SONNY VINCENT

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Part 3: Auf Tour mit Half-VELVET UNDERGROUND

Betrifft: Ein Studio mit Golfabschlag, die verehrungswürdige Moe Tucker, Styling für Sterling Morrison und ein Ticket zum Mond ...

Jetzt warst du also in Minnesota gestrandet und wir befinden uns in den späten Achtzigern. Wie kam es dazu, dass du in einer Band zusammen mit Moe Tucker und Sterling Morrison von VELVET UNDERGROUND gespielt hast?

Zu der Zeit hatte ich ja schon SHOTGUN RATIONALE mit Mort und Mike gegründet. Wir waren auf der Suche nach einem Produzenten für unser Album. Ich habe dann mit Moe Kontakt aufgenommen, und nachdem ich ihr ein Tape geschickt hatte, war sie bereit, uns zu produzieren. Zum damaligen Zeitpunkt hatte ich natürlich keine Ahnung, dass ich mich damit auf ein Abenteuer einließ, das ganze neun Jahre dauern würde. Das Abenteuer begann damit, dass Moe mein erstes Album aufnahm, gefolgt von einer Tour durch Europa als Moes Gitarren-Roadie, und gipfelte später darin, zusammen mit ihr und Sterling Morrison auch zu spielen. Es war eine gute und eine intensive Zeit.

Kannst du mehr dazu sagen, wie es dazu kam? Als riesiger VELVET UNDERGROUND-Fan ist das alles äußerst interessant. Davon abgesehen kenne ich eine Menge Leute, die ihren rechten Arm dafür geben würden, einmal mit einem von den Velvets zu spielen.

Wir wollten mit SHOTGUN RATIONALE ein Album aufnehmen, also sind wir wirklich in jedem Loch aufgetreten, bis wir genügend Geld zusammengekratzt hatten. Wir wollten dieses Projekt ernsthaft angehen, weshalb wir beschlossen, dass wir einen Produzenten brauchen, jemand, der uns dabei hilft, unserem Sound und unseren Vorstellungen während der Aufnahmen treu zu bleiben. Unsere Musik war hart und laut, aber definitiv kein Metal, allerdings war Metal gerade total angesagt, da wollten wir vorsichtig sein. Ich befürchtete, die Sessions könnten durch den Tontechniker oder die Crew irgendwie beeinflusst werden, und so wurden wir die Idee, den „perfekten Produzenten“ finden zu müssen, nicht mehr los. Jetzt musste ich nur rausfinden, wem ich vertrauen konnte. Der erste Name, der uns einfiel, war Iggy Pop von den STOOGES. Ich wusste, das wäre genial. Das Problem war nur, dass ich ihn nicht auftreiben konnte. Ich hörte mich überall um, aber er war immer gerade irgendwo unterwegs oder auf Tour. Auf jeden Fall versuchte ich weiter, Iggy ausfindig zu machen, da hörte ich etwas im Radio, eine Sendung auf MMPR, einem guten öffentlichen Sender in Minnesota. An diesem Tag hatten sie Maureen „Moe“ Tucker von VELVET UNDERGROUND zu Gast und in diesem Interview erzählte Moe von ihrer Zeit als „Velvet“ und von ihrem derzeitigen Leben als allein erziehende Mutter von fünf Kindern, die in der Wal-Mart-Vertriebszentrale in Georgia arbeitet. Gegen Ende erwähnte Moe dann, dass sie gerne Bands produzieren würde – und es fühlte sich plötzlich so an, als würde das Radio direkt zu mir sprechen. Ich ging nach Hause und legte eine Platte von VELVET UNDERGROUND auf, zuerst hörte ich „I’m sticking with you“, dann „After hours“. Und wenn du diese Lieder hörst, weißt du einfach, dass, wenn die Person, der diese Stimme gehört, eine Platte produziert, es schon mit dem Teufel zugehen müsste, wenn daraus ein Metal-Album wird. Natürlich hat sich das ja dann auch absolut bewahrheitet. Was ich später erfahren sollte, war, dass diese süße kleine Stimme nichts über die gesamte Persönlichkeit und den Charakter, die sich hinter ihr verbarg, verriet. Hammer! Ich rief gleich am nächsten Tag beim Radiosender an, man wollte mir zwar nicht Moes Nummer geben, aber immerhin bekam ich ihre Adresse. Ich schrieb Moe einen zehnseitigen Brief, in dem ich ihr von meinem Leben erzählte, meiner musikalischen Vergangenheit, mit einem Angebot an sie, mein Album zu produzieren, und einer Kassette mit Aufnahmen aus unserem Proberaum. Ungefähr eine Woche später erhielt ich einen Brief von Moe, in dem sie sich damit einverstanden erklärte, uns zu produzieren, sofern wir ein Studio in der Nähe ihres Zuhauses finden würden. Mort hörte sich um und fand ein cooles Studio in Atlanta in Georgia. Ich, Mort und Mike Henderson sind dann von Minneapolis nach Atlanta geflogen. Das Studio war super und ziemlich beeindruckend. Es gab eine Driving Range, wo man Golfbälle abschlagen konnte, während der Aufnahmepausen. Wir machten uns schon Gedanken, ob es nicht zu abgehoben wäre, denn wir wollten auf keinen Fall diesen furchtbaren „Radio-Sound“. Aber genau deshalb hatte ich ja Moe ausgesucht, um uns dabei zu helfen, nicht in irgendeinem teuren Studio von Typen herumgeschubst zu werden, die vergessen hatten, was Rock’n’Roll war. Wir kamen also im Studio an und warteten auf Moe. Wir saßen auf einer Couch, drei Typen in Schwarz und natürlich mit Sonnenbrillen, absolut bereit, die Schlagzeugerin von VELVET UNDERGROUND zu treffen. Als Moe reinkam, war ich mir zuerst nicht sicher, ob sie es auch war, denn die Frau, die reinkam, sah aus wie eine Hausfrau, kam auf uns zu, streckte ihre Hand aus und sagte: „Hi, ich bin Moe.“ Sie begrüßte jeden im Raum und ich bekam eine Umarmung. Obwohl Moe in einer der am coolsten aussehenden Band der Rock’n’Roll-Geschichte gespielt hatte, stand sie da in schlampigen Jeans, einem T-Shirt und mit Achtziger-Jahre-Mutti-Betondauerwelle. Das Erste, was sie uns fragte, war: „Mögt ihr Jungs Bo Diddley?“ Und wir sagten alle: „Ja, klar.“ Und Moe sagte: „Gut, dann wird das hier Spaß machen!“

Wie liefen die Sessions so ab? Wie war es?

Zuerst spielten wir Moe alle unsere Lieder vor, sie machte sich Notizen und während der Aufnahmen machte sie Vorschläge. In den Kaffeepausen unterhielten wir uns und tauschten Erfahrungen aus – Moe aus den Sechzigern, ich aus der Punk-Szene der späten Siebziger. Moe erzählte viel, Geschichten über die Factory, Andy Warhol, Gerard Malanga und so weiter. Ich wiederum erzählte ihr davon, was ich erlebt hatte während der Punk-Zeit in New York City. Sie wusste nicht viel darüber, aber es faszinierte sie. Wir nahmen das Album „Who Do They Think They Are“ auf. Und Cheetah Chrome flog ein, um bei zwei Liedern als Gast Gitarre zu spielen.

Seid ihr drei danach zurück nach Minnesota geflogen?

Ja, und es folgten etliche Telefongespräche mit Moe, wir haben uns halt wirklich gut verstanden. Moe kommt ursprünglich aus Long Island, ihren Akzent zu hören, das hat mich an Zuhause erinnert. Ich lebte damals in Minnesota und Moe in Georgia. Wir beide vermissten New York sehr, das war eines der ersten Dinge, die uns verband. Dass wir das „New York“ im anderen wieder wach werden ließen, hat uns gefallen.

Wie kam es dann dazu, dass du mit ihr und Sterling zusammen Musik gemacht hast?

Zu dieser Zeit hatte Moe auch Kontakt zu Jad Fair von HALF JAPANESE. Jad hatte gerade eine coole Europatour absolviert und hatte die Idee, Moe bei der nächsten als HALF JAPANESE-Mitglied mitzunehmen. Aber Moe war Moe und nicht wirklich davon begeistert. Sie fand zwar schon, dass Touren an sich eine gute Sache sei, aber sie wollte nicht als Bandmitglied mitkommen. Ihr Plan war, bei der Hälfte der Songs als Frontfrau Gitarre zu spielen und zu singen und Jad bei der anderen Hälfte, bei seinem Part würde sie dann Schlagzeug spielen. Unter der Bedingung, mich als „ihren“ Gitarristen mitnehmen zu können, sagte sie zu. So hat es also angefangen, das war 1989. Im Endeffekt habe ich auf dieser Tour nicht nur Moes ganze Songs gespielt, sondern auch alle von HALF JAPANESE. Bei späteren Touren und Alben hießen wir auch nur noch „Moe Tucker und Band“.

Wie war es, als du für sie gespielt hast und das Ganze schließlich unter dem Label „Moe Tucker“ angekündigt wurde?

Bei unserer zweiten Europatour waren immer mindestens 50 Journalisten mit DAT-Rekordern und Diktiergeräten um Moe versammelt. Moe war überglücklich, endlich etwas Anerkennung zu erhalten, nach den Jahren allein in ihrem „Exil“ , sie freute sich ihre Lieder in Europa spielen zu können, 20 Jahre nach dem Ende von VELVET UNDERGROUND. Es gab jede Menge lustiger Situationen und es kamen viele Fans, die sie verehrten. Und ich war glücklich, auf Tour in Europa zu sein. Ich hätte nie gedacht, es einmal dorthin zu schaffen! Es gab höchstens mal Probleme an den Grenzen oder damit, sich besser kennen zu lernen. Und so bekam ich von Moe machmal zu hören: „Keine Girls im Van, Sonny!“ Und ich antwortete ihr: „Aber Moe, du bist von VELVET UNDERGROUND, sind die Leute nicht nackt rumgerannt in der Factory, haben Drogen genommen und alles, was dazu gehört? Wir sind hier auf einer Rock’n’Roll-Tour, Moe.“ Moe entgegnete: „Wann immer dieser Scheiß losging, habe ich Andy und alle anderen stehen lassen und bin nach Hause gefahren. Keine Girls im Van, Sonny!“ Moe war schon irgendwie schräg.

Wart ihr viel auf Tour?

Ja, neun Jahre lang war ich mit Moe unterwegs. Irgendwann, ungefähr nach der Hälfte der Zeit, kam dann noch der einstige VELVET UNDERGROUND-Gitarrist Sterling Morrison mit an Bord, das war cool. Einige von diesen Touren waren ziemlich lang. Einmal, auf einer echt langen Tour, hatte ich einen Koffer dabei mit 30 T-Shirts und 60 Paar Socken. Wir spielten 30 Tage am Stück in Europa, dann Rückflug in die USA und wieder 30 Tage. Es gab nur einen freien Tag in Belgien, um Wäsche zu waschen.

Wann und wo hast du Sterling kennen gelernt?

Wir nahmen gerade ein Moe Tucker-Album auf in New York und sie hatte ein paar Leute eingeladen. Sterling, Lou und John von VELVET UNDERGROUND, und auch Victor und Brian von VIOLENT FEMMES. Ich verstand mich wirklich gut mit Sterling, und nachdem die Aufnahmen fertig waren, überredete ich Moe, Sterl zu bitten, in die Band einzusteigen. Sie meinte dann: „Da müsste er mich schon fragen.“ Aber am Ende hat alles geklappt.

Und wie ging es weiter mit Sterling?

Wir waren echt froh, dass Sterling nun mit an Bord war – Dr. phil. Sterling Holmes Morrison! Es folgten reichlich verrückte Situationen wegen schlecht gebuchter Konzerte und so weiter, vor allem aber musste ich mir irgendwann eingestehen, dass Sterling wohl ganz vergessen hatte, wie cool er bei VELVET UNDERGROUND mal gekleidet war. Auf der ersten Tour mit uns war er angezogen wie ein Hochschullehrer. Also habe ich ihn darauf angesprochen. „Hey Sterling, es gibt viele Leute da draußen, deren Vorstellung von coolen Klamotten und Aussehen geprägt wurde durch Bands wie VELVET UNDERGROUND, den YARDBIRDS und den ROLLING STONES, aber jetzt sind wir nun seit drei Wochen auf Tour und du bist angezogen wie ein Spießer, mit deinen Jeans und den Wanderstiefeln.“ Darauf Sterling: „Ja, aber so ziehe ich mich momentan halt an, ich habe jetzt eh nichts anderes dabei.“ Sonny: „Na ja, wir sind in London, also lass uns rüber nach Camden Town fahren und dir ein paar Klamotten kaufen.“ Und Sterling sagte: „Okay, aber dann bist du mein Stylist, auf geht’s!“ Also machten wir uns gemeinsam mit seiner Kreditkarte auf den Weg nach Camden Town und ich hatte die uneingeschränkte Befugnis ihn einzukleiden. Zum Soundcheck im Powerhouse kam ich dann mit einem Ex-Velvet und nicht mehr mit diesem Schlepperkapitän.

Kapitän eines Schleppers auf dem Hudson war er ja in den Achtzigern tatsächlich mal. Aus eurer gemeinsamen Zeit hast du sicher noch ein paar interessante Geschichten parat, oder?

Zu viele, um sie hier zu erzählen, aber ein Highlight nahm seinen Anfang mit einem Gespräch mit Moe. Ich sagte Moe, dass ich fand, Sterling sei schon ein ganz besonderer Mensch und ganz anders als andere. Ich fragte sie, wie es war, als sie noch Kinder waren, und Moe erzählte mir eine Geschichte aus ihrer Kindheit: „Was die meisten Menschen nicht über Sterl wissen, ist, dass er einer der leichtgläubigsten Menschen ist, die es überhaupt gibt. Wir haben ihm mal einen Streich gespielt, als wir Kinder waren. Mein Bruder Jim und ein paar Freunde erzählten Sterling, dass der Penis eines Jungen ab seinem 13. Geburtstag jedes Jahr etwa eineinhalb Zentimeter schrumpft, bis er ungefähr 20 ist. Sterling glaubte das offensichtlich und hat jahrelang wie ein Verrückter nachgemessen. Es war ziemlich witzig, wie leichtgläubig er war.“ Ich meinte dann: „Das ist wirklich witzig, das ist mir bisher noch nie an ihm aufgefallen.“ Und Moe darauf: „Du solltest ihn bei Gelegenheit mal testen, er glaubt echt alles.“ Und ich hab das dann auch getan.

Dann hast du ihn verarscht ...?

So würde ich es nicht nennen, aber nach einer Weile mit Sterling auf Tour fiel mir auf, dass es sehr einfach war, ihn zu langen Monologen zu bewegen. Wir nannten ihn deshalb auch „den Dozenten“. Sterling bestand außerdem oft darauf, den Van zu fahren. Obwohl wir Fahrer hatten, wollte er gern der Kapitän sein, wahrscheinlich fühlte er sich sicherer, wenn er selbst fuhr. Bald fand ich heraus, dass Sterling ganz einfach dazu bringen konnte, uns mit seinem schier endlosen Wissen über das Leben, die Erde, Kultur, Menschen und Politik – um nur ein paar Bereiche zu nennen, in denen er Experte war, immerhin war er Dr. Sterling Holmes Morrison! – zu unterhalten. Jedenfalls ließ ich mir manchmal ganz plötzlich auf einigen unserer todlangweiligen Fahrten spontan Fragen für unseren betriebseigenen Doktor einfallen: „Hey Sterling, wie nennt man die psychische Störung, wenn ein Mensch zwei verschiedene Schuhe trägt? Gibt’s dafür einen Begriff?“ Eine Frage wie diese inspirierte Sterling jedes Mal dazu, buchstäblich stundenlang darüber zu reden, was er über das jeweilige Thema dachte. Er führte uns durch seine Reden, zitierte alles und jeden, von Freud bis Marx, schmückte den Weg durch seine Rede von der Wiege der Menschheit hin zu einer Straßenecke einer Stadt, von Adam und Eva hin zur aktuellen politischen Regierung der Vereinigten Staaten sprachlich aus. Währenddessen lehnten wir uns in unseren Sitzen zurück und wurden von einem der interessantesten Menschen, der jemals geboren wurde, unterhalten. Natürlich war sich Sterling nie bewusst, dass wir ihn zu unserer Unterhaltung benutzten, und ich glaube, er genoss es, der „Professor“ zu sein. Aus dieser Frage nach den zwei verschiedenen Schuhe entwickelte sich jedenfalls einer der kränksten Streiche, die wir Sterling jemals spielten. Heute nennen wir es „The Moon Ticket Incident“ ...

„Der Mondticket-Zwischenfall“ – klingt abgefahren!

Bevor ich fortfahre, etwas zur Sitzordnung: ich saß wie immer ganz links auf dem Rücksitz, John Slugget saß ganz rechts neben der Schiebetür. Moe saß vor mir, ebenfalls links, der Bassist rechts von ihr. Sterling fuhr und der „Fahrer“ saß rechts neben ihm auf dem Beifahrersitz. Plötzlich fragte Sterling in die Stille: „Hey, Sonny, um wen ging es eigentlich bei der Sache mit den verschiedenen Schuhen?“ Da es ja nicht wirklich jemanden gegeben hatte und ich die Geschichte komplett erfunden hatte, sagte ich: „Oh, das war Johns Ex-Frau, die, die du in Paris getroffen hast.“ Diese Aussage von mir bezieht sich nun wieder auf etwas, das sich ein paar Tage zuvor im Van ereignet hatte. Wir spielten in Paris und die Zeit bis zum Soundcheck verbrachte ich mit Sterling. Wir gingen shoppen und besuchten Sehenswürdigkeiten, während Moe und John Sluggett im Büro des Plattenlabels waren. Moe wollte wohl die Leute treffen, die sich um ihre neueste Veröffentlichung kümmerten. Später trafen Sterling und ich uns dann mit unserem Basser „Good“ Danny an der Garderobe des Clubs, in dem wir an diesem Abend spielen sollten. Genau in dem Moment kamen Moe, John, und Patrick von New Rose Records zusammen mit einer sehr attraktiven Frau in die Umkleide. Ich glaube, weil wir spät dran waren, haben Patrick und die schöne Frau Moe und John Sluggett schnell auf die Wange geküsst und dem Rest von uns aufgeregt zugewinkt. Sterling sah mich an und fragte: „Wow, wer war das Mädchen? Und warum hat sie John geküsst?“ Einfach nur als Witz und um Sterling ein bisschen zu verarschen, sagte ich: „Oh, das ist seine Ex-Frau, aber sprich John nicht darauf an, da triffst du einen echt wunden Punkt bei ihm.“ Nun, die meisten Menschen, die in diesem Augenblick auf John und diese Frau gesehen hätten, könnten sich wohl niemals vorstellen, dass die beiden zu irgendeinem Zeitpunkt einmal ein Paar waren. Nicht so Sterling, er hatte mir die Geschichte komplett abgekauft: „Wow, ich hätte nicht gedacht, dass John es so drauf hat. Sie ist unglaublich schön!“ Dann sagte ich: „Ja. Aber lass es gut sein, er redet nicht gerne darüber, er hat mir nur einmal davon erzählt, als er besoffen war.“ Darauf Sterling: „Alter, ich hätte wirklich gerne ihre Nummer.“ Na ja, wir haben nicht weiter drüber gesprochen, nur ein weiterer kleiner Scherz von mir, um mich zu selbst zu belustigen. Wir gingen dann zum Soundcheck und das Thema kam erst bei dieser Fahrt, von der ich eben erzählt habe, wieder auf. Also zurück zum Van: „Du meinst, die aus der Garderobe? Sie war diejenige, die zwei verschiedene Schuhe trägt?“ Sonny: „Klar, ist dir das nicht aufgefallen?“ Sterling fuhr weiter und ich erklärte John flüsternd, dass ich Sterling in Paris ein bisschen verarscht hatte, und erklärte ihm, dass Sterling denkt, es sei ein heikles Thema. Aber ich war noch nicht fertig und baute die Geschichte weiter aus. „Ja, John, hattest du nicht mal, als du betrunken warst, gesagt, ihr Vater sei superreich und im französischen Parlament, und dass deine Liebesbriefe an sie eingerahmt im Louvre hängen?“ John, der natürlich das Timing eines erfahrenen komödiantischen Stichwortgebers besitzt, ganz traurig: „Ja, schon. Aber ich möchte nicht darüber sprechen.“ Sonny: „Ja, ja. Aber damals, im Suff, hast du mir eine Menge erzählt. Und das muss echt komisch für dich gewesen sein, so wie du gesagt hast, hat sie doch in eurer Hochzeitsnacht ,Pac-Man‘ gespielt und dabei einen Moonboot und eine Sandale getragen.“ John: „Ja, das war echt traurig.“ Sonny: „Stimmt es, also, erinnere ich mich richtig, dass sie sich ein ,Pac-Man‘-Spiel aufs Hotelzimmer hat liefern lassen, und dass ihr in eurer Hochzeitsnacht nicht miteinander geschlafen habt?“ – „Ja Sonny, stimmt, aber ich will nicht weiter darüber sprechen. Ich habe mich immer gefragt, was ihr Problem ist.“ Sonny: „Hey Sterl, wie siehst du das? In zwei verschiedenen Schuhen ,Pac-Man‘ zu spielen, wie würde ein Psychiater ein solches Verhalten bezeichnen?“ Sterling ließ uns dann eine Weile teilhaben an seinen Einsichten und Meinungen, bis ich ihn unterbrach. „John, hast du nicht gesagt, ihre Eltern mochten dich nicht wirklich?“ John: „Ja, ich habe ein paar Sportwagen in Monte Carlo zu Schrott gefahren und einmal um die 100.000 an einem Wochenende im Kasino verzockt!“ Sterling: „Verdammt, 100.000!“ Sonny: „Und John, damals warst du super schlank, hattest ein Menjoubärtchen und trugst weiße Smokings?“ John: „Ja klar, wir waren auf dem Cover vom Boulevard Magazine.“ Sonny: „Alter, John, du hattest echt ’ne Glückssträhne. Eine superreiche, schöne Frau, Unmengen an Geld und warst der King von Paris. Hast du ein paar der Artikel?“ John: „Nö, aber ich hab das Cover noch. Ich im weißen Smoking und sie in einem wunderschönen Abendkleid und wir beide mit Champagner in der Hand.“ Sterling: „Wow. John, so kann ich mir dich gar nicht vorstellen. Aber ihre Eltern konnten dich nicht leiden?“ John: „Nein, die haben mich echt verjagt, sagten, ich hätte einen schlechten Einfluss auf sie und würde zu viel Geld ausgeben.“ Sonny: „Du sollst einen schlechten Einfluss gehabt haben? Hattest du nicht gesagt, vor dir war sie mit Jim Morrison zusammen?“ Sterling: „Mensch, John, der King von Paris!“ Sonny: „Die hatten doch sicher viele berühmte Gäste in ihrer Villa, wen hast du so kennen gelernt?“ John: „Bob Hope kam tatsächlich vorbei und jede Menge anderer Leute. Die merkwürdigsten Sachen sind passiert, als der Papst aus dem Vatikan zu Besuch kam.“

Jetzt übertreibt ihr aber!

Warte es ab, wird noch besser ... John also: „Wir waren gerade beim Abendessen und ich hatte wohl etwas zu viel Wein getrunken aber der Papst schien mich zu mögen. Er saß genau neben mir am Esstisch, und wir haben uns über seine Jugend in Polen unterhalten. Er erzählte mir, dass er als Kind ein riesiger-Boxfan gewesen sei und den Boxer Rocky Marciano gut fand. Wie gesagt, ich hatte zwar schon zu viel Wein intus, aber trotzdem lief alles gut. Ich erzählte dem Papst, dass ich Rocky Marciano auch toll fand und ich war ganz begeistert und fing an, aus Spaß in der Luft rumzuboxen, hab zugehauen, ging in Deckung und dann plötzlich, schlug ich in Richtung des Papstes und ein ziemlich harter Faustschlag traf ihn am Kinn und er fiel rückwärts über den Stuhl und landete bewusstlos auf dem Boden. Es war furchtbar, die Leute sind alle völlig hysterisch und unter Schock mit Riechsalz und allem möglichen durch die Gegend gerannt.“ Da platzte es aus Sterling heraus: „Alter! John, du hast den Papst umgehauen?“ Wir mussten tanken und klar tankte Captain Sterl den Van selbst voll, um zu verhindern, dass einer von uns Grünschnäbeln den Tankvorgang vermasselt. Moe und ich kauften eine Flasche Wasser in dem kleinen Tankshop und ich fragte sie: „Moe, das ist unfassbar. Wird der Punkt, an dem Sterling so was sagt wie ,Hört schon auf, ihr nehmt mich auf den Arm‘, wird der noch kommen?“ Moe: „Glaube ich nicht.“ Sonny: „Aber dieser Punkt muss einfach irgendwann erreicht sein, ist doch völlig unglaubwürdig, die Story.“ Darauf Moe: „Versuch doch mal, ihm weiszumachen, du seist schon auf dem Mond gewesen.“ Sonny: „Glaubst du, dann wird ihm klar, dass wir ihn nur verarschen?“ Moe: „Nein. Versuch es halt!“ Also stiegen wir zurück ins Auto und waren wieder unterwegs. Sonny: „John, ich weiß, es ist ein sensibles Thema, aber ist das wirklich wahr, was du mir erzählt hast, dass deine Ex-Frau noch immer in dich verliebt ist und dir die ganze Zeit teure Geschenke schickt?“ John: „Ja, aber Linda mag das nicht.“ Auf einmal hatte Moe entschieden einzusteigen: „Oh Mann, so’n Scheiß kann ich nicht leiden, sie sollte euch zwei in Frieden lassen.“ Darauf John: „Ja, ich öffne die Kartons schon gar nicht mehr, entweder schmeißen wir sie weg oder stapeln sie im Abstellraum.“ Sonny: „Aber wie geht’s dir damit, John? Du hast doch gesagt, du hast immer noch Gefühle für sie.“ John: „Ja, schon, aber es fällt mir wirklich wirklich schwer, sie hat mit mir Schluss gemacht und jetzt kann ich es einfach nicht ertragen, ihr zu nah zu kommen, es ist einfach so schmerzhaft und ich breche zusammen.“ Sonny: „Aber was machst du dann mit dem Mondticket, von dem du mir erzählt hast?“ Jetzt war Danny wach: „Mondticket?! Was ist das denn?“ Sonny: „Korrigiere mich bitte, wenn ich was Falsches erzähle, John, aber in Texas gibt es wohl so ’nen Typen, der ein richtiges Raumschiff privat finanzieren und bauen lässt, das dann zum Mond fliegen soll, und die Finanzierung wird teilweise durch den Vorverkauf von Flugtickets gedeckt. Als du und Marie geheiratet habt, bekamt ihr doch jeder ein Mondticket geschenkt, richtig?“ Ich hoffe, du kannst mir folgen, ich sagte immer wieder „Mondticket“ mit einer Betonung, da müsste einfach jedem klar sein, dass das total absurd ist.

Aber er hat’s nicht geschnallt?

Nö. Ich fragte John: „Wer wird sonst noch mitfliegen?“ John: „Oh, Liz Taylor und Michael Jackson haben zwei Plätze nebeneinander gebucht, ich habe auch gehört, dass Madonna ein Ticket gekauft hat, alle möglichen Stars und reiche Leute.“ Sonny: „Aber du hast gesagt, dass die Tickets von dir und deiner Frau direkt nebeneinander sind und du deshalb nicht fliegen willst.“ John: „Nein, ich will auf keinen Fall mit, ganz egal, wo ich sitzen würde, ich könnte es eh nicht ertragen, also bleibe ich hier.“ Sonny: „Hm ... wo ist denn dieses ,Mondticket‘?“ John: „Es liegt in meiner Sockenschublade.“ Sonny: „Du meintest doch, man könnte auf der Rückseite den Namen von jemand anderen schreiben und das ,Mondticket‘ übertragen.“ John: „Ja, klar, es ist ganz einfach übertragbar.“ Sonny: „Und wenn du es nicht willst, unterschreibst du es einfach und dann gehört es der anderen Person, die dann an deiner Stelle neben deiner Frau zum Mond ...“ John: „Yep.“... Im Auto herrschte Totenstille. Die Geschichte war komplett improvisiert und zu Ende erzählt. Ungefähr eine Minute verging, bis Sterling sich räusperte, hustete und sagte – und zwar laut, so dass man seine Stimme klar und deutlich im fahrenden Van hören konnte: „Ähm, John, ich wäre an dem Mondticket interessiert, falls du es nicht willst.“ John: „Kein Problem, Sterl, nach der Tour überschreibe ich es auf dich.“ Sterling: „Danke, Mann!“ Jetzt war es wieder still, abgesehen von unseren unterdrückten Quietschen, während wir uns fassungslos ansahen. Sterling hatte tatsächlich die Geschichte von vorne bis hinten geglaubt: John, der King des Boulevards, wie er den Papst k.o. schlägt, Rennautofahrer – und nun fliegt Sterling zum Mond!

Er hat euch eben echt vertraut.

Es gibt da noch so viel über Sterling erzählen. Ich vermisse ihn; tragisch, dass er so früh gestorben ist. Ein schlimmer Verlust.

Warst du während der Jahre mit Moe auch mit SHOTGUN RATIONALE auch noch auf Tour?

Sicher. Ich habe nach wie vor an meinen Alben gearbeitet und ging auf Tour. Mit SHOTGUN RATIONALE meistens durch die USA und Kanada. Vielleicht hat es deshalb auch so lang mit mir und Moe funktioniert. Neun Jahre. In meiner eigenen Band konnte ich mich in vollen Zügen ausleben, daher war es möglich, dass ich Moe helfen konnte herauszufinden, wonach sie strebte, anstatt ihre Vision zu verdrehen, bis sie meiner eigenen näher kam. Ich habe ab und an ein paar Vorschläge gemacht, die aber höchstens in ihre Vision mit eingeflossen sind. Andere Musiker kamen und gingen, normalerweise hielten sie eine Tour durch. Manchmal schienen sie ganz nett zu sein, aber Moe wirklich verstanden haben sie nicht. Einige von ihnen habe ich sogar gewarnt: „Alter, du solltest aufhören mit diesem ganzen Jazz-Firlefanz in den Gitarrenparts, sie wird es nicht mögen.“ Andere Typen klangen wie METALLICA, und es war fast schon witzig zu beobachten, wenn Moe sie dabei komplett entsetzt anstarrte. Jedenfalls, ich für meinen Teil habe immer versucht rauszufinden, was sie zu erreichen versuchte, wonach sie strebte, musikalisch und stilistisch. Irgendwann bekam ich mit, dass Moe ein Riesenfan von Bo Diddley ist – warum auch nicht? –, und sie wollte die Musik ähnlich ungeschliffen und elementar haben, ohne Schnickschnack, und ich mochte das. Mein Ziel war es, ihre Vision mit zu verwirklichen. Ich habe erlebt, wie es sich anfühlt, diese Art von Support zu erfahren, und ich wollte, dass es ihr genauso geht. Wie gesagt, ich hatte meine eigene Band, in der ich meine Gefühle ausleben konnte. Nachdem ich also rausgefunden hatte, was sie brauchte, habe ich mit Herz und Seele genau das gespielt. Sie hatten einen Wahnsinns-Groove. Wenn man mit ihr spielt, kommt es machmal zu den witzigsten Situationen. Moe hat es geliebt zu lachen und wir hatten einen Riesenspaß!

Die Sache mit Moe hielt also neun Jahre. Aber danach hattest du eine neue Band, mit Scott Asheton, dem Schlagzeuger der STOOGES, und Steve Baise von den DEVIL DOGS. Du bist dann länger in Europa geblieben, hast du auch hier gelebt?

Darüber sprechen wir beim nächsten Mal!

Übersetzung: Jennifer Urschel, Ute Borchardt