„Der Soundtrack unseres Lebens“ – bis heute ist der Name der 1995 aus den Resten der STOOGES-Verehrer UNION CARBIDE PRODUCTIONS gegründeten schwedischen Band für mich einer der poetischsten Bandnamen überhaupt. Mit „Communion“ haben T.S.O.O.L. im November 2008 in Schweden und schließlich im April 2009 in Deutschland einen mächtigen Brocken von Album abgeliefert, auf den sie ihre Fans vier, bald fünf Jahre warten ließen, denn „Origin Vol. 1“ datiert bereits von 2004. 24 Stücke finden sich auf dem Longplayer, der als Doppelalbum konzipiert wurde und damit einen vermeintlichen Anachronismus darstellt in Zeiten, da Menschen vor lauter 99-Cent-pro-Song-Download-Wahns vergessen haben, dass da draußen noch eine reale Welt existiert und das Album keineswegs tot ist. Und so sind Ebbot Lundberg und seine Band eben der Soundtrack UNSERES Lebens, aber nicht des Lebens derer, die Musik nur noch in Terabyte messen. Ich messe sie jedenfalls in Inch, am liebsten im Dutzend.
Ebbot, was machst du gerade?
Ich sitze im Zug und bin auf dem Weg zu unserem Manager. Wir haben viel vor dieses Jahr, das muss alles gut geplant sein. Wir hatten in letzter Zeit mit T.S.O.O.L. eine Pause eingelegt, um uns um Nebenprojekte und so was kümmern zu können, denn davor waren wir so viel auf Tour, dass dafür keine Zeit blieb. Wir waren in Australien und China, und für Europa blieb da keine Zeit mehr.
Darüber wollte ich mich gerade beklagen ... Wie war es denn in China?
Fantastisch! Das Publikum reagiert großartig auf uns, und ich glaube, die hatten noch nie zuvor Musik wie unsere gehört. Die kennen Bands wie EXPLOITED, viel Hardcore-Punk und Heavy Metal, aber sie mochten, was wir machten, und rasteten richtiggehend aus. Ich glaube, die würden es schätzen, wenn wir da noch mal spielen.
Aber wie werdet ihr in China verstanden? Ich habe das Gefühl, dass Rockmusik generell und Punk im Speziellen in China nicht unbedingt eins zu eins so wahrgenommen wird wie im Westen.
Ich denke, die Reaktion bezieht sich auf unser Verhalten auf der Bühne. Wir haben immer noch ein Punk-Element in unserer Musik, sind eine sehr energiegeladene Band. Selbst wenn man in China also unsere Musik vielleicht nicht in allen Aspekten versteht, reagieren die Leute einfach mit einer ganz natürlichen Reaktion auf das, was auf der Bühne passiert. Ganz allgemein ist Rockmusik für viele Chinesen immer noch eine neue Welt, und sie nehmen sie irgendwie ganz anders wahr. Ich hatte auch das Gefühl, dass es in China kaum richtige Rockbands gibt, aber dafür Bands mit Laptops, die westliche Musik mit chinesischer vermischen: seltsam, aber interessant! Abgesehen davon, denke ich, dass egal, wo du spielst, ob in Ägypten vor Menschen, die noch nie mit Popmusik in Kontakt waren, oder in Europa – die Reaktionen sind immer gleich. Die Reaktion des Publikums hat also wohl etwas damit zu tun, wie wir uns ausdrücken.
Und habt ihr etwas von dieser Erfahrung mit ins Studio genommen, als ihr das neue Album aufgenommen habt?
Oh ja! Jeder von uns war diesmal sehr begeistert bei der Sache, jede konzentrierte sich auf die Arbeit am Album, auf die Musik, und nicht auf persönliche Angelegenheiten. Es war einfach ein guter Flow. Wir hatten keine großen Erwartungen, wir haben einfach zugelassen, dass sich das Album in seiner eigenen Dynamik entwickelt. Und deshalb ist das Album auch so gut geworden.
Soll das heißen, dass du mit dem Album davor nicht so ganz zufrieden warst?
Wir waren für den Moment zufrieden, aber wir waren damals ziemlich gestresst. Das passiert einfach, wenn man unter dem Druck einer Deadline steht, all diese Erwartungen auf dich einwirken, und dann verändert sich die Wahrnehmung, und ich kann diesen Druck, diesen Stress unserer Musik anhören. Andere hören das vielleicht nicht, aber diesmal waren wir im Studio alle sehr entspannt, denn wir konnten die Aufnahmen in unserer eigenen Geschwindigkeit bewältigen. Und wir hatten die Möglichkeit, als Band zusammenzuwachsen, schafften es, das Album zu machen, das wir immer machen wollten. Wir haben das auch zuvor schon versucht, haben es beinahe geschafft, aber eben nur beinahe. Und: alle in der Band teilen dieses Gefühl.
Als Fan hört man ein Album anders als die Band, aber an welchen Stellen, an welchen Aspekten hört man die Unterschiede heraus, die dieses Album perfekt machen?
Nun, jede unserer Platten ist anders, jeder hat einen anderen Favoriten, und so kann ich nicht für andere Menschen sprechen. Aber für uns als Band ist „Communion“ das kompletteste, das vollkommenste Album, denn da sind so viele Details enthalten, die verschiedenen Songs, die Variationen ... Und es ist ja auch unser bisher längstes Album, ja wir haben es als richtiges Doppelalbum konzipiert. Wir haben ja immer schon lange Alben gemacht, diesmal haben wir jeden Song in seiner besten Version genommen. Als wir unser erstes Album machten, hielten wir das für ein Meisterwerk, aber damit kann man nur schwer umgehen, also nahmen wir „Behind The Music“ auf, und dann „Origin“, und versuchten anders zu sein, uns selbst zufrieden zu stellen. Aber wenn man so viel auf Tour ist wie wir, fehlt einem oft die Zeit, sich wirklich zu entspannen, und man ist ständig gestresst. Allerdings hört man so was den Liedern als Außenstehender nicht an, das hört wohl nur die Band heraus. Das ist ungefähr so wie die Frage an die BEATLES, welches ihre besten Alben sind, und wo die Antworten „Rubber Soul“ und „Revolver“ lauten, denn das war die beste Phase der Band, und das kann man hören. Und diesmal war es eben die beste Atmosphäre im Studio überhaupt.
Das sind viele Superlative – und das macht mir schon beinahe Angst, denn was soll nach einem Meisterstück noch kommen? Da kann man sich doch eigentlich nur auflösen, oder?
Oh nein, aber wir werden sicher als Nächstes nicht wieder ein Doppelalbum machen. Wir werden weiterhin Lieder machen, die wir lieben, die uns etwas bedeuten.
In den Tiefen des Internets findet sich der Satz „After the decision was made to postpone the Origin Vol. 2 project, the band wrote entirely new material and recorded it, which became Communion.“ Was ist das für eine Geschichte?
Eine wahre Geschichte. Das „Origin Volume 2“-Album ist so gut wie fertig, es wird bald erscheinen. 75 Prozent der Arbeit sind schon erledigt. Es wird ein Geschenk sein, für alle. Wir hatten die Arbeit an dem Album zwischenzeitlich eingestellt, weil wir so viele neue Ideen hatten. Außerdem erwartete jeder Teil zwei von uns, doch wir waren schon einen Schritt weiter, hatten lauter neue Ideen und konnten gar nicht anders, als uns einem neuen Projekt zuzuwenden. Wir haben uns einfach treiben lassen und stellten uns der neuen Herausforderung. Und ich denke, es war die richtige Entscheidung.
Hat es taktische Gründe, weshalb das Album in Deutschland erst ein halbes Jahr später als in Schweden erschienen ist? Und das letzte Album erschien auch noch über Warner, während ihr jetzt auf dem kleinen, feinen Indielabel Haldern Pop veröffentlicht.
Die Musikindustrie ist im Niedergang, und so haben wir mittlerweile unser eigenes Label. Und dann kontakteten wir in allen Ländern Menschen, von denen wir wissen, dass sie unsere Band lieben, und das ist unserer Meinung nach auch der beste Weg, um zu überleben. Mit dem Plattenverkauf verdient man als Band heutzutage sowieso kein Geld mehr, nur mit Konzerten, und daher haben wir keine Lust mehr, mit Labels zu arbeiten, die kein wirkliches Interesse an uns haben.
Wir kommen nicht drumherum, über das Album-Artwork zu sprechen ...
Haha, diese Frage stellt jeder. Wahrscheinlich deshalb, weil das Design so ungewöhnlich ist ...
„Ungewöhnlich“, das ist ein schöner Euphemismus.
Ein guter Freund und alter Fan sowohl von UNION CARBIDE PRODUCTIONS als auch T.S.O.O.L. ist Künstler, und ich bat ihn, sich doch Gedanken zum Thema „Massenpsychose“ zu machen. Er hatte die Idee, Bilder zu verwenden, die glückliche Menschen zeigen, aber ansonsten keinerlei Aussage haben – Menschen, die wie Roboter aussehen. Solche Fotos sind überall um uns herum, man sieht sie jeden Tag, man wird ständig damit konfrontiert. Diese Bilder sieht man in Anzeigen für Bankkredite, für Schönheitsoperationen, die sind für alles verwendbar.
Das war auch mein erster Gedanke, als ich die CD sah: Die Bilder sehen aus wie aus einer kommerziellen Foto-Datenbank, sie sind so glatt, so gründlich von allen kulturellen Besonderheiten gereinigt, dass sie für fast jedes Produkt in jedem Land für Anzeigenkampagnen verwendet werden können.
Genau! Das Artwork ist für mich so beängstigend wie auch komisch. Und es könnte auch das Album einer Punkband sein – so was hätte auch BLACK FLAG zu Ehre gereicht, finde ich. Und vor allem: Ein Cover mit einem solchen Konzept hat bislang nie jemand gemacht, da mussten wir das einfach tun – auch wenn das Artwork manche Leute vielleicht vom Kauf abhält. Wenn man es aber eine Weile auf sich wirken lässt, merkt man irgendwann, dass es das perfekte Artwork für dieses Album ist.
Hat der Künstler denn diese Fotos selbst geschossen?
Nein, die haben wir von irgendwelchen Agenturen gekauft, und die Menschen auf dem Cover wissen gar nicht, dass sie da drauf sind. Ich habe mich auch schon gefragt, wer das denn ist. Wir haben einfach nur die schlimmsten Fotos aus diesen Bilder-Datenbanken ausgesucht, und irgendwo auf der Welt kannst du diese Fotos wieder entdecken, vielleicht in einer Anzeige für eine Versicherung oder sonst irgendwas. Es sind Fotos ohne jede Aussage.
... die dann doch eine Aussage haben? Das Artwork hat was von einem Abgesang auf die Welt, wie sie vor der großen Finanzkrise war.
Lustigerweise war das Artwork längst fertig, als diese Entwicklung letzten Herbst so richtig einsetzte. Es war also einfach nur gutes Timing.
Und dann ist da noch der Albumtitel „Communion“ – ist damit der christliche Ritus gemeint?
Das kann in diesem Kontext alles bedeuten: Die Machtübernahme durch Aliens, oder eine Transformation in einen anderen Zustand. Es ist damit eine Aussage über die Zeit, in der wir leben. Es ist der Titel für ein Album, das versucht, den Geist dieser Zeit zu erfassen, das, was derzeit so abgeht.
Die wichtigste Frage zum Schluss: Wann kommt ihr mal wieder nach Deutschland?
Ich denke, wir werden nach den Festivals im Sommer im Herbst noch mal nach Deutschland kommen.
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