SONNY VINCENT

Sonny Vincent - der Mann ist unglaublich. Seit 1976, als er in New York City die TESTORS formte, bringt er in schöner Regelmäßigkeit Platten raus, ging 1979 mit den TESTORS als Support der DEAD BOYS auf Tour, zog in den Achtzigern nach Minneapolis, arbeitete als Künstler, gründete mit Bob Stinson von den REPLACEMENTS die MODEL PRISONERS, gründete ´89 SHOTGUN RATIONALE und gewann als Produzentin Moe Tucker, einst bei VELVET UNDERGROUND. Die holte ihn in ihre Band, er tourte mit ihr durch Europa, gewann zu Hause in den USA Musiker wie Cheetah Chrome oder Greg Norton (HÜSKER DÜ), Scott Asheton (STOOGES), Captain Sensible (THE DAMNED) oder Richard Hell (VOIDOIDS) für Gastauftritte und war dabei alle Nase mit wechselnden Backing-Bands in Europa auf Tour, wohnte sogar eine Weile in den Niederlanden - und ist im März erneut hierzulande unterwegs, diesmal mit den Spanier SAFETY PINS als Begleitern.

Sonny, du rufst aus den Niederlanden an - wohnst du da noch?


"Ich habe da jahrelang gewohnt, wohne aber jetzt in Los Angeles. Ich bin aber öfter mal in Holland bei Freunden und auch in Frankreich."

Du bist jemand, der ständig unterwegs ist und überall auf der Welt Freunde hat, mit denen er Musik macht.

"Das hat sich so ergeben, ich habe das nicht geplant. Vor Jahren habe ich mal für eine Tour eine Band mit Leuten aus verschiedenen Städten und Ländern zusammengestellt, und meine Erfahrung war eben, dass ich nicht in einer Stadt wohnen bleiben muss, um eine funktionierende Band zu haben. Klar, manchmal wäre das auch angenehm und bequem, eine Band in einer Stadt zu haben, aber was soll´s."

Ist es eine Herausforderung, immer wieder mit neuen Leuten zu spielen?

"Ich finde es ok, und es hat eigentlich keinen Einfluss auf das Songwriting. Ich schreibe die Songs heutzutage meist erst im Studio, wir üben sie ein und nehmen auf. Ein paar habe ich auch schon vorher fertig, aber das ist nicht die Regel. Immer wieder mit neuen Leuten zu spielen macht die Sache für mich spannend, die bringen immer wieder neuen Enthusiasmus mit."

Was ist das Geheimnis deines Überlebens, wo du doch aus der New Yorker Punkszene der Siebziger kommst, die nicht gerade wenige Drogentote hervorgebracht hat?

"Also mit drogenfreiem Leben hat das sicher nichts zu tun, hehe. Ich glaube, ich hatte einfach Glück."

New York, 1976, die TESTORS - das sind deine Wurzeln.

"Ich fing damals in New York mit dem Musikmachen an, im CBGB´s und im Max´ Kansas City. Damals war die Stadt voll von coolen Bands, es war eine einzigartige Atmosphäre und selbst an einem Montagabend waren die Clubs voll, jede Band schuf eine faszinierende Stimmung. Es war einfach aufregend. Ich erinnere mich, wie ich auf Konzerten war, einfach nur da stand und mich von der Musik berauschen ließ - es war wie eine Achterbahnfahrt. Ich kümmerte mich nicht drum, wie diese oder jene Band hieß, ich war einfach nur heiss auf neue Musik. Ich sah die CRAMPS, die DEAD BOYS und auch solche, von denen später niemand mehr etwas hörte, etwa STEEL TIP. Es war eine ungeheuer kreative Zeit."

Du hattest einfach das Glück, zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein.

"Ja, ich hatte Glück, und vor allem hing ich schon in sehr jungen Jahren mit Leuten rum, die mich mitnahmen nach Greenwich Village in all die coolen Läden, in die mich irgendwelche College-Girls reinschmuggelten. Ich erinnere mich noch genau daran, an den Rauch, an die Lichter, an die Leute, die dort rumhingen. Ich war da echt noch total jung, aber mir war klar, dass da mehr abgeht als man mir in der Schule erzählt. Und ich dachte mir, wow, hier willst du bleiben. Als ich dann Jahre später selbst eine Band hatte und wir in diesen Läden spielten, durchzuckte es mich: Wow, ich bin hier, ich habe es geschafft!"

In der Zeit, als du Musik machtest, war in New York musikalisch alles möglich: Punk war alles, von DEAD BOYS über TALKING HEADS und RAMONES bis hin zu BLONDIE. Was hat deine Musik stilistisch geprägt, denn unterm Strich hat sich seit den TESTORS bei dir nichts grundsätzlich geändert?

"Ich denke, ich habe immer sehr genau aufgepasst, was vor sich geht. Als Kind schon habe ich ganz genau aufgepasst, was all die Bands so machen, gerade auch die englischen Gruppen - wie die immer größer und erfolgreicher werden, sich dann auflösen, solo weitermachen und so weiter. Eric Clapton etwa, der drei Back-Up-Sängerinnen hatte, was dazu führte, dass Joe Cocker natürlich sechs haben musste, und all solche Spielchen. Oder wie die Punkbands plötzlich mit Orchestern arbeiteten und so weiter. Was ich meine: oft werden Bands mit wachsendem Erfolg auch immer softer. Die fangen dann an statt wie gewohnt abzurocken plötzlich mit Flöten und Geigen herumzuspielen - und das funktioniert manchmal, etwa wenn die SAINTS was mit Bläsern machten, aber meist geht es in die Hosen. Mein Ansatz ist deshalb, es immer bei ganz simplem, straightem Rock´n´Roll zu belassen und auch nicht mit superfetter Produktion anzukommen - oder gar in die Welt von Paul Simon abzutauchen und mit afrikanischen Rhythmen zu experimentieren. Nein ich will einfach nur Rock´n´Roll spielen."

Ohne dir zu nahe treten zu wollen: in kommerzieller Hinsicht hat sich dein Festhalten an den Wurzeln und Prinzipien nie ausgezahlt. In Szenekreisen bist du zwar bekannt und wirst geschätzt, aber großen "Erfolg" hattest du nie.

"Nun, kommerzielle Aspekte haben mich noch nie interessiert. Wenn es mir ums Geld gegangen wäre, hätte ich verschiedene Sachen ganz anders angepackt. Ich weiss, dass ich das Talent dazu hätte, aber ich bevorzuge es mein Ding durchzuziehen. Ich weiss, was du meinst, und ich weiss, dass ich mit ein paar kleinen Korrekturen hier und da meine Musik "vermarktbarer" gestalten und mich dem jeweils aktuellen Trend anpassen könnte, aber das befriedigt mich nicht. Ich will jetzt nicht arrogant klingen, aber ich muss zu meiner Musik stehen und mir im Spiegel noch ins Gesicht sehen können. Also mache ich nur das, was ich will. Und ja, ich verstehe deine Frage und habe kein Problem damit. Ich sehe doch, wie oft eine kleine Band plötzlich ganz groß rauskommt, und dann ist´s auch wieder vorbei. Oder wie oft stellt man hinterher fest, dass eine Band zu der Zeit, da sie noch klein und unbekannt war, die besten Platten gemacht hat."

Oh ja - die Platten, die innerhalb eines Tages oder einer Nacht live im Studio eingespielt wurden und die heute Klassiker sind - während die Nachfolger, für ein mehrfaches an Geld in zwei Wochen eingespielt, richtig langweilig und durchschnittlich sind.

"Das ist das eine, und das andere ist, dass ich bis heute nur Platten auf den Labels von Freunden gemacht habe. Ich habe noch nie in meinem Leben ein Demotape verschickt, um mich bei einem Label zu bewerben. Nein, meine Platten werden von Freunden veröffentlicht, weil sie Lust haben auf meine Musik, weil sie dahinter stehen - und nicht von Geschäftsleuten, die nur die Verkaufszahlen im Kopf haben."

Ist das der Grund, weshalb jede deiner Platten auf einem anderen Label erscheint?

"Ja, das ergibt sich eben so: ich spiele ein Konzert, stehe danach an der Bar, jemand kommt auf mich zu, stellt sich vor und fragt, ob er nicht eine Platte mit mir machen kann. Wir bleiben eine Weile in Kontakt, und wenn mir derjenige sympathisch ist, machen wir zusammen die Platte, das ist alles."

Das klingt, als ob es nicht gerade einfach für dich ist nachzuvollziehen, welche deiner unzähligen Platten derzeit überhaupt noch erhältlich sind.

"Stimmt, und manchmal wäre es schon hilfreich, das alles etwas mehr unter Kontrolle zu haben, aber was soll´s. Manchmal rede ich mit den Leuten, die meine Platten machen, nicht mal über Geld."

Ich denke, manche Leute würden eine ganze Stange Geld dafür hinlegen, mal einen Blick in dein Adressbuch werfen zu können: das liest sich wie ein Who-Is-Who der Rock´n´Roll-Szene der letzten dreissig Jahre, nehme ich angesichts der Leute, mit denen du bislang zusammen im Studio und auf Tour warst, mal an. Woher kennst du die alle?

"Das ist schwer zu beschreiben. Ich kenne die eben wegen dem Rock´n´Roll - und wegen meiner Mentalität. Ich habe das Gefühl, mitten in einer Sache zu stehen, die sehr real ist - im Gegensatz zu dem Gefühl, das ich hatte, als ich mal eine Weile in der Fabrik arbeitete, das war Bullshit. Ich dagegen habe das Glück, an etwas beteiligt zu sein, das einfach echt ist, und die Leute da draussen merken das auch. Und dann beherrsche ich eben die Sprache des Rock´n´Roll. So schicke ich dann ein Tape mit Songs an den Drummer der STOOGES, er antwortet mir, dass es ihm gefällt, und wir machen was zusammen. Oder nimm Moe Tucker von VELVET UNDERGROUND, mit der ich gespielt habe - wie viele Leute da draussen würden sonst was dafür geben, mit ihr in einer Band zu sein? Bei mir aber war das so, dass Moe mich gefragt hat, ob ich in ihrer Band spielen will. Es war also nicht so, dass ich ihr hintergerannt wäre, nur um mal mit ihr auf einer Bühne zu stehen. Nein, sie suchte nach jemandem, der ihre Musik in einer bestimmten Weise spielt, und da fiel ihre Wahl auf mich. Später fragte ich sie dann, ob sie meine Platte produzieren könne, und sie hatte Lust darauf."

Ich denke, das alles hat was mit Credibility zu tun.

"Zu einem guten Teil, ja. Aber vor allem auch mit der gemeinsamen Sprache, der Sprache der Musik: du machst eine Platte an, die Musik kommt aus dem Lautsprecher und alles ist gesagt."

Was macht diese "Sprache" der Musik aus, die Credibility? Warum ist deine Musik zeitlos, die anderer Leute aber eine Eintagsfliege?

"Ich habe keine Ahnung... Manche Bands haben vor zehn Jahren großartige Platten gemacht, die keiner hören wollte, und heute wären sie damit richtig erfolgreich. Ich weiss wirklich nicht, was das Geheimnis ist, damit irgendwas funktioniert. Und was gestern richtig war und funktioniert hat, muss deshalb morgen noch lange nicht funktionieren. Nimm das Beispiel Elvis. Er war arm, fing an Musik zu machen und wurde reich. Genauso war´s bei den BEATLES. Aber das sind Mythen. Genauso kann ein Bonzensöhnchen aus Monaco theoretisch die ultimative Rockplatte aufnehmen. Es ist irgendwie eine Frage, wie du dich ausdrückst, wie deine Sicht der Dinge ist. In meinem Fall sehe ich jede Menge Leute um mich herum, die ausgesprochene Musikliebhaber sind, die das Haus voller Platten haben, von Flamenco bis hin zu französischer Popmusik aus den Sechzigern. Ich dagegen habe da nicht mal die Wahl: ich mache die Musik, die ich mache, und wenn ich die nicht machen würde, wüsste ich nicht, was ich sonst machen soll. Ich könnte nichts anderes mit der gleichen Leidenschaft tun. Ich mache, was ich mache, weil ich muss."

Wie kommt´s, dass du hier in Europa so viele Fans hast - und wie sieht´s in den USA aus?

"Ich spiele sehr oft in Europa, damit hat das was zu tun. Das fing damals 1990 bei der Tour mit Moe Tucker an. Das stieß natürlich auf großes Interesse bei der Presse und bei den Plattenfirmen und so traf ich damals viele Leute, mit denen ich bis heute in Kontakt bin - ich nutzte die Gelegenheit natürlich, für meine eigene Musik zu werben. Seitdem bin ich ständig in Europa auf Tour, aber spiele auch immer wieder mal in den USA. Letzten Sommer etwa war ich mit den STREETWALKIN´ CHEETAHS unterwegs. Und letztendlich ist es auch kein großer Unterschied, ob man in Kalifornien, Spanien oder in Tokyo spielt, die Szene ist immer gleich."

Lass uns über dein neues Album "Hell´s Kitchen" sprechen, das unlängst in Spanien auf Munster erschienen ist.

"Ja, und bislang gibt´s da auch nur die europäische Version, ich habe da in den USA noch niemand gefunden. Aufgenommen habe ich die Platte mit zwei Deutschen, mit Stephan G. und Bernward K., die ich vor einer Weile in Berlin getroffen habe."

Der aktuellste Release ist die 7" mit den SAFETY PINS.

"Ja, die SAFETY PINS kommen aus Bilbao in Spanien, und als ich auf dem Weg nach Madrid war, um das "Hell´s Kitchen"-Album zu mastern, schlug mir Iñigo von Munster vor, doch einen Zwischenstop einzulegen und mit den SAFETY PINS was auzunehmen. Ich war echt schockiert: die Jungs hatten wirklich jede meiner Platten, die wussten alles über mich. Ich habe dann nachts im Studio fünf Songs geschrieben, ich musste nichts dazu erklären, die kannten meine Musik so genau, dass sie einfach instinktiv so spielten, wie ich es erwartete. Die sind echt eine großartige Band, die werden´s noch weit bringen. Tja, und so hat es sich ergeben, dass ich jetzt im Frühjahr mit ihnen als Backing-Band auf Tour gehe. Und live sind die sowieso unglaublich, die rocken unglaublich und am Ende eines Konzertes haben die sich so verausgabt, dass die beinahe epileptische Anfälle bekommen, so stehen die unter Strom."

Woran machst du es eigentlich fest, ob du eine Platte nur unter dem Namen SONNY VINCENT machst oder ob da ein Bandname ins Spiel kommt - du hattest die TESTORS, die DONS, SHOTGUN RATIONALE?

"Das kommt immer drauf an, das passiert halt so, dafür gibt´s keine Regel. In den letzten Jahren habe ich die Platten immer unter meinem Namen rausgebracht, es ist einfacher und wer immer meine Platten sucht, muss nicht unter drei oder vier verschiedenen Bandnamen suchen. Klar waren bei meinen verschiedenen Bands Leute dabei, die viel für mich getan haben, aber die meiste Arbeit habe doch ich gemacht - vielleicht sollte ich in Zukunft unter dem Namen SONNY VINCENT´S BIG EGO arbeiten, hahaha."