Relativ groß war die Resonanz und vor allem die Freude, als sich die THE GET UP KIDS 2008, dreieinhalb Jahre nach ihrer Auflösung, wiedervereinten und so 2009 auch erstmals wieder Deutschland für Konzerte besuchten. Nach ihrem letzten Album vor dem Split, „The Guilt Show“, folgten schließlich 2010, nach sechs Jahren Entzug, die ersten neuen Studiosongs, welche als EP unter dem Namen „Simple Science“ erschienen. In diesem Zusammenhang hatte ich bereits im letzten Jahr für Ox #90 die Ehre Matt Pryor, seines Zeichens Sänger und Gitarrist von THE GET UP KIDS, zu interviewen.
Nach „Simple Science“ sollten ursprünglich, wie mir Pryor verriet, zwei weitere EPs als eine Art Serie über das eigens gegründete Label Quality Hill Records folgen. Doch wie heißt es so schön: Erstens kommt es anders und zweitens als man denkt. So wurde aus zwei EPs schließlich ein Album. Mit diesem im Gepäck waren THE GET UP KIDS im September/Oktober 2011 wieder in Europa unterwegs. Beste Gelegenheit, mal nachzuhaken, wie es dazu kam, wie die neue Platte ankommt und ob sich das wiederzusammengefundene Bandgefüge nach wie vor gut anfühlt.
„Nach dem Release von ,Simple Science‘ merkten wir relativ schnell, dass es vom logistischen Aufwand her doch sinnvoller ist, anstatt der EP-Serie ein Album zu veröffentlichen. Und das Material für ein ganzes Album war ja sowieso bereits vorhanden“, erklärt Pryor kurz den Sinneswandel das Format betreffend. Und so kam es dann, dass THE GET UP KIDS Anfang 2011 die Musikwelt mit „There Are Rules“ beglückten, ihrem fünften Studioalbum. Doch dieses Glück empfanden längst nicht alle, die das neue Album hörten. Denn „There Are Rules“ ist anders, sperriger als die Vorgänger, weniger eingängig.
Das führte dazu, dass sich THE GET UP KIDS, wenn es um ihren neuen Sound ging, oftmals missverstanden und fehlinterpretiert fühlten. „Häufig hieß es, dass wir nun ,reifer‘ klingen würden!? ,There Are Rules‘ ist für uns vielmehr aggressiver und vor allem experimenteller, was das Ausprobieren der verschiedenen Sounds angeht. Doch reifer trifft es in unseren Augen absolut nicht.“
Fest steht, dass das neue Material bei den alten Fans häufig mehrere Durchläufe benötigte und die Resonanz recht gespalten ausfiel. Da gibt es Stimmen, die gar vom schlechtesten THE GET UP KIDS-Album sprechen, andere wiederum erfreuen sich am neuen, frischen Sound der Band, der seinen ganz eigenen Charme irgendwo im noisigen Indie- und New-Wave-Lager entfaltet.
Das Problem von THE GET UP KIDS ist wohl nach wie vor, dass sie sich seit ihrem Debüt „Four Minute Mile“ und ihrem Durchbruch mit dem Album „Something To Write Home About“ eben immer wieder an diesen beiden messen lassen müssen. So wurde bereits ihr – in meinen Augen und Ohren brillantes – drittes Album „On A Wire“ von 2002 schon eher zurückhaltend aufgenommen und schnitt teilweise in Besprechungen erschreckend schlecht ab. Der Grund: Es klang zweifelsohne „anders“, es war nicht mehr ganz so catchy wie die Vorgänger und es liebäugelte stark mit neuen Sounds. Die Geschwindigkeit der Songs wurde generell etwas zurückgedreht, und neben intimem Lagerfeuer-Flair und zurückgehaltenen Indie-Balladen reihten sich hier und da Momente ein, die weitestgehend sogar als Country durchgehen. Doch egal, wie man „On A Wire“ auch einordnen mag, es ist ein durchweg authentisches und vor allem ehrliches Werk. So wie eben „There Are Rules“. Und deshalb war diese Art von Umbruch und Veränderung im Sound auch erneut nötig beziehungsweise eine logische Konsequenz für die Band, wie Pryor berichtet: „Immer wenn wir neue Sounds oder Experimente gewagt haben, waren die Leute erst skeptisch und begegneten unseren neuen Platten mit einer gewissen Zurückhaltung. Aber daran können wir leider nichts ändern. Denn das Einzige, was wir als Band tun können und wollen, ist weiterhin die Musik zu schreiben, die sich für uns ehrlich anfühlt. Das haben wir auch bei ,There Are Rules‘ so gemacht. Natürlich hoffen wir sehr, dass unsere Fans uns dabei treu bleiben.“
Geschmäcker und Einflüsse ändern sich mit der Zeit. Bei THE GET UP KIDS ist das nicht anders, was man bei ihnen in Form ihrer verschiedenen Alben miterleben kann. Es ist prinzipiell also völliger Blödsinn, eine innovative Band wie THE GET UP KIDS mit ihrem alten Sound vergleichen zu wollen. Schließlich liegen allein zwischen „Something To Write Home About“ und ihrem aktuellen Output ganze zwölf Jahre – mehr als ein Jahrzehnt! Trotz der Unterschiede zwischen den einzelnen Alben passen neue Songs wie „Automatic“ oder „Keith case“ live hervorragend zu Evergreens wie „Holiday“, „Ten minutes“ oder dem Klassiker „Woodson“.
Doch wie fühlt es sich für eine Band an, die schließlich auch persönliche Gründe für ihre Trennung angab, nach all dem, was war, wieder ununterbrochen im Tourbus aufeinander zu hocken? Bezieht sich vielleicht der Titel des neuen Albums, „There Are Rules“, auf eine neue Form des Zusammenlebens im Tourbus, gibt es Regeln für einen unproblematischen Umgang miteinander, damit man sich nicht wieder zu sehr auf die Nerven geht? „Es gibt keine Regeln in diesem Sinne, doch wir versuchen, die Bedürfnisse jedes Einzelnen zu respektieren und bewusster miteinander umzugehen. Außerdem vermeiden wir es nun, allzu lange und ohne Pause auf Tour zu sein.“
Wenn man sich jedoch den vergangenen Tourplan der THE GET UP KIDS anschaut, kann das zweite Vorhaben wohl nur als bedingt geglückt gewertet werden. In einem Jahr waren die THE GET UP KIDS insgesamt in über 20 Ländern auf Tour. „Nach den ganzen Shows sind wir jetzt auch froh, erst einmal wieder nach Hause zu kommen, und uns eine Weile auszuruhen. Deshalb gibt es auch noch keine weiteren Pläne, was ein neues Album oder eine weitereTour angeht.“ Nach so einer langen Reise ist so eine Ruhepause verdient. Ich hoffe nur, dass diese nicht wieder dreieinhalb Jahre andauert. Obwohl, solange die Band nicht wieder komplett auf Eis gelegt wird, wäre auch diese Wartezeit zu bewältigen.
In diesem Sinne, auf ganz bald, meine geliebten Kinder!
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