PUNKMOVIES

Die Dokus

In Teil 2 unserer Specials über den filmischen Aspekt von Punk gibt es Interviews mit Filmemachern: Slowboat Films aus Frankfurt haben einen sehr puristischen Ansatz, Joe Escalante von den VANDALS schreckt auch vor Spielfilmen nicht zurück, Wolfang Büld gehört zu den Pionieren und Ricarda Eggs von Schmidt Productions steckt hinter der Neuauflage von "Alle Macht der Super8". Und wenn man sich erst mal mit einem Thema beschäftigt, findet sich plötzlich viel, viel mehr Material als ursprünglich gedacht, weshalb es auch noch einen dritten Teil dieses Specials geben wird, unter anderem mit einem Interview mit Steven Blush, der sein Buch "American Hardcore" jetzt quasi verfilmt hat, sowie mit Kristofer Steen, der die REFUSED-Doku gedreht hat.

Nach der Liste von Punk-Spielfilmen in der letzten Ox-Ausgabe widmen wir uns diesmal den eher dokumentarischen Filmen über die Punkszene. Auch hier gilt: Die Auswahl ist subjektiv, ein Anspruch auf Vollständigkeit besteht nicht, und auf Lücken lassen wir uns gerne hinweisen. Fortsetzung folgt ...



AMERICAN HARDCORE
Paul Rachman, Steven Blush; USA 2006
Gesehen haben "American Hardcore" bisher wohl nur wenige Menschen, denn gezeigt wurde die Dokumentation bis jetzt nur auf dem diesjährigen Sundance-Festival Anfang Januar, der Kinostart in den USA wird via Sony Pictures Classics sogar erst im Herbst stattfinden. Mehr als unwahrscheinlich ist, dass er auch bei uns in den Kinos läuft, wir werden uns also mit der DVD-Auswertung begnügen müssen. Der frühere Konzertbooker und hauptsächlich als Autor und Journalist tätige Steven Blush stammt selbst aus der frühen Washington D.C.-Szene und hat bereits 2001 das dem Film zugrunde liegende Buch "American Hardcore" veröffentlicht, das eine Art History der US-Hardcore-Szene bis 1986 darstellt. Es setzt sich aus zig Interviews mit diversen Protagonisten des frühen US-Hardcores sowie Blushs eigener Sicht der Dinge zusammen, ist teils nach lokalen Szenen, teils nach bestimmten Themen geordnet und auch wegen der zig Fotos, Flyer-Abbildungen und einer umfassenden Diskografie eine sehr gute, wenn auch streitbare Dokumentation der frühen Jahre des US-Hardcores. Zusammen mit dem ebenfalls ursprünglich im Hardcore aktiven Videoclip- und Kurzfilmregisseur und Mitgründer des Slamdance Film-Festivals Paul Rachman hat Blush für den Film "American Hardcore" diverse Szenemenschen nochmals aufgesucht und diese Interviews mit Archivmaterial und alten Liveaufnahmen zu einer über 90 Minuten langen Dokumentation zusammen geschnitten. Zum Glück soll "American Hardcore" ein Film sein, der in erster Linie Szenemenschen anspricht und nicht für die tumbe Masse gedacht ist, wobei es nach der Premiere - bei der übrigens die CIRCLE JERKS und D.O.A. auftraten - laut BBC World angeblich Pressestimmen gab, die eine Unfokussiertheit und Weitschweifigkeit kritisierten. Lokalpresse halt, lassen wir uns überraschen. Wenn der Film aber das Niveau des Buches halten kann, sollte da etwas sehr Gutes auf uns zukommen.

ANOTHER STATE OF MIND
Adam Small, Peter Stuart; USA 1984
"Another State Of Mind" ist ein Roadmovie, eine Tour-Doku, gedreht 1982, als Shawn Stern von YOUTH BRIGADE und Better Youth Organization (heute noch das Label von ihm und seinem Bruder Mark) die Idee hatte, mit den befreundeten SOCIAL DISTORTION in einem alten Schulbus in fünf Wochen einmal die USA zu durchqueren, um in alter Missionarstradition auch den Kids in anderen Städten zu zeigen, was Punk/Hardcore sein kann, welche Ideen transportiert werden, dass man nur selbst den Arsch hochkriegen muss, um etwas zu bewegen. Ein mitreisendes Team filmte das Unternehmen, in meist guter Bild- und Tonqualität, und so begleitet man zwei erstaunlicherweise heute noch aktive Bands in jungen Jahren. Putzig, den extremsaufenden Mike Ness beim Schminken beobachten zu dürfen, festzustellen, wie wenig sich Shawn Stern doch verändert hat. Man ist vor, während und nach den Konzerten dabei, es werden Diskussionen mit Fans und Freunden gezeigt, die Gruppendynamik fordert ihren Tribut, und als die ganze Bande schließlich nach einem Ausflug nach Kanada in Washington, D.C. im Dischord House angekommen ist (an dessen Tür ha ein Spaßvogel den Zettel gehängt hat "No girls allowed"), gibt der Bus den Geist auf, und aus der Tour ist die Luft raus, drei der vier S.D.-Mitglieder fliegen nach L.A. zurück und werden als Spalter beschimpft, nur Mike bleibt vorerst noch. Die Kamera begleitet Ian MacKaye zur Arbeit ins Eiscafé, man bekommt einen beeindruckenden Ausschnitt aus einer MINOR THREAT-Show zu sehen, und immer wieder Interviews, Gespräche, mit Bands und "normalen" Punks, die Zeugnis ablegen vom Spirit, der damals herrschte, vom Veränderungswillen, aber auch den Zwängen der US-Gesellschaft. In der US-Hauptstadt ist die Tour dann auch vorbei, der Bus am Arsch, man lässt ihn stehen und fährt mit dem Filmteam zurück nach L.A., um eine Erfahrung reicher. Ganz klar: Wer irgendwas in Sachen US-Punk/Hardcore kapieren will, der muss diesen Film gesehen haben. Ein essentielles Dokument.

ANYTHING BOYS CAN DO
Ethan H. Minsker; USA 1996
Mit Blick auf die New Yorker Punk-Szene wird beleuchtet, wie Frauen sich im von Männern dominierten Rockgeschäft behaupten. Dabei offenbaren sich natürlich besonders in Punkto Sexismus große Meinungsunterschiede. Für einige spielt die Auseinandersetzung damit eine große Rolle, andere, die (dargestellten) Skinhead-Girls beispielsweise, handeln, als würden für sie Geschlechterunterschiede überhaupt nicht existieren. Es kommen sowohl stereotype Frauenbands aus der Folkszene zu Wort als auch die radikalen Feministinnen von TRIBE 8. Eine Reihe von Bands wird in Interviews und Liveauftritten vorgestellt, wie SISTERS GRIMM, THE WIVES oder SEXPOD. Thematisch geordnet beleuchtet der Film in 70 Minuten unter anderem Homosexualität, Körperlichkeit oder Rockismen. Der Film liefert natürlich kein ganzheitliches Bild der Riot Grrrl-Bewegung, sondern dokumentiert explizit die Szene in New York Mitte der 1990er, zeigt aber auch, wie diese Bewegung Frauen eine Möglichkeit schuf, sich mit Punk zu identifizieren und selbst in Bands, Fanzines etc. zu engagieren.

BLANK GENERATION
Ivan Kral, Amos Poe; USA 1976
"Blank Generation" ist vermutlich die erste Dokumentation über Punk, die auch unmittelbar von Beteiligten aus der Szene gefilmt wurde. Da es keinen Kommentar und keine Interviews gibt, vielmehr frühe Live-Impressionen aus dem CBGB?s, ist der Film ein beeindruckendes Dokument aus der Anfangszeit des Punk. Er ist zudem in karger Schwarz-Weiß-Optik gehalten, die sehr an ein Filmhochschulenprojekt oder Klassiker wie "The Night Of The Living Dead" erinnert, nicht umsonst sind die beiden Regisseure Ivan Kral und Amos Poe mit Jim Jarmusch befreundet. Vertreten sind von den RAMONES, TELEVISION und NEW YORK DOLLS über TALKING HEADS, Pattie Smith und BLONDIE bis hin zu Wayne County und THE HEARTBREAKERS, mit teils sehr intimem, teils sehr amüsantem Material. Die dargebotenen Lieder allein wären auch wunderbar auf einem Raritätensampler aufgehoben, aufgrund der limitierten Mittel ist der mit 55 Minuten sehr kurze Film allerdings recht anstrengend anzusehen.

BORN TO LOSE: THE LAST ROCK’N’ROLL MOVIE
Lech Kowalski; USA 2000
"Born To Lose" ist ein Portrait des 1991 verstorbenen Gitarristen Johnny Thunders von Lech Kowalski, ebenfalls Regisseur von "D.O.A." und "Story of a Junkie". Sowohl von seinen Bands NEW YORK DOLLS und THE HEARTBREAKERS als auch von seiner Solokarriere gibt es Mitschnitte. Dabei wird aber weder auf Vollständigkeit noch eine korrekte Chronologie Wert gelegt und außer in einem einleitenden Interview kommt Johnny Thunders selbst nicht zu Wort. Dafür äußert sich Dee Dee Ramone ausführlich über ihn und einige (Ex-)Junkies werden auch befragt. Für Johnny Thunders-Fans unverzichtbar, da von ihm ein sehr persönliches und sympathisches Bild vermittelt wird.

THE DECLINE OF WESTERN CIVILIZATION
Penelope Spheeris; USA 1981
Einer der wichtigsten Filme über die amerikanische Punk-Bewegung beleuchtet die L.A.-Punk-Szene um 1979/80 sehr neutral. Zwar stellt die Regisseurin Penelope Spheeris ("Suburbia", "Wayne?s World") auch sehr direkte Fragen, die ihre persönliche Haltung erkennen lassen, aber sie geht nie so weit, jemandem Worte in den Mund zu legen, und überlässt es jedem selbst, wie er sich darstellt. Neben Protagonisten der Szene werden auch die "normalen" Kids in Interviews, die wie in einer Verhörsituation wirken, über ihre Einstellungen und Vorstellung von Punk befragt. Das unkommentierte Material ist dadurch sehr persönlich und vermittelt zugleich einen guten Eindruck von der damaligen Zeit. Live-Material und Interviews gibt es von und mit X, BLACK FLAG (sowohl mit als auch ohne Henry Rollins), CIRCLE JERKS, THE GERMS, FEAR, CATHOLIC DISCIPLINE und Darby Crash. Der Film verdeutlicht, wie Punk - die straffe Trennung von Punk und Hardcore gab es noch nicht - alleine noch als Form des Protests genügte und als Ventil für rohe Aggression diente. Allerdings zeigen sich bereits starke Tendenzen einer homophoben und machohaften Entwicklung von Hardcore. Gleichzeitig kristallisiert sich auch schon die Kluft zwischen Punk als Einstellung und reinem Entertainment heraus. Dass die Regisseurin selbst eine Hassliebe mit Punk verbindet, zeigt sich, wenn der Film mit der Zeile "The enemy is within" aus "Let?s have a war" endet.

D.O.A.
Lech Kowalski; USA 1980
Berühmt ist "D.O.A." für seine Aufnahmen von Sid und Nancy in L.A., die wohl als Vorlage für Alex Cox? Film dienten und sie völlig auf Drogen nicht lange vor ihrem Ableben zeigen. Der Focus des Films liegt auf den SEX PISTOLS als Protagonisten des Punk während ihrer US-Tour 1978, ausgiebig vertreten sind aber auch X-RAY SPEX, SHAM 69, GENERATION X, THE DEAD BOYS und TERRY AND THE IDIOTS. Sowohl in England als auch USA aufgenommen, zeigt der Film eindrucksvoll die Unterschiede von Punk in beiden Ländern. Ebenso wie in "The Decline Of Western Civilization" werden Fans befragt und so präsentiert "D.O.A." ein lebendiges Bild der Szene. Von langhaarigen Hippies über Waver bis hin zu Glamrockern, die sich für was Neues und Aufregendes interessieren, wird die ganze Vielseitigkeit des Punk gezeigt. Interessanterweise kommen auch namhafte Persönlichkeiten aus Wirtschaft und Politik zu Wort, die die Punk-Bewegung als eine Bedrohung mit gesellschaftlicher Schlagkraft betrachten und den Punks selbst die Schuld geben, wenn sie "No Future" haben. Leider wird kaum ein Song zu Ende gespielt, aber dafür gibt es gerade von den SEX PISTOLS viele Live-Aufnahmen.

END OF THE CENTURY
Jim Fields, Michael Gramaglia; USA 2003
Die ultimative Doku über die RAMONES, ein zum Verständnis der Band und zum Erfassen ihrer Bedeutung für die US-Punk-Szene wie -Alltagskultur zentraler Film. Die Schlüsselszene ist, als die Band im CBGB?s auf der Bühne steht und mit einer unglaublich simplen, aber durchschlagkräftigen One-Two-Three-Nummer einfach alles wegbläst. Unfassbar, wie viel Energie und Aggression in diesen kurzen, simplen Drei-Akkord-Songs lag, da kann man verstehen, warum so viele auch hier befragte Zeitzeugen erklären, dass die RAMONES - live und/oder auf Platte - einst Mitte der Siebziger ihr Leben verändert hätten. Mögen viele danach vermeintlich härter, schneller und lauter gewesen sein, die RAMONES waren, sind und werden die Essenz, die Basis von all dem sein, Rock?n?Roll in höchster Konzentration, "reduced to the max". Diese Doku, gedreht noch vor Dee Dees, Joeys und Johnnys Tod, ist gleichzeitig Heldenverehrung wie investigative Ursachenforschung. Alle RAMONES-Mitglieder werden befragt, auch Freunde und Eltern, speziell Joeys Mutter ist eine dankbare Interviewpartnerin, aber auch Legs McNeil, Joe Strummer, Debbie Harry, Chris Stein, Rick Rubin und andere Wegbegleiter kommen zu Wort, helfen dabei den Mythos RAMONES zu ergründen: Was machte diese Band so besonders, was gab sie den Kids in den Suburbs, die genauso schlaksig und ausgestoßen waren wie Joey, der als Jugendlicher massive psychische Probleme hatte und erst mit der Band etwas Stabilität fand - und warum funktioniert Punk bis heute? Wie hielten es der liberale Joey und der stockkonservative Johnny in einer Band aus? Was lief damals im Studio mit Phil Spector? Warum konnte dieser Anachronimus über 20 Jahre bestehen, nach Meinung vieler Fans zwar erfolgreich, aber dabei doch nach Verkaufszahlen nie ein Hit-Bringer? Die Antworten gibt es zumindest teilweise hier, und nach 108 Minuten Interviews und Konzertausschnitten ist man zwar nicht wirklich klüger, aber hat dieses komische Glänzen in den Augen, weiß man mal wieder, warum einem diese Musik (fast) alles auf der Welt bedeutet. Essentiell!

THE FILTH AND THE FURY
Julien Temple; GB/USA 2000
20 Jahre nach "The Great Rock?n?Roll Swindle" drehte Julien Temple eine "echte" Dokumentation über die SEX PISTOLS. Alle Bandmitglieder kommen gleichberechtigt zu Wort, wobei von Sid Vicious alte Archivaufnahmen verwendet werden. Dafür tritt Malcolm McLaren diesmal in den Hintergrund beziehungsweise kommt deutlich schlechter weg, besonders John Lydon rechnet natürlich gehörig mit ihm ab. Neben bisher unveröffentlichten Aufnahmen gibt es auch zahlreiche schon bekannte Mitschnitte von Auftritten und auch Szenen, die bereits für "The Great Rock?n?Roll Swindle" verwendet wurden. Um wirklich was Neues zu verraten, kommt der Film natürlich reichlich spät, aber als Portrait ist er sehr gelungen und verdeutlicht immer noch, was für einen Kulturschock die SEX PISTOLS Ende der 1970 auszulösen vermochten. Immer noch unterhaltsam sind natürlich der Umstand, dass Johnny Rotten nur aufgrund seiner Atemprobleme ins Publikum gerotzt hat und die Anekdote, wie Sid Vicious den Pogo "erfunden" hat.

THE GREAT ROCK’N’ROLL SWINDLE
Julien Temple; GB 1980
Malcolm McLaren wäre begeistert: In Anzeigen und im Presseinfo bezeichnete Sony unlängst noch Julian Temples Film aus dem Jahr 1980 als "Dokumentation". Genau das ist es nämlich nicht, und das steht auch auf dem Backcover: "fictional documentary" heißt es da, und das ist zwar ein astreines Oxymoron, aber bei den SEX PISTOLS und Mr. McLaren macht auch so was Sinn. Wer den Film das erste Mal sieht, denkt wahrscheinlich: So ein Scheiß! Keine vernünftige Handlung, seltsame historische Spielszenen, McLaren in der Badewanne mit einer kleinwüchsigen Dame, die ihm die Zehennägel schneidet, komisches englisches Gemurmel, das man nicht versteht, und wer sich dieses Werk, dessen Regisseur eigentlich Trash-Ikone Russ Meyer sein sollte, das erste Mal anschaut, der sollte, um etwas verstehen zu können, sich eingehend mit Malcolm McLarens wirrer Gedankenwelt vertraut gemacht haben, mindestens "England?s Dreaming" gelesen haben. "The Great Rock?n?Roll Swindle" ist die Nacherzählung der Geschichte der SEX PISTOLS, so wie sie Malcolm McLaren gesehen hat oder gerne gesehen hätte: Eine Band kleiner Gauner, von ihm nach seinen Vorstellungen geformt, die auszogen, die Weltherrschaft zu erringen, und alles, was auf diesem Weg geschah, wird hier im Nachhinein als perfider Plan des bösen Managers dargestellt, etwa wie die verschiedenen Major-Plattenfirmen seinerzeit gegeneinander ausgespielt wurden und diese sich immer weiter überboten, wie die Presse manipuliert wurde, und so weiter. Dass sich das alles in Echt wesentlich weniger planvoll gestaltete, interessiert nicht weiter, der Film war viel mehr die Fortsetzung des Projektes SEX PISTOLS mit anderen Mitteln, und wenn er der ganzen Welt inklusive der Punks zeigen sollte, dass alles nur eine einzige große Verarsche war, so ist das McLaren beziehungsweise Temple nur begrenzt geglückt: Legenden haben mit Fakten, wer immer die auch verdreht, nur noch begrenzt etwas zu tun, die Punk-Revolution hatte ihren Vater längst gefressen. Ein Film wie ein Alptraum, eine Vermischung dokumentarischen Bildmaterials mit Spielszenen und Zeichentricksequenzen, alles andere als leicht zu verdauen.

HATED - GG ALLIN AND THE MURDER JUNKIES
Todd Phillips; USA 1993
Phillips, der ja inzwischen in Hollywood überflüssige Drecksfilme wie "Old School" oder "Road Trip" drehen darf, startete seine Karriere mit dieser spannenden, provokanten Doku über die zweifelhafte Punk-Ikone GG Allin, der während der Fertigstellung des Films an einer Überdosis Heroin verstarb, weshalb nachträglich noch Bilder von seinem Begräbnis integriert wurden. Was soll man sagen, Allin wütet fluchend und defäkierend durch die 90 Minuten des Films, inklusive tätlicher Angriffe auf sein Publikum, so wie man ihn kennt und liebt, sagt aber durchaus auch noch einige überraschend schlaue Sachen, auch wenn er in den Augen der meisten Menschen wahrscheinlich nur als völlig bekloppt gilt. Zu Wort kommen auch noch Fans, Freunde und Verwandte, natürlich auch Bruder Merle mit Hitler-Bärtchen, ebenso wie Dee Dee Ramone. Näher als Phillips es hier tut, kann man Allin wohl kaum kommen, verstehen muss man ihn deshalb noch lange nicht, was "Hated" nicht weniger faszinierend, mitreißend und natürlich auch schockierend macht, vor allem bezüglich der selbstzerstörerischen Tendenzen dieses Menschen, der vielleicht kein brillanter Musiker gewesen sein mag, aber eine wirklich ungewöhnliche Persönlichkeit besaß, so krank man das alles auch letztendlich finden mag.

HYPE!
Doug Pray; USA 1996
Der Film widmet sich den Ursprüngen und dem Hype um die Musikszene in Seattle Anfang der Neunziger. Besonders witzig sind dabei die Reaktionen der Musiker auf das von der Presse erfundene Etikett "Grunge" und auch von den Machern wird die große Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit auf das "neue große Ding" eher belächelt. Nach dem Motto "Ach, das ist Grunge, was wir da spielen", reagierten vielen Musiker selbstironisch auf den Trend, wobei auch klar wird, dass nicht alle Bands mit der Aufmerksamkeit klar kamen und wieder andere völlig im Hype untergingen. Besonders anschaulich wird gezeigt, wie wenig Grunge ein neues bahnbrechendes Genre war, sondern nur viele verschiedene Stile von Garage und Punk bis zu Metal miteinander kombiniert wurden und wie unterschiedlich das von Band zu Band ausfiel. Es gibt Live-Material von fast allen Protagonisten, etwa MUDHONEY, PEARL JAM und SOUNDGARDEN, genauso wie von unbekannteren Acts, etwa COFFIN BREAK oder STOMACH PUMP. Natürlich gibt es auch Aufnahmen vom ersten NIRVANA-Auftritt, die aus einem der umliegenden Käffer nach Seattle fuhren, wo sie noch keiner kannte. Und Holzfällerhemden waren keine Mode, sondern die trug man halt in Seattle und Umgebung.

PUNK AND IT’S AFTERSHOCKS
Wolfgang Büld; D 1980
Vielleicht besser bekannt als "British Rock" und sozusagen Bülds Nachschlag zu "Punk in London", allerdings diesmal fürs Fernsehen produziert, also deutlich professioneller umgesetzt und dadurch weniger lebendig als seine erste Doku, zumal sich auch hier einige vorgefertigten Konserven in Form von Liveauftritten finden lassen. Dennoch gibt es auch hier noch genug interessantes Material und spannende Statements, vor allem in Bezug auf die Veränderungen in der englischen Musikszene nach Punk durch Ska und New Wave. In Wort und Bild tauchen unter anderem MADNESS, THE SELECTER, THE KINKS, THE JAM, PRETENDERS, SPIZZENERGI, THE POLICE, THE SPECIALS, THE BOOMTOWN RATS und THE CLASH auf.

PUNK IN LONDON
Wolfgang Büld; D 1979
Büld, später Regisseur von Filmen wie "Gib Gas - Ich will Spaß!", "Der Formel Eins Film" oder "Manta, Manta", liefert hier einen frühen Einblick in die englische Punk-Szene der späten 70er. Dabei interviewt er jede Menge Bands und andere Beteiligte, darunter CHELSEA, THE CLASH, THE ADVERTS, Kevin Rowland oder THE LURKERS, und liefert einem auch jede Menge Liveauftritte, die vielleicht technisch nicht immer optimal sind (bzw. im Fall der Interviews journalistisch vollendet wären), aber auf jeden Fall authentisch und unmittelbar das damalige Geschehen einfangen, bevor Punk völlig kommerzialisiert wurde. Eine echte Pionierleistung und ein essentielles, lebendiges und unverfälschtes Zeitdokument, eines der wenigen wirklich umfassenden, das zu dieser Zeit entstand und Punk zwar nicht tiefergehend analysiert, aber die damalige Aura der Rebellion nach wie vor greifbar macht.

PUNK’S NOT DEAD
Susann Dynner; USA 2006
Zum dreißigjährigen Jubiläum von Punk stellen sich die Filmemacher die Frage, was Punk jenseits von MTV-Pop-Punk-Acts noch am Leben hält oder ob er bereits zu einem Marketingkonzept verkommen ist. Natürlich gibt es Live-Auftritte und Interviews mit den einschlägigen D.I.Y.-Machern rund um alle wichtigen Bands und Labels wie SEX PISTOLS, RAMONES, Jello Biafra, BLACK FLAG, MINOR THREAT, Dischord, Alternative Tentacles, SUBHUMANS, TV SMITH, 999, BUZZCOCKS, GBH, COCK SPARRER, THE DAMNED, SOCIAL DISTORTION, Henry Rollins, Epitaph, Fat Wreck, BAD RELIGION, THE GERMS, D.O.A., THE CIRCLE JERKS, SOCIAL DISTORTION, SHAM 69, STIFF LITTLE FINGERS, NOFX, BYO Records, DISCHARGE, VIBRATORS, U.S. BOMBS, VICE SQUAD, THE (INTERNATIONAL) NOISE CONSPIRACY, THE BRIEFS. Noch nicht veröffentlicht, aber verspricht eine ausführliche gemachte Dokumentation zu werden über und mit allen, die Punk ausmach(t)en.

PUNK ROCK MOVIE
Don Letts; GB 1978
In dieser frühen Punk-Dokumentation von Don Letts, der selbst DJ im Roxy war, einem von Londons ersten Punkclubs, werden alle Facetten des Punk beleuchtet. Es geht um die - damals noch völlig selbst kreierte - Antimode, die auch noch zu schockieren vermochte, um Auseinandersetzungen mit der Polizei und Drogen. Das Ganze ist auf Super 8 gedreht und beinhaltet zahlreiche Livemitschnitte, unter anderem von den SEX PISTOLS, Wayne County, SELECTER, GENERATION X, SIOUXSIE AND THE BANSHEES, THE CLASH, SLAUGHTER AND THE DOGS, THE SLITS, THE HEARTBREAKERS, EATER, X-RAY SPEX und ALTERNATIVE TV.

RUDE BOY
Jack Hazan, David Mingay; GB 1980
"Rude Boy" erzählt als Mischung aus Dokumentation und Spielfilm die Geschichte von THE CLASH zwischen Working Class, Studentenpunk und aufkeimenden Nationalismus im England Anfang der 1980er. Die Hauptfigur Johnnie Green, der ebenso wie die Band sich selbst spielt, begleitet THE CLASH als Roadie, wobei die Band quasi nur eine Nebenrolle inne hat, lediglich Joe Strummer diskutiert in langen Dialogen mit ihm die Position der Band. Dabei wirft Johnnie ihnen hauptsächlich vor, sich von ihrem Punk-Hintergrund zu entfernen, wenn sie auf einem von Studenten organisierten antifaschistischem Festival spielen (tatsächlich sabotiert der Roadie auch den Auftritt). Und auch in zahlreichen anderen Szenen offenbart sich die Kluft zwischen dem politischen Anspruch der Band und der auf Authentizität bedachten Haltung ihres Roadies, der teilweise ähnlich rassistisch über Migranten herzieht wie die erstarkende National Front. Neben massenhaft Livemitschnitten von THE CLASH, die die Atmosphäre der Shows überzeugend einfangen, und auch einigen Szenen im Studio, gibt es noch einen beeindruckenden Auftritt von SHAM 69 mit "If the kids are united".

SHELLSHOCK ROCK
John T. Davis; GB/Irland 1979
"Shellshock Rock" widmet sich der irischen, speziell der Belfaster Punk-Szene Ende der 1970er rund um Bands wie UNDERTONES, STIFF LITTLE FINGERS, VICTIM, RUDI, THE OUTCASTS und THE PARASITES und das Good Vibrations Label. Die Live-Aufnahmen fangen die raue Energie der Bands ein und der Film gibt somit ein lebendiges Bild der irischen Punkbewegung ab.

SKINHEAD ATTITUDE
Daniel Schweizer; CH/F/D 2003
In dieser Dokumentation wird das französische Skinhead-Girl Karole auf Reisen in Europa und Amerika begleitet und so ein eindrucksvolles Bild der Skinhead-Subkultur vermittelt, das vor allem verdeutlicht, dass es sich bei der Bewegung hauptsächlich um eine musikalische handelt und das politische Segment erst später hinzu kam. Anschaulich zeigt der Film die Geschichte der Skinheads, ausgehend von ihren Wurzeln in den 1960ern, als jamaikanische Einwanderer den Ska in Englands Arbeitervierteln etablierten, über die Entstehung von Oi! in den 1970ern bis zu der diffusen Aufspaltung in die verschiedenen politischen Lager, von SHARP bis Naziskins, deren Rassismus natürlich in völligem Widerspruch zu dem Ursprung der Szene steht. In der zweiten Hälfte widmet sich Daniel Schweizer besonders den neofaschistischen Bewegungen in Europa und den USA, verfolgt die Geschichte von SKREWDRIVER und der in Deutschland verbotenen Organisation Blood And Honour, zeigt anschauliches Livematerial von Rechtsrockkonzerten und beleuchtet einen rassistisch motivierten Mord in Nevada.

UK/DK
GB 1983
"UK/DK" zeigt die zweite englische Punkwelle Anfang der 1980er, also hauptsächlich Streetpunk- und Oi!-Bands wie THE EXPLOITED, VICE SQUAD, ADICTS, THE DAMNED, BLITZ, THE BUSINESS, VARUKERS, CHAOS UK und DISORDER. Natürlich wird dabei nichts Neues über Punk verraten, aber es zeigt sich, dass die Bewegung nach dem Ende der SEX PISTOLS immer noch lebendig war. Den Kommentar liefern namhafte Kritiker wie Gary Bushell und Carol Clerk.

URGH! A MUSIC WAR
Derek Burbidge; USA 1981
Gefilmt in New York, Los Angeles, London und Frankreich werden zahlreiche Live-Auftritte von Punk-, New Wave- und Reggaebands gezeigt, unter anderem von WALL OF VOODOO, GANG OF FOUR, OINGO BOINGO, DEAD KENNEDYS, THE CRAMPS, PERE UBU, DEVO, 999, CHELSEA, X, ECHO AND THE BUNNYMEN, ATHLETICO SPIZZ 80, FLESHTONES, Gary Numan, MAGAZINE, SURF PUNKS, THE POLICE, UB40 und vom letzten Konzert von XTC. Dabei ist die Qualität der Aufnahmen sehr hoch und macht "Urgh!" zu einer großartigen Musikdokumentation über die amerikanische Postpunk-Ära.