Sonny Vincent machte seine ersten musikalischen Gehversuche Ende der Sechziger, hat seinen fünfzigsten Geburtstag also auch schon eine Weile hinter sich gelassen, und wird wohl auf ewig damit leben müssen, dass sein Name zwar echten Punk-Aficionados ein freudiges Lächeln ins Gesicht zaubert, jenen jedoch, die an New Yorker Punkrock neben den RAMONES höchstens noch die DICTATORS und NEW YORK DOLLS nennen können, bis heute unbekannt geblieben ist. Dafür kann sich Sonny Vincent rühmen, seinen Roots bis heute treu geblieben zu sein, denn zwischen den Aufnahmen der TESTORS von Ende der Siebziger und dem, was bis in die jüngste Vergangenheit eingespielt wurde, ist stilistisch eigentlich kein Fingerbreit Platz: Vincent spielt archetypischen, melodiösen, rauhen, melancholischen Rock’n’Roll im prototypischen, schnodderigen Punk-Gewand der Mitt-Siebziger und hat seitdem keine Veranlassung gesehen, an dieser Formel irgendwas zu ändern. Seine Aufnahmen entstehen in wechselnden Besetzungen, sein Adressbuch ist dick, und so kam es über die Jahre zu Kollaborationen mit Helden wie Scott Asheton, Captain Sensible, Bob Stinson, Moe Tucker, Cheetah Chrome, Walter Lure, Wayne Kramer, Scott Morgan, Brian James, Greg Ginn oder John „Speedo“ Reis. Viel hat Sonny, der derzeit wieder in Deutschland wohnt, im Laufe der Jahre erlebt, und entsprechend viel hat er zu erzählen, weshalb wir ihn im Rahmen einer Serie von Interviews zu Wort kommen lassen. Im Sommer 2012 erscheint sein neues Album.
Sonny, im letzten Teil dieser Interview-Serie erzähltest du von deinen Abenteuern auf Tour und im Studio mit Moe Tucker und Sterling Morrison von VELVET UNDERGROUND, aber auch von denen mit deiner eigenen Band SHOTGUN RATIONALE. Das waren ganz schön wilde Zeiten damals ...
Wilde Zeiten, aber auch harte. Es war eine sehr komplexe Erfahrung, bestand mein Leben in dieser Zeit doch aus einigen wunderschönen Erfahrungen und einer Menge echt krankem Spaß, aber auch einigen sehr düsteren Tiefpunkten.
Als da wären?
Also da gibt es einiges, was ich lieber nicht erzähle. Ich glaube, ein paar Leute könnten geschockt sein, was ich so durchgemacht habe. Aber ein paar Erinnerungen teile ich gerne. Wie ich schon erwähnt hatte, war ich 1980 aus New York City nach Minneapolis, Minnesota umgezogen und lebte dort für die nächsten Jahre, bis 1992. Das Gute an Minnesota war, dass es dort anfangs keine Junkie-Szene gab. Später änderte sich das dann, aber anfangs war es erfrischend, von der ganzen Scheiße wegzukommen, die den Spirit der Szene von NYC kaputtgemacht hatte. Ich gebe zu, ich war selbst Teil dieses „Problems“, hatte mir die Venen kaputtgedrückt und war endlose Male in irgendwelchen verdreckten Seitenstraßen aufgewacht. Aber wenn es drauf ankam, hatte für mich immer die Musik Priorität. Im letzten Jahr meiner Zeit in Minnesota tourte ich immer noch mit SHOTGUN RATIONALE durch die USA und hatte gerade erst angefangen, als Mitglied von Moe Tuckers Begleitband durch Europa zu touren. Minnesota war echt cool, aber ich habe letztlich nie dorthin gepasst. Wer dort in einer Band spielt, ist meist mit den anderen Bandmitgliedern aufgewachsen, war mit denen auf der Schule, und so war es recht hart für mich als Außenseiter. Mit deiner Band einen Auftritt zu bekommen, hing also maßgeblich davon ab, wen du kanntest. Und ich hatte ja auch schon erzählt, dass ich für die Leute dort eine ganze Ecke zu „street tough“ aussah in meinen schwarzen Klamotten. Damals war es gerade Mode, Plaid-Shirts zu tragen, wie sie Neil Young damals trug, da war mein Look ein harter Kontrast. Letztlich fand ich aber meine Nische, und es wurde dann noch besser, als ich auf Bobby Stinson von den REPLACEMENTS traf, denn der war genauso ein „Problemkind“ wie ich. In der Musikszene gibt es ja so einige Leute, die eigenwilliges Verhalten an den Tag legen, aber es gibt immer auch ein paar, die das nicht nur spielen, sondern wirklich so schräg drauf sind. Wir gehörten zu zweiterer Kategorie, und wir passten gut zusammen.
Hast du dafür ein Beispiel?
Zum Beispiel liefen wir beide selbst in der brütenden Sommerhitze in unseren langen, schwarzen Wintermänteln herum. Eine Freundin erzählte mir, wie sie mich das erste Mal sah: „Das war Mitte Juli, ich hing aus dem Fenster unserer Wohnung im vierten Stock, um etwas Luft zu bekommen, es war unglaublich stickig heiß. Und wie ich mich da so aus dem Fenster lehne und die Straße entlang schaue, sehe ich diese beiden Kerle, die in Wintermänteln die Straße entlang geschlendert kommen.“ Bobby und mir war unser Verhalten gar nicht bewusst, aber irgendwie ähnelten wir uns wohl in vielem. Als ich später eine Therapie machte, lernte ich, dass Menschen, die eine schwere Kindheit hatten, oft die Angewohnheit entwickeln, immer einen Mantel zu tragen, so dass sie ständig fluchtbereit sind, die Taschen voll mit ihren wichtigsten Besitztümern, vorbereitet auf alle Widrigkeiten.
Bobby und du, ihr hattet auch eine ähnliche Schwäche für Drogen ...
Bisweilen wurde das alles ein chaotischer Wirbel aus Drogen, Rock’n’Roll und völlig wildem Verhalten. Ich war damals zwar von dem wirklich harten Zeug runter und konnte mich den Verlockungen des Heroins widersetzen, aber da gab es noch jede Menge anderes Zeug, das wir nahmen. Und der Alkoholkonsum, vor allem in der Kombination aus mir und Bobby, nahm schnell olympiataugliche Ausmaße an. In Bobbys Gesellschaft war es ganz normal, unglaubliche Mengen Alkohol zu trinken. Unzählige Male waren wir unfassbar besoffen, stellten dummes Zeug an. Zerschmettertes Glas, verbeulte Autos, besoffen irgendwo auf der Straße einschlafen, alles ganz normal. Aber sogar, wenn wir nüchtern waren, gab es Probleme. Einmal hängten wir Flyer auf für ein Konzert, einem Typen passte das nicht, und ruckzuck bedrohte ich ihn mit meinem Schnappmesser ... Meine Freundin nahm mir das Teil dann Gott sei Dank weg. Apropos Gott: Mein Freund und Bassist Mort brachte damals die unglaubliche Nummer, am helllichten Tage eine katholische Kirche mit dem Satz „Remember the Spanish Inquisition“ zu besprühen, mit Buchstaben, die aussahen, als tropfe Blut von ihnen herab. Einen Führerschein hatte ich damals übrigens auch nicht mehr, was mich nicht daran hinderte zu fahren. Die hatten mir den abgenommen, weil ich so viele Verfahren laufen hatte: zu schnell gefahren, rote Ampeln, und so weiter. Aber da ich sowieso keinen Führerschein mehr hatte, fuhr ich nur noch wilder, über Bürgersteige, über den Rasenstreifen in der Mitte des Highways, völlig hemmungslos, immer Vollgas. Oder wir brachten Aktionen wie die, dass wir zur Kunsthochschule gingen und uns wie Idioten aufführten. Zuerst schummelten wir uns nur rein, um in der Mensa umsonst essen zu können, aber nach ein paar Stunden flogen wir dann immer raus, weil wir irgendwelchen Scheiß anstellten. Dabei kamen wir uns noch toll vor, weil wir patzige Antworten gaben, etwa dass man uns „performance art dandies“ einfach nicht verstehen würde. Unser Leben bestand damals aus Musik, Spaß haben und zahlreichen körperlichen Auseinandersetzungen. Seltsamerweise fanden uns die Damen damals trotzdem interessant, von irgendwelchen reichen Töchterchen bis zu Punk-Fans kamen sie alle zu unseren Konzerten. Wahrscheinlich war unser „Bad Boy“-Ruch einfach unwiderstehlich. Als ich dann anfing, mit Moe zu touren, wurden mir allerdings sehr schnell die Grenzen akzeptablen Verhaltens aufgezeigt und ich war auch meistens nüchtern, denn sie war in der Hinsicht sehr streng und duldete keine Spielchen, von niemandem. Aber zu Hause in Minnesota gab es weiterhin Ups und Downs. Phasen konzentrierter Arbeit an der Musik wechselten sich ab mit solchen, wo wir komplett durchdrehten und alles schluckten, was in Reichweite war. Ach ja, und dann waren da auch noch ein paar Ausflüge hinter Gitter ...
Was für Drogen habt ihr damals genommen?
Eigentlich habe ich keine Lust, hier irgendwas zu romantisieren oder zu empfehlen. Na gut, weil es Teil meiner Geschichte ist – aber bitte, nichts davon ist zur Nachahmung empfohlen. Wir nahmen, was immer zu haben war: Gras, Hasch, Koks, Whisky, Downer, Speed ... Das Heroin hatte ich ja hinter mir gelassen, und ich war auch nie ein richtig übler User gewesen, denn ich hatte ja gesehen, was das Zeug anrichtet, bei Freunden wie Dee Dee und Johnny Thunders. Später dann hatte ich mich noch mal kurz daran versucht, als Cheetah Chrome bei mir in Minnesota einzog, aber ich hielt mich von der Junkie-Szene fern.
Dass die Polizei nicht dein Freund und Helfer war zu der Zeit, ist klar. Da gibt es auch einige Geschichten ...
Alles Bastarde, die von der Polizei in Minnesota. Die haben mich ein paar Mal fast umgebracht. Dreimal landete ich im Krankenhaus, so übel hatten die mich verprügelt, mir zig Knochen gebrochen, ich hatte eine Menge Blut verloren. Im Krankenhaus nähten sie mich dann wieder zusammen. Es gibt ein paar schöne Fotos davon, wenn du die sehen könntest, wärest du schockiert ...
Wie kam es zu diesen Auseinandersetzungen?
Meist lag es einfach daran, dass ich nicht bereit war, dem arroganten Auftreten der Polizisten Respekt zu zollen. Ich hatte schon immer Schwierigkeiten, Autoritätspersonen zu akzeptieren, vor allem dann, wenn sie in meinen Augen korrupt waren.
Gab es auch gute Momente in dieser Zeit in Minnesota?
Natürlich. Nachdem ich mich dort halbwegs akklimatisiert hatte, mich an das im Vergleich zu New York City ganz schön entschleunigte Leben dort gewöhnt hatte, war es okay. Anfangs hupte ich beim Autofahren dort ständig, die fuhren echt wie lahme Bauern dort, haha. Das Leben war im Mittleren Westen einfach ein ganz anderes. Ich erinnere mich noch gut, wie es im Sommer mal hieß, wir würden alle „an den See zum Baden gehen“ ... Badehose? Hatte ich nicht. Eine Freundin gab mir ihre Jeans-Shorts, die zog ich an. Als Stadtkind dachte ich bei „See“ an ein ruhiges Plätzchen irgendwo im Wald, für uns allein. Tja, und so ging es an den See, ich in knappen Jeans-Shorts, T-Shirt und meinen schwarzen, spitzen Beatle-Boots. Und von wegen Wald: Der See lag mitten in der Stadt! Und alleine waren wir auch nicht, da waren Massen von Menschen! Und mittendrin ich, der ich jahrelang nicht mehr in der Sonne gewesen war, mit bleichen, weißen Beinen – ich muss ein köstlicher Anblick gewesen sein. An sich waren die Leute in Minneapolis alle nett, gerade auch aus der Musikszene. Einmal zum Beispiel war Prince bei einem meiner Konzerte und lud mich danach ein, bei ihm im Paisley Park umsonst einen Song aufzunehmen. Oder die Jungs von HÜSKER DÜ, die immer sehr bereitwillig ihre Amps und ihr Equipment verliehen.
Ich hoffe, du hast es gut behandelt. Gerade deine Konzerte waren ja oft ganz schön chaotisch, irgendwas war immer.
Haha! Bob Stinson zog sich auf der Bühne gerne mal aus. Oft genug musste ich ihn vom Mikrofon verscheuchen, weil er irgendwelchen Quatsch ins Mikro brüllte. Oder die Sache, als Mike Phillips und ich zu SONNY VINCENT AND THE EXTREME-Zeiten irgendwo zwei Frauen-Ballkleider fanden. Die waren zwar nicht mehr ganz frisch, sahen aber noch recht schick aus, so mit Glitter und Brokat und so. Die zogen wir an und betraten so das Scientology-Gebäude in Minneapolis ... Die schmissen uns gar nicht sofort wieder raus, zeigten uns einen Scientology-Film, und daraufhin warf ich mich auf die Knie und flehte darum, in ihre Gemeinschaft aufgenommen zu werden, um erleuchtet zu werden, haha. Anschließend zogen wir in unseren Ballkleidern weiter und schafften es, uns in ein Tom Waits-Konzert zu schmuggeln. Wir versuchten sogar auf die Bühne zu gelangen, indem wir behaupteten Toms Background-Sängerinnen zu sein, aber letztlich kamen wir nicht an Toms Manager vorbei, dem wir erzählten, Tom persönlich habe uns eingeladen. Immerhin schafften wir es backstage, trafen Tom, erzählten unsere Geschichte und brachten ihn damit zum Lachen.
Du sagtest vorhin schon, dass die Touren mit Moe eine ganz andere Nummer waren, da war nichts mit Drogen, sondern es war Disziplin gefragt. Konntest du dich bei ihr auch musikalisch einbringen?
Hier und da schon, ich war in gewissem Umfang am Songwriting beteiligt. Es machte mir auch großen Spaß, ihre Musik zu spielen, und mit der Zeit lernte ich ihren Ansatz und ihre Arbeitsweise immer besser kennen und richtete mich danach. Für mich war der Deal klar: Bei meiner eigenen Musik kann ich mich so austoben, wie ich will, aber bei Moe geht es darum, ihr behilflich zu sein dabei, ihre Vision umzusetzen, und nicht zu versuchen, meine eigenen Ideen einzubringen. Ich nahm die Arbeit sehr ernst, versuchte zu verstehen, worauf sie hinauswollte, ihr zu helfen. Vielleicht war das der Grund, warum wir neun Jahre lang zusammen spielten, während andere nur ein oder zwei Jahre in der Band blieben. Mein Bandkollege John Sluggette sah das übrigens genauso. Und als dann später noch Sterling Morrison einstieg, wurde für mich echt ein Traum wahr. Ich hatte dann die Ehre, Sterling erklären zu dürfen, wie er einst „Pale blue eyes“ gespielt hatte: „Oh, Sterl, I think you played it this way on the album.“ Kannst du dir das vorstellen? Er erzählte mir all dieses Geschichten über seine Zeit bei VELVET UNDERGROUND, über die Sechziger, das war faszinierend. Moe und Sterling sind ja beide ein paar Jahre älter als ich. In seinen Geschichten ging es immer um irgendwelche Intrigen und verschiedenste Ausschweifungen, und natürlich kamen Lou Reed, Edie Sedgwick und Gerard Malanga darin vor. Die Touren mit Moe sind wirklich ein Höhepunkt in meinem Leben, und ich bewundere Moe bis heute für ihren Anstand, ihre direkte und ehrliche Art. Mit ihr hatten wir immer Spaß, sie hat viel Humor, wobei der Spaß bei ihr bei Drogen aufhört. Sie führte in der Hinsicht ein strenges Regiment.
Ein anderer Held, mit dem du arbeiten konntest, war Scott Asheton von den STOOGES. Wie habt ihr euch getroffen?
Wir spielten mit SHOTGUN RATIONALE in Detroit und einige der „Paten“ der Musikszene von Detroit waren im Publikum: Scott Asheton von den STOOGES, Rob Tyner von MC5, und noch ein paar andere. Rob sagte hinterher noch, mit dem Finger im Ohr: „Damn, Sonny, you guys were loud!“, worauf ich antwortete, wir hätten nur mit einem Viertel der Verstärkerleistung gespielt, die sie damals hatten, das wäre ja wohl ein unfairer Vorwurf, haha. Wir spielten im legendären Majestic Ballroom, und nach dem Konzert traf ich backstage all diese Menschen persönlich, die ich nur von ihren Platten her kannte. Wir machten ordentlich Party! Am nächsten Tag nahmen mich Scotty Asheton und Scott Morgan dann auf Sightseeing-Tour nach Ann Arbor und Downtown Detroit, wir besuchten Freunde von ihnen und auch ich kannte da ein paar Leute, seit ich 1978 mit den TESTORS im Vorprogramm der DEAD BOYS in Detroit gespielt hatte. Dieser Tag war echt anstrengend, haha, denn überall gab es reichlich zu trinken und Drogen, so dass ich am Ende dieses Ausflugs echt erledigt war. Damals waren Detroit und Ann Arbor noch echt cool, hatten noch diesen „Vibe“, das Ganze war schon eine sehr beeindruckende Erfahrung. Ein paar Jahre später, das war 1997, kam ich noch mal zurück, und ich bekam die ausführliche Version eines Rock’n’Roll-Urlaubs, bekam von Scotty und Scott alle „Sehenswürdigkeiten“ gezeigt: „Here’s the Fun House where the STOOGES lived and rehearsed and there is the commune the MC5 and John Sinclair had, the ,Trans Love‘.“ Das war schon was Besonderes. Die gaben mir echt die Staatsbesuchsbehandlung, stellten mich ihren Eltern vor und so. Ich weiß noch, wie mir Scott Morgans Dad seinen Gemüsegarten zeigte. Und mit Ann Asheton, der Mutter der Asheton-Brüder Ron und Scott, war ich Mittagessen, und sie erzählte mir all diese Anekdoten, in der Art von: „Oh that Jim [Iggy Pop] was always eating my cakes and then leaving chocolate fingerprints on my milk cartons!“. In der nächsten Zeit fuhr ich immer wieder mal nach Michigan und pflegte diese Freundschaften, und so kam es, dass Ron Asheton mein „Parallax In Wonderland“-Album mischte und coproduzierte. Wayne Kramer wurde ein guter Freund, mit dem ich aufnahm und recht viel Zeit verbrachte, und auch Hiawatha Bailey oder James Williamson lernte ich damals persönlich kennen. Ich hatte das Gefühl, so einen sehr persönlichen Zugang zur Rockmusikgeschichte von Detroit zu bekommen. Und all die Menschen dort brachten mir ihre spezielle Sicht auf den Rock’n’Roll der Sechziger und Siebziger näher, erzählten von ihren Erfahrungen und Erlebnissen. Ich empfand es als Ehre, dass man mir diese Wertschätzung entgegenbrachte, und es war eine sehr angenehme, warme Atmosphäre.
Habt ihr bei deinen Besuchen in Detroit auch was aufgenommen?
Ja, da gab es ein paar Jam-Sessions, und irgendwo habe ich auch noch die Kassetten ... Die damals geknüpften Freundschaften führten auch dazu, dass dann später, 1997, Scott Asheton Teil meiner Band war und wir im Haus seiner Schwester proben konnten. Das war damals, als auch Steve Baise von den DEVIL DOGS mit mir spielte. Später dann nahmen Scott und ich noch mehrere Platten zusammen auf. Die Arbeit mit ihm verläuft immer sehr entspannt, er verkörpert mit jeder Faser seines Körpers den Rock’n’Roll, sein Groove ist unerbittlich und fließt ganz natürlich. Er versteht instinktiv, wie ein Lied funktioniert, seine Struktur und die Intention, er tut alles, was nötig ist, ohne dass man ein Wort darüber verlieren muss. Und Wayne Kramer hat die Fähigkeit, unglaubliche Mengen Energie in sein Gitarrenspiel fließen zu lassen. Wayne reißt nicht einfach nur irgendwelche Riffs runter, er geht der Sache auf den Grund, das ist unglaublich. Durch seine Art des Spielens holt er mehr aus einem Stück heraus, als man darin eigentlich vermutet hätte. Ich kann das nur schwer erklären, man muss sich seine Sachen einfach mal anhören und selbst darauf kommen. Dazu kommt, dass es eine ganz besondere Erfahrung ist, in seiner Gegenwart zu arbeiten. Er ist ein sehr gefühlvoller Mensch, und alles, was er sagt, spielt, tut, folgt dem gleichen Ziel: Er ist am „Echten“ interessiert, er will den Dingen auf den Grund gehen. Das soll nicht so klingen, als sei er eine Art Guru oder spiritueller „Meister“, aber das Wort „master“ fällt immer wieder, wenn man sich mit Menschen über Wayne unterhält. Ronnie Asheton, der ja leider 2009 gestorben ist, war ein sehr gewitzter, scharfsinniger Mensch, aber auch sehr warmherzig, wenn man ihn mal besser kannte. Scott Morgan ist ein echter Gentleman, und ach, Steve Mackay, James Williamson, all diese Menschen sind so integer und alles, was sie tun, ist voller Seele. Das ist echt so, ich romantisiere hier nichts oder lasse nostalgischen Gefühlen freien Lauf. Diese Typen kommen alle aus einer Generation kurz nach den Hippies, aus einer radikalen, revolutionären Community, sie sind echt, und das spürt man.
Was für Erinnerungen hast du an die Studioaufnahmen mit Scott Asheton für das Album „Roller Coaster“ von SHOTGUN RATIONALE?
Wir nahmen die Platte 1993 in New York auf, ich an der Gitarre, Scotty spielte bei einem Song Schlagzeug, und Richard Hell Bass. Cheetah Chrome ist auf dem Album auch zu hören, ebenso Moe Tucker und Sterling Morrison. Sylvia Reed, die Frau von Lou Reed, produzierte das Album, zusammen mit Mike Rathke, einem Mitmusiker von Reed. Ich erinnere mich, dass Mike ein paar Mal echt sauer wurde wegen Cheetah und seiner Art, aber so ist Cheetah eben. Einmal etwa sollte Cheetah ein Gitarrensolo aufnehmen, aber war schon ziemlich besoffen – und aß in der Aufnahmekabine ein Hühnchen, das er sich gerade von Kentucky Fried Chicken geholt hatte. Mike wunderte sich, warum Cheetah nicht in die Gänge kommt, nur unverständliches Zeug murmelt, also verlässt er seinen Platz im Kontrollraum und als er dann die Tür zur Kabine aufmacht, sitzt der da mit fettigen Lippen und Händen, ja, das Fett tropft sogar vom Hals der Gitarre, und grinst ihn komisch an. Im Mundwinkel hatte er sogar noch ein Stück Hähnchen hängen. Mike ist echt ausgerastet. Wir hatten nur wenig Zeit im Studio, da ging so was gar nicht. Letztlich schafften wir es, etwas Gitarrenspiel aus Cheetah herauszuquetschen, haha. Bei anderen Gelegenheiten gestaltete sich die Zusammenarbeit mit Cheetah zum Glück einfacher.
Ab 1993 lebtest du mehr oder weniger fest in Holland. Wie kam es dazu?
Das ergab sich aus der Arbeit mit Moe. Wir spielten in Amsterdam im Melkweg, und Sterling und ich hatten beide ein Auge auf das gleiche Mädchen im Publikum geworfen. Als nach dem Konzert ein Fotograf ein Foto von Sterl und Moe wollte, witterte ich meine Chance, sprach sie an, und tja, Sterl war sehr sauer auf mich, als er uns beim Küssen erwischte. Sie gab mir ihre Telefonnummer, sie besuchte mich in den USA, ich besuchte sie in Holland – und blieb die nächsten sechs Jahre. Allerdings tourte ich während der Zeit weiter mit Moe in den USA und Europa, und auch SHOTGUN RATIONALE liefen weiter.
Ungefähr zu der Zeit hast du auch noch THE DONS gegründet.
Ja, die Band existierte von 1993 bis 1995, das waren zwei Holländer und ich. Eppie Hotz spielte Drums, Jerkeet Cannoguutnerts Bass, ich sang und spielte Gitarre. Wir nahmen ein Album auf und tourten durch ganz Europa, das war ein großer Spaß. Vor unserer ersten Tour schon machte ich mir allerdings Gedanken über ihren enormen Haschischkonsum. Ich fragte sie, ob sie vorhätten, auch auf Tour so viel zu rauchen wie zu Hause. Ich konnte mir nicht vorstellen, wie man so bekifft jeden Tag Punkrock spielen kann. Sie wiegelten ab, behaupteten, ihren Konsum auf Tour auf ein Minimum zu reduzieren. Haha, natürlich reduzierten sie das Kiffen nicht „auf ein Minimum“, sondern quarzten ständig, Tag und Nacht. Ich meine, die kifften seit frühester Jugend, die konnten gar nicht aufhören, und ich behaupte, die Mengen, die sie wegdampften, hätten sogar Bob Marley beeindruckt. Und statt weniger zu rauchen, steigerten sie ihren Konsum auf Tour sogar noch. Der Einfachheit halber machte ich dann einfach mit, wobei ich nie vor dem Auftritt kiffte. Keine Ahnung, wie andere Musiker das machen, aber mich macht das so langsam, da geht dann nichts mehr. Natürlich war das Touren mit solchen Kiffern auch nicht ganz ohne, vor allem in einem Bandbus mit niederländischen Kennzeichen. Speziell die Österreicher haben die auf dem Kieker, untersuchen die Bus-Insassen schon gerne mal bis auf die bloße Haut, und in einem Akt des vorauseilenden Gehorsams entschied sich Eppie deshalb, den Österreichern zu helfen, in dem er sich schon vor der Grenze nackt auszog. Den Blick der österreichischen Grenzpolizisten werde ich nicht vergessen, als da dieser nackte Holländer aus dem Auto stieg, hahaha.
Du erwähntest vorhin kurz die Aufnahmen zusammen mit Scott Asheton und Steve Baise. Welche Erinnerungen hast du daran?
Ich, Scott und Captain Sensible nahmen das „Pure Filth“-Album 1997 in Nashville auf, zusammen mit Cheetah. Danach wusste ich, dass ich mit Scott auf Tour gehen muss. Ich fragte ihn, er sagte ja. Fehlte uns nur noch ein richtig guter Gitarrist. Ich rief Joey Ramone und fragte, wen er mir empfehlen könne. Joey fragte: „Who plays guitar on ,Crazy Game‘?” Ich: „Äh ... ich.“. Darauf meinte er, ich würde doch sowieso bei den meisten meiner Platten selbst Gitarre spielen, also solle ich das selbst machen. Tja, er hat mich überzeugt. Fehlte noch der Bassist. Mein Freund Kike Turmix empfahl mir Steve Baise von den DEVIL DOGS, und so traf ich mich mit Steve in NYC, wir aßen irgendwo in Little Italy zusammen zu Mittag, ich fand ihn nett, und so lud ich ihn ein, in meiner Band zu spielen. Er sagte zu, und als wir das Restaurant verließen, fragte er mich, ob ich ihn eigentlich jemals spielen gehört hätte. Ich antwortete: „Well, I have the DEVIL DOGS albums but I never opened them ... but you can play good, right?“ Er lachte, und ich fuhr zum Flughafen. Ich vertraute auf die Empfehlung von Kike. Um nun auf die Aufnahmen in Nashville zurückzukommen: Die fanden deshalb dort statt, weil Cheetah damals dort lebte, und so flog ich aus Amsterdam ein, Captain Sensible aus London, und Scott Asheton setzte sich in seinen Pick-up und fuhr von Michigan nach Nashville. Cheetah sollte das Studio klarmachen, und na ja ... Es stellte sich heraus, dass es ein sehr simples Vier-Spur-Studio in der Garage von so einem Kerl war. Captains Reaktion war eindeutig: „What da fuck? I’ve got a better system than that in my bedroom!!“ Scott schlich sich raus in den Garten und sagte gar nichts. Letztlich machten wir dann das Beste aus der Situation – und die war ganz schön angespannt. Cheetah lebte bei seiner Freundin in einer kleinen Wohnung, also gingen wir drei anderen in ein billiges Hotel, Captain und ich in einem Zimmer, Scott Asheton, Scott Morgan und unser Roadie teilten sich ein Dreierzimmer. Das war echt ein Drecksloch, Kakerlaken überall. Ich muss immer an die Fahrt ins Studio denken, in Scott Ashetons Pick-up: Vorne Scott Asheton und Scott Morgan, hinten auf der Ladefläche ich und der Captain, zwischen Resten von Feuerholz, altem Laub, einem alten Reifen und einer alten Plane mit Blut von einem toten Reh drauf. Captain und ich saßen da, schauten uns an und lachten angesichts der Absurdität der Situation.
Eigentlich wäre dieses Line-up doch eine wundervolle Band gewesen.
Ja, wäre es, aber das Problem war Cheetah. Der kippte sich ständig mit Bier zu und war total verrückt drauf. Ich will nicht ins Detail gehen, weil wir gute Freunde sind, aber ich sagte damals zu ihm: „Fuckin’ hell, Cheetah, I liked you better when you were a junky!“ Er war total aggro, beleidigte wirklich jeden, drohte damit, sich ein Gewehr zu besorgen, schmiss in der Bar Bierflaschen kaputt, war einfach ein richtiges Ekel. Ich vermute, dass hatte was damit zu tun, dass nach vielen Jahren als Junkie das irgendwie seine Reaktion war. Er benahm sich damals echt wie der letzte Redneck. Zum Glück hat er sich dann später gefangen, heute ist er ein ganz anderer Mensch. Trotzdem hatten Scott und der Captain danach kein großes Bedürfnis mehr, noch mal was mit ihm zu tun zu haben. Die Idee der Band war nach dieser Studioerfahrung also definitiv begraben. Immerhin wurde das Album halbwegs ordentlich, Daniel Rey mischte es ab. Und wie ich eben schon erzählte, ging ich dann mit Scott Asheton und Steve Baise in Trio-Besetzung auf US- und Europatour. Aber davon erzähle ich euch dann das nächste Mal.
Übersetzung: Joachim Hiller
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