KAFKAS

Foto

Vegetarier können tanzen

Soeben habe ich „Privilegienthron“ eingelegt, das letzte Album der KAFKAS, erschienen im Jahr 2001. Kaum zu glauben, dass es schon so lange her ist, dass mir Markus „Gabi“ Kafka, Sänger, Mastermind, Interviewpartner, das Teil zum Besprechen zukommen ließ. Kennen und lieben lernen durfte ich die Band aus Fulda zwei Jahre zuvor, als „Sklavenautomat“, Album Nummer drei, mir bei einer der wichtigsten Entscheidungen meines Lebens – Fleisch oder nicht Fleisch – Rückendeckung gab. Um genau dieses Thema, Fleisch oder nicht Fleisch, wird es sich im Folgenden auch das eine oder andere Mal drehen, und darum, was denn so passiert ist in diesen acht Jahren der Wartezeit auf das dieser Tage erscheinende 5. Album „Paula“, diesen acht Jahren der Stille – wenn man denn von den beiden EPs „Superrocker“ und „LD 50“ einmal absieht.

„Privilegienthron“ liegt acht Jahre zurück, warum ließ denn „Paula“ so lange auf sich warten?

Na ja, wir sind eben eine extrem faule und chaotische Band. Hinzu kommt, dass Daniel und ich, beide für die Aufnahmen zuständig, die Angewohnheit haben, fertige Songs wieder zu zerlegen, irgendwann ganz zu verwerfen, um wieder einen neuen Song zu machen. Das ergibt schon mal mühelos acht Jahre ohne Albumveröffentlichung ...

Was habt ihr/hast du denn in den letzten Jahren so getrieben?

Sofern wir nicht gerade die gut gefüllten KAFKAS-Konten leer geräumt haben, für Mallorca-Urlaube, Privat-Jets oder schicke Punk-Outfits, haben wir durchaus auch viele Konzerte gespielt. Die Besetzung hat sich zwischenzeitlich aufgrund von Umzug und Familienzuwachs auch geändert. Außerdem haben wir als Band ein eigenes Tierasylprojekt ins Leben gerufen, das nicht nur viel Geld, sondern auch Zeit und Energie kostet.

Was unterscheidet die KAFKAS von damals von den KAFKAS von heute?

Neben unserem noch schlechteren Aussehen hoffentlich auch die eine oder andere Erfahrung. Wir haben seit dem Bestehen der Band sehr viele Trends und Hypes kommen und gehen gesehen. Vieles im Musikbereich ist kurzlebig und oberflächlich. Wir wollten uns davon so weit wie möglich lösen, haben im Laufe der Zeit auch etwas an unserer Herangehensweise verändert. Das betrifft auch die Konzerte, die um einiges extremer, ironischer und zynischer geworden sind. Ich denke, wir konnten vielschichtiger werden, so versuchen wir generell, uns nicht selbst zu langweilen, auch einmal was Neues zu machen und gelegentlich auch mal das eigene Image umzustoßen. Wir möchten auf alle Fälle immer noch etwas mit unserer Musik transportieren und bewegen, allerdings hatten wir irgendwann das Gefühl, dass viele Leute kritische, nicht völlig mainstreambezogene Inhalte sofort mit asketisch und spaßfrei gleichsetzen. Besonders in Kombination mit harter, schneller Musik bekommt man schnell den Spielverderber-Stempel aufgedrückt. Ein gewisser Anteil an Spaß ist für gesellschaftliche Veränderungen wahrscheinlich notwenig und sollte deshalb nicht den Kirmes-Dumpfbacken alleine überlassen werden. Für viele innerhalb der Punk-Szene ist es anscheinend trotzdem so, dass man nur mit harter, schneller Musik einen gewissen inhaltlichen Anspruch verbreiten kann. Doch unsere Erfahrungen sind durchaus anders, so kann man gerade mit softeren Tönen viele neue Leute erreichen, sensibilisieren und motivieren.

Die Songs klingen – du verzeihst – reifer. Werden auch Punkrocker erwachsen?

Ich hoffe, dass wir wenigstens noch nicht alt geworden sind. Erwachsener sind wir, glaube ich, nicht geworden – zumindest attestiert man mir in regelmäßigen Abständen das Gegenteil. Ich möchte kein professioneller Post-Jugendrebell sein, aber auch nicht, nur weil man es von mir erwartet, irgendwelche soliden Alt-Herren-Rollen übernehmen. Ich hoffe, dass ich einen gemütlichen Platz zwischen lächerlich und resigniert gefunden habe.

Auf beiden EPs gab es Ska-Beats, auf „LD50“ auch elektronische Elemente. Wäre das zu „Sklavenautomat“-Zeiten auch schon denkbar gewesen? Inwiefern wirkt sich dein/euer eigener Musikkonsum auf die Songs aus?

Es ist nicht so, dass ich erst jetzt auch andere Sachen als Punk höre. Ich interessiere mich schon seit meinen Kindertagen für Musik und sammle seitdem alles Mögliche. Von daher hätte das „Sklavenautomat“-Album durchaus ähnlich wie das neue klingen können. Damals hatten wir aber zum einen noch nicht die Möglichkeiten, zum anderen fehlte uns vielleicht auch ein bisschen Mut dazu. Als Band wird man immer und immer wieder mit sehr vielen Klischees konfrontiert. Du kannst dann entweder selber in eine Rolle schlüpfen und die Erwartungen anderer zu erfüllen versuchen, oder probieren, deinen eigenen Weg zu gehen und dich so weit wie möglich von den Richtlinien anderer zu befreien. Wir wollen uns musikalisch nicht aus Imagegründen oder um für andere „cool“ zu sein einengen lassen. Anfangs hatten wir aus reiner Neugierde und Spaß mal mit Elektro-Sachen experimentiert. Als wir das dann einmal live präsentierten, reagierten einige Personen mit einer dermaßen großen, geradezu lächerlichen Ablehnung gegen diese Einflüsse, dass wir alleine aus Protest gesagt haben: Jetzt erst recht! Es ist für mich völlig bizarr, wenn mir plötzlich Leute, die so genannte Punkbands konsumieren, die sich inhaltlich auf CSU-Festzelt-Niveau bewegen, etwas von „Das ist kein Punk“ erzählen wollen. Ich akzeptiere andere Musikgeschmäcker, möchte aber für uns keine zwanzigste RAMONES-EXPLOITED-Wiederholung.

Inwiefern spielt heute das Thema Tierschutz/Tierrechte noch eine Rolle?

Die Texte verarbeiten viel von dem, was mich beschäftigt und somit ist das Thema direkt oder indirekt ein Teil meiner Texte. Ich bin, was das angeht, auch mit den Jahren nicht abgebrühter oder abgestumpfter geworden. Allerdings ist es manchmal notwendig, das Thema vielleicht etwas zurückzuschrauben, damit einem die Leute – möglichst auch viele neue – überhaupt zuhören. Es soll ja schließlich keine standardisierte Pflichterfüllung oder ein Schulterklopfen für die eigene Gewissensberuhigung sein. Deshalb sollte die Dosierung beachtet werden. Als wir die ersten Texte zu diesem Thema verfassten, fand das irgendwie gar keine Beachtung, doch in den letzten Jahren wurden wir manchmal nur noch hierauf reduziert und das ist dann natürlich auch für die Verbreitung von Tierrechten eher kontraproduktiv. Wir haben uns daher bemüht, eine sinnvolle Dosierung auf dem neuen Album zu finden – für manch einen ist es eventuell immer noch zu viel „Vegetarierkram“.

Apropos erwachsen, ich kenne einige Leute, die in ihrer Jugend vegan oder vegetarisch gelebt haben, und das heute belächeln. Wie stehst du solchem Verhalten?

Na ja, es kommt immer darauf an, warum man sich für eine fleischlose Ernährung entscheidet. Tut man dies nur, um in irgendeiner Gruppe dabei zu sein, oder um sich von anderen abzugrenzen, dann verliert es sicherlich sehr schnell an Attraktivität. Entscheidet man sich allerdings aufgrund des mit dem Konsum von Fleischprodukten verbundenen Leids gegen diese Produkte, dann, glaube ich, belächelt man das Thema sicherlich nie. Der Alltag von Schlachttieren ist schließlich mindestens noch genau so brutal und im wahrsten Sinne des Wortes unmenschlich wie vor zehn oder hundert Jahren. Sicher ist es manchmal frustrierend, wenn man sieht, dass der Großteil der Bevölkerung immer noch mit der Ausbeutung und der Brutalität gegenüber Schwächeren einverstanden ist, doch möchte ich nicht daran teilnehmen.

Abgesehen vom Tierschutzthema – was besingt ihr, was beschäftigt euch?

Ich habe jetzt ein paar Mal nach Konzerten gehört, ich würde verdammt viel über Herzschmerz und Liebeskummer singen. Das fand ich interessant, wo es doch vor ein paar Jahren noch dieselben Leute waren, die darüber geschimpft haben, dass wir zu politisch und zu wenig emotional seien. Es gibt ja bedauerlicherweise immer noch unglaublich viele schlimme Dinge, die täglich passieren und über die man Texte schreiben kann. Das Thema Tierrechte hängt letztlich immer direkt oder indirekt mit anderen Mechanismen zusammen. Die Produktion von Fleischwaren zeigt den Kapitalismus in einer seiner kältesten Formen. Neben dem Leiden von Tieren stehen unmittelbar Unterernährung in armen Ländern, Umweltzerstörung, Klimawandel oder Artensterben damit in Zusammenhang – schaut doch mal auf die Website bos-deutschland.de: da bitten sympathische Orang-Utans um Hilfe. Auch unsere Punk-Szene liefert noch genügend Themenstoff. So ist leider teilweise auch hier Homophobie noch sehr verbreitet und populär. Darüber haben wir auch einen Song – übrigens mit ganz vielen Oi!Oi!Oi!’s – gemacht, der auf ein paar Samplern war, es aber nicht auf das Album geschafft hat. Ansonsten bietet unser Scheitern im Alltag und im Leben unglaublich viel Material für Texte.

Ihr bringt seit Jahren alles selbst raus. Gab es da nie den Wunsch, auch einmal Arbeit abzugeben, an ein anderes Label auszulagern?

Doch, den Wunsch, den ganzen Labelkram einfach abzugeben, gibt es durchaus häufiger, sind doch die Labelarbeiten nicht nur mit Freude verbunden. Außerdem wäre es manchmal durchaus schön, wenn man jemand anderen für das eigene Versagen verantwortlich machen könnte, haha. Grundsätzlich ist eine Arbeitsteilung ja auch eine feine und sinnvolle Sache. Nur ist es für uns nach so langer Zeit auch etwas schwierig, Dinge abzugeben. Das erfordert dann schon ein gewisses Maß an Vertrauen, welches man bei uns erst einmal gewinnen muss. Wir machen unsere Sachen mit viel Herzblut und Leidenschaft und haben uns da auch einiges aufgebaut. Somit haben wir gewisse Erwartungen und Vorstellungen, die nicht so leicht zu erfüllen sind. Was auch eine Rolle spielt, ist, dass wir nicht so ganz einfach in eine Nische und Sparte einzuordnen sind – das zeigt sich an unseren Hörern, dieser wilden, bunten Horde. Die meisten Labels vertreten nur ein ganz bestimmtes Musikfeld, so dass wir da oft irgendwie nicht so richtig reinpassen. Es gab zwar bereits sehr interessante Angebote, aber immer irgendwie zum falschen Zeitpunkt.