich mir daraufhin das erste Album besorgte. Ich stellte dann fest, dass ihr in Skandinavien sehr gross seid, im Rest von Europa aber bislang kaum jemand von euch Notiz nahm - oder sehe ich das falsch?

"Hm, nur teilweise. Eigentlich läuft es im Ausland auch ganz gut für uns, gerade in England, wo wir im letzten Jahr permanent gespielt haben. Dummerweise ging die Plattenfirma in England pleite, so dass die Platten kaum erhältlich waren. Unser Problem ist nicht, dass wir nicht genug Fans haben - im Gegenteil! -, sondern dass wir ständig mit unserem Management und dem Label Probleme haben und ständig was falsch läuft. Ach, ich weiss auch nicht... Wenn die Leute unsere Platten in die Hände bekommen, sind sie immer begeistert, aber der Weg dorthin ist schwierig. Anfangs wollte unser Label die Platte sogar nur in Schweden veröffentlichen und wir mussten sie dazu drängen, sie auch im Ausland rauszubringen. Anstatt uns auf unsere Musik zu konzentrieren, haben wir also von Anfang an ständig mit diesem Business-Bullshit zu tun gehabt. Mal sehen, was jetzt so kommt. Wir nehmen jedenfalls neue Songs auf, und hoffentlich werden die irgendwann mal in Form eines Albums erscheinen."

THE SOUNDTRACK OF OUR LIVES ist deine zweite Band, davor gab es UNION CARBIDE PRODUCTIONS.

"Ja, sieben Jahre lang, und es war beinahe genauso: geschäftlich klappte da fast nichts. Ich weiss auch nicht, aber das Pech verfolgt mich. Aber nicht nur in dieser Hinsicht setzen SOUNDTRACK OF OUR LIVES die Geschichte von UNION CARBIDE PRODUCTIONS fort, auch musikalisch gibt es natürlich Verbindungen."

UCP waren seinerzeit ganz offensichtliche STOOGES-Verehrer, und mir scheint, dass deren Einfluss heute schon wieder schwindet, denn es erinnert sich kaum noch jemand an sie. Andererseits gibt es heute so viele Proto-Punkbands mit offensichtlichen STOOGES-Anleihen wie selten zuvor. Wie stehst du dazu?

"Ha, tja, was soll ich dazu sagen? Das ist die Ironie der Geschichte. Als wir 1986 die Band gründeten, war das auch eine Reaktion auf die zu die Musik und die Musikszene jener Zeit, die meiner Meinung nach beide sehr, sehr schlecht waren. Dass wir dann eine Band gründeten, war letztlich ein Zufall: wir waren ein paar Typen, die CAPTAIN BEEFHEART, STOOGES, RESIDENTS und noch viele andere Bands hörten. Davor hatten wir in Skatepunk- und Hardcorebands gespielt, aber wir entwickelten uns dann weiter und standen schliesslich mit UNION CARBIDE PRODUCTIONS in diesem Genre zu dieser Zeit ziemlich alleine da. Aber das war Zufall, denke ich, und es machte Spass. Wir machten dann so lange weiter, wie es Spass machte."

Ihr habt euch ´93 aufgelöst, nur zwei, drei Jahre bevor jeder anfing, von "Scandinavian Rock" zu reden.

"Mich hat das amüsiert. Als Musiker ist es eine seltsame Sache, zu hören zu bekommen, dass jemand anderes seine Band wegen deiner gegründet hat. Und ehrlich, von fast jeder Rockband in Schweden und Norwegen habe ich so ein Statement schon gehört. Du triffst ständig Leute, die du angeblich beeinflusst hast, und ja, das ist cool! Und ehrlich, ich mag unsere Platten immer noch, ich kann mir die immer noch anhören und mache das auch von Zeit zu Zeit. Ich bin immer noch stolz auf das, was wir gemacht haben. Und das ist auch der Grund, warum ich, warum die anderen auch heute noch Musik machen."

Nach einer kurzen Pause habt ihr euch dann 1995 mit SOOL zurückgemeldet.

"Ja, und der Medienrummel war unglaublich. Wir konnten damit, mit dem "Erfolg", echt nicht umgehen. Ich habe da aber auch gelernt, dass das nicht mein Ding ist "erfolgreich" und "berühmt" zu sein. Zum Glück hielt sich das dann aber auch in Grenzen, denn so konnten wir uns auf die Musik konzentrieren - und auch auf den visuellen Aspekt unserer Arbeit, also vor allem auf Videos, auf unsere Lichtshow und so. Das war eine Menge Arbeit, ist uns aber sehr wichtig."

Was habt ihr in der Zeit zwischen den beiden Bands gemacht, und was brachte euch dazu, es noch einmal zu versuchen?

"Nach dem Split von UCP war ich erst in Indien und dann eine Weile in Marokko, machte einfach ausgiebig Urlaub. Nach meiner Rückkehr arbeitete ich dann mit verschiedenen Bands als Produzent - naja, nicht so erfolgreich, weil die meisten sich mittlerweile aufgelöst haben. In dieser Zeit habe ich dann angefangen, mit Björn Olsson zusammen neue Songs zu schreiben. Zuerst wollte jeder von uns ein Solo-Album machen, aber stattdessen gründeten wir THE SOUNDTRACK OF OUR LIVES. Zwischen dem Ende von UCP und der Gründung von SOOL lagen eineinhalb Jahre."

Mich hat von Anfang an der Name THE SOUNDTRACK OF OUR LIVES fasziniert. Ist die Musik, die ihr macht, der "Soundtrack eures Lebens"?

"Haha, nun, wir versuchen es zumindest. Wir geben unser Bestes, dem Anspruch gerecht zu werden oder zumindest den Eindruck aufrecht zu erhalten, den der Name erweckt. Aber das lässt sich alles nicht wirklich planen, das passiert einfach."

Musikalisch habt ihr mit SOOL die Tradition von UCP zwar durchaus weitergeführt, aber nur bis zu einem gewissen Punkt, denn SOOL sind doch ein gutes Stück mehr Pop.

"Ja, SOOL sind natürlich in erster Linie eine Rockband, aber wir schlagen die unterschiedlichsten Richtungen ein, manchmal auch innerhalb eines Songs. Wir versuchen einfach, bei allem, was wir tun, unseren "Spirit" einzubringen und zu bewahren. Es ist schwer in Worte zu fassen, was ich meine, aber es geht mir darum, ein tiefes Gefühl für die Musik zum Ausdruck zu bringen, sich selbst und seiner musikalischen Vergangenheit treu zu bleiben - und damit letzten Endes den "Soundtrack unseres Lebens" abzuliefern."

Stilistisch bewegt ihr euch mit SOOL immer wieder in Bereichen, die schwer von den Sechzigern beeinflusst sind.

"Ja, von der amerikanischen und britischen Musik der Sixties. Um einfach mal ein paar zu nennen: da wären LOVE, CAPTAIN BEEFHEART, BEACH BOYS, ROLLING STONES, BEATLES, PRETTY THINGS, VELVET UNDERGROUND und noch viele andere, aber auch Coltrane, Jazz, Fifties-Rock´n´Roll und amerikanischer Punk, wie BLACK FLAG und die GERMS. Ich weiss, ich habe jetzt ganz viele unterschiedliche Bands aufgezählt, aber die verbindet alle irgend etwas, das ich auch wieder nicht in Worte fassen kann."

Gerade eine gewisse Vorliebe für britische Popmusik ist, wie ich finde, unüberhörbar.

"Das stimmt schon, vor allem unsere "Hits" klingen recht britisch. Aber hast du eine bestimmte Band im Kopf oder meinst du das eher allgemein?"

Eher allgemein, denn bis heute ist es doch so, dass es gerade aus England immer wieder Bands gibt, die sehr gute Popmusik machen.

"Ich weiss, was du meinst. Gerade unser Schlagzeuger Fredrik Sandsten ist ein grosser Fan von THE WHO, den KINKS und so weiter. Allgemein ist der Musikgeschmack in der Band weit gefächert und wir haben zu den Vorlieben der anderen teilweise auch eine, äh, andere Meinung. Wenn du zusammen Musik machst, besteht dieser Prozess eben immer auch daraus, Kompromisse zu schliessen - und meist ist der Kompromiss ein gutes Ergebnis. Uns ist aber bei all den Einflüssen alter Bands wichtig, wie eine heutige Band zu klingen, und nicht wie ein Relikt aus den Sechzigern. Wir versuchen einfach, die besten Elemente aus der Musikgeschichte in eine neue Hülle zu packen."

Eine gute Beschreibung, denn das ist auch mein Eindruck: bei aller Bezugnahme auf alte Bands habt ihr doch etwas Eigenes geschaffen, klingt ihr vor allem wie SOOL, seid ihr alles andere als retro.

"Es tut gut, das zu hören, denn ich mache derzeit die Erfahrung, dass ich mein ganzes Leben lang Musik gehört habe, aber seit einer Weile keine grosse Lust mehr habe, neue Musik zu hören. Ich habe da wirklich Angst vor mir selbst, denn das bedeutet in letzter Konsequenz, dass man aufhört zu leben. Ich versuche also wirklich, mir neue Bands anzuschauen und interessante neue Bands zu entdecken. Ja, es gibt welche, aber nur wenige, und es ist schwer, sie zu finden, einen Aha!-Effekt zu bekommen. Und du kannst dir ganz sicher sein, dass die guten Bands nicht auf MTV zu entdecken sind. Also machen wir lieber selbst Musik, konzentrieren uns ganz darauf, denn wenn ich schon nicht so viel neue Musik entdecken kann, wie ich will, dann schaffe ich sie eben selbst. Ausserdem ist es schon schwer genug, eine Band von sechs Leuten zusammenzuhalten und ihr Überleben zu sichern. So versuchen wir zwar, möglichst viel live zu spielen, aber achten dabei darauf, dass unsere Touren nicht unser Privatleben zerstören. Weisst du, je älter du wirst, desto schwerer wird das Touren, gerade wenn du das seit 15 Jahren machst. Nicht, dass ich mich mit meinen 33 Jahren alt fühlen würde, aber wenn du seit deinem 19. Lebensjahr auf Tour warst, und alle um dich herum im Krankenhaus gelandet sind, fragst du dich schon, warum gerade du noch am Leben bist, hehehe."

Apropos Touren: in Deutschland habt ihr euch bisher sehr rar gemacht...

"Stimmt, wir haben nur zweimal in Hamburg gespielt und auch in Berlin und München - im Vorprogramm der CARDIGANS. Das war eine eher seltsame Erfahrung, haha. Wir hatten schon mehrfach Angebote, in Deutschland zu touren, aber dann war die Platte noch nicht raus oder unsere Agentur war zu langsam, so dass es letztlich nie geklappt hat. Wir hoffen jetzt, dass im Frühjahr eine Tour zusammen mit den EURO BOYS klappt - oder mit MOTORPSYCHO. Wir wissen schon, dass wir uns in Deutschland und dem Rest von Europa öfter sehen lassen müssen."

Ihr habt offenkundig eine Vorliebe für lange, komische Plattentitel. Erst "Welcome To The Infant Freebase", dann "Extended Revelation (for the Psychic Weaklings of the Western Civilization)".

"Jaja... Das sind eigentlich nur übriggebliebene Textzeilen, die ich nicht wegwerfen wollte. Das ist alles, was es damit auf sich hat."

Auch was die Länge eurer Platten anbelangt, habt ihr´s gerne etwas länger. Auf der ersten waren´s 20 Songs, auf der zweiten 16, und das jeweils im Doppel-LP-Format.

"Ich weiss, ich weiss, aber das hat sich so ergeben, weil wir möglichst viele Songs auf den Alben haben wollten. Wir wollen das in Zukunft in den Griff bekommen und lieber im Vorfeld ein paar EPs rausbringen und dann ein etwas kürzeres Album. Ausserdem wurden das erste und das zweite Album praktisch gleichzeitig aufgenommen, nur drei oder vier Songs auf "Extended Revelation" waren wirklich neu. Der eigentliche Plan war gewesen, als Debüt gleich eine CD-Box zu veröffentlichen, komplett mit ausführlicher Bandgeschichte, Stammbaum und so - und das bei einer Band, die vorher kaum jemand gekannt hat. Das war als Scherz geplant, als Reaktion darauf, dass damals, ´95, ohne Ende Box-Sets alter Bands erschienen sind. Daraus wurde nichts, unsere Plattenfirma war von der Idee nicht gerade begeistert, und so wurden zwei Alben daraus."

Und was sind eure aktuellen Pläne?

"Wir spielen mit der Idee, jeden Monat eine Vinyl-7" rauszubringen. Wenn das Interview erscheint, werden wir alle mehr wissen. Ausserdem wird es wohl auch eine Vinylversion des zweiten Albums geben."

Danke für das Interview.