SIDEWALK SURFERS

Foto© by Elena F. Barba

Nichts ist schlimmer als Dixie-Klos

Sie kommen aus dem Saarland, also quasi der Westcoast Deutschlands, und klingen maximal nach der Westküste der USA: die SIDEWALK SURFERS. Jetzt steht nach dem Debüt „Braindead“ (2015) und „Dinner For Sinners“ (2018) Album Nummer drei in den Startlöchern – und klingt so, wie es die drei Musiksurfer Kiwi (voc, bs), Pecko (gt, voc) und Kinzi (gt) im Interview selber sagen: nach einer Band, die sich gut sieben Jahre nach ihrer Gründung in jeder Hinsicht gefunden zu haben scheint. Warum die SIDEWALK SURFERS auf „Growing Up Is A Mess“ über das Älterwerden singen, was das Mysterium des Punkrock ist und welche Beziehung vor allem Pecko zu Festivaltoiletten hat, ist im Folgenden zu lesen.

Hallo, ihr drei. Ich muss mich gleich zu Beginn entschuldigen: In einer Mail vor diesem Interview hatte ich euch fälschlicherweise als „Sidehill Surfers“ tituliert. Zur Erklärung: Ich trug an diesem Tag das Shirt einer Band aus meiner Heimatstadt, die sich TREEHILL ROCKERS nennt. Und dieses „Hill“ hatte ich wohl noch im Kopf. Das tut mir sehr leid. Ich weiß durchaus, wie eure Band heißt.

Kiwi: Alles gut. Das ist nicht schlimm, haha. Unser Name wurde gefühlt schon hundertmal falsch geschrieben. Auch auf Flyern und Konzertplakaten.
Pecko: Sogar bei Spotify war unser erstes Album falsch gelistet. Da hießen wir „Sideway Surfers“.

Auf Vinyl gepresst und mit falschem Namen versehen könnte so was für eine enorme Wertsteigerung sorgen. Als Fehlpressung.
Kiwi: Ganz sicher nicht diese Platte, haha.

Aber vielleicht eure neue, „Growing Up Is A Mess“. An der kann man, wenn man es ein wenig übertreibt, eine schöne Genrediskussion eröffnen: Offiziell firmiert ihr unter Surf- und Skatepunk. Ich sage: Das ist doch ganz klar Streetpunk. Wie steht ihr zu diesem in Szenekreisen gerne praktizierten Schubladendenken?
Kiwi: Wir betiteln uns selber als Skatepunks. Wobei wir immer im Hinterkopf haben, dass das so eigentlich gar nicht zutrifft, denn Skatepunk war nur die Musik, die uns am meisten beeinflusst hat.
Kinzi: Letztlich haben wir alle in der Band unterschiedliche Einflüsse und hören durchaus unterschiedliche Musik. Wir werfen dann eben alles zusammen – und am Ende kommt das raus, was auf der Platte zu hören ist.

„Growing Up Is A Mess“ beschert euch nun das erste Interview im Ox und ist eure dritte Platte. Man kann sagen: ein Meilenstein. Nicht nur wegen der Ox-Premiere, sondern weil eine dritte Platte irgendwie zeigt, die meinen das ernst.
Kiwi: Absolut. Hätte uns das jemand vor ein paar Jahren gesagt, dann hätten wir das nicht geglaubt.

Vollendet bitte folgenden Satz: Hättet ihr das neue Album zu Beginn eurer Zeit als SIDEWALK SURFERS hören können, hättet ihr gedacht ...
Kiwi: Oh, die Jungs haben reflektiert und ein tolles Album aufgenommen.
Pecko: Diese Jungs haben ihren Stil, ihren Weg gefunden.

Ungewöhnlich in diesen Pandemiezeiten: Auf „Growing Up Is A Mess“ befindet sich kein Song zum Lockdown.
Kiwi: Das wird vielleicht auf dem nächsten Album eine Rolle spielen. Man muss nämlich auch sehen: Wir hatten die Songs für „Growing Up Is A Mess“ allesamt schon vor Corona fertig, also 2019.

Das wirft dann das Problem auf, dass sie, wenn ihr sie irgendwann endlich live spielen könnt, wohl schon zwei Jahre oder älter sein werden. Nach so einer Zeit widmet man sich ja eigentlich längst neuen Projekten, oder?
Kiwi: Wir sehen das so: Wir haben dadurch immerhin viel Zeit sie zu proben, haha. Aber es stimmt schon. Diese Situation hat auch einen großen Nachteil – und ich spreche da, glaube ich, auch für die anderen: Ich habe nämlich noch keines unserer Alben so oft zugleich scheiße und geil gefunden wie dieses. Ich habe es so viele Male gehört. Und ich war und bin immer wieder unsicher, wie ich es nun einschätzen soll. Weil wir bekommen ja kein Feedback. Und das verunsichert einen extrem. Man hat etwas erschaffen und sitzt so lange darauf, ohne es präsentieren zu können.

Was überwiegt momentan – geil oder scheiße?
Kiwi: Heute ist „geil“ dran, haha.

Und wonach richtet sich das?
Pecko: Das kann je nach Tagesform schwanken. Und je öfter man das Album hört, umso häufiger denkt man: An diesem oder jenem Song könnte man noch etwas verbessern. Man muss sich eben zwingen, das auszublenden. Denn irgendwann muss man einen Cut machen. Zufrieden sein.

Mit welchem Song seid ihr in den „Scheiße“-Phasen nicht so zufrieden?
Kiwi: „Losers“. Als Demo klang der noch anders. Roher. Hatte mehr das Gefühl vermittelt, das wir mit diesem Stück auch vermitteln wollten. Jetzt auf der Platte ist der Song vielleicht etwas zu clean geraten.

Dieser Song ist auch mir aufgefallen. Wobei das nicht zuvorderst an der Musik liegt, sondern an der interessanten Zeile: „When punk was a mystery.“ Das impliziert: Punk ist kein Mysterium mehr.
Kiwi: Ich habe mich zurückversetzt gefühlt in die Zeit, als ich 16 und zum ersten Mal so gepackt war von dieser Szene. Denn zu dem Zeitpunkt, wenn man Punk bemerkt, ist es so unglaublich faszinierend, was man da auf einmal alles entdeckt. Da sind plötzlich so viele unterschiedliche Menschen. So viele Spielarten dieser Musik. Das ist für einen Teenager eben ein totales Mysterium. Insofern erzählt „Losers“ eher die Geschichte von einem Teenage-Punk, der noch nicht genau weiß, wohin seine Reise geht. Hinzu kommt, dass Punk früher sicherlich auch etwas anderes war als heute.

Generell oder persönlich?
Pecko: Persönlich. Es ist ein Prozess, in dessen Verlauf man sich entwickelt. Mein 14-jähriges Punker-Ich beispielsweise hat damals Songs gehört der Art: „Meine Freundin hat mit mir Schluss gemacht. Ich bin so eine arme Socke.“ Aber mit den Jahren erkennt man, dass es größere Dinge gibt, für die man kämpfen, um die man sich kümmern muss.

Je älter man wird, umso mehr Punk ist man?
Kiwi: So würde ich es auch nicht ausdrücken. Jeder hat etwas zu sagen. Und man sollte jedem zuhören. Egal, ob der- oder diejenige nun fünfzehn oder dreißig oder fünfzig ist. Man sollte das alles reflektieren. Das ist Punk.

„Losers“ wirkt wie eine Art Kernstück eurer Platte. Denn darauf geht es – siehe Titel – ums Älterwerden. Es ist, wenn man so will, eine Coming-of-Age-Platte. Ihr seid keine Teenager oder Twens mehr, sondern nun in euren Dreißigern. Warum ist dieses Thema so in den Fokus gerückt?
Kinzi: Das hat tatsächlich nichts mit einem Konzept zu tun. Das hat sich einfach so ergeben. Wir haben den Titelsong von Anfang an als Single ausgeguckt. Also geht es auf der Platte eben auch automatisch ums Aufwachsen. Um unseren Lebensweg und den der Band. Pecko und ich beispielsweise kennen uns seit unserer Kindheit. Das spielt eine Rolle. Aber es ist kein Konzept.

Gehe ich recht in der Annahme, dass es in dem Stück „Porta potty anthem“ um mobile Toilettenhäuschen geht?
Pecko: So ist es, haha. Dieser Song hat seinen Ursprung in einer wahren Geschichte ... Du musst wissen, ich habe da ein Riesenproblem ... Ich muss, wenn du so willst, die Feste feiern, wie sie fallen – und ich muss mich dabei auch entspannen können. Sprich: Es gibt nichts Schlimmeres, als bei einem Festival nach drei Tagen immer nur diese vollen, furchtbar riechenden Dixie-Klos zu sehen mit immer längeren Menschenschlangen davor. Kiwi guckt mich dann immer schon so komisch an und erkennt sofort, wenn meine Miene immer finsterer wird – einfach weil ich unter diesen Umständen nicht zur Toilette gehen kann. Und beim Punkrock Holiday vor in paar Jahren hatte ich dann ein Schlüsselerlebnis: Da zog ein Sturm auf. Es hat geregnet, gedonnert, geblitzt. Es waren nirgendwo Menschen. Und ich bin dann runter zum Fluss – und da stand tatsächlich ein einzelnes, verlassenes Dixie-Klo, das kurz vorher auch noch gereinigt worden war! Ich habe mich sofort draufgesetzt und all das bei offener Tür abgefeiert! Das war für mich ein bewegender, emotionaler Moment. Und ich wusste, dass ich den in einem Song würde festhalten müssen. Das mag kindisch sein – egal! Es zählte nur: Ich alleine, Blick auf den Fluss, das Prasseln des Regens, Enten nebenan. Ein meditativer Moment. Ich war komplett bei mir, haha.
Kiwi: Ich möchte ergänzen, es gibt niemanden, der so viele „Sanifair“-Gutscheine sammelt, wenn wir auf der Autobahn unterwegs sind, wie Pecko. Er ist ständig auf der Toilette.

Apropos unterwegs sein: Welchen Song werdet ihr beim ersten Konzert nach der Pandemie als Opener spielen?
Kiwi: Ich denke, „Drunk together“ von unserem neuen Album. Darin geht es ja genau darum: Feiern. Auch und gerade nach so einer langen Pause. Aber dann hätten wir unser Pulver auch schon verschossen, haha.