Christian ist einer der beiden Macher des in Essen ansässigen Punklabels und außerdem seit Jahren eifriger Sammler von Punkfilmen.
Dann fangen wir doch mal ganz klassisch an: Wer seid ihr, wann und warum habt ihr das Label gegründet?
Sunny Bastards besteht aus meiner Frau Carmen, genannt "Sunny" und mir, Christian. Gegründet haben wir das Label im Sommer 2003, einfach aus einer Laune heraus. Irgendwann hab ich bei meiner alten VHS-Sammlung entsetzt festgestellt, dass meine mühsam gesammelten "Schätze" arg gelitten hatten und qualitativ nur noch für die Tonne waren. Da keiner der DVD-Majors bislang großes Interesse gezeigt hatte, Filme aus der Punk/Skin-Subkultur zu veröffentlichen, kam uns eben die etwas naive Idee, ganz unerfahren im DVD- und Filmbiz, die Sache anzugehen und bei den Fernsehsendern/Filmstudios anzufragen.
Was war eure Motivation, gibt es Vorbilder?
Vorbilder hatten und haben wir keine. Höchstens Negativbilder und das soll keineswegs arrogant klingen. Aber da ich neben der Musikverrücktheit ein absoluter Film-Junkie bin, ärgere ich mich stets aufs Neue, wenn mir persönlich wichtige Filme einfach lieblos, ohne Bezug zu den Werken, auf DVD geklatscht werden von den gängigen Majorslabels. Gerade bei dem so-called "unterschlagenen Film", speziell bei Horrorfilmen ist das seit Jahren ja leider gängige Praxis. Kurzum, die Motivation war eigentlich, Filme rauszubringen, die wir als Konsument und "Fan" gerne selber im Schrank hätten. Und wir dachten, vielleicht sind wir ja nicht die Einzigen, die "Made in Britain", "Verlierer" und co. lieben und schätzen ... Daraus resultiert wohl auch, dass wir der DVD-Ausstattung mit Bonusfilmen und so weiter auch immer sehr viel Aufmerksamkeit widmen und mit unserer persönlichen Note versehen. Seien es die Booklets, mit Hintergrundinfos, Essays, Recherchen, oder das Bonusmaterial, mit eigenen Filmdrehs und so weiter. Wir können zwar sicherlich nicht mit den Majors mithalten und all ihrem Budget sowie technischen Möglichkeiten, versuchen das aber eben dadurch zu kompensieren. Ein Film erzählt ja nicht nur auf dem Stück Zelluloid eine Geschichte und es ist einfach ein sehr geiles Gefühl, wenn man (nicht nur) seine Jugendzeit wieder hervorholt und die Geschichte eines Films im "real life" lebendig macht. Hat der Darsteller/Regisseur XY wirklich nur eine Rolle/Story gespielt/geschrieben oder inwiefern hat(te) er wirklich einen Bezug zur Punkszene und seinem gespielten Filmcharakter? All das gehört für uns dazu und gibt uns neue Motivation für diese ganze Plackerei um den eigentlichen Film herum.
Nach welchen Kriterien entscheidet ihr euch für eine Band? Mir scheint, dass ist bei euch vor allem eine Frage der Freundschaft und Sympathie ist.
Ja, das ist eigentlich schon genau auf den Punkt gebracht der Hauptgrund. Da wir das Label nebenberuflich machen, unser geregeltes Einkommen haben und nicht davon leben wollen und müssen, entscheiden wir eigentlich nur danach, was uns persönlich gefällt und nicht aus finanziellen Aspekten oder gar Gewinnerwartungen heraus. Von der DVD-Schiene wird eben, wenn es kein Flop wird, das Geld in die Musiksparte investiert, gerade auch mit dem Schwerpunkt auf Band-Debüts. Die Musik muss uns gefallen, aber auch die Sympathie zur Band und ihren Mitgliedern muss stimmen. Da gibt es also keine bestimmte Musikrichtung, an der wir uns orientieren, das fände ich auch langweilig. Von Punk, Ska bis Hardcore ist da alles möglich, sogar Thrash Metal, haha, wie demnächst bei Violent Force, die wir durch unsere "Verlierer"-Drehs kennen und schätzen gelernt haben. Eben "the whole wild world of subcultures" Wobei ich zugeben muss, dass uns manchmal gerade auch "heiße Eisen" reizen, oder Dinge, die man eben nicht erwartet. Wir leben privat in keiner Schublade oder eingeengten Szenekultur und das wollen wir auch auf unsere Veröffentlichungen übertragen. Aber ohne gegenseitige Sympathie kann eine Band noch so genial sein, das reizt uns nicht. Ich muss tagtäglich wie Sunny genug Kompromisse im eigentlichen Beruf eingehen, beim Umgang mit Menschen, die mir zuwider sind, warum sollten wir uns das bei unserem Label antun?
Interessanterweise seid ihr ja das einzige deutsche Punk-Videolabel. Wie kamt ihr mit diesem Aspekt der Musik in Berührung?
Ein reines Punk-Videolabel sind wir ja schon seit längerem nicht mehr, aber der Focus liegt, neben Musikproduktionen und einigen anderen Ausflügen wie unsere eigenen Festivals oder die Buchveröffentlichungen, ganz klar auch weiterhin auf Films & concerts on DVD. Wir hören seit frühester Jugend schon diese Musik von Punk, Ska, Oi! bis Psycho und sind auch, ohne einen Iro oder eine Glatze zu haben, seit 20 Jahren in der Szene - bei mir mit Unterbrechung. Das ist eben auch ein weiterer Motivationsaspekt ... Mit 15 hörte man zum Beispiel mit einer Palette Bier und Kassettenrecorder bewaffnet Sachen wie Pöbel & Gesocks, und heute macht man diese Bands auf seinem Label ...
Ist das Videobusiness nicht ein ganz anderes als das Tonträgergeschäft? Ich denke, da geht nichts mit Handschlag, sondern da hat man es mit großen Firmen, Anwälten und so weiter zu tun?
Das ist total verschieden, aber in der Regel ist das schon eine ganz andere Kiste. Nix mit Handschlag, stattdessen 60-seitige Verträge, teils auf englisch, mit all diesem Zeugs von Masternutzungs-, Synchro- und Urheberrechten bis hin zur MPAA, FSK, Einschränkungen und Releasebedingungen, Tantiemenbestandteilen ... das würde hier den Rahmen sprengen und soll genügen. Anwälte beauftragen wir damit nicht. In vielen Fällen verhandelst du ja mit Leuten, die auf einem Riesenfilmkontingent aller Genres sitzen und keinen Bezug zur Szene oder den Filmen haben. Denen ist es in der Regel egal, ob du ein kleines D.I.Y.-Label aus dieser Subkultur bist oder die Intention hast, einen Filmbeitrag gegen Faschismus zu veröffentlichen ... Filmstudios eben, die teilweise gar nicht wissen, dass diese Produktionen noch in ihrem Kontingent sind oder die Dinger in ihren Archiven seit Jahrzehnten vergammeln. Aber auch hier gibt es sehr erfreuliche Ausnahmen und du lernst Leute kennen wie zum Beispiel "Skinhead Attitude"-Regisseur Daniel Schweizer, Ole von Cameo Film oder "Mücke"-Mario Irrek, die es gut finden und schätzen, was man macht, ohne primär den finanziellen Aspekt im Auge zu haben. Das ist auch immer eine Frage der Glaubwürdigkeit und man erkennt dann recht schnell, welche Leute wirklich fernab von Mainstream und Kohle zu ihren Werken stehen und ein Interesse an dieser Szene haben.
Beschreibt mal, wie man sich das Vorgehen von der Idee bis zur fertigen DVD vorstellen muss. Ich denke, etwa zu "Made in Britain" habt ihr da doch sicher was zu erzählen?
Huh ... das sind teilweise Storys, mit denen man einen Spielfilm spannend gestalten könnte. Ich versuche mich kurz zu fassen. Meist ist das richtige Detektivarbeit, von Internetrecherche bis zu ellenlangen Telefonaten und Mailverkehr. Es gibt keine zentrale Stelle, die Rechte- und Lizenzinhaber auflistet. Und selbst, wenn du diese ausfindig gemacht hast, heißt das noch lange nicht, dass du automatisch die richtige Stelle für Film-Master oder den Ton erwischt hast. Bei "Made in Britain" sind wir mit dem Studio in England in Kontakt getreten, nachdem wir über den damals ausstrahlenden englischen TV-Sender endlich den Hinweis bekamen. Die Verhandlungen begannen und erst mal platzte der Traum, aufgrund der für uns unbezahlbaren Tantiemen. Mit der Zeit konnten wir uns mit dem Studio auf einen Kompromiss bei den Tantiemenmodalitäten einigen und kratzten all unsere Ersparnisse zusammen. Damit hatten wir zwar das englische Master, aber den deutschen Ton hatten wir noch lange nicht. Der Film wurde mal mit deutscher Synchro im Fernsehen ausgestrahlt, danach nur noch zweimal mit deutschen Untertiteln. Von dieser deutschen Tonfassung hatte ich noch eine alte VHS-Fernsehaufnahme. Der sehr naive Plan war es nun, einfach den Ton zu nehmen und digital von einem Studio bearbeiten zu lassen. Rein technisch wäre das auch mit einigermaßen akzeptablem Ergebnis möglich gewesen, aber dann hätten wir einen Bootleg auf den markt geschmissen. Also mussten wir noch die deutschen Synchrorechte erwerben, was finanziell überhaupt nicht eingeplant war. Über die Credits am Ende des Filmes sind wir dann nach zig Sackgassen beim Fernsehen und den Rundfunkanstalten der ARD an den verantwortlichen Produzenten gekommen und haben ihm als letzten Ausweg auf den Anrufbeantworter gesprochen. Nach ein paar Tagen rief er tatsächlich zurück, erzählte uns interessante Anekdoten über die damalige Synchronisation und gab uns die Produktionsnummer und wichtige Hinweise, mit denen wir dann noch mal gezielt beim NDR anfragen konnten. Nachdem wir auch diese Rechte erworben hatten und der NDR doch noch in den Archiven ein altes MAZ-Band fand, hatten wir auch den qualitativ besterhaltenen Ton und konnten loslegen. Eine schulfassung wurde in England bei der BBC auch noch gefunden und das war dann unsere erste DVD - zwar mit schlechtem DVD-Menü, weil kein Geld mehr da war, aber wir hatten es geschafft!
Haben denn die Rechteinhaber, etwa von "Verlierer", kein eigenes Interesse an der Verwertung per DVD gezeigt?
Der Film war total in der Versenkung verschwunden. Die Rechte lagen ja beim ZDF, und Fernsehanstalten bringen selbst keine DVD-Releases raus, außer sie haben Gesellschaften dazu im Konzern, die diese Aufgabe übernehmen. Da werden aber bei dem riesigen Programmfundus eher Neueres oder sichere Publikumslieblinge wiederveröffentlicht, siehe diesen Trend zur TV-Serien-Ausschlachtung auf DVD derzeit. Für Punk und ähnliche Nischenprodukte gibt es Spezialanbieter. Mich persönlich hat bei "Verlierer" allerdings auch gewundert, dass bei so renommierten Namen wie Ralf Richter oder Campino dieser Film überhaupt nie im Fokus war. Dazu eine kuriose Geschichte am Rande: Während von uns monatelang mit der ZDF-Abteilung geklärt wurde, ob eine DVD-Auswertung überhaupt rechtlich machbar oder ein Master nutzbar ist, und wir die Vertragsverhandlungen führten, wurden auch andere DVD-Labels auf das Ding aufmerksam. Eines Tages kam dann ein verwunderter Anruf vom ZDF, dass es plötzlich zwei weitere Anfragen gibt, wo sich doch 20 Jahre lang niemand für eine VHS- oder jetzt DVD-Auswertung interessiert hätte. Plötzlich kam dann auch ein weiterer Punk-Film, "Sid & Nancy", auf DVD heraus, den wir hatten rausbringen wollen. Anscheinend haben wir da was in Gang gesetzt ... und einige Mainstream-Firmen haben bemerkt, dass man unter Umständen mit Punk doch einen Euro verdienen könnte, aber so ist das ja immer im Leben. "Sid & Nancy" kam dann wie üblich lieblos, ohne Bonusmaterial, nur mit deutscher Tonspur und sehr bescheidener Aufmachung raus, wenn ich mir die Bemerkung gestatten darf. Es ist müßig darüber zu spekulieren, ob wir das besser hingekriegt hätten, wir hätten uns aber sicherlich mehr Mühe gegeben ...
Speziell "Verlierer" war ja wohl bisher eure wichtigste Veröffentlichung. Erzählt mal was dazu.
Der Film spielt ja in unserer Heimat, dem Ruhrpott und speziell auch in Mülheim und Essen, wo wir selber aufwuchsen. Eine einfache DVD nur mit dem Film kam damit nicht in Frage! Wir wollten mehr über den Film rauskriegen und erlebten damit quasi auch ein Déjà-vu. Wie ist es, 20 jahre später die Beteiligten aus der damaligen Szene wieder zu treffen, ihre Sicht der Dinge über Punk, Heavy, den Film an sich und ihren Werdegang bis heute zu analysieren? Die Darsteller des Filmes waren ja zu neunzig Prozent alles Laien aus der Punk-, Heavy- und Psychoszene. Also starteten wir einen Aufruf über Szeneforen, Magazine und unter unseren Bekannten. Es gab bis auf das Filmmaster keinerlei Material zum Film. Die Resonanz war überwältigend: Mails, Anrufe, Hinweise und viele Beteiligte meldeten sich. Wir planten das Projekt neu, weil es jeglichen Rahmen sprengte und verschoben den Veröffentlichungstermin. Man reiste nach Berlin, um mit Mario Irrek , dem Mücke aus "Verlierer", um die Häuser zu ziehen, ließ die alten "Ratinger Hof"-Zeiten mit Türsteher Aram noch mal Revue passieren ... Andrew von triggerfish.de überließ uns Bonusmaterial von seiner Band ... Psychobillies aus Oberhausen, die Velberter/Ratinger Heavyszene um Violent Force ließen die "Sharks & Rats" wieder auferstehen ... einfach unglaublich, welche Eigendynamik entstand! Auf Dachböden wurden von uns Filmrequisiten aus alten Nachlässen der leider Verstorbenen wieder gefunden, das Originaldrehbuch tauchte durch Mario wieder auf, sogar die alten Gangabzeichen konnten wir nachmachen lassen. Als dann noch Mille von Kreator und Tom Angelripper von Sodom spontan und ohne finanzielle Interessen mitmachten und so mancher Dreh zur ungeplanten Party geriet, wurde einem erstmal bewusst, was "Verlierer" für die damalige Zeit und auch für uns eigentlich bedeutet hat. Der Film mag von der Story her heutzutage ein müdes Lächeln erzeugen, aber die Darsteller sind wirklich so gewesen und das waren keine erfundene Rollen. Sie waren so und sind es zum Großteil bis heute! Aus einem Film wurden somit vier Stunden Bonusmaterial mit einem 50-Seiten-Buch, Freundschaften entstanden und es war all die Mühe, Kohle und Plackerei wert. Es gibt sie noch da draußen, Leute, die ihre Roots nicht vergessen haben! "Verlierer" beweist das in jeder Sekunde. Für mich die schönste Erfahrung bislang mit unserem Label.
Ist das DVD-Geschäft kapitalintensiver als das CD-Geschäft?
Ja, um einiges und natürlich gerade bei Spielfilmen. Von den reinen Presskosten tut sich da nicht so extrem viel, aber das macht auch nur einen kleinen Bruchteil der Kosten aus. Die Filmlizenzen an sich, eventuell Drittbeteiligungen, gesonderte Musik-/Synchrorechte, DVD-Authoring-Kosten mit der Programmierung der Menüs bis hin zur Restaurierung, Filmtransfer oder Untertitelung - das sind die eigentlichen Brecher. Das ist von Fall zu Fall natürlich verschieden, je nach dem, was man für Ausgangsmaterial hat und wie die Verhandlungen mit Film-Majors, Fernsehanstalten etc. laufen. Bei "Made in Britain" beispielsweise gab es die deutsche Tonspur nur noch als uraltes MAZ-Band beim NDR, unser geplantes Kapital ging damals allein für die Restaurierung und Rettung dieses Tons drauf. Dafür kann man sicher sein, dass dieser Film nie wieder auf Deutsch erscheinen wird, denn das Band konnte nur einmal ausgelesen werden, hehe. Meistens kann man so Brocken wie "Suburbia" oder "Verlierer" aber nur mit gestückelten Lizenzdeals tragen, das heißt eine Garantiesumme und der Rest über Beteiligung. Das ist leider auch der Grund, warum unsere DVDs im Verhältnis sehr teuer sind. Es ist eine überschaubare Marktnische mit kleinen Auflagen im Vergleich zum "großen" Filmmarkt. Im Durchschnitt circa zehn CD-Produktionen inklusive ordentlichem Studio machen ungefähr das Kaliber von "Verlierer" aus ... und 45 Sekunden Musik einer nicht unbekannten deutschen "Punk"-Band in diesem Film kosteten an Lizenzen insgesamt 1.500 Euro für Verlag und Plattenfirma, GEMA-Kosten nicht eingerechnet. Wir haben in diesem Film wirklich fast alles reingesteckt, was wir im Laufe der zwei Jahre erwirtschaftet hatten, weswegen "Verlierer" vielleicht, wie du sagst, unsere "wichtigste Veröffentlichung" war, aber bestimmt nicht unsere finanziell erfolgreichste ... im Gegenteil, haha! Rein rechnerisch floppt das Ding derzeit noch. Wohlgemerkt, wir reden hier von Spielfilmen und Dokus, nicht von Band-DVDs à la "zwei alte Meteors-Konzerte von VHS auf DVD klatschen", das kann jeder günstig raushauen! Die wirklich grandiose Slime-Doppel-DVD dagegen, mit fettem Booklet und Ausführung, kostete aber bestimmt wieder einiges mehr ...
Was macht für euch den Reiz von "Punk-Filmen" aus? Was macht einen Film zum "Punk-Film"?
Ich finde, das kann man nicht eindeutig definieren. Jedenfalls, salopp gesagt, nicht nur, ob in einem Film ein Iro vorkommt oder die Subkultur thematisch angeschnitten wird. Sind die avantgardistisch-experimentellen Underground-Violence-Hardcore-Werke von Richard Kern noch Punk-Movies, nur weil er aus der New Yorker Szene kam und zum Beispiel Henry Rollins in einem Film mitspielt? Ist eine schwer erträgliche Klamotte wie "Dudes - die Wüste bebt" ein Punk-Film, nur weil zwei Punks in einem unlustigen Roadmovie durch die Gegend ziehen und ihre Abenteuer erleben? Das muss jeder für sich entscheiden. Für mich ist zum Beispiel auch "The Outsiders" oder "Rumble Fish" ein Punk-Film, obwohl es zu der Zeit, in der sie spielen, noch gar keine Punks gab und die Jugendlichen sich "Greaser" und "Socks" nannten. Diese Wut, die rebellisch-unangepasste Atmosphäre, die Dramatik und Porträtierung der "Andersartigkeit" gegenüber der Gesellschaft ist für mich jedenfalls eindeutig Punk.
Mir scheint, die späten Siebziger und Achtziger waren die wichtigste Zeit für solche Filme. Warum?
Ich denke, das ist ähnlich wie bei der Musik und hat damit zu tun, dass diese Subkulturen damals völlig überraschend die Gesellschaft überrollten. Der übliche sensationsgeile, Boulevardjournalismus stellte Punk mit der üblichen Medienhetze und dem Unverständnis für Jugendbewegungen an den Pranger. Nachdem die Musikfilmwelle mit "Grease", "Xanadou" und "Saturday Night Fever" die Jugendtrends in bester Hollywoodmanier als seichte Unterhaltung thematisch aufgegriffen hatte, kam dieses neue Ding aus England. Es war wütend, hatte eine Message und eine offensichtliche Ablehnung gegenüber der Society, die allgemein schockierte. Also fing man an, dieses neue Thema aus den verschiedensten Perspektiven filmisch zu verarbeiten. Mal ernsthaft in Reportagen oder "authentischen Filmen", mal angelehnt an Screwball-Comedies wie "Porky?s" oder "Eis am Stiel", jetzt eben mit Punks wie bei "Rock?n?Roll Highschool". Diese teilweise naive und ernste Herangehensweise durch alle Genres war damals noch erfrischend und vor allem erfolgreich. Der Punk an der Ecke mit der Ratte auf der Schulter hat den Spießer noch dazu bewegt, die Straßenseite zu wechseln. Punk hat in Filmen wie "Richy Guitar" oder "Rock?n?Roll Highschool" zugleich aber auch Spaß gemacht und den Zeitgeist treffend banal persifliert, nicht verbissen oder mit Klischees und Dogmen überfüttert wie heute. Die Leute sahen das Ding im Kino, es hat Spaß gemacht und sie haben sich in den einfachen Geschichten wieder erkannt und bestimmt hat sich so mancher mit Punk infiziert. Dieser Spaß - und weniger das Politisieren der ganzen Strömungen unserer Szene und ihrer Grabenkämpfe - war es, der die Leute "verführt" hat, auch zu provozieren, einfach ihr Ding zu machen oder sich gegen das Elternhaus aufzulehnen. Es war eben neu und es ging eine Faszination von dem Thema aus. 20 Jahre später ist der Punk in den meisten Produktionen nur noch eine auf ein bestimmtes Klischee abonnierte Rolle ... "Future-punk-alike"-Bösewichter in diesen "Mad Max"-Dingern, ein Außenseiter hat im Film eben "anarchistisch" auszusehen, und MTV & Co mit all diesen Gehype, haben diesen subkulturellen Phänomenen jeglichen Reiz genommen, um noch filmisch betrachtet zu werden. "Jackass"-Schwachsinn, eine MTV-Serie namens "Punk?d" ... alles cool und trendy! Ich frage mich jedes Mal, wenn ich da reinzappe, was diese Soap-Scheiße soll? Zum Glück gibt es aber noch den Underground oder am Thema interessierte, meist junge Filmemacher, die sich dem Thema Punk widmen.
Warum haben heutige Musikfilme irgendwie nicht mehr den Charme der damaligen Movies?
Ich glaube bei all der Technikverliebtheit und den überproduzierten Standards, den heutigen, fast für Jedermann erschwinglichen Möglichkeiten, setzen die Filmemacher mehr den Fokus auf Dolby Digital Surround, zig Kameras, den hundertsten "hippen" Spezialeffekt und versuchen sich mit Bombast-Langweilereien gegenseitig zu überbieten. Dabei bleiben, meiner Meinung nach, Story, Atmosphäre und auch so eine Art "Seele" des Films auf der Strecke. Also für mich persönlich eben das, was einen guten Musikfilm oder ein gefilmtes Live-Konzert ausmacht. Wenn du auf ein Punkkonzert gehst, interessiert zwar auch der Sound, aber primär willst du doch die rotzige, dirty Atmosphäre bei einer wilden Party erleben - diese Energie, laut, rebellisch ... Keine sterile Inszenierung, sondern eine Band, die da vorne alles gibt und wo du inmitten des Mobs eben eine gute Zeit hast. It?s real - it?s magic! Diesem Ganzen gilt heutzutage bei den Filmumsetzungen gar nicht mehr das Interesse und diese Dinger sind so "fuckin? boring"! Hier mal ein Solo in Nahaufnahme, stylisch perfekt, dort perfektes Posing, zum Takt geschnitten. Da ist mir eine Wackelkamera, nur draufgehalten, hundertmal lieber.
Gibt es außer Kung Fu eures Wissens nach noch andere Punk- Filmproduktionsfirmen? Eigentlich müsste man in Zeiten billiger Digitalvideokameras und bezahlbarer Schnitttechnik doch mit viel mehr solchen Spielfilmproduktionen aus der Szene rechnen.
Kung Fu produziert und filmt ja für ihre eigenen Bands. Die "Spielfilme" sind dann auch mehr ein ohne große Handlungsstränge konstruierter Rahmen für ihre Band- und Konzertpräsentationen mit Extrem-Trash-Faktor und sehr eigenwilligen Humor, was grundsätzlich nicht abwertend gemeint ist. Jedem das seine! Eine ähnliche Schiene fährt Doug Bradley mit Backseat Conceptions und seinen "Punk Rock Holocaust"-Filmen. Splatter-Trash mit hohem Punkrock-Faktor. Da haben auch die Troma-Leute ihre Finger drin, deren Trash-Perlen wie "Atomic Hero" oder "Tromea & Juliet" auch etwas "punkiges" an sich haben ... Excursion Records aus Seattle von Dave Larson zum Beispiel ist/war ein großartiges Label für D.I.Y./Underground-Movies. Neben den von uns lizenzierten "The Edge of Quarrel" gibts da noch so einige Perlen zu entdecken wie "Godmoney", "For The Cash" - eine großartige Rock?n?Roll-Action-Comedy -, "Moshbot - The Bloodening" - lange vor diesem "Jackass"-Shit zeigt diese HC-Doku von stagediving, treediving oder storemoshing, was wirklich "cool" war, rein aus fun und nicht kommerz - und so weiter ... Neben dem "old videos to DVD"-Transfer-Label Cherry Red/UK mit ihrem großen Programm gibt es eigentlich wenige rein auf Punk-Movies spezialisierte Labels oder Studios. Ab und an kommen aber auch heute interessante Projekte von Szeneleuten zutage, wie zum Beispiel derzeit ein neuer Skinhead-Film "This Is England" von Shane Meadows, oder diese Fortsetzung von "Oi!-Warning". Wer?s denn unbedingt haben muss ...
Was sind für euch die drei wichtigsten Punk-Filme?
Eindeutig "The great Rock?n?Roll Swindle", "Suburbia" und als Vorläufer gleichzeitig mein Alltime-Favorit: Coppolas "The Outsiders" - großartig und unerreicht bis heute!
Was habt ihr für Releases für diese Jahr geplant?
An Dokumentationen gibt es einen weiteren Film von Daniel Schweizer namens "White Terror". Nach "Skinhead Attitude" betrachtet der Regisseur nun weltweit das Netzwerk von Neonazis und Rechtsextremen. Ausgangspunkt des Filmes ist ein "Kriegsberichter-Video", welches Schweizer bei den Dreharbeiten zu "Skinhead Attitude" in die Hände fiel. Diese kranke, menschenverachtende Scheiße zieht sich wie ein roter Faden durch den Film und zeigt Länder übergreifende Machenschaften auf, rechte Protagonisten und ihre traurigen Auswüchse, von Parteien bis hin zu unserer Szene. Ein sehr wichtiger Film, wie wir finden, weswegen wir auch den Deutschlanddreh mit Szenebeteiligten der Gegenseite gemanagt haben. An Spielfilmen gibt es "Ultra - Blutiger Sonntag", den damals ersten Spielfilm zum Thema "Hooligan". Und "Punkrock-Massaker" letztlich, der hat im Original diesen beschissenen Namen "Punkrock Holocaust", als Hommage an Splatter-Movies wie "Cannibal Holocaust". Das ist eine extrem trashige Trash-Splatter-Comedy. Auf der Vans Warped-Tour tötet ein "Jason"-Verschnitt alle Bands und ein Großteil des Publikums mit sehr bizarren Methoden ... Hirn abschalten und Spaß haben, wenn Acts wie Rancid, Horrorpops oder Dropkick Murphys in bester "Brain Dead"-Tradition dran glauben müssen. Und dann steht ja noch immer unsere "No Future"-Szenedokumentation an, für die wir seit zwei Jahren bislang über 60 Bands gefilmt haben, sowie Band-DVDs von Verlorene jungs, Troopers oder Hotknives. Mal sehen, wie alles zeitlich hinhaut ...
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #65 April/Mai 2006 und
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #65 April/Mai 2006 und Joachim Hiller
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #66 Juni/Juli 2006 und
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #66 Juni/Juli 2006 und
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #66 Juni/Juli 2006 und Joachim Hiller
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #66 Juni/Juli 2006 und Joachim Hiller