MESSER

Foto

Quantensprung ins Magische

MESSER treffen mit ihrem zweiten Album „Die Unsichtbaren“ ins Herz. Musikalisch zugänglich, aber textlich verschlossen, zelebrieren die fünf Münsteraner die Manifestierung ihrer Soundästhetik. Hendriks Texte sind poetisch, bildhaft und abstrakt: Je mehr man anfängt zu interpretieren, desto weniger erschließt sich, welche Welten einem da vom Sänger eigentlich beschrieben werden, ja, eigentlich könnte er auch dänisch singen: Ständig meint man, man hätte was verstanden, aber dem ist nur bedingt so. Pogo gilt wegen seines sicheren und präzisen Plektrumspiels als groovender Ruhepol am Bass: Er spielt simultan über einen Fender Bassman und ein Orange-Top und gilt nicht nur wegen seiner Mitgliedschaft im B5 (cooler Bassistenclub mit TURBOSTAAT-Tobert und anderen tätowierten Bartträgern), sondern auch wegen seines technischen Know-hows als gefragter Ratgeber für befreundete Musiker. Pascal entwirft an seiner Gitarre Klanglandschaften, die für jeden Otto-Normal-Gitarristen wie pure Science Fiction klingen müssen. Und im Hintergrund treten und schlagen Philipp und Manuel auf Drums und Percussion ein, allerdings ohne der Musik zu schaden, sondern im Gegenteil, um ihr ein Fundament zu geben.

Ich habe euch kürzlich in Köln live gesehen. Wie habt ihr die Stimmung beim Release-Konzert eures neuen Albums im Stereo Wonderland wahrgenommen?

Hendrik:
Es war ziemlich voll und wie ich gesehen habe, standen draußen noch Leute vor den Fenstern, die leider nicht mehr reinkamen. Das Publikum war unglaublich euphorisch. Für mich war es eines der besten Konzerte bisher.

Philipp: Die Stimmung war unglaublich gut. Man hatte durch den kleinen Raum und die kleine Bühne den Eindruck, dass Musik und Publikum miteinander verschmelzen. Total besonders!

Hendrik: Unser Videoregisseur Oliver Schwabe hatte seine Kinder dabei und sein neunjähriger Sohn Caspar hat mir vor dem Konzert ganz stolz erzählt, dass er vor kurzem zum ersten Mal gepogt hat. Ich habe ihn dann gefragt, ob er denn bei uns auch pogen würde, und da meinte er so: „Na, mal gucken, ich weiß noch nicht ...“ Und bei der Zugabe stand er dann auf einmal vor der Bühne und ist voll abgegangen, hehe ...

Pascal: Bei so kleinen Läden bis maximal hundert Leute merkt man einfach, wie wesentlich doch die Vibes bei einem Konzert sind. Das lässt sich nicht toppen, das war eines der geilsten Konzerte in der ganzen Zeit.

Pogo: Auf so kleinem Raum werden einfach ganz andere Energien freigesetzt und dann hat man tatsächlich diesen Effekt, dass Musiker und Zuhörer miteinander verschmelzen. Als ich nach dem Auftritt alles zusammengepackt hatte, wollte ich einfach in Ruhe draußen mein Bier trinken, da gab es dann aber noch jede Menge Fotowünsche, das kannte ich bis dato noch nicht so, das war mir irgendwie fremd.

Am Tag drauf habt ihr in Karlsruhe mit DIE NERVEN und LOVE A gespielt.

Pascal:
Da waren insgesamt fünf Bands. Das klingt dann immer sehr vielsprechend von der Zusammenstellung her, aber es ist dann schade, wenn man nicht allen die gleiche Aufmerksamkeit schenken kann. Das kriegt man zeitlich, wenn man selber spielt, überhaupt nicht hin. Fünf Bands sind zuviel.

Philipp: Für Manuel Chittka, unseren Percussionisten, der uns auf der gesamten Tour begleitet, war Karlsruhe natürlich der bessere Abend, weil seine Instrumente komplett mikrofoniert wurden, das war soundmäßig natürlich eine ganz andere Erfahrung als der Abend in Köln. Insgesamt waren beide Konzerte ein geiler Appetizer für die Tour.

Hendrik: Da waren auch ganz andere Vibes in Karlsruhe, das hatte fast schon was Destruktives, da war so ein kaputter Drive. Vielleicht weil wir auch als Letzte gespielt haben und vorher auch schon einige Biere getrunken hatten. Jedenfalls war es total anders als Köln.

Pogo: Stimmt! Karlsruhe war auch equipmenttechnisch aufschlussreich: Ich musste meine Amps da sehr leise fahren, wodurch sich mein Sound überhaupt nicht entfalten konnte. Jetzt habe ich mir einen Booster gekauft, der wird mir helfen, auch bei niedrigen Lautstärken die Amps auszureizen. Aber hey, ich habe LOVE A endlich mal kennen gelernt, das war sehr nett!

Ich vermute mal, dass ihr in Karlsruhe viel mit DIE NERVEN rumgehangen habt, oder?

Hendrik:
Das sind mittlerweile Freunde von uns, wir besuchen uns auch gegenseitig auf Konzerten und tauschen uns aus, künstlerisch, aber auch persönlich.

Ende 2013 habt ihr eure zweite Platte „Die Unsichtbaren“ veröffentlicht. Wie fühlt sich deren Entstehung in der Rückschau an?

Pascal:
Für uns ist das alles eher so ein Gesamtprozess – gedanklich sind wir schon wieder bei den nächsten Projekten und bei der Tour.

Philipp: Man meint immer, dass irgendwo ein Schlusspunkt wäre, ein Projektende, aber das spüren wir nicht. Tobias Levin zum Beispiel hält den Kontakt seit unserer gemeinsamen Arbeit regelmäßig aufrecht und lädt mich ein zu spontanen Studiosessions – es geht irgendwie weiter.

Pogo: Musikalisch befinde ich mich auch schon wieder woanders, kann mir die Platte aber inzwischen mit ein bisschen Abstand anhören.

Hendrik: Es ist inzwischen etwas unaufgeregter. Bei der ersten Platte hat man uns mit guten Reviews überhäuft und jetzt hatten wir auch wieder eine gute Berichterstattung. Ich fand es besonders spannend zu beobachten, wie viel Mühe sich die Rezensenten größtenteils gegeben haben.

Hat sich eure Wahrnehmung der Platte und der Produktion im Nachhinein geändert?

Pogo:
Wenn man sich permanent auf Fehlersuche begeben würde, könnte man so was ja gar nicht genießen. Ein paar Kleinigkeiten gibt es immer. Aber wenn es sich unterm Strich gut anfühlt und gut anhört, dann hat man alles richtig gemacht! Und genau das Gefühl habe ich.

Philipp: Für mich hat sich der Weg, das Verfahren, das wir gewählt haben, nochmals bestätigt: Tobias hat uns auch beigebracht, sogenannte Fehler selbstbewusst zu akzeptieren, nämlich wenn es während des Live-Recordings hier und da mal holpert, das dann auch mal als Ausdruck wahrzunehmen und anzuerkennen, selbst wenn es versehentlich passiert ist: Gerade so was entwickelt dann nämlich seinen ganz eigenen Charme.

Wart ihr mit den Beurteilungen in der Presse einverstanden?

Hendrik:
Eigentlich war alles schon recht positiv. Aber ich finde ja auch negative Kritik spannend zu lesen, vorausgesetzt man merkt, dass der Schreiber sich damit beschäftigt hat und das auch formulieren kann.

Pogo: Ich fand die Reviews teilweise überwältigend. Es ist bezeichnend für uns, dass wir einerseits „Top of the Ox“ sind, im Ox-Geschmackscontrol dann aber die Meinungen ganz schön auseinander gehen. Ist doch klar: Natürlich gab und gibt es Leute, denen MESSER zum Beispiel nicht punkig genug sind! Aber hey: Who cares?

Philipp: Genau! Damit kann man damit auch gut leben, wenn man versteht, warum derjenige das nicht gut findet. Manchmal regt einen das ja auch zum Nachdenken an.

Pascal: Die Spex beispielsweise hat „Die Unsichtbaren“ auch nicht abgefeiert, sondern irgendwie so ein bisschen als Retro-Kitsch belächelt. Aber wenn das nachvollziehbar begründet ist, ist das für mich auch durchaus ein Hinweis.

Bei den Verknüpfungspunkten, die ihr in letzter Zeit so mit der Spex hattet: Schmerzt so was dann?

Philipp:
Bei der Spex sitzen definitiv ein paar Leute, die uns gut finden und uns auch im Vorfeld eine Plattform geboten haben. Seit BLUMFELD und JA PANIK darf man ja auch vermuten, dass die Spex gerne Anspruch auf Entdeckungen erhebt, und vielleicht ist aber genau das einfach auch der Zuständigkeitsbereich eines solchen Magazins. Von daher kann ich die eher schlechte Kritik unseres Albums gut verstehen und finde das okay.

Philipp, hattest du aufgrund deines Wohnortes Hamburg eine exponierte Situation während der Produktion im Electric Avenue Studio?

Philipp:
Meistens bin ich morgens mal vorbeigefahren und habe Tobias hier und da Hinweise gegeben, musste dann aber immer los zur Uni. Abends bin ich dann wieder zu Tobias gefahren und habe den fertigen Mix von dem jeweiligen Stück dann Kontrolle gehört. Tobias hat jeden Song wirklich einzeln analog gemischt, das heißt jeder Song hatte auch andere EQ- und Effekteinstellungen: Wenn dann davon ein Master vorlag und es wurde von uns abgenickt, gab es keine Möglichkeit mehr, nachträgliche Änderungswünsche zu erfüllen. Die Dateien wurden dann nachts an die anderen gemailt, damit bis zum nächsten Morgen alle die Möglichkeit hatten, ihre Entscheidungen oder Veränderungsvorschläge zu äußern.

Das war bestimmt wie zehn Mal Weihnachtsbescherung für euch, oder?

Hendrik:
Irgendwie schon. Das hatte dann sogar teilweise zur Folge, dass man länger aufgeblieben oder früher aufgestanden ist. Ja, und dieses Warten hatte schon was von Weihnachten, auch wenn ich Weihnachten scheiße finde ... Nee, das war geiler als Weihnachten!

Philipp: Und man muss ja auch sagen, dass diese Methode aber auch am ehesten dem Live-Recording entsprach. Wenn da irgendein Fehler ist, ob nun beim Recording, beim Mixing oder beim Mastering, dann ist das halt so. Das ist eine Momentaufnahme, nicht mehr, nicht weniger. Außerdem hat diese Finalität auch irgendwie was Befreiendes. Und Hamburg ist szenemäßig ein Dorf und gelegentlich trifft man Tobias dann auch abends bei einem Bier an der Theke und kann mit ihm natürlich prima über so was reden. Gespräche über Musik empfinde ich immer als produktiv und inspirierend.

Hendrik: Ich war letztes Wochenende in Hamburg und hab mit Tobias an der Theke über Gott und die Welt gesprochen. Klar, auch über das Business und MESSER. Aber da entwickelt sich einfach ein sehr freundschaftliches Verhältnis, wo es dann logischerweise auch gelegentlich ins Private geht. Wie das eben so ist.