Sonny Vincent machte seine ersten musikalischen Gehversuche Ende der Sechziger, hat seinen fünfzigsten Geburtstag also schon eine Weile hinter sich gelassen, und ist seinen Roots bis heute treu geblieben zu sein, denn zwischen die Aufnahmen der TESTORS von Ende der Siebziger und dem, was bis in die jüngste Vergangenheit eingespielt wurde, ist stilistisch eigentlich kein Fingerbreit Platz: Vincent spielt archetypischen, rauhen Rock’n’Roll im prototypischen Punk-Gewand der Mitt-Siebziger. Viele seiner Aufnahmen entstehen in Kollaborationen mit Helden wie Scott Asheton, Captain Sensible, Bob Stinson, Moe Tucker, Cheetah Chrome, Walter Lure, Wayne Kramer, Scott Morgan oder John „Speedo“ Reis. Viel hat Sonny zu erzählen, weshalb wir ihn im Rahmen einer Serie von Interviews zu Wort kommen lassen. Demnächst erscheint sein neues Album.
Sonny, was hast du in den letzten Monaten so getrieben?
Im April und Mai 2012 war ich mit SONNY VINCENT AND THE BAD REACTIONS auf US-Tour. Zur Band gehören außer mir noch Leute von THE CARBONAS, EX HUMANS, BEAT BEAT BEAT und SORROWS. Die kannten bereits die meisten meiner Songs und sind sehr wilde Rock’n’Roll-Typen. Viele Shows waren ausverkauft und wir waren jeden Abend im „Zerstörungsmodus“ – unglaublich, dass wir das überlebt haben. Wegen der langen Fahrten und der Energie, die wir jeden Abend wieder auf die Bühne bringen mussten, war es manchmal echt die Hölle. Ich werde mit den Jungs auch auf Europatour gehen, das ist das beste Line-up, das ich seit langem hatte. Da klickt, fließt und rockt alles! Außerdem habe ich ein neues Album mit Rat Scabies von THE DAMNED, Glen Matlock von den SEX PISTOLS und Steve Mackay, dem Saxophonisten der STOOGES aufgenommen und ich bin sehr zufrieden damit.
Im letzten Teil hast du bereits deine Europatour mit Scott Asheton von den STOOGES und Steve Baise von den DEVIL DOGS erwähnt. Wie habt ihr zusammengefunden?
Nachdem ich 1997 mit Scott „Pure Filth“ aufgenommen hatte, planten wir eine Tour zusammen. Das war für mich, als ob ein Traum wahr geworden wäre. Jeder, der mich kennt, weiß, wie wählerisch ich bin, wenn es um Drummer geht, und wie besessen ich davon bin, dass sie den „Swing“ haben, und mit Scott zu spielen, war ein wirkliches Highlight. Nun musste ich aber noch das restliche Line-up der Band aufstellen. Eigentlich wollte ich eine vierköpfige Band, also mich, Scott am Schlagzeug, einen Bassisten und einen Gitarristen. Am Ende wurde es aber doch ein Trio ohne einen weiteren Mann an der Gitarre. Ursprünglich hatte ich dabei an James Williamson von den STOOGES gedacht, der zu dieser Zeit noch bei Sony gearbeitet hat. Ich habe ihn also angerufen und versucht ihn zu überreden: „James, wir werden in Deutschland, der Schweiz, Skandinavien, Spanien spielen – einfach überall! Komm mit und schau dir all diese Länder an!“ James sagte nur: „Sonny, ich mag die Songs, die du mir geschickt hast, aber du weißt, dass ich die Produktentwicklung bei Sony leite. Ich fliege andauernd in diese Länder und, was noch dazukommt, ich habe auch seit Jahren nicht mehr Gitarre gespielt.“ Das war also ein klares Nein. James hat natürlich später bei Sony aufgehört und spielt jetzt wieder mit den STOOGES, aber 1996/97 konnte er sich wirklich nicht vorstellen, noch einmal damit anzufangen. Als Nächstes habe ich dann Joey Ramone angerufen und ihn nach seiner Meinung gefragt, wen er mir empfehlen könnte. Joey hatte all meine Alben und fragte mich, wer früher bei meinen Songs Gitarre gespielt hat – und das war ich. Er sagte also: „Sonny, ihr solltet als Trio auf Tour gehen: ein Bassist, Scott als Schlagzeuger und nur du an der Gitarre.“ Ich nahm seinen Rat an und begann, nach einem Bassisten zu suchen ...
... und du hast Steve kontaktiert?
Nun, zuerst habe ich Kike Turmix von den PLEASURE FUCKERS angesprochen. Er hatte gerade sein Label Safety Pin Records gegründet und mein Album mit Scott und Captain Sensible als erstes Release herausgebracht. Ich habe es ihm umsonst gegeben, als Starthilfe für sein Label. Aber das mit Kike ist noch mal eine ganz andere Geschichte. Ich fragte ihn also wegen einem Bassisten und er sagte, die einzig gute Wahl sei Steve Baise. Also bin ich von Amsterdam nach New York City geflogen, um ihn zu treffen. Dann ging alles sehr schnell. Wir haben zusammen in einem kleinen exklusiven italienischen Restaurant in Greenwich Village, das er für uns herausgesucht hatte, Mittag gegessen und geredet. Das Lustige an der Sache war, dass ich zwar alle DEVIL DOGS-Alben in meiner Plattensammlung hatte, aber keines davon jemals gehört hatte. Steve fragte mich also, ob ich ihn überhaupt mal spielen gehört hätte, ich antwortete, dass ich zwar all seine Alben besitze, diese aber seit einem Jahr noch eingeschweißt in meinem Regal stehen, da ich keine Zeit hatte, sie mal aufzulegen. Er sagte, ich solle mir sie anhören und ihn dann anrufen. „Nun, die Platten sind in Holland und du bist sowieso drin“, antwortete ich. „Ohne dass du mich je spielen gehört hast?“ Ich sagte: „Ich habe ein gutes Gefühl dabei. Die Songs, die du lernen musst, schicke ich dir aus Holland.“ Dann sagte ich Tschüss, da ich mit dem Taxi zum Flughafen fahren musste, und Steve meinte: „Das wird wild. Du bist schon ein verrücktes Arschloch.“ Ich sagte noch: „Scott ist verrückter. Wir sehen uns!“
Bist du da kein Risiko eingegangen?
Nein, ich wusste sofort, der Typ ist eine coole Sau, also sind wir großartig klargekommen. Steve ist ein echter Gentleman, ein Charmeur und sehr aufrichtig. Außerdem vertraute ich Kikes Urteil, dass Steve der Richtige für den Job sei. Es mag unüberlegt wirken, aber Steve und ich hatten die gleiche Wellenlänge und ich wusste einfach, dass er richtig war. Ich habe also alle Vorverhandlungen übersprungen und gleich damit weitergemacht, die Tour zu planen. Lustigerweise habe ich erst letzte Woche mit Steve gesprochen und er muss immer noch lachen, wenn wir über unser erstes Treffen sprechen.
Wie ging es dann mit der Band weiter, nachdem das Line-up stand?
Scott, Steve und ich trafen uns in Detroit und probten dort im Haus von Scotts Schwester Kathy. Ich wohnte währenddessen bei ihr, Steve übernachtete im Hotel. Das war am Anfang okay, doch ich bekam langsam aber sicher das Gefühl, dass Kathy in mich verknallt war, und ich empfand nicht wirklich das Gleiche für sie. Das Fass war kurz vorm Überkochen, was zu unangenehmen Situationen führte. Auch die Stimmung bei unseren Proben war irgendwie immer angespannt. Ich will nicht sagen, dass es wie in einem Fellini-Film war, aber ständig sind Leute vorbeigekommen und hingen bei uns rum. Viele Drogen, Alkohol und Frauen. Es kamen sogar ein paar knorrige Biker-Typen vorbei, um mit uns zu feiern. Scotts Frau Liz erschwerte das alles noch. Sie wusste damals nicht viel darüber, wie eine Band zusammenarbeitet und verstand nichts von Zeitplänen und dem Geschäftskram, den man machen muss, damit alles glatt läuft. Mitten in dieser Situation, die sowieso schon sehr chaotisch wirken mag auf Außenstehende, verkomplizierte Liz also alles noch mehr, indem sie uns daran hinderte, die einfachsten Sachen zu erledigen, die aber gemacht werden müssen, wie sich um die Plakate kümmern, Interviews geben, proben. Außerdem eskalierte die Sache mit Kathy immer mehr. Letztendlich war sie wütend und hat nicht mehr mit mir geredet, als mich ein anderes Mädchen aus New York City besuchte. Es entwickelte sich langsam zu einer Seifenoper. Ich zog dann zur Sicherheit lieber in ein Hotel. Nach ein paar hitzigen Momente mit zerbrochenen Glas, Blut und Tränen haben wir uns dann zusammen gerissen und ganz diszipliniert ein paar geile Proben durchgezogen! Rückblickend wirkt es wie der reine Wahnsinn.
Dann seid ihr also zusammen auf Tour gegangen.
Noch nicht ganz, wir mussten noch ein bisschen warten, bis alles ordentlich geplant und promotet war. Dann haben wir uns noch in Bern zum Proben getroffen. Alain von Overdose Records hat für uns einen Proberaum in Bern und Biel organisiert, der nichts kostete, das war cool. Das Uncoole daran war, dass ich damals keine Ahnung hatte, wie teuer die Schweiz ist. Wir waren fünf Leute, drei Musiker und zwei Roadies, die zehn Tage lang während der Proben versorgt werden mussten, bevor die Tour startete. Das Hotel, die Mahlzeiten, die Fahrerei sowie die Zigaretten, Alkohol und Drogen kosten da sehr viel. Also hatten wir bereits, bevor die Tour begann, mehr als 10.000 Dollar ausgegeben, inklusive Flugtickets und Miete für das Equipment. Aber wir waren zufrieden, die Tour war gut geplant, wir klangen rauh und großartig, wir hatten zwei coole Roadies – einen Ostdeutschen namens Andrew, der vorher noch nie gereist war, und einen Amerikaner namens Roger, den wir aus Minneapolis einfliegen ließen.
Wo habt ihr überall gespielt?
Wir waren zusammen in der Schweiz, in Frankreich, Belgien, Deutschland, Österreich und Holland, Slovenien, Kroatien, sowie ein paar anderen Ländern. Ich erinnere mich nicht mehr genau, ich war so oft auf Tour ... Die ersten Shows waren in der Schweiz, und in Bern gab es eine Art „Heroin-Bar“, wo die Junkies sich trafen. Wusstest du, dass die Schweiz Suchtkranken umsonst Heroin gibt? Aus medizinischen Gründen oder so. Scott zog uns immer damit auf, dass er die mal „besuchen“ wollte. Das machte mich schon ein bisschen nervös, da mir genau diese Droge nicht sehr willkommen ist auf meinen Touren. Sie verlangsamt alles und verursacht Probleme, wie du dir gut vorstellen kannst. Glücklicherweise war Scott „clean“ und wollte uns wirklich nur damit ärgern.
Gibt es noch mehr zu erzählen über eure Zeit in der Schweiz?
Es gab ein Konzert zusammen mit Kikes Band THE PLEASURE FUCKERS aus Madrid, und Scott wurde gebeten, ein paar Stücke von den STOOGES mit ihnen zu spielen. Es war einfach der Hammer. Kike hatte hinterher Tränen in den Augen, er heulte wie ein kleines Kind, für ihn war es eine unglaubliche Ehre gewesen. Er war ganz euphorisch und konnte kaum noch reden.
Wie war es, damals in Osteuropa zu touren?
Von einer deutschen Behörde bekamen wir so einen Zollpassierschein, das ist ein offizielles Dokument, in dem all dein Equipment und die Seriennummern aufgelistet sind. Es soll dokumentieren und belegen, was du in andere Länder mitnimmst. Das war alles sehr detailliert, und 1997 haben sie es noch mit einem Tropfen rotem Siegelwachs oder irgendeinem Plastikzeug verschlossen, in das ein Stempel gedrückt wurde. Es war ein richtiges Siegel, der Stempelabdruck wurde mit einem Metallstempel in das Wachs gedrückt, während es noch heiß war, mitten dadurch führte auch die Kordel, womit die Dokumente verschnürt waren. Das war eine verdammt offizielle Sache, die auf die Zeit zurückgeht, als die ersten Frachtschiffe über die Ozeane kreuzten oder so. Jedenfalls ist es gut, wenn man an der Grenze nach so einem Zollschein gefragt wird, einen zu besitzen. Das bedeutet aber auch, dass sie sich den dann stundenlang anschauen werden. Also haben wir auf Tour gelernt, dass es am besten ist, dieses Ding gar nicht erst zu erwähnen, es sei denn man wird danach gefragt. Die beste Art, eine Grenze zu passieren, ist einfach durchgewunken zu werden, die schlechteste ist, wenn man dich quasi unters Mikroskop legt. Besonders in den östlichen Ländern will man denen möglichst wenig Anlass bieten, misstrauisch zu werden. Wir wollten also über die Grenze nach Kroatien und sagten Andrew, unserem ostdeutschen Roadie: „Erwähne nicht, dass wir einen Zollpassierschein haben. Bleib einfach cool und warte, bis sie uns durchwinken.“ Der Zollbeamte kam dann aus seinem kleinen Häuschen und schaute uns sehr grimmig an, während er uns ein paar Worte in seiner Sprache zugrunzte. Wir lächelten nur leicht und machten Bewegungen wie beim Gitarrespielen. Er grunzte noch mehr und trat gegen einen unserer Reifen, wobei er sich anhörte wie ein lautes Schwein. Auf einmal winkte er uns weiter und wurde dabei noch lauter. Das Problem war, dass Andrew nicht gesehen hatte, dass der Typ uns weiterfahren lassen wollte, und stattdessen nur diese wütend klingenden Worte hörte. Andrew ist ausgeflippt und schrie: „Wir haben einen Zollschein!“ Es hatte ihn wohl nervös gemacht, da er wusste, dass wir legal unterwegs waren und mit unseren Papieren alles in Ordnung war also dachte er: „Bei uns ist alles ordnungsgemäß, mach uns das Leben nicht schwer.“ Andrew hatte keine Erfahrung damit, wie man eine Grenze passierte. Jedenfalls haben wir es ohne Leibesvisitation über die Grenze geschafft.
Und wie waren die Shows?
Mal gut, mal schlecht. In Osteuropa war das Publikum teilweise echt begeistert, aber manche schauten uns an, als ob wir Tiere im Zoo wären. Es war ein bisschen komisch, bei manchen Shows wirkten die Leute, als kämen sie gerade von einer Elektroschocktherapie, oder wie komplett sediert, sie standen nur da und starrten uns komisch an. Aber an manchen Orten sind die Leute total ausgeflippt und es war für sie ein echtes Rock’n’Roll-Erlebnis.
Hört sich ziemlich schräg an. Was ist noch so passiert?
Allerhand. Steve wurde in Frankreich verhaftet, weil er Hasch in seiner Tasche hatte, und musste eine Nacht im Gefängnis verbringen. Seine Frisur sah am nächsten Tag total grässlich und zerstört aus, da er ohne Kissen schlafen musste. Der war verdammt angepisst! Scott hat sich in Bayern total betrunken und ein Dirndl anprobiert. Darin sah er schön bescheuert aus, weil – na ja, Scott ist nicht wirklich der Typ für so etwas, es sah einfach krank aus. Ich versuchte ihm die Zimmertür zu versperren, damit er draußen bleiben musste, wo ihn jeder sehen konnte, aber er war stärker als ich.
Seid ihr auch mal ernsthaft in Schwierigkeiten geraten?
Ich will darüber nicht zu viel reden, aber ich habe eine Narbe von einem eifersüchtigen Spanier am Arm, der mit einem Messer auf mich losging. Ich habe ein Mädchen getroffen, sie erzählte mir, sie sei solo. Das war letztendlich nicht so ganz wahr, aber was sicher zutraf, war, dass ich war wie ein Weltmeister high, als wir uns begegneten. Am nächsten Tag kreuzte dieser Typ auf, total besoffen und auf Drogen, und stach auf mich ein. Er wollte eigentlich das Mädchen treffen, aber ich bin dazwischen gegangen. Der Schnitt war nicht wirklich tief, die Klinge hat mich nur gestreift, aber die ganze Situation war sehr verrückt und intensiv. Später fand ich heraus, dass die beiden wohl oft solche Liebesdramen hatten – eine richtig turbulente Beziehung, in die ich versehentlich einen Tag lang reingerutscht war. Ich bin froh, dass die Sache nicht noch eskalierte. Der Witz ist, dass dieses Mädchen nun mit einem Bekannten von mir aus einer anderen Band verheiratet ist.
Das waren ja schon ziemlich wilde Zeiten bei euch, da kam es doch bestimmt oft zu solchen Situationen, oder?
Ich halte mich normalerweise raus aus gewalttätigen Auseinandersetzungen, meistens genügt ein bisschen Humor und dann geht jeder seines Weges. Ich muss mir nichts beweisen und bin auch kein gewalttätiger Typ, und ich will einfach mein Ding machen und mich nicht durch irgendeinen Schwachsinn davon abhalten lassen. Deswegen halte ich mich von aggressiven Arschlöchern meistens fern. Aber bei Scott gab es da oft eine seltsame Dynamik, dabei ist er eigentlich ein ganz friedlicher und gelassener Typ. Zugegebenermaßen sah er damals ziemlich tough aus – ein großer, kräftig gebauter Kerl mit Sonnenbrille – und irgendwie gab es in jeder Stadt, in die wir kamen, mindestens einen großen Typen, der ein bisschen verrückt war. Solche Leute sieht man oft bei Konzerten vor der Bühne wild tanzen, ohne Rücksicht auf die Mädchen. Slammen ist cool und lustig, aber anständige Jungs schlagen nicht hart um sich, sondern achten ein bisschen auf die Frauen. Jedenfalls tauchte mal so ein großer Psycho-Typ auf und reichte Scott seine Hand, um sie zu schütteln. Aber dann fing er an, Scotts Hand sehr fest zu drücken, als sei es ein Wettkampf. So was passierte Scott dauernd, es scheint, als würden diese Verrückten denken: „Oh, er ist der Drummer der STOOGES, der denkt wohl, er kommt aus Detroit und sei ein besonders harter Kerl – ich werde ihm mal zeigen, wer ich bin!“ Ich bin da immer dazwischen gegangen und versuchte, die beiden auseinander zu bringen. Die ganze Sache war bescheuert, da Scott so eine nette Person ist, aber diese anderen Kerle waren ganz offensichtlich geisteskranke Volltrottel! Die sind überall – viele übrigens in Frankreich –, betrunkene oder einfach nur gestörte Idioten.
Der arme Scott! Sind euch noch so ein paar dumme Geschichten passiert?
Roger, unser amerikanischer Roadie, hat das erste Mädchen geheiratet, das ihn auf der Tour geküsst hat. Sie zog dann nach der Tour zu ihm nach Minnesota und sie blieben ungefähr sechs Monate zusammen. Wir haben Roger gewarnt, aber er war noch ziemlich jung und das Mädchen stammte aus einer österreichischen Adelsfamilie, also dachte er wohl, er würde damit gleich Herzog oder Prinz! Es ist wirklich schade, dass das mit den beiden nicht funktioniert hat, denn am Anfang waren sie sehr glücklich und die ganze Zeit am kichern. Roger war ein sehr netter Typ, aber auch ein bisschen schwierig.
Was meinst du damit?
Einmal sollten wir in Deutschland zum Beispiel in einem Bootshotel unterkommen. Es war ungefähr vier Uhr nachmittags und wir wollten uns vor der Show noch etwas ausruhen. Ich wurde besorgt und misstrauisch, als unsere Veranstalter den Zugang zum Boot von der Straße aus nicht finden konnten. Am Ende standen wir mit unserem Gepäck in einem Wald auf einem Hügel und uns wurde gesagt, dass ganz unten der Fluss und das Boot seien und wir nur unsere Taschen runter zu dem Boot tragen müssten. Ich sagte zu Roger, dass er vorgehen sollte, um zu festzustellen, ob das wirklich ein ordentliches Hotel auf diesem Boot war, damit wir nicht all unsere Sachen umsonst nach unten schleppen. Er wollte das nicht, denn er war schüchtern, müde und konnte kaum Deutsch. Dann ging er aber und wir warteten. Als er zurückkam, fragte ich, ob das nun wirklich ein Hotel sei. „Ja, Sonny, ich glaub’ schon.“ Ich fragte, wie groß das Boot war, ob er Kronleuchter, eine Rezeption oder irgendwas gesehen hätte, doch er sagte, dass er nur eine Bar gesehen hätte, deswegen würde er annehmen, es sei ein Hotel. Na gut, wir schleppten also all unsere Taschen einen dicht bewachsenen Hügel hinunter. Als wir das Boot betraten, schickte man uns sofort zu einer Dame, die aussah wie eine Krankenschwester im Ruhestand. Sie hatte irgendwelche Krankenschwesternklamotten an, so sah das zumindest für uns aus. Sie brachte uns zu einem Schrank und sagte etwas auf Deutsch, das wir nicht verstanden. Irgendwann haben wir dann kapiert, dass sie wollte, dass wir unsere Arme ausstrecken, die Handflächen nach oben. Dann fing sie an, Decken, Laken und Bezüge auf unseren ausgestreckten Armen zu stapeln. Ich konnte Scott hinter mir leise nörgeln hören. Anschließend wurden wir über eine sehr steile Treppe ewig weit runter in den Frachtraum des Bootes geführt und erreichten einen Bereich, in dem Betten mit Seilen an den Seitenwänden des Bootes fixiert waren. Da lagen einige Kerle, die aussahen wie Köche oder Bootsarbeiter, und schliefen. Wir liefen da durch und überall hing Wäsche an Leinen, die quer durch den Raum gespannt waren. Man kam kaum durch. Zum Trocken aufgehängte Unterwäsche und diverse andere Kleidungsstücke klatschen uns ins Gesicht, als wir uns unseren Weg durch den Raum bahnten. Schließlich kamen wir im schrägen Vorderteil des Frachtraumes an, wo fünf oder sechs schmale Kojen, verbunden mit dünnen Seilen, an den Seitenwänden hängen. Da sollten wir also nach unserer Show schlafen! Ich sah Scotts Gesichtsausdruck und sagte: „Lasst uns hier abhauen und uns ein richtiges Hotel suchen!“ Scott sagte nur noch: „So, Roger, da war also ein Hotel auf dem Boot? Hmmm ...“ Auf Tour hast du immer wieder so komische Situationen. Es kommt auch vor, dass man in einem Fünf-Sterne-Palast schläft und alles ist prima organisiert.
Das hört sich ja nach einer Menge Stress an. War es immer so chaotisch?
Ja, und irgendwann wurde Scott von seiner Frau gezwungen, nach Hause zu kommen – noch während unserer Tour! Ihr Sohn, also Scotts Stiefsohn, machte seinen Highschool-Abschluss und sie übte wirklich viel Druck auf ihn aus, damit er für drei Tage nach Hause kommt. Das war in der Mitte der Tour und ich wusste, dass Scott nicht nach Hause wollte. Es war extrem teuer für uns, er hasst es zu fliegen und außerdem war das nur eine Ausrede von ihr, da sie ihn aus einem anderen Grund wieder bei sich haben wollte. Wie gesagt, hatte sie keine Ahnung vom Touren, von Bands und allem, was man dafür tun muss. Irgendwo in Südfrankreich sagte Scott schließlich zu mir: „Sonny, sie hat gesagt, wenn ich nicht für drei Tage nach Hause komme, lässt sie sich scheiden und ich darf unsere Tochter nur noch am Wochenende sehen.“ Ich wusste, dass Scott seine Tochter mehr liebt als alles andere auf der Welt, und obwohl mir klar war, dass er auch geblieben wäre, konnte ich diesen Gedanken nicht ertragen. Scott flog also für 3.500 Dollar heim und der Rest von uns wartete in einem Hotel auf seine Rückkehr. Danach ging es weiter, aber das war das einzige Mal in meinem Leben, dass ich eine Show absagen musste.
Ich wusste nicht, dass es so turbulent werden kann.
Es kann sogar noch viel schlimmer kommen, wart’s mal ab, bis du von dem Riesendrama mit den SAFETY PINS hörst. Das war Jahre später mit meiner spanischen Band, aber darauf komme ich später noch. Es ist jedenfalls eine der verrücktesten Storys aller Zeiten, Drama und Intrigen, es ging zu wie in einem Shakespeare-Stück.
Wie ging es dann nach der Europatour weiter?
Danach haben wir eine völlig wilde und verrückte US-Tour gemacht, auf die ich aber nicht weiter eingehen werde, und ich nahm zusammen mit Scott und Captain Sensible von THE DAMNED zwei weitere Alben auf. Ich bin immer noch gut mit Scott befreundet und werde ihn auch bald wieder treffen. Leider hat er gerade Rückenprobleme und wird deshalb nicht bei den nächsten STOOGES-Shows dabei sein, aber sie hoffen, ihn bald wieder mit auf Tour dabei zu haben. Darauf freue ich mich schon, denn niemand spielt so wie er. Steve und ich haben auch noch Kontakt, und der gute alte Captain Sensible ist auch immer da, wenn man einen Freund braucht.
Du hast ja auch einige Zeit in Deutschland gelebt und warst mit verschiedenen europäischen Bands unterwegs.
Während dieser Zeit sind wirklich einige schräge und interessante Dinge passiert, aber darüber sprechen wir dann beim nächsten Mal. Also, liebe Ox-Leser, seid gespannt auf weitere aufwühlende Abenteuer von ein paar erlebnishungrigen Bastarden auf Selbstmordmission und andere todlangweilige Geschichten über das Leben am Abgrund.
Übersetzung: Christina Wenig
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