JESSE MALIN

Foto© by Vivian Wang

Die hohe Kunst der Selbstfindung

Jesse Malin hat einen wilden Ritt durch die Geschichte des New Yorker Rock’n’Roll hinter sich: Im Alter von zwölf gründete er die Hardcore-Band HEART ATTACK, fuhr danach mit D GENERATION einiges an Bekanntheit ein und ist seit rund zwei Jahrzehnten als Singer/Songwriter mit Punkrock-Background unterwegs. Eine entscheidende Rolle für ihn spielte sein Debütalbum „The Fine Art Of Self Destruction“, das vor zwanzig Jahren erschien, und über das ich mit ihm vor seinem Auftritt in Utrecht spreche.

Jesse, lass uns über „The Fine Art Of Self Destruction“ reden, das Album, ohne das du nicht hier wärst, oder?

Ja, durchaus. Ich hatte schon als Teenager verschiedene Sachen gemacht. Als ich das Album aufnahm, hatte ich keinen Plattenvertrag und keine Ahnung, ob diese Songs jemals gehört würden. Aber als das Album schließlich herauskam, war es mir möglich, weltweit auf Tour zu gehen und weitere Platten zu machen. Um das zu würdigen, ist jetzt eine erweiterte Neuauflage der Platte erschienen. Diese Zeit vor zwanzig Jahren war eine ganz wichtige für mich als Musiker.

Inwiefern?
In den Bands, in denen ich gewesen war, schrieb ich immer Songs für die ganze Truppe, für die Gang sozusagen. Jetzt gab es für mich die Gelegenheit, auf mein eigenes Leben zu blicken, auf meine Kindheit und auf meine aktuelle Situation. Ich merkte, dass sich da eine Menge unaufgearbeitete Altlasten angestaut hatten, obwohl ich eigentlich ein ziemlich positiver Typ bin. Einige der Songs handeln also von mir, andere von Beziehungen oder von Leuten aus meinem Umfeld. Ich schrieb viel über New York, das als eine Metapher und Kulisse diente für Geschichten, die sich so überall zutragen können. Wie etwa „Brooklyn“, bei dem auch Leute in Finnland mitsingen können, weil sie sich darin wiederfinden. Insofern war das Album für mich und meine persönliche Entwicklung sehr wichtig. Mit dem Song „Wendy“ versuchte ich eine ehemalige Freundin zurückzugewinnen. In dem Text erwähne ich viele Dinge, von denen ich wusste, dass sie sie mag, wie Tom Waits, Jack Kerouac oder THE KINKS, in der Hoffnung, dass sie das bemerkt. Sie hat’s bemerkt. Hat aber trotzdem nichts gebracht, haha. Immerhin gibt es seitdem dieses Lied, das ich bis heute spiele.

Spielte 9/11 eine Rolle beim Schreiben der Songs?
Die Platte wurde fünf Monate später aufgenommen. Was der Anschlag mir und vielen anderen noch einmal verdeutlicht hat, ist die Vergänglichkeit des Lebens. Wenn du als Punkrocker in New York aufwächst, dann weißt du, dass die Welt da draußen auch mal bösartig sein kann. Insofern könnte man schon sagen, dass die Platte eine Art Liebeserklärung an New York ist.

Die Songs auf deinem Debütalbum waren nicht nur persönlicher, sondern musikalisch auch ruhiger als das, was du vorher gemacht hast.
Ich habe bereits als junger Punkrocker gerne Elton John und Jim Croce gehört. Als Künstler brauchst du Input und Inspiration. Ich mochte deshalb Musiker, die in ihren Songs Geschichten erzählen wie Billy Bragg, Graham Parker oder Bruce Springsteen auf seinem Album „Nebraska“. Mit D GENERATION spielten wir häufig mit Bands wie GREEN DAY oder SOCIAL DISTORTION. Vielen Fans ging es bei den Shows vor allem darum, abzugehen und im Pit die Sau rauszulassen. Unsere Texte waren da eher weniger von Interesse, was uns frustrierte. Denn bei uns ging es um soziale Missstände und unseren kritischen Blick auf die Welt. Wir waren wütend und hatten etwas zu sagen. Dieses Desinteresse störte mich zunehmend, so dass ich beschloss, die Musik etwas zurückzunehmen und den Texten so mehr Gewicht zu verleihen. Leute, die mich kannten, hat dieser Schritt nicht überrascht, andere schon und ich wurde häufiger darauf angesprochen. Für mich geht es bei Musik um die Einstellung und die Message und weniger um die Form.

In seinen Linernotes zur Neuauflage schreibt Brian Fallon, dass du der erste Punkrocker gewesen seist, der ein Album im Singer/Songwriter-Stil rausbrachte, und du so für ihn und viele andere eine Tür aufgestoßen hättest. Wie siehst du das?
Ich mag Brian wirklich sehr, aber hier übertreibt er. Es gab andere vor mir, Johnny Cash, Hank Williams und Woody Guthrie zum Beispiel. Sie wurden bloß nicht als Punkrocker bezeichnet. Von den Marshall-Verstärkern zur akustischen Gitarre zu wechseln, war für mich einfach eine andere Art der Kommunikation. Mehr nicht. Aber nett von Brian, das so darzustellen.

Du bist ein angesagter Künstler in den USA und auch im Vereinigten Königreich. In Deutschland dagegen ist in Sachen Popularität noch Luft nach oben. Woran, meinst du, liegt das?
Schwer zu sagen. Die Show in Hamburg war ausverkauft und wurde hochverlegt. Allerdings stand Deutschland bislang nicht unbedingt im Mittelpunkt meiner Aktivitäten, obwohl mir das Land und die Atmosphäre bei euch sehr gefällt. Auf der Brian Fallon-Tour vor einem Jahr waren wir auch in Nürnberg und mehreren anderen Städten und überall war es klasse. Ich muss wohl demnächst intensiver als bisher in Deutschland auf Tour gehen.

Erzähl uns zum Schluss noch von den HARDCORE HIGHWAYMEN.
Das war ein Projekt von Eugene Hütz von GOGOL BORDELLO und mir, das wir um die Weihnachtszeit in einem Club in Brooklyn durchgezogen haben. Wir nahmen Hardcore-Songs und machten daraus folkige Punkrock-Versionen. Walter Schreifels von QUICKSAND und GORILLA BISCUITS war auch mit von der Partie. Die Idee war es, diese vor Kraft strotzenden Songs musikalisch runterzufahren, ohne dabei die Message zu verändern. Wenn du in einer Hardcore-Band bist, und das waren wir drei, hast du genau eine Minute, um deine Botschaft in die Welt rauszuschreien. Und genau das taten wir, nur eben in etwas veränderter Form. Ein großer Spaß.