Während die meisten Leute eher über die SEX PISTOLS, die RAMONES oder THE CLASH zum Punkrock gekommen sind, so bin ich über´s Skateboardfahren und MILLENCOLIN zu der wilden und verruchten Assel geworden, die ich heute bin (Na, beeindruckt!). Während ich das Rollbrett aufgrund mangelnden Talents und Geld für Ersatzteile nur noch selten malträtieren kann, vertiefte sich meine Beziehung zu Punk immer mehr. MILLENCOLIN ist die Band, die trotz Veränderung meines Musikgeschmacks (im Punkbereich) immer meine Lieblingsband blieb... und bei deren Konzert mir das erste Mal die Kniescheibe rausflog. Da ich mich jetzt schon auf die bevorstehende Tour freue, nahm ich die Gelegenheit wahr, sie auf ihrer Promotour zum neuen Album "Home from Home" in Köln zu besuchen und ihnen meine Fragen zu stellen.
Euer neues Album wurde ja als das härteste MILLENCOLIN-Album beschrieben. Könnt ihr mir sagen warum? Als ich es hörte, empfand ich es eher als langsam und rockig. Es ist ja fast ein komplett anderer Sound.
Erik: Ja schon, aber wenn du z.B. den Song "Kemp" hörst, wirst du merken, dass er härter ist, als alle anderen Lieder, die wir jemals aufgenommen haben. Natürlich haben wir auch ruhigere Lieder und welche, die mehr Punkrock sind wie z.B. "Home from Home". Nikolas Gesang ist viel aggressiver geworden. Ich finde, dass im Album viel mehr Energie steckt.
Ich habe gehört, dass ihr für das vorherige Album "Pennybridge Pioneers" über 40 Songs geschrieben habt. Wieviele habt ihr denn für "Home from Home" geschrieben?
Erik: Wir haben nicht wirklich 40 Songs für das vorherige Album geschrieben, sondern wir hatten sehr viele Ideen dafür gehabt. Wenn wir die alle zusammengeschmissen hätten, hätten aber locker 40 Songs daraus entstehen können. Aber wie gesagt, das waren alles nur Ideen, wie z.B. Gitarrenriffs oder so, und die wurden nie aufgenommen. Wir haben nur 16 Songs aufgenommen und von denen kamen 14 auf "Pennybridge Pioneers”. Für unser neues Album haben wir 17 Songs eingespielt.
Ihr habt ja Texte, die wie aus dem Leben gegriffen sind. Verarbeitet ihr denn auch eigene Erfahrungen mit eurer Musik?
Nikola: Manchmal schon, aber dieses Mal trifft es nicht zu. Es geht nicht um mich bei den Liedern. Ich hatte eine schöne Zeit in der Schule, allerdings habe ich Freunde, die es nicht gerade leicht hatten bzw. haben. Manche Lieder sind dann halt für oder über bestimmte Leute geschrieben.
Nikola, du hast ja viele Lieder, bevor sie aufgenommen wurden, auf einer Akustik-Gitarre geschrieben.
Nikola: Ja genau. Jeden Song, den ich schreibe, spiele ich generell als erstes auf einer Akustik-Gitarre. Vor unserem letzten Album bin ich in das Studio von Matthias gegangen und habe die Grundideen der Songs alleine eingespielt. Manche Lieder wie "The Ballad" klingen unplugged einfach viel besser, als wenn man sie komplett mit Band als Punk-Songs spielen würde.
Könntest du dir denn vorstellen, mal ein Soloalbum aufzunehmen?
Nikola: Natürlich! Ich habe ja schon eine Menge Lieder geschrieben und schreibe ständig neue. Es wäre allerdings etwas total anderes als MILLENCOLIN und somit eine große Herausforderung für mich. Wir als Band haben halt einen ganz anderen Sound. Es gibt aber oft Tage, wo ich überlege ins Studio zu gehen und die Lieder, die ich geschrieben habe, alleine aufzunehmen.
Ihr werdet ja auch bald wieder auf Tour sein. Wie sieht dann euer Live-Set aus? Spielt ihr dann eher die neueren Lieder?
Erik: Selbstverständlich werden wir immer einen Mix aus den Liedern unserer alten Alben spielen, aber wir probieren ebenfalls vieles von unserem neuen Album zu spielen. Ich meine, ich hasse es, wenn ich auf eine Show von einer Band gehe, mit der ich aufgewachsen bin und sie dann nur ihr neues Zeug spielen. Das nervt total. Man muss bei der Auswahl der Lieder immer variieren.
Hängen euch denn manche Lieder schon zum Halse raus?
Erik: Nein, wir spielen eigentlich alle Sachen noch gerne. Ich liebe es auf der Bühne zu stehen und dabei zuzusehen wie die Leute im Publikum abgehen. Wir spielen z.B. immer noch "Mr.Clean" und den haben wir schon mindestens 600mal gespielt. Wir mögen den Song immer noch, aber es bringt halt mehr Spaß, neuere Sachen zu spielen, als welche die man schon seit Jahren auf jedem Konzert spielt.
Was glaubt ihr denn, wie das Publikum auf die neuen, viel langsameren Sachen reagieren wird? Die meisten wollen doch auch den typischen MILLENCOLIN-Sound hören.
Nikola: Auf unserem neuen Album haben wir ja immer noch unseren melodischen Sound und die MILLENCOLIN-Vibes sind auch noch vorhanden. Unser Sound ist nur progressiver geworden. Ich hoffe, die werden die Schönheit des neuen Albums anerkennen. Es wird unser Songwriting aber nicht beeinflussen, wenn die Leute sagen würden, dass wir wieder klingen sollen wie auf "Life on a plate". Die Meinung der Leute zu dem Album interessiert uns natürlich trotzdem.
Erik: Ich denke, die neuen Sachen werden sich live viel besser anhören als die schnellen Songs. Live steckt bei den alten Songs einfach nicht so viel dahinter. Sie sind einfach nur schnell.
Too old for the moshpit?
Nikola: Ich meine, dass man sich weiterentwickelt, liegt doch in der Natur des Menschen. Wir wollten halt etwas machen, was sich von den alten Sachen unterscheidet und nicht perspektivlos ins Studio gehen, um nochmal dasselbe zu machen. Das neue Album wird man sich sicherlich öfter anhören müssen, und das ist ein gutes Zeichen. Die Alben, die ich sehr gerne mag, sind die, die ich mir zehnmal anhören muss, um einen gewissen Eindruck zu kriegen.
Erik: Wir haben uns nie an den neuesten Trends orientiert und gesagt, dass das Album jetzt so oder so klingen muss. Die Leute die z.B. nur Sachen wie vom "Life on a plate"-Album mochten, werden vielleicht schon etwas irritert sein, aber wir machen uns eigentlich keine Sorgen darüber. Wenn sie es nicht mögen, ist das ja nicht unser Problem.
Schliesst ihr denn generell aus, nochmal ein Melodicpunk-Album mit Ska-Einfluss aufzunehmen?
Nikola: Uns beeinflussen zur Zeit ganz andere Sachen. Vielleicht irgendwann mal, aber im Moment scheint das eher unwahrscheinlich.
Erik: Wir könnten auch nicht mehr so ein gutes Album mit dem Sound machen wie früher.
Gab es eigentlich einen bestimmten Grund , warum eure Videos im Gegensatz zu anderen BH-Bands nicht auf MTV gezeigt werden sollten?
Erik: Das galt nur für eine bestimmte Zeit. Es lag daran, dass wir zu dieser Zeit total groß in Schweden waren. Wir waren ständig im Fernsehen und nach einiger Zeit fühlten wir uns nicht mehr richtig wohl. Wir zogen immer mehr Leute aus dem Mainstream an. Am Anfang standen bei Konzerten immer unsere Freunde in der ersten Reihe, die wurden dann aber durch kleine 14jährige Mädchen ersetzt. Als wir das erste Mal in Deutschland tourten, hatten wir noch einen richtigen Underground-Status. Wir dachten uns "Fuck Sweden" und wollten gar nicht mehr dort spielen. Später hat Epitaph uns gesignet und wir sagten, dass unsere Videos nicht auf MTV gespielt werden sollten, da uns nicht nochmal dasselbe passieren sollte.
Nikola: Damals waren wir gerade erst dabei, unsere Fanbase aufzubauen. Inzwischen ist die sehr solide, also werden wir von den Folgen, im Fernsehen gespielt zu werden, eher verschont werden.
Erik: Ich persönlich kann das meiste Zeug, was im Fernsehen gespielt wird, nicht leiden und natürlich hassen wir all die Produkte, die als Band verkauft werden wie Boygroups, Girlbands usw. Es macht einen aber sehr traurig, wenn man sieht, dass die Kinder oder Jugendlichen von so einer Scheisse beeinflusst werden. Wenn unsere Videos die Kids dazu bringen würden, ordentliche Musik zu hören, sollen sie ruhig gespielt werden, statt dieser ganzen Scheiße.
Nikola: Es kann sich sehr negativ für eine Band auswirken, wenn man als unbekannte Band auf MTV gespielt wird. Es kann dann so enden, wie es z.B. bei uns in Schweden passiert ist. Für uns ging und geht es immer nur darum, Spaß am Musik machen zu haben.
Erik: In der Zeit, in der wir nicht wollten, dass unsere Videos gespielt werden, war Punk auch noch eine absolut unkommerzielle Musik. Wir sehen uns im gewissem Masse immer noch so. Wir haben z.B. keinen Manager, ich mache das Design für unsere Alben selber, wir schreiben die Texte selber, wir probieren, alle E-Mails zu beantworten, und das bedeutet für uns unabhängig zu sein.
Apropos Kommerz: Ihr habt doch eure Songs für diverse Fernsehreklamen zur Verfügung gestellt.
Erik: Ja, "Fazil´s friend" wird in einer Werbung für Kaffee gespielt und "Fox" haben wir für eine Müsli-Werbung zur Verfügung gestellt. Wir würden unsere Lieder aber niemals für Werbung mit halbnackten Frauen hergeben und sehr viel Geld haben wir dafür auch nicht bekommen.
Würdet ihr denn selber in einem Werbespot mitspielen?
Erik: Nein, eigentlich nicht. Wenn es etwas lustiges wäre und nicht eine Reklame für einen Supermarkt. Für Bier würde ich das vielleicht machen, aber nur wenn es auch gut schmeckt.
Nikola: Wir werden ja zum Teil auch unterstützt. Die Pullis, die wir anhaben, sind von WE Clothing und das sind Freunde von uns. Wir wollen sie ja auch in gewissem Maße unterstützen und verkaufen dabei nicht unsere Seele. Die Produkte, für die wir Werbung machen würden, sollten uns gefallen.
Könnt ihr denn von der Band leben?
Erik: Ja, wir sind auch sehr glücklich darüber. Wir können seit unserem ersten Album von der Band leben, da wir ja wie vorher wie normale Leute und nicht wie Rockstars leben. Am Anfang hatten wir überhaupt kein Geld.
Nikola: Wir haben mal mehr Geld und dann verdienen wir acht Monate ein durchschnittliches Gehalt wie z.B. ein Verkäufer.
Erik: Ich kenne viele Bands, die ihr Geld kriegen und es dann innerhalb eines Monats wieder ausgegeben haben. Wir gehen aber relativ sparsam mit unserem Geld um. Es wäre aber auch unmöglich für uns, einen normalen Job zu haben. Wer würde uns denn den Urlaub geben, den wir für unsere Touren bräuchten? Okay, ich bin frei arbeitender Grafiker und mache auch Cover für andere Bands oder bearbeite Videos. Matthias hat sein eigenes Studio und produziert Bands wie BOMBSHELL ROCKS, NINE, PEEPSHOWS und ´ne Menge andere.
Erzählt mal was über die Punkszene in Schweden. Man hört ja allerlei widersprüchliches. Die einen sagen, Schweden-Punk wäre tot, die anderen, es gäbe eine grosse Crust-Szene. Und in Städten wie Umea scheint ja Straight-Edge ziemlich groß zu sein.
Erik: Als REFUSED noch existierten war die SXE-Szene sehr gross, aber inzwischen ist sie eher geschrumpft. Die Crust-Szene ist genauso groß wie jede Underground-Szene, die es gibt. Ich kenne viele jüngere Leute aus meiner Heimatstadt, die in verschiedenen Bands spielen und in Örebro ist Hardcore, Punk usw. zwar nicht groß, aber immer noch präsent.
Habt ihr eigentlich nebenbei noch andere Bands?
Erik: Nein, keine wirklichen Bands, sondern eher so ein Spaßprojekt mit Freunden. Wir nehmen ab und zu mal was auf, veröffentlichen es aber nicht. Es ist eine Punkband und wir singen auf Schwedisch.
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