Die REAL McKENZIES kommen zwar aus Kanada, fühlen sich aufgrund der Familiengeschichte ihres Frontmannes, Gründungsmitgliedes und Namensgebers Paul McKenzie jedoch mindestens ebenso sehr als Schotten. Der Dudelsack dröhnt bei ihnen gleichberechtigt neben der verzerrten Gitarre. Und das Thema „Heimatliebe“ ist – der keltischen Folk- und Folkpunktradition entsprechend – eines, das sich durch viele ihrer Songs zieht. Genau darüber sprach Paul mit dem Ox: Wie kann man positiv mit Begriffen wie „Stolz“ und „Patriotismus“ umgehen?
Paul, du bist Kanadier und hast schottische Wurzeln – was man nicht zuletzt vielen Songs deiner Band entnehmen kann. Im Herbst 2014 blickte die Welt nach Schottland: Die Bürger hatten im Rahmen eines Referendums die Möglichkeit, für die Unabhängigkeit Schottlands vom Vereinigten Königreich zu stimmen. 55,3% von 1,6 Millionen Menschen votierten dagegen. Was war deine erste Reaktion, nachdem du von dem Ausgang der Wahl erfahren hattest?
Ich war entgeistert. Wir alle waren entgeistert. Rückblickend allerdings wurde mir dann doch klar, dass die englische Propaganda-Maschinerie wie verrückt für diesen Ausgang gearbeitet haben muss. Der Ausgang der Wahl stand, meiner Meinung nach, also bereits vorher fest. Insofern hätte das Referendum ohnehin keine Chance gehabt. Ich sage auch weiterhin: Schottland gehört den Schotten. Das Stück „Yes“ auf unserer neuen Platte greift dieses Thema denn auch noch mal auf.
Zu welchen Wählergruppe gehörten deine Verwandten in Schottland?
Sie alle haben für die Unabhängigkeit gestimmt und waren genauso geschockt und enttäuscht wie ich. Aber es war ja leider nicht das erste Mal, dass die Schotten ihre Unabhängigkeit aus Bequemlichkeit verkauft haben. 1979 und 1997 gab es ja vergleichbare Ereignisse – auch wenn es da nur um die Einrichtung eines eigenen Regionalparlaments innerhalb des Vereinigten Königreiches ging, also um die politische Selbstverwaltung.
Wie viele Folk- und Celtic-Punk-Bands scheinen sich auch die REAL McKENZIES stark über den Stolz auf die Heimat und die Herkunft zu definieren. Was bedeutet das für dich?
Geschichte. Er bedeutet, die Verpflichtung dazu zu haben, die Ehre und das Vermächtnis der McKenzies lebendig zu halten und zu verteidigen – auf eine wohlwollende und ehrenvolle Art und Weise.
Ich frage das nicht umsonst. Einerseits haben auch sehr viele Menschen aus Deutschland ein riesengroßes Faible für die keltische Kultur und lieben Musik wie die eure. Andererseits aber gelten Begriffe wie „Heimat“ und „Stolz“, die zur irischen und schottischen Kultur passen, hierzulande ja durchaus als problematisch.
Ich verstehe. Nun, auch wenn das Deutschland des 20. Jahrhunderts vollkommen zu Recht einen schlechten Ruf, einen düsteren Anstrich hat, haben ja nicht alle Deutschen so gefühlt. Da sind auch viele gute Dinge geschehen, selbst in den schlimmsten Momenten. Wenn du so willst, kannst du das mit der Situation in den USA heutzutage vergleichen. In diesem Land geschieht so viel Schlimmes. Aber es gibt auch viele Menschen, die dagegen etwas tun. Letztlich ist es niemals verkehrt, stolz auf sein Heimatland zu sein – solange die Menschen nicht anfangen, den falschen, den bösen Leuten zu folgen. Denn das macht jeden, der mitläuft, zu einem der Üblen.
Nun handeln eure Songs aber nicht nur vom Kampf der Schotten für die Unabhängigkeit und von Heimatgefühlen, sondern auch vom endlosen Touren durch die Welt. Seit 23 Jahren seid ihr unterwegs. Welche waren der schlimmste und den schönste Ort, an den ihr dabei gekommen seid?
Beide Male war es Detroit. Früher, in unseren Anfangsjahren, war das eine blühende Stadt, das Zentrum der US-Industrie. Mittlerweile ist es eine Ruine, in der die Menschen kein Geld und keine Hoffnung haben. Wenn wir heute da vorbeikommen, dann bekommen wir Angst.
Vor einigen Wochen sprach ich mit Finney von den MAHONES. Er sagte mir, dass seine Band nach den POGUES die erste gewesen sei, die den Folk in den Punk überführt habe. Und tatsächlich sind die MAHONES zwei Jahre älter als die REAL McKENZIES. Was sagt du: Hat Finney recht?
Haha, Finney ... Er und seine Bandkollegen gehören zu den freundlichsten, liebenswertesten und am härtesten arbeitenden Menschen, mit denen wir je die Bühne geteilt haben. Und ja! Es stimmt: Die MAHONES sind tatsächlich genau das, was Finney von ihnen behauptet. Sie waren die ersten. Und ich liebe sie! MAHONES, haut rein! Und macht bitte weiter so.
Angeblich hatten die REAL McKENZIES über all die Jahre knapp 100 Bandmitglieder. Du bist allerdings als Namensgeber das einzig verbliebene Gründungsmitglied. Angenommen, jemand würde dich mitten in der Nacht wecken und danach fragen: Könntest du ihm auf der Stelle die Namen aller aktuellen und ehemaligen Mitglieder aufzählen?
Das könnte klappen. Aber ich müsste mich erst einmal einen Moment lang sammeln. Und dann müsste ich mich beim Durchgehen der Namen auf eine ganze Reihe verschiedener Gefühle einlassen und diese sortieren. Denn einige der Ex-Mitglieder sind verstorben. Einige gingen damals im Guten. Einige mussten gehen, weil sie totale Arschlöcher waren und meine Nerven über alle Gebühr strapaziert hatten. Man muss als Außenstehender verstehen, dass in einer Band zu sein auch bedeutet, dass man immer und immer wieder Menschen vertrauen muss. Das ist ein Risiko. Und das ist nicht immer gut. Ich habe schon verdammt viele – auch faule – Kompromisse eingehen müssen, um Bandmitglieder zu einer Show zu bewegen.
Die von dir geschriebene Biografie „Up Yer Kilt With The Real McKenzies“ ist kürzlich erschienen und erzählt die oftmals wahnwitzige Geschichte deiner Band. Hand aufs Herz: Wie viel Wahrheit und wie viel Lüge steckt in den Storys?
Es ist eine recht ungemütliche Mischung aus beidem – ergänzt durch ein paar sehr belastende Fotos. Ich kann die Lektüre guten Gewissens empfehlen, haha.
Kommen wir mal auf Konzerte zu sprechen: Es ist gut, dass ich mit dir einen Folkpunk-Experten als Gesprächspartner habe. Denn du kannst mir sicherlich sagen, wie sehr dich das Folkpunk-Phänomen nervt, dass die Songs auf den Alben immer wunderbar klingen, aber die „akustischen“ Instrumente wie Dudelsack, Flöte, Akkordeon oder Geige live vor lauter Gitarren kaum zu hören sind.
Ach, es gibt eine ganze Menge Probleme, mit denen man als Musiker bei Konzerten fertig werden muss. Nimm nur mal die Phase zwischen Soundcheck und Show: Zuerst sind keine Menschen in der Halle. Die Gitarren werden gestimmt. Dann kommen die Leute rein. Die Luftfeuchtigkeit nimmt zu. Und schon ist das Chaos bei den Instrumenten angerichtet – vor allem bei den Dudelsäcken. Der Klang ist plötzlich hin oder ganz anders als zuvor. Und dann kann so ein Instrument auch schon mal untergehen. In einer kontrollierten Umgebung wie dem Studio dagegen kannst du ja jedes Detail aufzeichnen, kontrollieren, verbessern. Das ist etwas ganz anderes. Nichtsdestotrotz mögen wir vor allem die Live-Shows. Denn auf der Bühne wird alles verrückt! Wir lieben das! Das ist wie ein Pandämonium, ein Ort des Grauens, der uns total kickt.
Zu guter Letzt verrate uns doch bitte, was der Titel eures neuen Albums „Rats In The Burlap“ – frei übersetzt: „Ratten in den Sackleinen“ – zu bedeuten hat.
Da muss ich ein bisschen weiter ausholen. Also: Fracht jeglicher Art wurde früher ja weltweit mit dem Schiff befördert und von Land zu Land und Kontinent zu Kontinent gebracht. Das ging über Jahrtausende so – bis es irgendwann Flugzeuge gab. Und während es auf dem Wasserweg heutzutage nur noch die Containerschifffahrt gibt, wurde die Fracht früher in Sackleinen aus Jute oder Hanf eingepackt. Und in diesen Stoff krochen Ratten mit Vorliebe hinein und beschädigten oder zerstörten die Ware. Das waren die „Rats In The Burlap“. Und das Interessante an der ganzen Sache ist: Um die Ratten am Zerstören der Ware zu hindern, wurden nach und nach immer mehr Katzen mit an Bord der Schiffe genommen. Diese Katzen kamen somit auch nach Amerika. Und es ist ein Fakt, dass so gut wie alle heutigen Hauskatzen Nachkommen dieser Schiffskatzen aus Europa oder anderen Kontinenten sind. Das kannst du nachschauen und überprüfen. Lange Rede, kurzer Sinn: Irgendwie sind diese Katzen, die wegen der Ratten im Sackleinen nach Amerika kamen, wie die Einwanderer aus Schottland und Irland. Wie unsere Vorfahren.
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