Skatepunk ist ein Genre, das in den Neunzigern seine zweite große Blüte erlebte. Unzählige US-Punk-Bands, meist aus Kalifornien, wurden mit diesem Begriff assoziiert und inspirierten auch in Europa einen Haufen junger Menschen, die sich tagtäglich auf ihren Skateboards die Arme aufschürften, selbst die Musik zu spielen, die sie beim Fahren hörten. Die europäische Antwort auf PENNYWISE und NOFX waren unter anderem die SATANIC SURFERS, NO FUN AT ALL und nicht zuletzt MILLENCOLIN. Während die meisten damaligen Bands in der Versenkung verschwunden sind, sind MILLENCOLIN ununterbrochen seit 20 Jahren als Band aktiv. Die Schweden können auf insgesamt sieben Studioalben zurückblicken, die alle auf dem schwedischen Label Burning Heart Records erschienen sind.
Ihr Album „Pennybridge Pioneers“ aus dem Jahr 2000 ist die wohl populärste Veröffentlichung. Den Opener „No cigar“, der auch Teil des Computerspiel-Soundtracks von „Tony Hawk’s Pro Skater 2“ war, kennt nicht zuletzt deswegen fast jeder, der um die Jahrtausendwende Punkrock gehört hat. Mittlerweile rennt kaum noch jemand Skatepunk hinterher, auch ich, der mit dieser Musik groß geworden ist, die für mich das Tor zu Punkrock, Hardcore und Subkultur war, kann dem Ganzen nicht mehr viel abgewinnen. Dennoch bleiben MILLENCOLIN für mich eine großartige Band, die fantastische Platten gemacht haben. Selbst die neueren Veröffentlichungen wecken alle Jahre wieder mein Interesse, und hin und wieder lege wahrscheinlich nicht nur ich aus nostalgischen Gründen eine gute, alte MILLENCOLIN-Scheibe auf. Nostalgie, Jubiläen und „Pennybridge Pioneers“ waren auch die Themen um die sich das Interview mit Schlagzeuger Frederik Larzon drehte.
MILLENCOLIN gibt es seit fast 20 Jahren. Was für ein Gefühl war es, das zu realisieren?
Das Jubiläum der Band ist uns nicht sonderlich aufgefallen. Natürlich ist es eine großartige Sache, und wir haben uns auf jeden Fall gefreut, als es uns bewusst wurde. Es ist jedoch so, dass MILLENCOLIN unser Leben ist, wir haben nie etwas anderes gemacht, und wenn du seit 20 Jahren in einer Band spielst, die die ganze Zeit aktiv war, dann ist es einfach die Normalität, dein Alltag. Irgendwann machst du dir nicht jeden Tag Gedanken darüber, es ist einfach Teil deines Lebens oder sogar dein Leben.
Wer hatte die Idee für die „Pennybridge Pioneers“-Tour, bei der ihr die Platte einmal rauf und runter spielt?
Das Ganze fing damit an, dass vor ein paar Jahren ein cooler, schon seit vielen Jahren existierender Club in unserer Heimatstadt Örebro schließen musste. Wir spielten am letzten Abend des Clubs ein Abschiedskonzert, bei dem wir ausschließlich „Pennybridge Pioneers“ spielten und zwar von „No cigar“ bis „The ballad“. In den Wochen danach bekamen wir richtig viele Anfragen aus Mexiko, Südamerika und anderen Teilen der Welt, Konzerte mit genau diesem Konzept zu spielen. Die Idee gefiel uns, natürlich auch weil die Platte ihr Jubiläum hatte, und jetzt sind wir seit fast zwei Jahren mit „Pennybridge Pioneers“ auf Tour gewesen.
Warum ist gerade „Pennybridge Pioneers“ ein so wichtiges Album für euch?
Das Album stellte für uns eine Art Zäsur dar. Vor „Pennybridge Pioneers“ standen wir kurz davor, die Band aufzulösen. Wir waren unzufrieden mit unserem Sound, dem endlosen Touren ohne Atempause und generell gab es einen hohen Druck, der auf uns allen lastete. Wir hatten uns bis dahin nie viele Gedanken um die Band gemacht, wir waren ja auch noch sehr jung. Um die Band nicht aufzulösen, entschieden wir uns, Regeln aufzustellen, wie wir die Band weiterführen wollen. Diese Regeln sollten unsere Vorstellung, was zum Beispiel das Booking, Aufnahmen und Label betrifft, widerspiegeln, damit wir glücklich sind mit dem, was wir machen, und Spaß haben. Was den Sound von MILLENCOLIN angeht, war „Pennybridge ...“ dahingehend wichtig, weil wir auf unseren ersten drei Alben eigentlich nur versucht haben, wie Bands zu klingen, die wir damals mochten. Wir kopierten diesen Neunziger-US-Skatepunk-Sound, der auch ganz klar die Wurzel der Band ist. Bei den Aufnahmen zu „Pennybridge ...“ fanden wir dann unseren eigenen Sound, wir machten uns genaue Gedanken, wie sich unsere Platte anhören soll und wie wir als MILLENCOLIN klingen wollen. Darüber hinaus glaube ich, dass „Pennybridge Pioneers“ eines unserer populärsten Alben ist, mit dem wir viele Erinnerungen verbinden. Zum Beispiel die Geschichte mit dem Lied „No cigar“, das zweifelsohne einer unserer bekanntesten Songs überhaupt ist. Das Lustige ist, dass wir nie eine Single dazu veröffentlich haben, sondern die Popularität von „No cigar“ allein durch „Tony Hawk’s Pro Skater 2“ gekommen ist.
Ich finde auch, dass eure ersten drei Platten sehr ähnlich klingen und die Veröffentlichungen danach sich nicht nur von den ersten drei unterscheiden, sondern dass sich die neueren Alben auch untereinander stark unterscheiden.
Ja, wir versuchen wirklich, für jedes Album, das wir aufnehmen, einen speziellen Sound zu entwickeln, deswegen klingt „Home From Home“ auch anders als „Machine 15“, das ist uns wichtig. Du willst als Musiker ja schließlich auch nicht alle paar Jahre den gleichen Kram spielen. Wenn du Musik machst, willst du Neues ausprobieren, hast neue Ideen, das ist eine normale Entwicklung, und auch für den Hörer wäre es sicherlich langweilig, wenn sich jede Platte anhört wie die vorherige. Das ist auch ein Ansatz, den wir seit „Pennybridge Pioneers“ verfolgen, und der sicherlich viel dazu beiträgt, dass wir immer noch Spaß haben an dem, was wir machen.
Habt ihr jemals das Gefühl gehabt, euch als Band für eure Weiterentwicklung rechtfertigen zu müssen? Die Lieder „Ray“ und „Brand new game“ greifen das Thema unterschiedlich auf. Es geht um Veränderungen und auch wie andere darauf reagieren.
Das stimmt, die beiden Lieder stehen in dem Kontext, dass nicht alles bleibt, wie es ist oder einmal war, und dass sich Dinge mit den Jahren ändern. Menschen verändern und entwickeln sich nur einmal mit der Zeit. Mit Ende 30, Anfang 40 bist du eben nicht die gleiche Person, die du mit 20 warst. Es ist aber nicht so, dass wir das Gefühl hatten, uns rechtfertigen zu müssen in dem Sinne, dass man uns etwas übelnahm. Die Lieder greifen einfach die Phase unseres Lebens auf, in der wir uns befanden, als wir „Kingwood“ und „Machine 15“ aufnahmen und spiegeln unsere Gefühle wider.
Wie wichtig sind die Nebenprojekte für eure Band? Könnten sie vielleicht auch ein Grund sein, dass ihr nach 20 Jahren immer noch zusammen spielt?
Jeder von uns, außer Erik, hat noch eine andere Band, in der er spielt. Natürlich sind diese Bands auch wichtig für jeden Einzelnen, um sich kreativ auszuleben und zu verwirklichen. Nicht jede Idee, die man hat, passt zu MILLENCOLIN, also können wir uns auch in anderen Bands austoben und Musik spielen, die nicht Punkrock ist. Ich zum Beispiel spiele noch Schlagzeug bei KVOTERINGEN, einer Hardcore-Band, weil ich Hardcore liebe, was aber bei MILLENCOLIN nicht untergebracht werden kann. Als Hobby betreibe ich seit kurzen auch noch ein kleines Label namens De:Nihil Records.
[]bSind die kleinen Bands vielleicht auch ein Ausgleich zur Professionalität von MILLENCOLIN als Band, mit der ihr euren Lebensunterhalt bestreitet?[/b]
Das würde ich nicht so sehen, also ich kann an dieser Stelle sowieso nur für mich sprechen. Ich sehe meine zweite Band schon lockerer, und ja, es ist auch schon ein Ausgleich, aber wie bei MILLENCOLIN spiele ich aus Freude, weil es mir Spaß macht. Nikola und Matthias sind vielleicht schon etwas ehrgeiziger, was ihre anderen Bands betrifft, aber dazu kann ich nicht viel sagen.
Kannst du dir erklären, warum es MILLENCOLIN nach 20 Jahren immer noch gibt? Das Genre, dem ihr entsprungen seid, also Skatepunk, ist ja ziemlich tot, und viele Bands aus den Neunzigern gibt es nicht mehr, was ist euer Geheimnis?
Nun, was bei anderen Bands passiert ist, kann ich dir nicht sagen, das weiß ich nicht. Aber ja, das stimmt schon, Skate-Punk gibt es nicht mehr. Ich weiß nur, was für uns wichtig ist, und zwar, dass wir uns an einem gewissen Punkt überlegt haben, die Band am Leben zu halten, solange alle ihren Spaß und ihre Freude daran haben und alles so abläuft, wie wir es uns vorstellen, so dass niemand zurückstecken oder unglücklich sein muss.
Was denkst du, ist das Publikum eurer Konzerte mit euer Musik aufgewachsen, also so alt wie ihr, oder lockt ihr auch noch junge Hörer an, die euch neu entdecken?
Ich glaube, es ist eine Mischung. Natürlich gibt es viele, die auch aus nostalgischen Gründen zu unseren Konzerten kommen, mehr wahrscheinlich bei solch einer Jubiläumstour als normalerweise. Das ist auch toll, vor allem wenn es Besucher gibt, die älter sind und mit Punkrock oder MILLENCOLIN länger nichts zu tun gehabt haben und dann durch unsere aktuelle Tour wieder mal auf ein Konzert gehen. Aber es gibt durchaus auch Leute, die uns zum Beispiel erst seit „Kingwood“ kennen. Ich denke, insgesamt ist es eine gesunde Mischung.
Noch mal zurück zur aktuellen Tour. Kannst du einen Unterschied im Publikum feststellen zu einem normalen Konzert, also mit normaler Setlist, und einem Konzert, bei der ein bestimmtes Album komplett gespielt wird?
Ja, auf jeden Fall! Bei einem normalen Konzert weißt du ja nicht, welche Lieder gespielt werden, und bist gespannt was als Nächstes auf der Setlist steht. Wenn wir aber „Pennybridge Pioneers“ rauf und runter spielen, kennt das Publikum ja die Setlist und ist zwar auch gespannt, aber auf eine andere Art und Weise. Wenn du weißt, welches Lied jetzt kommt, kann das auch sehr mitreißend sein und die Leute flippen total aus, weil die Reihenfolge der Titel auf einem Album sehr gut durchdacht ist. Wir spielen auf dieser Tour aber nicht nur „Pennybridge Pioneers“-Songs und zwar aus dem Grund, dass es zu enttäuschend wäre. Wenn man auf ein Konzert geht, will man nicht nur Lieder von einem Album hören, sei es das aktuellste oder das erste, du willst das gesamte Programm. Deswegen spielen wir, wenn „Pennybridge Pioneers“ durch ist, noch eine Handvoll Lieder von anderen, vor allem älteren Platten. Hauptsächlich haben wir bei der Auswahl darauf geachtet, Titel zu wählen, die wir in all den Jahren selten bis gar nicht live gespielt haben. Das war total super, selbst beim Proben von „Pennybridge Pioneers“ gab es Songs, die wir nie zuvor live gespielt haben und die wir dementsprechend neu üben mussten. Das war sehr erfrischend für uns als Band, es hat sich teilweise fast so angefühlt, als würden wir komplett neue Stücke proben und spielen, obwohl es ganz alte Schinken waren, haha.
Was ist nach 20 Jahren dein Lieblingslied und welches magst du weniger?
Hm, gute Frage bei so vielen Titeln, haha. Also wirklich Spaß hat mir „A-Ten“ gemacht, das auch auf „Pennybridge Pioneers“ ist. Das Lied haben wir vor der Tour noch nie live gespielt und ich habe es schon immer sehr gemocht, deswegen habe ich mich sehr gefreut, es endlich live spielen zu können. Am wenigsten von allem, was wir je aufgenommen haben, gefällt mir wohl „Trendy winds“, es ist einfach ein komisches Lied, es fühlt sich komisch an.
Was sind eure weiteren Pläne, habt ihr vor, wieder ins Studio zu gehen?
Wir haben auf jeden Fall schon ein paar neue Ideen und wollen auf jeden Fall ein paar Sachen aufnehmen. Erst einmal planen wir, ein paar Lieder auf unterschiedlichen Veröffentlichungen unterzubringen, um dann später ein neues Album aufzunehmen. Das wird aber wahrscheinlich nicht mehr dieses Jahr passieren.
Seit jeher ist MILLENCOLIN mit Burning Heart Records verbunden, wird ein mögliches neues Album wieder dort erscheinen?
Burning Heart Records und auch Epitaph sind großartige Labels, und wir sind mit den Verantwortlichen eng befreundet. Burning Heart begleitete uns von Anfang an und wir hatten immer ein Büro in ihren Räumen, nachdem sie ihr Hauptquartier in Örebro aufgeschlagen hatten. Wir haben mittlerweile auch selbst alle Kontakte zu den Schaltstellen im Plattengeschäft und könnten wahrscheinlich auch selbst mit Vertrieben ins Gespräch kommen, aber solange wir gute Freunde haben, die das für uns so klasse erledigen, bleibt es so wie es ist. Für den Moment bleibt also alles beim Alten, und was die Zukunft bringt, werden wir sehen.
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