Friedemann

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Solo, aber nicht allein

Friedemann ist der schwer tätowierte Frontmann der auf Rügen ansässigen deutschsprachigen Hardcore-Band COR. Friedemann ist aber auch Solo-Künstler und hat mit „Wer hören will muss schweigen“ gerade sein neues Album veröffentlicht, zu dem wir ihm einige Fragen stellten.

Ohne deine „Familie“ wäre die Platte nicht möglich wäre – und damit meine ich nicht Frau und Kinder, sondern jene Menschen aus deinem Umfeld. Welchen Anteil haben Leute wie Andreas Kohl, Matze Arndt, Janko Möde, Conny Ochs oder Gunnar von DRITTE WAHL?


Mit den Solosachen habe ich angefangen, um allein und unabhängig Musik machen zu können. Nicht mehr warten, keine Absprachen und nur auf sich selbst hören. Irgendwann habe ich dann diese Einsamkeit gespürt. Ich bin ziemlich sensibel und habe schnell mitbekommen, dass ich ohne Mitmenschen und Mitmusiker nicht sein kann und will. Und ich habe gute Menschen, die mich begleiten, meine Eigenheiten hinnehmen und mich stützen und antreiben. Eine Platte zu machen ist sowieso nie eine Einmannshow, sondern immer Teamarbeit und das ist auch für meine Kreativität sehr wichtig, weil ich aus dieser Gruppendynamik viele gute Ideen für die Songs, die Videos, die Aufnahmen, meine Art zu spielen entwickeln und umsetzen kann. Schön ist es auch, Songs anderen Musikern zu schicken und die dann einfach machen zu lassen. Ich will ja nicht meine Ideen von anderen gespielt bekommen, sondern deren eigene Art und Weise in meinen Songs hören. Es ist jedes Mal überraschend, was dabei herauskommt. Und für mich ist es schön, gemeinsam mit Musikern und den Menschen hinter der Musik, die ich schätze und mag, Songs aufzunehmen, mir musikalische Erinnerungen zu schaffen.

COR sind laut, Friedemann ist leise. Weshalb die Trennung zwischen beiden musikalischen Projekten?

Weil diese zwei Seiten in mir stecken und ich derzeit nicht in der Lage bin, sie zu verbinden. Ich lebe und erlebe sehr intensiv, bin dadurch in einem ständigen Wechsel aus Hochs und Tiefs, aus fröhlich und verzweifelt, aus laut und leise. Das stelle ich dann einfach über diese beiden Musikprojekte dar. Manchmal möchte ich schreien und platzen, manchmal lieber in mich gehen, nachdenken. Beides gehört zu mir und ich lasse es zu. Ich hätte jetzt auch bei COR ruhigere Töne anschlagen können, aber da bin ich zu sehr in Rage, um umschalten zu können. Vielleicht bringt mein Altern da ja noch andere Möglichkeiten für die Zukunft. Ich lasse mich überraschen.

Unterscheidet sich das Publikum bei COR-Auftritten und denen als Friedemann?

Ja und nein. Ich würde sagen, das überschneidet sich halb und halb. Es gibt die Leute, die beides mögen, aber auch viele neue Leute. Einige, denen COR musikalisch nichts gibt, die aber die Texte und die Einstellung mögen, kommen dann lieber zu den Friedemann-Gigs. Aber auch über die Friedemann-Sachen erreiche ich neue Leute für COR. Insgesamt bin ich von der Intensität der Akustikgigs und dem Erfolg doch sehr überrascht. Aber ich nehme es gern an und freue mich.

Solo und weitgehend akustisch macht man sich ja viel mehr „nackig“, als wenn man sich hinter viel Lärm und Geschrei verstecken kann. Wie anders fühlen sich die Auftritte an?

Es ist beides sehr intensiv. Ich bin nach einem Akustikgig genauso fertig wie nach einem Auftritt mit COR. Bei COR ist vieles blind, das heißt ich bin so unter Strom, dass ich nach einem Gig nicht mehr viel davon weiß. Bei der Akustiksache bin ich mehr mit dem Kopf dabei, denke viel auch während des Spielens. Ich kann das kaum erklären, aber beides ist gut, fordert und befriedigt mich.

Mit „Lampedusa Blues“ habt ihr mit COR schon vor vielen Monaten das Flüchtlingsthema behandelt. Was empfindest du angesichts der unveränderten Situation? Wut? Verzweiflung?

Nein, keine Verzweiflung, keine Wut. Das spüre ich zwar in Anflügen, aber ich will es nicht zulassen, denn was würde das ändern? Nichts! Ich bin dafür, zu helfen, Spenden zu sammeln, Sprachkurse und andere Lebenshilfe ehrenamtlich anzubieten, Mitmenschen zu überzeugen und die Lage zu verändern. Das ist der einzige Weg. Ich hasse diese negative „Wir können es ja doch nicht ändern“-Einstellung. Denn wir als Menschen, die ein Herz und eine Idee haben, müssen die Dinge selbst bewegen. Jeder in seiner Art, an jedem Tag, überall. Ich bin überzeugt, dass wir etwas bewegen können.

Wie sieht die Situation bei dir vor Ort auf Rügen aus? Refugees welcome oder Feindseligkeit?

Ich glaube, es läuft hier relativ gut. Klar sind viele gegen die Flüchtlinge und wollen sie nicht haben, aber ich habe das Gefühl, dass es genauso viele Befürworter gibt, die im Stillen arbeiten und helfen. Ich denke, wie hier sieht es überall aus, nur dass die Ablehnenden lauter schreien, denn die anderen haben keine Zeit, weil sie helfen und beschäftigt sind.

„Wer hören will muss schweigen“ klingt erstmal nach einem banalen Sinnspruch, ist im Kern aber ein sehr kluger Satz. Warum dieser als Titel?

Ich finde, wir modernen Menschen verlangen sehr viel, ohne etwas geben zu wollen. Wir wollen Liebe, ohne selbst zu lieben, wir wollen eine heile Umwelt, aber nicht zu Fuß gehen oder fahrradfahren, wir wollen gesundes, gutes Essen, aber nichts dafür bezahlen. Darauf zielt der Plattentitel – und auf mein Grundgefühl, dass wir in einer sehr lauten und schrillen Zeit leben und etwas Ruhe und Entspannung sehr sinnvoll und erstrebenswert wären.

„Am Ende wird Glück sein“ – bist du Optimist?

Ja, und ich werde mir das auch nicht nehmen lassen, denn Optimismus ist eine gute Kraft im Ringen um eine bessere Welt.

Mit COR habt ihr euch unlängst an der „Fairshirt“-Aktion von DNA Merch beteiligt. Warum ist dir das Thema wichtig?

Mein Akustiktour-Merch wird 100% DNA Merch sein. Hergestellt unter guten Bedingungen für die arbeitenden Menschen und die Umwelt. Wesentlich teurer als die herkömmlichen Sachen, aber gute Arbeit und Nachhaltigkeit kosten Geld und das ist auch völlig okay. Auch wir verdienen weniger und doch viel mehr. Und warum unterstützen wir das? Weil es unserer Lebensphilosophie entspricht, fair und nachhaltig zu handeln und nicht nur zum reinen Selbstzweck. Wir möchten keine Musiker sein, die immer nur von der Bühne predigen und selbst nicht die Kraft haben, die Dinge in ihrem Umfeld zu ändern und zu bewegen. Die bessere Welt fängt immer vor der eigenen Haustür an.