„Mann, ist das schön hier! So stelle ich mir Deutschland vor“, sagt Domenic Palermo, als er mit seinem Kollegen Brendan vor dem Auftritt durch das beschauliche Münster läuft. Domenic hat schon einiges mitgemacht im Leben. Nach einer Schlägerei saß er zwei Jahre im Gefängnis (unschuldig, wie er selber sagt) und nahm danach eine mehrjährige Auszeit von der Musik. 2010 gründete er dann NOTHING. Im Frühjahr 2016 erschien mit „Tired Of Tomorrow“ auf Relapse das zweite Album der Band aus Philadelphia.
Mit 35 Auftritten in 37 Tagen habt ihr hier in Europa ein strammes Programm. Das erste Viertel ist mittlerweile rum. Wie lief es bisher?
Domenic: Ich hatte gestern in Köln ein unwirkliches Erlebnis. Nach unserem Konzert im Underground kam jemand auf mich zu, der kein Geld für unsere LP hatte und mir stattdessen Speed und verschiedene Opiate anbot. Da konnte ich nicht nein sagen und habe die ganze Nacht nicht geschlafen. Die Wirkung hält immer noch an.
Und bei dir, Brendan?
Brendan: Ich habe nichts genommen, dafür aber nach acht Tagen zum ersten Mal wieder geduscht. Fühlt sich gut an.
Ihr tragt beide ein OASIS T-Shirt. Ist das ein Zufall?
Domenic: Muss wohl so sein. Brendan trägt seins seit Beginn der Tour. Und mir sind die sauberen T-Shirts ebenfalls seit ein paar Tagen ausgegangen. So was passiert.
Was mir an euch so gefällt, ist die Tatsache, dass ihr als Band nur sehr schwer einzuordnen seid. Ihr passt in keine der gängigen Schubladen.
Domenic: Das stimmt. Es gibt momentan keine andere Band, die etwas Vergleichbares macht wie wir. Einige fangen sogar an, uns nachzuahmen, besonders jetzt, da unser zweites Album erschienen ist. Unsere Einflüsse reichen zurück bis in die Achtziger, stammen aber auch aus den Neunzigern, als noch was abging. Rockmusik heute ist für mich klinisch tot. Wir versuchen, ihr wieder ein wenig Leben einzuhauchen.
Ich werdet häufig mit Bands wie RIDE oder MY BLOODY VALENTINE verglichen, zu Recht, wie ich finde. Was dabei aber manchmal außer Acht gelassen wird, ist euer Hardcore-Einfluss.
Brendan: Die Vergleiche mit den ganzen Shoegaze-Bands hauen schon hin. Wir sind allerdings deutlich aggressiver, was mit unserer Vergangenheit zu tun hat. Außerdem geht es bei unseren Konzerten mehr zur Sache, so dass auch Leute aus dem Hardcore etwas mit uns anfangen können. Und das, obwohl wir recht melodisch sind.
Domenic: Unsere Ursprünge liegen im Hardcore, was uns von diesen ganzen angesagten, aber im Grunde genommen drögen Bands deutlich unterscheidet. Die Gegend von Philadelphia, in der wir aufgewachsen sind, war geprägt von Aggression und Angst. Das färbt ab, das kann man nicht einfach abschütteln. Auch wenn unsere Musik mitunter etwas softer rüberkommt, kann man immer diese Energie und diese Wucht spüren, die uns antreibt.
Euer Sound wird stets als sehr düster und nihilistisch beschrieben. Der Bandname und der aktuelle Albumtitel „Tired Of Tomorrow“ tun da ihr Übriges. Ihr als Typen macht aber überhaupt keinen depressiven Eindruck. Wo kommt all diese Traurigkeit her?
Domenic: Über die Jahre sind wir ziemlich abgebrüht geworden, das hat uns mit einem dicken Fell ausgestattet, denn jeder von uns in der Band hat schreckliche Sachen mitgemacht in seinem Leben. Trotzdem hat keiner sich eine Kugel durch den Kopf gejagt oder sich am nächsten Baum aufgehängt. Wir sind so, wie wir sind. So ist das einfach.
Das trifft auf dich in besonderem Maße zu, Domenic. Kurz vor den Aufnahmen zum aktuellen Album wurdest du brutal zusammengeschlagen.
Domenic: Fünf Typen prügelten auf mich ein. Ich lag dann mehrere Tage im Krankenhaus. Das ist aber keine neue Erfahrung für mich, sondern passt zu einer ganzen Reihe von Sachen, die mir widerfahren sind. Manchmal passiert viele Jahre nichts und dann trifft’s dich auf einmal. Jetzt war es wieder einmal soweit, möchte ich fast sagen. Ich habe aber schon schlimmere Sachen erlebt. Mein Leben ist halt so.
Welche Rolle für euren Sound spielt die Tatsache, dass ihr aus Philadelphia kommt, einer Stadt mit großen Problemen?
Brendan: Du hast vollkommen recht. Philadelphia stagniert; jeder kümmert sich nur noch um sich selbst. Das ist deprimierend und zieht einen runter und wirkt sich entsprechend auf unsere Musik aus. Hinzu kommt, dass wir uns alles erkämpfen mussten. Zu unseren ersten Konzerten in Philly kamen ausschließlich unsere Freunde. Der Rest ignorierte uns. Überall sonst lief es besser als in unserer Heimatstadt.
Domenic: Es ist schon ironisch, dass Philadelphia auch als „City of Brotherly Love“ bezeichnet wird. Mit Bruderliebe ist da nicht viel. Stattdessen gilt der Grundsatz: „Wenn ich es nicht haben kann, kannst du es auch nicht haben.“ Das gilt gerade auch für die dortige Musikszene. Um Morrissey zu zitieren: „Wir hassen es, wenn unsere Freunde erfolgreich werden.“ Genauso läuft es in Philadelphia. Als wir bekannter wurden, gab es für uns keinerlei Support. Auf unserer letzten Tournee spielten wir in einem großen Club in Philly und verkauften ihn mit 1.200 Leuten aus. Das war sozusagen unser kleiner Triumph und gab uns das Gefühl, von niemandem aufgehalten werden zu können. Diese Leute gibt es aber in Philadelphia.
Ihr seid auf Relapse, einem Label, das für seine extremen Metalbands bekannt ist. Wie passt ihr Softies da rein?
Domenic: Vorsicht, mein Freund! Wir sind die härteste unter den harten Bands, keine Frage. Niemand kann es mit uns aufnehmen. Wie du vorhin schon gesagt hast: Wir sind nur sehr schwer einzuordnen. Wir machen unser eigenes Ding und wollen immer noch besser werden und der Welt da draußen die beste Musik geben, die es gibt.
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