MILLENCOLIN

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Zurück im Hoheits-Forst

Eine Band wie MILLENCOLIN findet man nicht alle Tage. Einerseits haben die Schweden maßgeblichen Einfluss auf die weltweite Melodic-Punk-Welle Mitte der 1990er Jahre gehabt, andererseits haben die Vier mit ihren letzten drei Alben eine respektable Entwicklung hingelegt, die über den Horizont des melodischen Punkrock hinausreicht. „Pennybridge Pioneers“ war seinerzeit ein Punkrockalbum, auf dem MILLENCOLIN erstmalig ihren Sound gefunden zu haben schienen. „Home From Home“ markierte 2002 einen Ausflug in Richtung Rock und nun, 2005, steht mit „Kingwood“ das neue MILLENCOLIN-Album in den Startlöchern. „Kingwood“ ist sehr viel besser als „Home From Home“, da das Album die Energie, die Schnelligkeit und den Spielwitz, den man auf „Home From Home“ vermisst, zurück bringt. An einem schönen Februartag weilten Bassist und Sänger Nikola Sarcevic, Gitarrist Erik Ohlsson und Drummer Fredrik Larzon im Berliner Büro von Burning Heart Records, wo ich ihnen am Nachmittag gegenüber saß, bevor sie am Abend ein gelungenes Club-DJ-Set hinlegen sollten.

Ihr macht heute Abend ein DJ-Set und ich habe das Gefühl, dass es in Schweden eine eigene Kultur geworden ist, dass Musiker sich als DJs einen Namen machen. Ist das so?

Erik:
„Stimmt, in Schweden ist da eine eigene Szene daraus geworden. Dregen von den BACKYARD BABIES macht eigene DJ-Touren, ab und zu lege ich auf. Und bei uns in Örebrö hört man immer wieder, dass jemand von den HELLACOPTERS oder von irgendeiner anderen Band kommt und auflegt. Die meisten, Dregen zum Beispiel, sind mittlerweile aber professionelle DJs, was wir nicht sind. Wir haben Spaß daran, die Musik, die uns wichtig ist, den Kids vorzustellen. Natürlich machst du dir Gedanken darüber, ob ein Song zum anderen passt. Aber davon, professionelle DJs zu sein, sind wir weit entfernt.“

Gibt es nicht bei einer sehr populären Band wie euch das Problem, dass die Leute nur MILLENCOLIN-Songs hören wollen?

Erik:
„Als Larzon und ich in Venedig auflegten, passierte das. Aber wir spielen keine MILLENCOLIN-Songs, das wäre lächerlich. Als dann in Venedig ein anderer DJ MILLENCOLIN-Songs spielte, kannten die Kids kein Halten mehr.“

Eine weitere eurer Nebentätigkeiten sind die „MILLENCOLIN Open“. Geht doch mal auf den Skatecontest ein.

Erik: „Zwei Freunde und ich haben in Örebrö einen Skatepark gegründet und aufgebaut, dem es leider von Anfang finanziell schlecht ging. Als MILLENCOLIN das zehnjährige Bandjubiläum feierten, hatten wir die Idee, einen eigenen Skatecontest in eben diesem Skatepark zu machen. So entstanden 2002 die ‚MILLENCOLIN Open‘. Der Contest lief sehr gut und wir nahmen genug Geld ein, um den Skatepark für ein Jahr zu finanzieren. Woraus wiederum die Idee entstand, dass wir jedes Jahr einen Wettbewerb veranstalten, um den Skatepark am Leben zu erhalten.“

Euer Name ist doch sicher mitverantwortlich für den Erfolg des Contests.

Erik:
„Definitiv! Einerseits hilft der Name ‚MILLENCOLIN Open‘, dass sehr viele Kids zum Contest kommen, andererseits ermöglicht der Name es, dass wir sehr viele gute Fahrer aus ganz Europa engagieren können. Was wiederum dazu beiträgt, dass mehr Leute zum Contest kommen. Außerdem begünstigt meine Mitgliedschaft bei MILLENCOLIN gute Beziehungen zu Sponsoren, was wiederum eine Einnahmequelle für unseren Skatepark bedeutet. Dieses Jahr haben die Sponsorengelder sogar gereicht, um den kompletten Park neu zu gestalten. Nach und nach gewinnt der Contest auch immer mehr an Popularität, was toll ist, denn somit kann der Skatepark vielleicht eines Tages auf eigenen Füßen stehen.“

Erik, neben den „MILLENCOLIN-Open“ und MILLENCOLIN bist du auch als Grafikdesigner tätig, oder?

Erik:
„Richtig. Ich mache alle Designs für MILLENCOLIN und Cover für einige andere Burning-Heart-Bands. Darüber hinaus arbeite ich manchmal an Musik- und Skatevideos und auch an kleinen TV-Produktionen mit, etwa einer bereits ausgestrahlten Dokumentation über die ‚MILLENCOLIN Open‘. Meine Tätigkeit als Grafikdesigner ist auch der Grund, warum ich kaum mehr Songs für MILLENCOLIN schreibe. Sehr viel meines kreativen Outputs geht in das Gestalten, was dazu führt, dass ich an den Songs nur noch mitarbeite, sie aber nicht schreibe.“

Nikola, du hast letztes Jahr eine Solo-Tour gespielt. Wie lief sie?

Nikola:[/b] „Die Tour lief sehr gut und sie war eine tolle Erfahrung. Die Konzerte bedeuteten für mich, nach 13 Jahren MILLENCOLIN etwas Neues zu machen. Versteh mich nicht falsch, MILLENCOLIN sind mir immens wichtig, daran ändert auch die Solo-Tour nichts. Es tat mir aber sehr gut, komplett andere Musik zu spielen und eine kleine Tour, die nicht so durchgeplant war wie eine MILLENCOLIN-Tour, zu fahren. Meine komplette Soloarbeit ist nicht ansatzweise so strukturiert wie die Arbeit mit MILLENCOLIN. Mit der Band planen wir immer ein Jahr im Voraus, was mit mir als Solokünstler passiert, entscheidet sich immer von jetzt auf gleich. Und diesen Ausgleich genieße ich sehr.“

Lasst uns über „Kingwood“ sprechen. Textlich scheint mir das Album ähnlich persönlich wie „Home From Home“ zu sein, nur auf eine andere Art und Weise.

Nikola:
„Auf ‚Home From Home‘ spreche ich sehr viel über mich und meine Erfahrungen. ‚Kingwood‘ ist diesbezüglich anders, da ich mich für viele Songs in Situationen versetzt habe, die ich nicht erlebt habe, und über sie schrieb, eine Thematik also aus anderen Augen betrachtete. Das ist aber nur eine Tendenz, du findest auf dem Album auch Songs, die aus meinen Augen und über mein bzw. unser Leben geschrieben sind.“

Kannst du dir erklären, woher die Tendenz kommt, Dinge aus anderen Augen zu betrachten?

Nikola:
„Das liegt an meinem Soloalbum. Auf ‚Lock Sport Krock‘ geht es nur um mich, alle Songs sind von mir geschrieben und behandeln Dinge, die mir entweder passiert sind oder die mich berühren. Ich habe das Gefühl, dass ich mich auf dem Album fürs Erste ausgelebt habe, was das Schreiben von Songs, die nur mich und mein Leben behandeln, angeht. Als ich nach ‚Lock Sport Krock‘ mit den anderen an ‚Kingwood‘ arbeitete, motivierte es mich, etwas Neues auszuprobieren und Texte, die aus dem Blickwinkel anderer Menschen geschrieben sind, zu schreiben.“

Hat dein Soloalbum noch weitere Einflüsse auf MILLENCOLIN bzw. „Kingwood“ gehabt?

Nikola:
„Ja, Matthias hat sehr viel mehr Spielraum auf dem neuen Album als sonst. Wir schreiben die meisten Songs zusammen, und bisher war es so, dass wir auf positive Weise miteinander konkurrierten und uns gegenseitig dazu pushten, bessere Songs zu schreiben. Dieses Mal hatte ich aber viele meiner Ideen bereits in mein Soloalbum gesteckt, so dass er sehr viel mehr und auch sehr viel bessere Ideen für Songs hatte als ich.“

„Lock Sport Krock“ handelt größtenteils von Liebe und Beziehungen, gibt es auf „Kingwood“ zentrale Themen?

Nikola:
„Nein. Du hast auf dem Album ganz verschiedene Songs, etwa ‚Biftek supernova‘ über meinen Cousin oder ‚Farewell my hell‘, der um den Tod geht. Außerdem ist es mir sehr wichtig, dass unsere Stücke offen für individuelle Interpretationen sind und nicht nur eine Bedeutungsebene haben.“

Was genau ist Softcore Inc.? Auf dem Rücken von „Kingwood“, sowie im Booklet findet sich der Name.

Erik:
„Softcore Inc. ist unsere Firma. Da wir durch Touren und Plattenverträge Geld verdienen, haben wir eine Firma gegründet, so dass wir die Beträge steuerlich ausweisen können. Der Grund, warum sich der Name auf der CD findet, ist, dass wir keinen Plattenvertrag hatten, als wir das Album aufnahmen. Uns gehört ‚Kingwood‘ also, wir haben das Album aber an Burning Heart lizenziert.“

War euch die Verhandlungsmacht, die ihr sicherlich gegenüber Plattenlabels habt, bewusst, während ihr im Studio wart?

Erik:
„Einerseits war uns bewusst, dass viele Labels an unserem neuen Album interessiert waren. Andererseits wussten wir, dass wir wahrscheinlich auf Burning Heart bleiben, denn sie sind ein tolles Label.“
Nikola: „Ich denke, dass es für viele Bands sicherlich ein Wagnis ist, ohne Plattenvertrag aufzunehmen. Versteh mich nicht falsch, ich möchte nicht arrogant auftreten, aber MILLENCOLIN sind mittlerweile eine etablierte Band. Deswegen brauchten wir uns kaum Sorgen über das Release der Platte machen.“
Erik: „Es zeichnete sich nach und nach ab, dass einige Labels um das Release kämpften, und je weiter dieser Kampf voranschritt, desto mehr wuchs unsere Verhandlungsmacht. Ich würde es jeder Band, die es sich leisten kann, empfehlen, die Produktion eines Albums selber zu zahlen. Denn dadurch kannst du kontrollieren, was mit dir geschieht – das halte ich für sehr wichtig.“

Habt ihr euch denn ernsthafte Gedanken über einen Major-Deal gemacht?

Nikola:
„Schon, aber unsere Motivation, mit Majors bzw. mit anderen Labels als Burning Heart zu verhandeln, war nicht die, dass wir von Burning Heart weg wollten. Ich hatte die ganze Zeit das Gefühl, dass Burning Heart unsere Heimat ist, das Label, auf das wir gehören. Es wäre aber dumm gewesen, sich nicht umzuschauen und festzustellen was andere Labels bereit sind, für ein MILLENCOLIN-Album zu geben.“
Erik: „Es war auch an Burning Heart, zu zeigen, dass sie dankbar für MILLENCOLIN sind. Das meine ich keinesfalls negativ, wir sind Burning Heart sehr dankbar für alles, was sie für uns getan haben, sie haben uns schließlich aufgebaut. Dennoch mussten sie beweisen, was wir ihnen wert sind, denn über die Jahre haben sie auch an uns verdient. Ich bin aber mehr als froh, dass wir bei Burning Heart geblieben sind, glaub mir, ich hasse Majors und Burning Heart ist ein großartiges Label. Es ist schwer vorstellbar, dass du bei einem Majorlabel ins Büro kommst und das Gefühl hast, dass dort Leute arbeiten, die deine Musik lieben. Genau das Gefühl habe ich aber bei Burning Heart.“

Auf dem „Heartattack“-Sampler von Burning Heart habt ihr einen schwedischen Song beigesteuert.

Erik:
„Der Song ist ein Cover von ASTA KASK, der sehr hart und sehr schnell ist. Der Reiz, den Song zu covern, bestand darin, dass er ganz anders ist als typische MILLENCOLIN-Songs. Die Idee, einen schwedischen Punkrock-Klassiker zu covern, hatten wir sogar schon ziemlich lange, uns fehlte nur die passende Gelegenheit.“
[b]Nikola:
„Außerdem sind ASTA KASK eine Band, die uns alle beeinflusst hat, so dass wir ihnen mit dem Song Tribut zollen wollten.“

[b]Woher kommt eure Verbundenheit zu eurer doch relativ kleinen Heimatstadt Örebrö, der ihr nicht zuletzt mit dem Albumtitel „Pennybridge Pioneers“ Tribut zollt?

Larzon:
„Du hast Recht, Örebrö ist in der Tat nicht groß und die Stadt ist auch kein Paradies auf Erden. Wir sind dort aber aufgewachsen und unsere Familien leben dort. Da wir sehr viel touren, ist es toll, wenn du nach Hause kommst und alle Menschen, die dir wichtig sind, nicht weit weg sind. Wir mögen die Stadt und sie mag uns.“