Das Mädchen, um das es eigentlich geht, im Arm. Ein Sonnenuntergang, der, obwohl wunderschön, es nicht im geringsten mit eben diesem Mädchen aufnehmen kann. Der Himmel aufregend beeindruckend mit Wolken verhangen. Und Musik.
THE GET UP KIDS. Sanfte Gefühle hart ausgedrückt. Kreischende Gitarren spielen die wunderschönsten Melodien, und ein Sänger, der nicht nur wie der Sohn von Jeremy Enigk klingt, sondern für den es auch noch das Natürlichste ist, sein Innerstes nach außen zu kehren. Innen herrscht vor allem eins: Sehnsucht. Nach Liebe, Freunden, Familie, dem Mädchen, mit dem man den Rest seines Lebens verbringen will. Diese Sehnsucht ist es, die diese Band zu etwas besonderem macht. Hier geht es um mehr als Musik. Das neue Album "Something To Write Home About" (Heroes and Villains Records/Vagrant Records) ist das Sprachrohr der Melancholiker, der Gattung Mensch, die nachdenkt, bevor sie handelt, nicht glücklich aussieht, aber es im Grunde ist. Die lieber allein zu zweit, als zu zweit allein ist.
Ich treffe Rob Pope (Bass) sowie James Dewees (Keyboard, Gesang), die zusammen mit Matt Pryor (Gesang, Gitarre), Jim Suptic (Gitarre, Gesang) und Ryan Pope (Schlagzeug und Bruder von Rob) die GET UP KIDS bilden, an einem Montag im August kurz nach ihrem umjubelten Auftritt in Mohnheim. Bier trinkend, Kippe rauchend. Allesamt Anfang 20, so unscheinbar wie nur irgend möglich, und doch etwas ganz besonderes. Das bemerkten neben mir an diesem Abend auch noch 400 andere Leute. Und 16jährige Mädchen. Ungefähr 15 von ihnen hatten es sich neben der Bühne bequem gemacht und vermittelten einem das Gefühl, es hier mit einer Boygroup zu tun zu haben. Anlaß des Kurzbesuches in Europa ist das neue Album "Something To Write Home About". Seit 1996 veröffentlichte die Band aus Olathe, einem Vorort von Kansas City, Missouri, eine Hand voll Singles und Split-Singles, bevor 1997 der erste Longplayer "Four Minute Mile" via Doghouse Records erschien. Bob Westen, Produzenten-Legende aus Chicago (u.a. ERIC´S TRIP, SEBADOH, VITREOUS HUMOR) und ein Drittel von SHELLAC, verpaßte dem Album durch hin- und herschieben der Regler den letzten Schliff und der Weg war frei, um weltweit zum "Verkaufsschlager" zu avancieren - mittlerweile steht man bei 40.000 verkauften Einheiten. Eher durch die beeindruckenden Verkaufszahlen als durch die wunderschöne Musik aufgeweckt, meldete sich die Industrie. Man durfte für das neue Label wählerisch sein. Der Grund, warum Vagrant Records das Rennen gemacht hat, ist vor allem darin zu finden, daß man die Unabhängigkeit nicht verlieren wollte. Rob: "Ja, wir hatten konkrete Anfragen von Major-Companys und unterschriftsreife Verträge vorliegen. Die entsprachen aber nicht unseren Vorstellungen und es geht hier nicht um Geld. Wir haben uns entschlossen unser eigenes Label, Heroes And Villains Records, zu gründen. Alles liegt somit in unseren Händen, während sich Vagrant Records um den Vertrieb der Platte kümmert." Weitere Releases auf ihrem eigenen Label sind geplant.
Trotz all der Ernsthaftig- sowie Traurigkeit, die stets an ihren Stücken haftet, strotzen die fünf "Kids" vor einem auf den ersten Blick komisch scheinenden Humor. "Es hat eine Menge Spaß gemacht, ein MÖTLEY CRÜE-Cover aufzunehmen. Das ist einfach Rockmusik, auch wenn sie mehr als merkwürdig verpackt wurde und dadurch leicht zum schmunzeln anregt", erzählt Rob. Das Ergebnis "On With The Show" ist auf der Triple Crown Records Metal Tribute-Compilation zu hören, die Ende des Jahres auf Triple Crown Records erscheint. Während das erste Album "Four Minutes Mile" innerhalb von drei Tagen aufgenommen wurde und diese Tatsache die Frage nach dem rohen, dünnen Sound beantwortet, ließ man sich für das neue Werk weitaus mehr Zeit und verbrachte zwei Monate in Kalifornien mit Chad Blienman (FACE TO FACE, DISHWALLA, NO MOTIVE) im Studio. Durch James Dewees vom Quartett zum Quintett gewachsen, fand man erstmals auch für Klaviertöne, Streicher und sogar dezent eingesetzte Moog- bzw. Elektrosounds Verwendung. Rob: "James ist in der Lage, unseren Sound voller zu gestalten, und das Klavier etwa war ja schon immer auch ein Instrument der Rockmusik." Auch meine vorsichtigen Bedenken, sowas könnte schnell zu einer Übersättigung oder "Verniedlichung" des Gesamtsounds führen, wurden flugs widerlegt. "Keine Angst. Immerhin sind wir vier gegen einen", lacht Rob. Stimmt.
Gemeinsam mit den neuformierten SUNNY DAY REAL ESTATE, JIMMY EAT WORLD und HOT WATER MUSIC bilden THE GET UP KIDS nun sowas wie die "Champions League" des Emo-Rock. James: "JIMMY EAT WORLD finden wir klasse. Die haben ja vorgemacht, daß elektronische Klänge durchaus mit Gitarren harmonieren können, ohne an Energie zu verlieren." Energie ist sowieso ganz wichtig im Universum der GET UP KIDS. Neu im Programm sind jetzt auch Balladen, von denen zumindest eine, "I´ll catch you", in einer besseren Welt ein 2 Millionen Dollar-Video-Budget verpasst bekommen und die Hitparaden des Planeten stürmen würde. Tränen statt Noten. Sehnsucht, Trauer oder Verzweiflung werden als mentale Notiz abgehakt. "Wir werden hoffentlich eines Tages die Möglichkeit bekommen, dieses Stück live so zu präsentieren, wie wir uns das vorstellen. Auf alle Fälle mit Pyroeffekten, ganz viel Licht und vielleicht sogar mit Nebel", erzählt mir Rob dazu. Und ich glaube, der meint das ernst. Find ich gut. Trotzdem wird gelacht. Gelacht wird überhaupt sehr viel während unseres Gesprächs. Das erstaunte, erfreute und enttäuschte mich zugleich. Die Frage nach den Texten wird kurz und knapp beantwortet. Rob: "Die Lyrics sind zumeist persönliche Erlebnisse bzw. Gedanken, und ich denke, sie sind aussagekräftig genug, um sie unkommentiert im Raum stehen lassen zu können. Außerdem würde jegliche Erklärung die Magie zerstören."
Für eine Band, die vor allem durch ihre großzügig frequentierte Livepräsenz bekannt geworden ist, erscheint die Gastspielreise dieser Tage doch etwas kurz geraten. "Wir befinden uns gerade auf Promotiontour. Wir werden aber im Frühjahr nächsten Jahres für eine große Europatour zurückkommen. Die zwei Monate, die die Aufnahmen zum neuen Album gedauert haben, war die längste Zeit, an der wir uns in den vergangenen drei Jahren an ein und demselben Ort aufgehalten haben. Wir sind nunmal eine Live-Band und befinden uns eigentlich immer auf Tour", erklärt Rob.
Und nocheinmal. Eine von Sehnsucht angetriebene Band, immer auf der Suche nach dem Glück. Und hier weiß man: Der Weg dahin führt über einen endlosen Highway, der untergehenden Sonne entgegen, und der Beifahrersitz bleibt leer. Bleibt nur zu wünschen, dass ein GET UP KIDS-Tape im Auto liegt.
Jens-Helge Nave
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