Gerade erst dem Jugendzentrum entwachsen sind LYGO, ein Trio aus Bonn, die mit „Schwerkraft“ Anfang September ihr zweites Album veröffentlicht haben und im Oktober live präsentieren. Szene-Medien sprechen schon vom „nächsten großen Ding“ in der deutschen Punkrock-Szene, nach Bands wie FJØRT oder ADAM ANGST. Simon, Jan und Daniel sind aber eher darum bemüht, den Ball flach zu halten und den Blick nach innen zu richten. „Schwerkraft“ ist eher als Nabelschau gedacht, denn als große Töne zu spucken, sagt Bassist Jan Heidebrecht, der sich mit Gitarrist Simon Meier den Gesang teilt.
Jan, charakteristisch für LYGO sind zwei gleichberechtigte Stimmen, wie kam es dazu?
Als wir mit der Band anfingen, habe vor allem ich gesungen. Dann hat aber Simon immer mehr Texte geschrieben und so hat sich das entwickelt. Irgendwann war das dann charakteristisch für uns. Wir versuchen, die jeweiligen Anteile immer auszugleichen. Es ist uns wichtig, dass wir nicht einen Frontmann haben, sondern dass wir alle drei gleichberechtigte Teile der Band sind. Es kommt schon vor, dass wir mit den zwei Stimmen verschiedene Rollen einnehmen, zum Beispiel bei unserer ersten Single „Festgefahren“ ist das so. Da entwickelt sich eine Art Zwiegespräch zwischen zwei verschiedenen Standpunkten. Der Gesang wechselt mit jedem Vers und damit auch immer die Perspektive.
Bei zwei gleichberechtigten Sängern, wer schreibt da die Texte?
Meistens hat einer von uns die Idee für einen Text und das wird vom anderen höchstens noch ergänzt, wenn man darüber diskutiert. Und natürlich hat unser Schlagzeuger Daniel auch immer Mitspracherecht. Aber eigentlich wollen wir dem anderen gar nicht so viel reinpfuschen, wenn er einen Text geschrieben hat. Bei der EP „Misere“ hat Simon noch den größten Teil der Texte geschrieben. Bei „Schwerkraft“ ist es eher so wie beim ersten Album „Sturzflug“, dass der Anteil der Texte eher ausgeglichen ist.
Eure Texte sind weniger politisch, eher emotional. Ihr bildet mehr persönliche Befindlichkeiten ab als gesellschaftliche Probleme. Warum ist euch das wichtiger?
Wir beschäftigen uns einfach viel mit unseren eigenen Problemen. Das sind aber sicher Dinge, die viele nachvollziehen können. Wir sind keine explizit politische Band, aber wir sind politische Menschen. Deshalb gibt es auch immer wieder Songs, die in die politische Richtung gehen, aber es fällt uns einfach schwer, gewisse Themen direkt anzusprechen. Es gibt außerdem schon viele Lieder, in denen über die gesungen wird. Uns ist es eher wichtig, den eigenen Kopf mit der Musik auszudrücken.
Politische Katastrophen wie der aktuelle Rechtsruck in Deutschland, der Klimawandel oder Donald Trump beflügeln Punkrock ja eher und bieten jede Menge Angriffsfläche. Spürt ihr das auch?
Bei der aktuellen Platte war uns das nicht so wichtig. Es gibt ja viele Bands, die dazu ganz klare Statements veröffentlicht haben. Außerdem sind Rassismus, Sexismus und Homophobie keine neuen Themen. Es gibt vielleicht aktuell einen größeren Bedarf, darüber zu singen, aber uns war es momentan nicht so wichtig, genau darüber Songs zu schreiben.
Betätigt ihr euch denn abseits der Musik politisch? Seid ihr Mitglied in einer Partei oder engagiert ihr euch in einer Non-Profit-Organisation? Oder seid ihr privat irgendwo aktiv?
Nein, wir sind in keiner Partei, wir machen aber seit unserer Jugend immer wieder politische Arbeit, waren viel in Autonomen Zentren unterwegs und spielen zum Beispiel Soli-Konzerte für Dinge, die wir für unterstützenswert halten. Zum Beispiel Organisationen, die sich gegen Rassismus engagieren.
Aktuell kommt gerade das Lebensgefühl der Achtziger zurück: Kalter Krieg, ständige Angst vor Atomkrieg und Umweltzerstörung. Die Feindschaft zwischen den Ländern wächst. Geht es dir auch so?
Ich nehme das auch so wahr. Der Klimawandel ist auch ein Thema, der in meinem Freundeskreis viel diskutiert wird. Auf der künstlerischen Ebene betrachten wir das aber nicht so genau. Uns sind die persönlichen, emotionalen Themen wichtiger.
Aber Zukunftsängste sind doch sehr persönlich und sehr emotional.
Ja das stimmt. Mit „Vergessen“ habe ich zum Beispiel einen Song darüber geschrieben, dass die Generation unserer Eltern und Großeltern, die die Nazi-Zeit noch als Zeitzeugen miterlebt haben, langsam ausstirbt. Dann gibt es keine Verwandten mehr, die einem aus ihren persönlichen Erfahrungen berichten können. Menschen, die einen davor warnen, dass die Scheiße, die damals passiert ist, sich heute nicht mehr wiederholen darf.
Warum habt ihr das Album „Schwerkraft“ getauft? Ein Titel, den ihr mit einem Amboss auf dem Artwork anschaulich illustriert.
„Schwerkraft“ sollte erst der Titel eines Songs werden, dann fanden wir aber, dass es auch ein starkes Wort für die ganze Platte ist. Es steht für die Melancholie, die uns immer ein bisschen herunterzieht. Das Artwork dazu gezeichnet hat Yvonne Domava, eine gemeinsame Bekannte von uns. Wir haben ihr volle künstlerische Freiheit gelassen und sie hat uns dann mehrere Ideen gezeigt. Den Amboss fanden wir einfach am besten. Gerade der Amboss, der von Seilen gefesselt ist, von dem man nicht weiß, ob er gerade herunterfällt oder gehalten wird, hat uns fasziniert.
Ein Songtext, der von dir stammt, ist „Gründe“. Worum geht’s in dem Song?
Wir machen ja lautere, schnellere und aggressivere Musik. Und wir wurden schon oft von unseren Familien gefragt, woher diese Wut in uns kommt. Was beschäftigt euch? Was kotzt euch an? Dieser Song ist ein Versuch von mir, diese Gründe einfach mal aufzulisten. Gründe, die permanent da und zum Teil auch politischer Natur sind. Diese Punkte formulieren wir nicht immer explizit in Texten aus, diese Dinge beschäftigen uns aber immer.
Ihr arbeitet viel mit Andeutungen und verklausuliert eure Texte. Warum sprecht ihr Dinge nicht deutlich aus?
Uns geht es darum, dass jeder die Möglichkeit hat, in die Songs etwas hineinzuinterpretieren. Diese ganz direkten Texte, die auch sehr gut sein können, halten wir für nicht so spannend. Wir bevorzugen den Freiraum der Interpretation.
Aber so können eure Texte ja auch falsch oder gar nicht verstanden werden.
Das stimmt. Aber dieses Risiko nehmen wir in Kauf. Dass Leute ihre eigenen Gedanken in unsere Texte projizieren, die dann vielleicht von unserer ursprünglichen Absicht abweichen. Diesen Freiraum gestehen wir unseren Hörern zu.
Habt ihr das Gefühl, dass ihr mit „Schwerkraft“ einen Schritt nach vorne macht? Gibt es mehr Aufmerksamkeit durch Medien? Werden die Konzerte größer?
Für uns ist das neue Album auf jeden Fall ein großer Schritt. Beim ersten Album, das wir komplett in Eigenregie veröffentlicht hatten, waren wir noch jünger und haben das einfach mal ausprobiert. Jetzt haben wir einen richtigen Plan gemacht, zu welchem Song wir ein Video drehen, welcher die Single wird, wie die Tour zum Album laufen soll und solche Dinge. Für uns ist es also ein weiterer Schritt in der Bandgeschichte, aber es nicht so, dass wir uns davon einen riesigen Erfolg erhoffen. Darum geht es uns gar nicht. Wir freuen uns einfach, wenn es immer weitergeht.
In den letzten Jahren ist die Zahl der deutschsprachigen Punkbands geradezu explodiert. Wie schafft ihr es, euch aus dem Einheitsbrei abzuheben?
Direkte Abgrenzungsmechanismen haben wir keine. Es ist auch gar nicht unser Ziel, uns von der Masse abzuheben. Es mag zwar banal klingen, aber uns geht es darum, die Musik zu machen, auf die wir Lust haben. Und die ist natürlich von Bands geprägt, die wir schätzen. Wir hören zum Beispiel alle seit unserer Jugend MUFF POTTER oder TURBOSTAAT. Außerdem liegen uns auch FINDUS und FRAU POTZ am Herzen, die sich inzwischen beide aufgelöst haben. Die haben uns in unseren Anfangstagen unterstützt.
Wie ist die Punk-Szene von Bonn, verglichen mit Köln oder Düsseldorf?
Unsere Punker-Jugend haben wir vorwiegend im Bonner Club Bla verbracht. Diese Jahre haben uns sehr geprägt, da haben wir sehr viele Konzerte besucht. Wir haben aber auch viele Konzerte im Kölner AZ gespielt. In Bonn gibt es leider nicht viel. Deshalb gibt es auch nicht viele Bands aus Bonn. Es gab früher noch das SJZ in Siegburg, aber das hat vor zweieinhalb Jahren leider zugemacht. Das wurde von der Stadt geschlossen, weil die Räume anders genutzt werden sollen. Die Subkultur stirbt in unserer Gegend also momentan aus.
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