Sehen wir es doch mal realistisch: Wie viele der Platten, die man sich so kauft, sind wirklich essentiell, haben das Zeug dazu, auch in 10, 15, 20 Jahren noch gehört zu werden? Eben, da oben wird die Luft dünn, sehr dünn. Zweifellos jedoch sind die schwedischen THE SOUNDTRACK OF OUR LIVES (Allein schon der grandiose Namen! Die Musik zu unserem Leben! Ja, was soll man denn als Fan noch mehr über so eine Band sagen?!?) mit dabei in der Riege der Achttausenderbezwinger, und das ohne Sauerstoffmaske, was man als Analogie noch so weit spinnen kann, Frontmann Ebbot mit Reinhold Messner zu vergleichen – das mit dem Bart haut hin, nur dass Ebbot noch alle Zehen hat, harharhar. Da gut‘ Ding eben Weile haben will, haben sich T.S.O.O.L. mit ihrem neuen, vierten Album mal eben vier Jahre Zeit gelassen, aber dafür auch über vierzig Songs eingespielt, auf deren Veröffentlichung man sich schonmal freuen kann. Dass ein Interview mit den grandiosen Schweden, die auch hier wieder 40 Jahre Musikgeschichte verarbeiten – von Sixties-Punk über ROLLING STONES und BEATLES und STOOGES bis hin zu OASIS und wieder zurück – Ehrensache war, versteht sich da von selbst. Ich traf TSOOLs Ebbot Lundberg und Ian Person im August in Köln – und verwundere die Band mit der Vorab-CD des Albums ...
Was erstaunt euch an dieser CD-R?
Ebbot: „Dass wir das Album noch gar nicht fertig gemastert haben und ich keine Ahnung habe, was du da bekommen hast. Das ist also quasi ein Demo, wobei die Songs schon sehr nah am Endergebnis sind.“
Wie kommt es, dass ihr bis zur letzten Sekunde noch am Album arbeitet?
Ebbott: „Wir haben einfach zu viele Konzerte gespielt, die wir nicht hätten spielen sollen, und so wurde die Zeit knapp. Konzert, Studio, Konzert, Studio, ein ständiges Hinundher. Wir haben auch diesmal wieder im ‚Svenska Gramofon‘-Studio unseres Bassisten Kalle Gustafsson aufgenommen.“
Ian: „Das sind eigentlich drei Studios in einem, mit drei verschiedenen Mischpulten, und gerade erst haben wir ein neues bekommen, ein altes Ding, auf dem in den Siebzigern schon QUEEN, David Bowie und die ROLLING STONES aufgenommen haben.“
Habt ihr das Album denn komplett analog aufgenommen?
Ebbot: „Sowohl analog wie digital: Als die Spuren alle aufgenommen waren, haben wir digital weitergemacht.“
Ian: „Schlagzeug und ein paar andere Sachen sind auf 24-Spur, aber analoges Equipment geht leicht kaputt, und so haben wir digital weitergemacht. Wir haben sehr viele Änderungen vorgenommen, wieder und wieder, da mussten wir das irgendwann einfach im Computer machen.“
Hat das Aufnehmen im eigenen Studio, ohne Zeit- und Gelddruck, die ganze Sache verzögert? Immerhin sind seit dem letzten Album vier Jahre vergangen.
Ian: „Nein, denn wenn wir nicht selbst aufgenommen hätten, hätte alles noch länger gedauert. Wir konnten so die Kosten so niedrig wie möglich halten, konnten immer noch einmal eine Entscheidung überdenken, statt mit dem Blick auf das Budget womöglich überstürzt zu handeln. Dann wäre das Album auch nicht so gut geworden.“
Ebbot: „Wir waren beinahe drei Jahre auf Tour, da kamen wir einfach nicht zum Aufnehmen – und wir haben auch sehr viele Songs aufgenommen, das erklärt auch, weshalb wir so lange gebraucht haben.“
Ihr wart in Deutschland kaum mal zu sehen, aber dafür viel in den USA und England. Wie kam das?
Ebbot: „Stimmt, nachdem wir das letzte Album veröffentlicht hatten, spielten wir kaum Shows in Deutschland. Anfangs waren die Engländer nicht an uns interessiert, und so haben sie das letzte Album dort erst 2002 rausgebracht – und in den USA sogar erst letztes Jahr. Also spielten wir nach dem Release viel in England bzw. in den USA, und so verschob und verzögerte sich das eben alles. Aber jetzt ist alles auf dem gleichen Stand, und die neue Platte kommt in den USA auch schon im Februar raus.“
Dieses Problem hattet ihr von Anfang an, und in Deutschland wurde ja auch versucht, den Leuten euer zweites Album als das Debüt zu verkaufen, natürlich mit Verspätung. Wie kommt so was?
Ian: „Das hatte was damit zu tun, dass die Leute, die uns damals in Schweden gesignt hatten, nicht mehr bei dem Label arbeiteten, und so nahm das Unglück seinen Lauf, keiner wollte sich um uns kümmern. Es war ein Alptraum – und wir haben es trotzdem geschafft. Es war ein weiter, harter Weg bis dahin, wo wir heute stehen, und ich denke, es waren die Liveshows, die uns am meisten geholfen haben.“
Na, aber doch auch eure Fähigkeit, unglaublich eingängige Songs zu schreiben: Schon beim ersten Hören fragt man sich, woher man die kennt.
Ebbot: „Haha, wir haben eben die Geheimformel entdeckt. Den Schlüssel, wie man dieses Gefühl erreicht.“
Ian: „Wie man Melodien komponiert, die du noch nie gehört hast, aber sofort wieder erkennst.“
Schlaues Recycling also ...
Ian: „Genau das!“
Ebbot: „Recyling alter Musik mit neuer Ausrüstung.“
Und wie geht das?
Ebbot: „Meist läuft es so, dass Ian und Mattias einen Song schreiben, die Akkorde und Melodien und auch teilweise das Arrangement.“
Ian: „Und dann wird das von Ebbot ‚gefiltert‘, und wir stellen das Ergebnis dem Rest der Band vor.“
Ebbot: „Dann wird die TSOOL-Waschmaschine eingeschaltet und alles gut durchgeknetet, und am Schluss kommt der fertige Song heraus. Wenn wir einen Song covern, dann ist das genauso: Der klingt nach unserer Spezialbehandlung ja eigentlich auch, als sei er von uns.“
Auf eurem ersten Album gibt es mit „Confrontation camp“ einen Song, den ihr auch heute noch live spielt, und in dem die Textzeile „I‘m on a train to a confrontation camp“ vorkommt. Mir fiel erst kürzlich auf, wie hart dieser Satz eigentlich ist. Musstet ihr euch dafür schon mal rechtfertigen?
Ebbot: „Nein, bisher nicht. Mag sein, dass manch einer im ersten Moment erschrocken ist beim Hören dieser Zeile, dann aber den Text gelesen hat und beruhigt war. Das ist eben der Effekt, den Worte haben können: Du denkst, sie bedeuten etwas, und bei genauerem Hinhören ist die Bedeutung doch eine andere. Und klar, man ist natürlich auf so eine Reaktion aus. Der Song bezog sich damals auf die Band, denn sie war genau das, ein ‚confrontation camp‘, und jede Bandprobe war eine harte Erfahrung.“
Ebbot, du bist für die meisten Texte verantwortlich, die sich – wie bei „Confrontation camp“ – durch deine große Freude am Spiel mit Worten und Bedeutungen auszeichnen. Wie entstehen diese Texte?
Ebbot: „Das ist manchmal ganz einfach und manchmal harte Arbeit, eben wenn dir nicht die richtigen Worte einfallen. Mal muss ein Song erst noch etwas wachsen, mal geht das ganz schnell, etwa wenn man ein Thema aufschnappt, wenn man einen Text an einem persönlichen Erlebnis aufhängt. Einer in der Band sagt etwas, und plötzlich habe ich dazu eine Idee. Oder die anderen geben mir Stichwörter vor zu einem, Song, und ich versuche daraus etwas zu machen.“
Ist es denn schwer, in einer anderen als seiner Muttersprache so eloquent zu sein?
Ebbot: „Nein, es ist sogar leichter. Und das hat etwas damit zu tun, dass ich einfach schon sehr lange Musik höre, also Musik, die UNION CARBIDE PRODUCTIONS und TSOOL beeinflusst hat, und die ist ja voll von solchen Wortspielen. Es ist für mich etwas ganz natürliches, mich so auf Englisch auszudrücken, und auf Schwedisch würde das auf keinen Fall funktionieren. Englisch ist für mich auch wie eine zweite Muttersprache, und das hat was damit zu tun, dass man das in Schweden schon von klein auf lernt.“
Es gibt aber auch andere Beispiele, Bands mit Texten wie ABBA, die kaum Sinn ergeben.
Ian: „Ja, das passiert immer dann, wenn Bands Texte nur machen, damit sie gut zur Musik passen. Wie bei ROXETTE etwa, haha, die singen ja auf ‚Swenglish‘, das ist alles völlig substanzlos.“
Was hat es mit eurem Albumtitel „Origin Volume 1“ auf sich, der ja wesentlich kürzer ist als die davor?
Ebbot: „Ganz einfach: Das bedeutet, dass es bald ‚Origin Volume 2‘ geben wird.“
Ian: „Wir haben 45 Songs aufgenommen ... Manche Songs sind schon alt, die entstanden schon zu ‚Behind The Music‘-Zeiten und mussten noch etwas reifen. Und so kam Ebbot auf die brillante Idee, einfach zwei Alben zu machen, denn die Songs sind so unterschiedlich, dass man bei manchen nicht sagen könnte, dass sie von der gleichen Band sind. Wir hatten mit ‚Welcome To The Infant Freebase‘ ja schon unser 20-Song-Album von biblischem Umfang gemacht, hahaha, bei dem wir unser gesamtes Spektrum vorgeführt haben.“
Ebbot: „Wir haben so viele gute neue Songs, dass die Leute auch eine Chance haben sollen, sie zu entdecken – und das geht eben besser, wenn man nur zwölf vor sich hat. Also gibt‘s auf Volume 1 zwölf und auf Volume 2 zwölf, und wer weiß, vielleicht folgt auch noch Volume 3 ... Auf jeden Fall werden wir sicher nicht drei Jahre warten mit dem nächsten Album, vielleicht ein Jahr oder auch nur ein paar Monate.“
Und was kommt danach? Wenn alle Platten dieser Trilogie veröffentlicht wurden, habt ihr doch schon wieder fünfzig neue Songs fertig. Ihr macht mir Angst!
Ian: „Wir schreiben ständig neue Songs, wir alle haben stapelweise Demos herumliegen, und jetzt widmen wir unsere ganze Aufmerksamkeit erstmal diesen neuen Songs und werden vielleicht erst in zwei Jahren wieder aufnehmen. Wir sind derzeit schon etwas erschöpft.“
Seid ihr Perfektionisten?
Ebbot: „Ich denke ja.“
Ian: „Absolut. Aber nicht in der Hinsicht, dass wir uns gegenseitig wegen kleinster Details kritisieren, sondern insofern, als wir einen Mix zur Not auch hundertmal anhören und verändern, bevor wir zufrieden sind, denn bei all den Instrumenten und Elementen gibt es auch zig Möglichkeiten, um ein Lied wirklich perfekt zu machen.“
Mit „Big Time“ habt ihr einen richtigen Hit auf der Platte, der sich deutlich von den anderen Songs absetzt.
Ebbot: „Anfangs dachten wir nicht, dass der Song es auf das Album schaffen würde.“
Ian: „Anfangs fand ich den sogar total lächerlich.“
Ebbot: „Das kam mir wie eine Oi!-Punk-Nummer vor, haha, wie ein STIFF LITTLE FINGERS-Pogo-Song. Und dann hat er sich einfach entwickelt, hat schließlich was von einem NEU-Krautrock-Song angenommen. Und so haben wir noch etwas Sitar draufgelegt.“
Ian: „Und vor allem stimmt die Bassline, die ist immer der Schlüssel zu einem guten Song. Als wir die hatten, hatte der Song auch seine Identität.“
Und das ist auch die Single zum Album
Ebbot: „Ja, sie ist ein guter Starter. Das klingt nach uns, ist aber doch etwas anders.“
Ihr seid ja eine dieser Bands, die man einfach mag – sofern man nicht erst 15 ist und auf die grausamen SPORTFREUNDE STILLER steht. Das konnte man im Sommer bei diesem Festival bei Aachen beobachten. Ihr habt da nicht wirklich hingepasst.
Ebbot: „Nein, wir kamen uns wirklich etwas fehl am Platz vor. Manchmal funktioniert das ja auch, vor Kids zu spielen, aber wir sind das nicht gewohnt. Ich komme mir da immer vor wie ein Erzieher im Kindergarten. Es ist ja schön, wenn die Kids dann auch mal klatschen, eine Reaktion zeigen, aber das ist keine Herausforderung. Die finden es wohl einfach nur aufregend, Menschen mit Instrumenten zu sehen.“
Na ja, aber etwa du, Ebbot, siehst ja auch eher wie ihr Kunstlehrer aus und nicht wie ein Popstar ...
Ian: „Aber viele kleine Mädchen verlieben sich auch in ihren Kunstlehrer, hahahahaha! Das gehört aber jetzt eher in die Rubrik ‚Verbotene erotische Träume‘.“
Ebbot, beende doch bitte diesen Satz: Wenn du bei UNION CARBIDE PRODUCTIONS das schwedische Gegenstück zu Iggy Pop warst, bist du bei TSOOL ...
Ebbot: „Santa Claus. Doch, das macht Sinn. Von Iggy Pop zum Weihnachtsmann, was für eine Verwandlung ...“
Hast du denn die „neuen“ STOOGES mal gesehen?
Ebbot: „Ja, in Los Angeles, und es war eines der besten Konzerte, das ich je gesehen habe – obwohl jeder dachte, es würde scheiße werden.“
Ian: „Wir waren backstage, und nach dem Konzert konnte Iggy sich kaum noch bewegen, das konnte man beinahe jeden einzelnen Knochen hören – aber auf der Bühne war er wie früher.“
Wie läuft es für euch in den USA? Wie man hört, ganz gut.
Ian: „Ja, also mal haben wir 300, 400 Zuschauer, mal 1.000, 2.000, etwa in New York, L.A. oder Chicago. In der Provinz viel weniger.“
Ebbot: „In Kanada läuft es auch gut, wir haben mittlerweile überall treue Fans.“
Was für Leute sind eure Fans? Mir fällt es schon schwer, eure Musik zu beschreiben.
Ebbot: „Das ist ganz gemischt, wie bei unserer Musik – wir bringen die unterschiedlichsten Stile und Menschen zusammen, und das war ein langer, anstrengender Weg. Wir sind jesehr stolz darauf, nach zehn Jahren irgendwie am Ziel angelangt zu sein, das neue Album zu hören und die davor, und dann die Verbindungslinie zu sehen. Das ist sehr schön.“
Was ist denn dieser rote Faden, der die Alben verbindet?
Ebbot: „Ich denke, dass die Platten zeitlos sind. Es ist zeitlose Rockmusik, du kannst solche Platten immer wieder in deinem Leben auflegen, ohne dass sie anfangen, dich zu langweilen, und du weißt dann irgendwie, was echt und ernst gemeint ist. Und das war auch bei der Gründung der Band unser Ziel, seit dem Ende von UNION CARBIDE PRODUCTIONS: Mehr zu sein, als eine STOOGES-Kopie. Klar, wir hatten auch unseren eigenen Sound, aber wir waren schon recht einseitig, und wären damit nicht mehr weit gekommen. Als wir dann TSOOL gründeten, hatten wir ein Gefühl der Freiheit, konnten musikalisch machen, was immer wir wollten. Gleichzeitig hatten wir uns unsere Einstellungen bewahrt.“
Was sind für dich, für euch zeitlose Klassiker?
Ebbot: „Alles von den BEATLES und den ROLLING STONES, aber auch ‚Rise above‘ von BLACK FLAG oder ‚Dirt‘ von den STOOGES. In jeder Situation hat man eben andere Favoriten. Und solche Lieder wollen wir auch machen, Musik, die auf ewig ihren Wert behält.“
Und irgendwie seid ihr ja auch Punkrock.
Ebbot: „Auf jeden Fall! Damit sind wir aufgewachsen, und wir sind auf eine gewisse gemäßigte Weise immer noch sehr wütend, hahaha!“
Und wie sieht‘s mit dem Rock‘n‘Roll-Lifestyle aus?
Ebbot: „Hatten wir auch schon. Damals, bei UCP. Kein frisches Obst, das hat Folgen.“
Ian: „Na, das hat sich aber auch bei dieser Band fortgesetzt, und erst jetzt, wo wir alle etwas älter geworden sind, sind wir auch klüger geworden. Irgendwann ist es eben kein Spaß mehr, high zu sein, man kennt das, und weiß, wie es endet.“
Ian, Ebbot, vielen Dank.
Fotos: Michael Klarmann
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